Der Weg nach Hawaii
Jan versuchte seit dem Ende seiner Wache einzuschlafen. Das Boot ächzte und knarzte im Sturm laut und die See verwandelte seine Koje in eine Schaukel. Schließlich hatte er eine Position gefunden, in der er halbwegs stabil blieb und nach einigen Anläufen kooperierte die Decke endlich kuschelig. Die laute und schaukelige Welt verschwand hinter einem beginnenden Traumbild, als er erschöpft einschlief.
Ein ohrenbetäubend lauter Knall, der mit einem taghellen Blitz einherging, riss ihn aus dem Schlaf. Er spürte seinen Herzschlag deutlich und stöhnte vor Schreck. Hatte er geträumt? Jan griff nach dem Lichtschalter an der Koje, aber es blieb dunkel. „Scheiße“ dachte er mit einem schlechten Gefühl. In dem Moment hörte er Yvonne laut nach ihm schreien. Im Dunkeln tastete er nach der Stirnlampe und fand sie endlich. Licht! Gegen das Schaukeln des Bootes stand er auf und der tote Lichtschalter seiner Kabine bestätigte die Befürchtung, dass etwas passiert sein musste. Yvonne schrie wieder in Panik nach ihm.
Schritt für Schritt und Griff für Griff hangelte er sich im schaukelnden Boot zum Cockpit empor. Es roch nach verschmorten Kabeln und er bemerkte, dass das elektrische Panel so dunkel wie alles sonst war.
Yvonne sah das Licht seiner Stirnlampe kommen und schrie im Sturm aufgelöst „Jetzt mach hin! Das war ein Blitz… alles ist kaputt!“ Endlich war er oben bei ihr im Cockpit und sah sich fassungslos um. Die Beleuchtung der Instrumente, die Navigationslichter, alles war so dunkel wie die Nacht, die sie umgab, was den Sturm um so bedrohlicher machte.
„Ein Blitz?“ Sie nickte panisch und er sah ihr den Schreck an.
„Es war so hell und ein Riesenknall! Ich habe kurz nichts mehr gesehen. Dann war alles dunkel. Der Autopilot ist auch weg. Ich muss von Hand steuern und kann hier nicht weg.“ Sie schluchzte. „Ich halte das Boot im Wind, aber ich weiß nicht mehr, wo wir sind und wo ich hin soll.“
„Hauptsache, du hältst uns im Wind. Ich sehe unten nach, ob noch alles dicht ist.“ Jan stieg wieder in das Boot herab und öffnete der Reihe nach alle Bodenbretter. Die Bilge war trocken. Beruhigt kehrte er zu Yvonne zurück. „Alles in Ordnung.“ Mitgenommen nickte sie. Er sah mit der Stirnlampe auf den Kompass und starrte verwirrt auf die schwankenden Zahlen unter dem Strich. „Hat der Wind gedreht?“
Yvonne zuckte mit den Schultern. „Frag mich nicht. Ich habe nur damit gekämpft, das Boot wieder unter Kontrolle zu bekommen.“ Sie sah auf den Kompass. „Verfluchter Sturm.“ Langsam fand sie ihre Fassung wieder. „Dann fahren wir halt ein paar Stunden falsch. Ich will bei den Wellen jetzt nicht wenden. Morgen soll es besser werden. Kannst du das reparieren?“
Jan nickte. „Ich sehe es mir gleich an. Da roch was verschmort.“ Er seufzte. „Ewig geht was kaputt.“
Er suchte das Messgerät und machte sich an die Arbeit, was im schaukelnden Boot nicht einfach war. Als das Panel offen vor ihm lag, offenbarte sich im Licht der Stirnlampe erstaunlich wenig. Zwei Sicherungen waren ausgelöst, es gab ein paar Schmauchspuren, aber ansonsten war wenig zu sehen. Es gab keine Spannung von der Batterie mehr, was erklärte, wieso rein gar nichts mehr funktionierte. Schulterzuckend klappte er die Bank im Salon hoch und räumte alles leer, bis er an den Hauptschalter kam. Die Starterbatterie lieferte noch Spannung, doch die große Batteriebank war tot. Er überlegte kurz, auf die Starterbatterie zu wechseln, als ihm ein Gedanke kam. Tatsächlich, das Messgerät zeigte einen Kurzschluss in den Verbrauchern an. Vermutlich war also irgendwo auf dem Weg zur Batteriebank eine Sicherung, die deswegen flog. Er erinnerte sich dunkel daran, dass neben den Batterien noch irgendwas montiert war.
