- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Der wartende Mann
Der wartende Mann
Eines Tages, als ich am Feierabend meine Schritte nach Hause lenkte, da fand ich für einige Minuten Zerstreuung im Stadtpark. Es war ein typischer Oktobertag. Das Laub an den Bäumen wurde schon langsam rot und gelb und die tierischen Parkbewohner waren anscheinend weitergezogen.
Auf dem Weg lagen mehrere Zeitungen. Sie waren alt und wertlos. Manche Väter gingen noch mit ihren Söhnen nach draußen zum Drachensteigen. Der Parkteich war leer, bis auf die Kinder, die mit ihren Booten im Wasser spielten. Es waren nur kleine Boote, wo sonst nur Schwäne oder Enten zu finden waren. Ich lief den gewohnten, schmutzigen Weg nach Hause weiter, als mir ein Mann in zerlumpten Kleidern auffiel.
Er schien kein Zuhause zu haben, denn er lag ganz alleine dort auf der Parkbank, von ein paar Zeitungen zugedeckt. Ich bekam Mitleid mit dem Mann, allein schon in dieser Jahreszeit, denn hier draußen im Park gibt es keine Möglichkeit sich zu wärmen. Mein Mitgefühl zwang mich dazu ihn anzusprechen.
Ich fragte ihn: „ Ist die Bank gemütlich?“ Er erwachte, als er meine Stimme hörte. „ Nein, das ist sie ganz gewiss nicht. Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann wäre ich gern wieder zu Hause bei meiner Mutter, aber das geht jetzt nicht mehr“ , antwortete er mir, ohne jegliche Emotionen. „ Warum das? Ist ihre Mutter im Urlaub?“ Fragte ich ihn weiter. „ Nein, das nicht, sie ist zu Hause, ich beobachte sie jeden Tag. Sie kümmert sich um ihre Pflanzen, macht köstliches Essen und hängt ihre Wäsche zum Trocknen vorm Haus auf.“ „ Warum gehen sie dann nicht nach Hause, wenn ihre Mutter sie versorgen kann?“ „ Ich habe mein ganzes Leben lang immer auf mein Glück und meinen Verstand gepocht. Ich dachte immer, irgendwie wird das Leben schon weitergehen. Immer wenn ich einen Fehler gemacht habe, dachte ich mir erst, jetzt ist es zu spät neu anzufangen und doch konnte ich immer wieder weitermachen, irgendwie. Irgendwann begann ich zu denken, dass das Leben immer alles für einen bereitstellt. Als ich diesen Gedanken das erste Mal äußerte, wurde meine Mutter stinksauer. Sie sagte mir, dass nur sie allein dafür verantwortlich ist, dass ich nun so bin wie ich bin und dass sie bis jetzt für mein Überleben gesorgt hat. Ich glaubte ihr nicht. Ich glaubte, dass das Leben einem alles schenkt.
Da schloss ich mit ihr eine Wette ab. Ich wollte ihr zeigen, dass man auf das Glück nur zu warten brauche und man könne alles haben, was man wolle, wenn man nur lang genug darauf wartete. Meine Mutter war außer sich vor Wut auf diese Wette, ging sie aber mit mir ein. Sie wollte mir jeden Wunsch erfüllen, wenn ich die Wette gewinnen sollte. Seitdem sitze ich hier und warte darauf, die Wette zu gewinnen.“ Diese Worte musste ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen. Dann antwortete ich: „Aber meinen sie wirklich, dass ihre Mutter freiwillig die Wette verlieren möchte?“ Auf diese Frage hin war er sehr enttäuscht. Er wendete sich ab von mir und legte sich wieder schlafen. Ich ging nach diesem Gespräch wieder nach Hause und wieder zur Arbeit. Aber jeden Tag ging ich auch zum Park. Ich beobachtete ihn dort jeden weiteren Tag, den wartenden Mann.
Aber nach Hause kommt er wohl niemals wieder...