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Der Vogel
Ich war gerade aufgestanden, es war ein Sonntag. Durch das Veluxfenster konnte ich einen Vogel in den Zweigen der Birke sitzen sehen, die immer ihre Samen in mein Zimmer rieseln ließ. Er zwitscherte.
Irgendwie berührte mich seine Silhouette, die sich dunkel vor dem hellen Strahlen der Sonne abhob. Ich öffnete das Fenster einen Spalt, um vielleicht sein Singen zu hören, aber er flog davon. Das Geräusch des klappernden Fensters musste ihn erschreckt haben.
Während ich mich anzog, konnte ich draußen das Krakeelen der Vögel hören. Ob sie bereits Eier gelegt hatten? Sicher, es war spät im Jahr. Ich drückte die Kontaktlinsen in meine Augen, blinzelte die überschüssige Flüssigkeit fort und ging dann nach unten.
Meine Mutter war gerade dabei, das Essen in Schüsseln zu füllen. Ich half ihr, es draußen auf den Tisch auf der Veranda zu tragen. Als ich die Schüssel mit den Nudeln abstellte, sah ich den Kater. Er lag im Schatten, blinzelte mir aus grüngelben Augen zu.
„Hallo Katze“, sagte ich. Der Kater rollte sich auf den Rücken und schnurrte, als ich ihn kraulte.
Dann rief meine Mutter zum Essen, und als wir alle unsere Teller geleert hatten, setzte ich mich in die Küche und aß ein Eis am Stiel. Der Kater kam gewohnt lautlos durch die Tür geschlichen, hatte etwas im Maul, was verzweifelt flatterte.
“Schnell, er hat einen Vogel, nimm ihm den weg!“ Meine Mutter wollte wohl keine Blutflecken auf ihrem weißen Teppich.
Ich folgte der Katze. Sie drapierte den Vogel sorgfältig auf dem Teppich, mit schief gelegtem Kopf, wie ein Dekorateur es tun mochte. Ich legte ein paar Blätter Papier daneben und schob den Vogel darauf, mochte ihn nicht in meinen Händen nach draußen tragen.
Er bewegte sich nicht, sein Kopf hing kraftlos auf seinem Hals, die Katze musste ihm das Genick gebrochen haben. Ich fühlte seine winzigen Federn an meinen Fingern. Er war ganz weich.
„Wirf ihn in die Hecke“, sagte meine Mutter, dann schimpfte sie mit dem Kater, sagte ihm, er solle nie wieder einen Vogel mitbringen, er würde genug teures Katzenfutter bekommen und hätte es nicht nötig, draußen zu jagen.
Der Vogel war ein Grünfink. Er war unversehrt, sah beinahe aus, als schliefe er auf dem Blatt Papier in meiner Hand. Sein schwarzes Knopfauge war stumpf. Ich strich wieder über ihn, wunderte mich, wie irgendetwas so tot und so flauschig sein konnte.
Irgendwie freute ich mich, dass ein roter Fleck auf dem Teppich war, denn auch, wenn der Vogel tot war, schimpfte meine Mutter doch nur mit der Katze, weil sie getan hatte, was Katzen seit Jahrtausenden tun. Wenigstens würde eine Spur von dem Vogel zurückbleiben.
Ich verließ das Haus durch die offene Terrassentür, wo der Vogel das letzte Mal mit den Flügeln geschlagen, verzweifelt versucht hatte, der Katze zu entkommen, ging vor der Hecke in die Knie und ließ den Vogel vorsichtig vom Papier gleiten. Er lag dort, ein kleiner Fleck, grüngelb wie die Augen des Katers.
Später, ich saß vor meinem Computer, begann es zu regnen. Dicke Tropfen fielen auf das schräge Dachfenster, riesige Wasserkugeln zerplatzten auf dem Asphalt auf der Straße. Ich konnte vor meinem inneren Auge sehen, wie die Tropfen durch die Hecke fielen und den kleinen Körper des Vogels trafen.
Wie sie seine grüngelben Federn durchnässten und sie an seinen zerbrechlichen Körper mit dem gebrochenen Genick klebten.
Er würde nie wieder trocknen.