Yvonne rief von oben „Wie sieht es aus?“
Jan kletterte die Treppe hoch. „Geht so. Irgendwo ist ein Kurzschluss. Ich glaube, da gibt's eine Hauptsicherung an der Batterie und deswegen ist alles tot. Ich suche jetzt den Kurzschluss und danach schauen wir mal, wie wir die Batterien wieder ans Laufen bekommen. Elender Mist.“
Yvonne sah ihn erleichtert an. „Also nur die Sicherung. Aber mach nicht mehr lange, sonst kannst du morgen früh nicht übernehmen.“
Er verzog genervt das Gesicht. „Sonst noch was? Wo fahren wir ohne GPS denn hin?“
Sie wurde laut. „Schrei mich nicht an!“
Jan drehte sich um und kletterte in den Salon, um mit der Arbeit weiter zu machen, während er grummelte „Du musst es ja nicht machen.“
Eine halbe Stunde später war klar, dass die Kontakte von ein paar Sicherungen beim Einschlag verschweißt wurden und sich nicht ausschalten ließen. Jan klemmte die Verbraucher ab und beschriftete die Kabel mit Abklebeband. Der Kurzschluss war im Funkgerät, also klemmte er es auch ab. Schließlich war alles entweder abgeklemmt oder abgeschaltet. Testweise schaltete er das Panel auf die Starterbatterie um und schaltete das Navigationslicht ein. Dann rief er zu Yvonne „Brennt das Navigationslicht?“
Die Antwort war im Sturm wenig überraschend. „Hast du gerufen? Ich verstehe hier nix.“
Genervt kletterte er wieder zum Cockpit hoch. „Ich wollte wissen, ob das Navigationslicht brennt.“ Er sah sich um. „Rot ja, Grün nicht.“ Ein Blick nach oben ergab einen Seufzer „War klar. Auch nichts.“
Yvonne sah ihn an. „Hecklicht geht wieder.“ Dann fügte sie hinzu „Wir sollten uns jetzt nicht auch noch zanken.“
Jan musste grinsen. „Ich zanke gar nicht.“
Yvonne lachte. „Ich sowieso nicht.“ Dann grinste sie verlegen. „Ich weiß, dass du es reparieren musst. Ich kann's nicht.“
Er zog ein Gesicht. „War nicht so gemeint. Mir wäre wohler, wenn ich es selbst überblicken würde.“
Sie umarmten und küssten sich. Dann seufzte er. „Da ist richtig viel kaputt. Das kriege ich heute Nacht nicht mehr hin. Ich sehe noch nach der Batterie. Wenn's einfach ist, haben wir wenigstens wieder Licht. Ansonsten muss das bis morgen so bleiben. Ich schlafe gleich im Stehen ein.“
Die nächste halbe Stunde verbrachte Jan damit, den Zugang zu den Batterien freizuräumen und zu verstehen, wo das Problem lag. Schließlich tauschte er schulterzuckend die Hauptsicherung aus und damit gab es wieder Strom. Siegessicher schaltete er das Navigationslicht ein und danach den Gefrierschrank und das Licht. Die Beleuchtung im Boot funktionierte teilweise wieder. Zufrieden kletterte er zu Yvonne hoch, die ihn mit Blick auf das Kabinenlicht lächelnd erwartete. „Geht es wieder?“
Jan schüttelte den Kopf. „Nur ein bisschen. Der Gefrierschrank läuft und wir haben etwas Licht. Frag mich nicht, was mit der Hauptsicherung ist. Laut Messgerät ist sie heil, aber wir haben nur Strom, weil ich Ersatz einbaute. Begreife ich heute nicht mehr. Vielleicht Korrosion.“
Yvonne machte ein erstauntes Gesicht. „Wo hast du das Teil her?“
Jan lächelte. „Hing gut verpackt daneben. Kannst dich beim Vorbesitzer bedanken.“ Dann gähnte er. „Das GPS ist hin. Ich finde nicht, wo das zweite GPS angeschlossen ist, damit es wieder Strom kriegt. Ich gehe jetzt ins Bett. Wenn der Sturm nachlässt, sieh zu, wieder auf den alten Kurs zu kommen. Morgen schauen wir dann, wo genau wir hin müssen.“
Yvonne nickte. „Mache ich. Gute Nacht.“
Im Bett bemühte er sich, wieder eine gute Schlafposition zu finden und nicht über alle Defekte nachzudenken, die noch zu untersuchen waren, doch es dauerte lange, bis er sich beruhigte, obwohl er todmüde war. Irgendwann schlief er trotz des Krachs ein, den das Boot im Sturm machte.
Der Wecker drang nur langsam in sein Bewusstsein vor. Nach einer Weile gab er sich einen Ruck und schlug die Augen auf. Das Boot war leiser und schaukelte nicht mehr so arg. Er gähnte und stand auf. Yvonne war noch wie gestern Nacht am Ruder und sah ihm schon erwartungsvoll entgegen. „Guten Morgen.“
Jan gähnte wieder. „Ich bin saumüde. Alles klar?“
Yvonne schüttelte den Kopf. „Das Licht ging vorhin aus. Aber ich wollte dich nicht wecken. Es ist ja jetzt hell. Der Kompass geht nicht mehr richtig. Schau mal, wo die Sonne steht.“
Er sah auf den Kompass. „Häh? Seit wann steht die Morgensonne im Norden?“
Yvonne zog ein Gesicht. „Das meine ich. Ich habe die Gradzahl vom Sonnenaufgang im Logbuch notiert. Der Wind hatte nicht gedreht. Wir waren letzte Nacht schon richtig und sind wieder auf dem Kurs. Habe ich auch notiert.“
Jan nickte lächelnd. „Super Skipper. Ich mache was zu Essen und dann kannst du ins Bett.“
Spät am Vormittag hörte er den Wecker und kurz danach kam Yvonne verschlafen ins Cockpit. „Es gibt kein Wasser. Wegen der Pumpe?“
Er nickte. „Wenn du jetzt steuerst, hole ich dir welches aus dem Tank und dann schaue ich mal, wieso jetzt gar nichts mehr geht.“
Yvonne übernahm das Ruder und nachdem Jan mit einer Schöpfkelle einen Topf direkt aus dem Tank befüllte, kroch er wieder zu den Batterien, die keinen Mucks mehr von sich gaben. Er schaltete wieder alles ab und plötzlich gab es wieder Spannung, aber die Batteriebank war schwach. Jan rieb sich das Gesicht. „Oh nein.“ Laut Messgerät lieferten die Photovoltaikpanels Spannung, aber die Laderegler waren tot. Nachdem er viele Kisten durchgekramt hatte, fand er endlich einen alten Laderegler und baute ihn ein. Erfreulicherweise blinkte er und zeigte an, zu laden. Ein kurzer Test mit dem Licht war erfolgreich, also kletterte er wieder hoch zu Yvonne. „Ich glaube, ein Teil der Batterien ist kaputt. Den Rest haben wir mit Licht und Gefrierschrank über Nacht entladen. Ich habe einen Laderegler getauscht und damit tut's Photovoltaik wenigstens wieder halb. Ich mache uns jetzt Frühstück. Danach kümmere ich mich endlich um das GPS.“
Yvonne zog die Augenbrauen hoch. „Wie können die Batterien kaputtgehen?“
Jan seufzte. „Das sind nicht nur Batterien. Da ist auch Elektronik drin.“ Er schloss verzweifelt die Augen. „Haben wir genug Konserven, um es ohne Herd zurück nach Mexiko zu schaffen?“
Yvonne machte große Augen. „Abbruch?“
Jan nickte. „Wenn das hier so weitergeht, ja. Dauert natürlich gegen den Wind ewig, aber ohne Navigation finden wir Hawaii nie und segeln nach Asien. Und verhungern unterwegs.“
Sie sah ihn immer noch mit großen Augen an. „Du meinst, wir sind verloren?“
Jan zog ein Gesicht. „Wenn wir kein GPS ans Laufen bekommen, ja.“ Er sah sich um. „Sieht in jeder Richtung gleich aus. Frag mich nicht, wo Hawaii liegen mag.“
Sie dachte nach. „Wir dachten, dass wir in ein paar Tagen da sind… Das Meiste, was wir noch haben, muss gekocht werden, aber der Herd braucht viel Strom. Falls er noch geht.“ Dann lächelte sie. „Übernimm mal. Mir fällt da was ein.“ Jan bediente das Ruder und Yvonne kam kurz danach grinsend mit einem kleinen elektrischen Kochtopf zurück. „150 Watt. Das reicht mit dem Panel doch, oder?“
Jan lachte laut. „Der kleine Campingkocher… unfassbar. Ich wusste nicht, dass wir den noch haben. Das billige Mistding hat bestimmt überlebt.“
Eine Weile später hatten sie heißes Wasser und machten sich Kaffee und Tee, doch die Frage nach der Rückkehr blieb offen. Vormittags hatte Yvonne eine Liste. „Wir haben noch Essen für drei Wochen. Wird aber Diät und nicht lecker.“
Er rieb sich das Gesicht. „Scheiße. Ich weiß nicht, wie lange wir gegen den Wind brauchen. Vermutlich lange. Es waren ja schon drei Wochen mit dem Wind hierher.“
Sie nickte. „Wir hatten viel schlechtes Wetter. Aber das könnte auf dem Rückweg auch so sein.“
Nach dem Essen vertiefte sich Jan wieder in die Bootstechnik. Mittags kam er schnaufend zu Yvonne zurück. „Wir sind am Arsch. Echt. Beide GPS-Systeme sind vom Blitz kaputt. Unsere Handys waren beide am Ladekabel. Meins ist ganz hin und Deins hat einen Fehler beim Start. Das mobile GPS hat einen aufgeblähten Akku und geht auch nicht mehr. Der Notfallsender ist auch tot.“ Er seufzte. „Das gibt's gar nicht. Fünf GPS-Empfänger und ein EPIRB auf einmal im Arsch. Der Kompass ist auch kaputt. Was machen wir jetzt?“
Beide schwiegen lange. Dann sagte Yvonne „Grob in die Richtung von Hawaii und hoffen, dass wir wen sehen.“
Jan nickte. „Wir haben drei Wochen, um einen Ort zu finden, der vielleicht drei Tage weg ist. Klingt besser als auf dem Rückweg zu verhungern.“ Er seufzte tief. „Ich hätte lernen sollen, mit einem Sextanten umzugehen.“ Dann sah er plötzlich auf. „Der Wecker! Damit finden wir den Längengrad!“
Tatsächlich hatten sie die letzte Zeitzonenumstellung der Bordzeit im Logbuch notiert. Nachdem sie im Cockpit eine Stunde über Büchern brüteten, hatten sie mit der Zeit des Sonnenaufgangs eine ungefähre Längenposition bestimmt, aber wussten nicht, wo sie in Nord-Süd-Richtung waren. Sie rechneten hin und her und einigten sich schließlich zu versuchen, bei jedem Nord/Süd-Wechsel ein paar Minuten später zu sein, in der Hoffnung die Inselkette irgendwann zu treffen.
Den Rest des Tages und den nächsten Tag verbrachte Jan damit, zu reparieren, was zu reparieren war. Viel war es nicht. Immerhin wusste er hinterher, wie man den Motor ohne Startpanel manuell startete und stoppte. Nach der letzten Reparatur begann die Eintönigkeit, von morgens bis abends den Horizont mit dem Fernglas abzusuchen.
Die Tage vergingen quälend langsam. Sie hatten ihren Kurs schon dreimal auf Verdacht korrigiert, doch weder ein anderes Fahrzeug gesehen, noch eine Ahnung, ob sie in Wahrheit weiter nördlich oder südlich segeln sollten, oder vielleicht doch ganz falsch waren. Nach ein paar Tagen war der Gefrierschrank leer und es gab nur noch Reis oder Nudeln mit Konserven. Yvonne hatte geweint, als sie ihn auswischte. „Wenn wir niemanden finden, verhungern wir hier.“ Jan hatte sie getröstet. Er hoffte immer noch, dass sie irgendwann auf Verkehr von oder nach Hawaii treffen müssten. Aber bisher war der Horizont so leer, als ob der Rest der Welt aufgehört hätte, zu existieren. Ihn beschlich der Gedanke, dass seine Hoffnung vielleicht nicht angebracht sein könnte.
Jeder Tag verlief gleich. Sie hatten ihren Wachrhythmus, sie kochten und aßen, prüften ihre Längenposition, stellten Vermutungen über ihre Position an, und sprachen über ihr Schicksal. Dabei suchte die Wache stets mit dem Fernglas in jeder Richtung, aber die See war leer. Kein Mast, keine Aufbauten, und nachts kein einsames Licht. Sie waren allein.
Eine Woche später ertrugen sie es nicht mehr und hatten ihre lückenlose Suche am Horizont etwas gelockert. Sie saßen gerade schweigend beim Mittagessen, als Yvonne auf einmal ein anderes Boot sah. Sie ließ ihr Besteck fallen und zeigte aufgeregt zum Horizont „Da! Ein Boot! Da ist ein anderes Boot!“
Während Jan noch spähte, rannte sie in den Salon und kam mit der Signalpistole zurück. „Rot?“ Jan nickte. Sie lud die Pistole und schoss das Signal ab, während er einen Kurs auf das andere Boot setzte. „Meinst du, die haben das gesehen?“
Er zuckte mit den Schultern, während er das fremde Boot mit dem Fernglas beobachtete. „Ja! Die wenden!“ Dann gab er Yvonne lachend das Glas. „Die halten auf uns zu. Wir sind gerettet!“
Sie sah es sich an, winkte mit beiden Armen und umarmte ihn überglücklich. „Endlich! Es war also die richtige Entscheidung, zu suchen!“ Sie schniefte. „Das ist ein seltsames Boot, aber mir ist jedes recht.“
Jan nickte. „Irgendwie bunt und komische Segel. Egal. Hauptsache, sie helfen uns.“
Sie ließen das Dinghy ins Wasser, was bei den Wellen nicht ganz einfach war, und Jan fuhr zum anderen Boot, als es nahe genug war. Es war ein Katamaran mit zwei rotbraunen Segeln einer Form, wie sie sie noch nie sahen. Yvonne staunte über die große Anzahl von Leinen, die die zwei Masten hielten. Jan hatte seine liebe Mühe, bei den Wellen gut anzulegen und das Dinghy zu verlassen.
Sie beobachtete ihn die ganze Zeit mit dem Fernglas. Er erzählte viel und sie nahm an, dass er ihre Situation erklärte. Auf einmal gab es große Heiterkeit unter der Besatzung. Es wurde weiter viel erzählt und schließlich stieg Jan mit jemand von der Besatzung wieder in das Dinghy und kehrte zu ihr zurück. Sie wollte anbieten, das Boot aus dem Wind zu drehen, um beim Anlegen zu helfen, aber ihr Gast kletterte an Bord, als ob er das jeden Tag machen würde, und half danach Jan.
Jan grinste sie an. „Das ist Akamai. Sein Boot kehrt nach Hawaii zurück. Wir fahren zusammen. Er ist unser Navigator, falls wir uns nachts verlieren. Übermorgen sind wir da.“
Yvonne sah den jungen Mann glücklich an. „Ich bin Yvonne. Vielen Dank, dass du uns hilfst. Was für ein Glück, dass ihr noch ein GPS habt.“
Er lachte. „Wir haben gar kein GPS. Aber ich kenne den Weg.“ Dann zeigte er mit der Hand in eine Richtung. „Da geht es lang.“
Jan grinste immer noch. „Ich hab's auch erst nicht geglaubt. Er kennt wirklich den Weg. Sie kommen aus Tahiti, nur mit Sonnenstand und Sternen… unglaublich.“
Yvonne lachte nicht und sah Akamai ernst an. „Du hast kein GPS dabei? Auch keinen Sextanten und das dicke Buch dazu? Ihr segelt einfach so?“
Akamai lachte nickend. „Keine Angst. Ich bringe euch nach Hause. Es ist doch gar nicht mehr weit. Ich habe was zu Essen mitgebracht. Wir machen uns nachher was richtig Gutes.“
Yvonne schüttelte ungläubig den Kopf. Nachmittags hatten sie seine Kabine aufgeräumt und das Bett frisch bezogen, den Motor gestartet und Akamai genoss eine warme Dusche. Danach kam er lachend an Deck. „Jan hat nicht übertrieben. Das war wunderbar. Unser Boot hat keine warme Dusche.“
Jan hob übertrieben unschuldig die Hände. „Irgendwie musste ich dich locken.“ Alle lachten.
Dann kochte Yvonne mit Akamai, während Jan den vorgegebenen Kurs steuerte. Akamai erzählte, wie er von einem alten Navigator auf ihrem Boot lernte, den Weg zu finden, und dass sie gerade nach einer langen Reise nach Hause zurückkehrten. Je mehr sie ihm zuhörte, um so mehr verstand sie, was Jan sagte. Es war von außen betrachtet wirklich beinahe magisch, wie viel er von der Welt wahrnahm, was sie noch nie bemerkten.
Nach dem köstlichen Essen zeigte er ihnen den Sternenhimmel und erklärte, wo genau Hawaii lag und wie der Weg durch den Lauf der Sterne beschrieben wurde. „Manche Inseln in Polynesien haben ihren Namen von den Sternen, die den Weg dorthin weisen.“
Jan lauschte ihm ungläubig, aber bekam die Vorstellung seiner Position unter dem sich drehenden Sternenhimmel nicht in seinen Kopf. „Wir hätten an Hawaii vorbeisegeln können…“
Akamai lachte. „So wie du erzählt hast, seid ihr das vermutlich letzte Woche. Hast du die Küstenvögel nicht gesehen?“
Jan zuckte mit den Schultern, aber Yvonne erinnerte sich. „Kann sein. Doch, ich sah irgendwann Vögel. Warum?“
Akamai lachte wieder. „Morgens kommen sie aus der Richtung des Lands und abends kehren sie dahin zurück.“
Yvonne und Jan sahen sich an und Jan rieb sich seufzend langsam das Gesicht. „Ich glaub's nicht… Wir könnten schon da sein.“ Er sah Akamai an. „Die Woche war nicht lustig. Wir wussten nicht, wo wir waren, und wie es weitergeht.“ Leise fügte er hinzu. „Wir haben uns gefragt, ob wir am Ende hier draußen sterben.“
Akamai lachte nicht mehr. „Hätte passieren können. Ihr solltet die normale Astronavigation lernen.“
Jan zog nickend ein Gesicht. „Ich hab's jeden Tag bereut, das nicht zu können. Jede Stunde. Wer kann denn ahnen, dass alles auf einmal kaputtgeht?“
Yvonne hatte wieder die Wache bis zum Morgen, notierte den Sonnenaufgang und stellte fest, dass das fremde Boot nicht mehr zu sehen war. Jan machte ihnen Frühstück und übernahm dann, während sie sich schlafen legte. Akamai wurde auch wach und grinste über Jan, dem es auch nicht gefiel, wieder allein zu sein. „Dachte ich mir schon. Unser Boot ist schnell. Wir können versuchen, sie einzuholen.“ Er sah zu den Segeln und zum Ruder. „Segelt ihr schon lange?“
Jan nickte. „Wir sind jetzt ein Jahr unterwegs. Warum?“
Akamai lächelte. „Immer mit Autopilot?“
Jan nickte wieder. „Klar. Es ist die Hölle ohne. Stimmt was nicht?“
Akamai grinste. „Du musst das Boot ständig mit dem Ruder auf Kurs halten. Das macht dich langsam.“
Er wechselte mit Jan ein Segel und zeigte ihm, wie er die Form der Segel verbesserte. Als sie fertig waren, sah er sich zufrieden um. „Das Boot ist viel schneller, als ich dachte.“ Er nickte. „Acht Knoten, vielleicht neun. Wirklich schnell.“
Jan zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst. Es kommt mir auch schnell vor, aber das Gateway vom Backbone ist geschmolzen. Kein einziges Instrument geht mehr.“ Dann rollte er mit den Augen. „OK. Ich will das jetzt wissen. Woher weißt du das?“
Akamai war vergnügt. „Nach all der Zeit durch Gefühl. Du kannst dich an die Bordwand stellen und zählst die Sekunden, bis die Blasen einer Welle vom Bug am Heck sind.“
Nach ein paar Versuchen sagte Jan „3 Sekunden. Gar nicht so einfach, aber etwa 3. Das Boot ist gut 13 Meter lang… Jetzt müsste man Kopfrechnen können. Bisschen mehr als 4 Meter die Sekunde.“
Er sah Akamai fragend an, der immer noch vergnügt war. „4,4 Meter die Sekunde. 1 Meter die Sekunde sind 1,94 Knoten, also zwischen 8 und 9 Knoten. Sag ich doch.“
Jan nickte langsam. „Und wenn man das regelmäßig macht, weiß man, wie weit man gefahren ist. Lass mich raten. Du siehst es den Wellen an, wie viel Strömung wir haben?“
Akamai nickte.
Yvonne stand wieder am späten Vormittag auf und sah sich direkt um, aber sie waren immer noch allein auf weiter See. Dann sah sie Jan neugierig an. „Kann es sein, dass wir ziemlich schnell sind?“
Jan nickte und Akamai grinste. „Jan will mein Boot einholen. Er hat Angst so ganz allein.“
Jan lachte verlegen und Yvonne grinste auch. „Sei mir nicht böse. Es wäre mir auch lieber.“
Akamai rollte lächelnd mit den Augen. „Ihr seid lustig. OK. Können wir Gewicht vom Bug ins Heck schaffen? Das Boot ist vorne zu schwer.“
Yvonne nickte. „Wir haben das ganze Werkzeug vorne.“
Jan schloss die Augen. „Ah Scheiße. Muss das sein?“
Akamai schüttelte den Kopf. „Nur, wenn ihr schneller werden wollt.“
Jan seufzte und zog dabei ein Gesicht. „OK. Ich räume es um.“
Akamai lachte. „Ich helfe dir.“ Am frühen Nachmittag waren sie fertig und trimmten die Segel neu. Jan rechnete wieder die Geschwindigkeit aus und staunte, dass sie wirklich noch ein wenig schneller wurden.
Die Sonne stand schon tief am Himmel, als Jan am Horizont vor ihnen Akamais Boot entdeckte. „Da sind sie!“
Yvonne hatte ihn gehört und kam sofort hoch ins Cockpit. „Echt, wo?“ Sie spähte zum Horizont. „Bin ich froh! Das sind sie wirklich! Was ein Glück.“ Dann sah sie verlegen Akamai an. „Entschuldigung. Ich habe das nicht so gemeint. Du weißt wirklich den Weg.“
Akamai lächelte. „Kenne ich schon. Das hat uns früher schon keiner geglaubt. Die Historiker dachten, mein Volk hat sich auf Flößen treiben lassen. Der ganze Unsinn mit Kon Tiki. Wir sind nicht lebensmüde. Wir sind schon vor sehr langer Zeit durch Polynesien und nach Südamerika gesegelt. Ich weiß nicht, warum mein Volk damit aufhörte und das Wissen wäre beinahe verloren gegangen, aber seit ein paar Jahrzehnten tun wir es wieder. Eigentlich müssten alle Bücher neu geschrieben werden, aber es interessiert keinen.“
Yvonne schaute ihn fassungslos an. „Ich würde es auch nicht glauben, wenn ich es nicht sehen würde. Das ist viel mehr als nur Navigation.“
Akamai nickte. „Es ist unser Weg, zu leben. Wir achten die Natur und wir achten uns. Und wir vertrauen auf das Wissen unserer Vorfahren.“
Yvonne sah Jan an. „Letzte Woche wussten wir nicht, ob wir das hier überleben. Jetzt bin ich fast froh um den Blitz.“
Jan verzog lachend das Gesicht. „Ich weiß, was du meinst. Aber ich erinnere dich in der Werft dran. Wir müssen das Boot aus dem Wasser holen und schauen, ob der Rumpf was abbekommen hat.“
Yvonne verzog auch das Gesicht. „Ein Loch im Wasser, wo man Geld reinschmeißt…“ Dann lächelte sie. „Wir fahren erst weiter, wenn wir den Weg auch ohne GPS finden. Nie wieder!“
Jan nickte.
Am nächsten Morgen stand Jan im Licht der Morgensonne am Steuer, während Yvonne und Akamai schliefen. Akamais Boot war ihnen weit voraus, aber noch zu sehen. Dann bemerkte er eine kleine Gruppe Vögel, die ihm entgegenkam. Etwas später tauchte direkt neben Akamais Boot etwas auf, wie eine Wolke, eine winzige Unregelmäßigkeit am schnurgeraden Horizont. Er seufzte zufrieden. Hawaii.