Der Werwolf
Der Werwolf
Es war einer dieser Tage, wo alle zur Notaufnahme unseres Krankenhauses kamen, weil ihnen angeblich irgendetwas fehlte, in Wirklichkeit jedoch nur nicht mit der Tatsache klarkamen, das Vollmond war.
Müde schlurfte ich über den glatten, gräulichen, total unfarbigen Flur, als ich plötzlich meinen Pieper hörte. „Mann betrunken, Zustand stabil, jedoch fantasierend,“ sagte mir die Oberärztin am Telefon. Wie immer, alle anderen bekamen die normalen, doch ich bekam...
Ich lenkte meinen Schritt langsam auf den Behandlungsraum eins, als plötzlich mir eine Frau auf dem Flur fast in die Arme fiel. Schnell setzte ich sie in einen Rollstuhl und rollte sie in den nächsten freien Raum, wo meine Kollegen und ich eifrig uns an die Arbeit machten. Sie hatte Herzschmerzen, war durch zu hohen Blutdruck zusammengebrochen und nun war ihr Druck wieder im grünen Bereich. Puls war auch ok, also erst mal in den Aufenthaltsraum, was essen.
Viel stand nicht auf der Speisekarte, mein Magen bekam mal wieder zu wenig, doch von meinem Joghurt war nur noch ein kleiner Rest übrig geblieben ( den Kollegen war es in der Hinsicht ganz egal, ob was beschriftet war oder nicht, es wurde das gefuttert, was in die ausgemergelten, fleißige Hände geriet)und mein belegtes Brot, das ich mir in der Mittagspause gekauft hatte, es jedoch vergessen hatte, ebenfalls in den Kühlschrank zu tun, hatte binnen von elf Stunden begonnen, lebendig zu werden, kein Wunder, es waren 38 Grad, als Brötchen mit einer Frikadelle zwischen meinen Backen würde auch anfangen, mich zu bewegen. Somit schmiss ich das Individium in die Mülltonne und lehnte mich entspannt zurück, als ich im gleichen Moment hochschreckte – der Patient in Raum 1!
Ich eilte über den Gang und hastete fast schon stolpernd in den Raum. Dort war der betrunkene Mann und sogleich wusste ich – der ist nicht nur betrunken, sondern vollkommen durchgedreht.
„Sie haben mich lange warten lassen, Frau Doktor.“ Seine Stimme klang dunkel, ich roch sofort den Alkohol und beschloss, so schnell wie möglich, diesen Kerl abzufertigen. „Es ist heute hier viel los, da kann es schon mal zu Wartezeiten kommen, was fehlt Ihnen denn?“ Der Kerl schaute mich an, eindringlich, böse, begierig, dass man wirklich Angst bekommen konnte. Er hatte sehr lange, ungepflegte Haare und einen buschigen Kinnbart, der auch schon lange keine Rasierklinge erblickt hatte. Überhaupt sah der Typ einfach nur struppig aus. „Ich habe mir beim Katzen fangen die Pranke verstaucht, tut etwas weh.“ Er hielt mir seine ebenfalls sehr beharrte Hand hin und guckte ein wenig mitleidlich. „Sagten Sie, Katzen fangen, sind Sie vom Tierschutz?“ Meine Frage basierte darauf, eine Tetanusspritze ihm in seinen Hintern zu jagen, doch dann…
„Nein, ich bin ein Werwolf, ich fange sie, fresse sie und habe dabei unglaublichen Spaß!“ Diesen Satz glaubte ich ihm irgendwie sofort, mit taten nur die Katzen leid, sofern er überhaupt welche fing.
„Wie viele haben Sie denn heute schon gefangen“, fragte ich beiläufig, als ich mir sein Handgelenk näher betrachtete und ein wenig drückte. Ein dumpfes Grollen und Knurren ließ mich für einen Augenblick hochschrecken. „Das tat weh!“ Er schien darüber erzürnt und seine Augen verengten sich noch mehr.
Ich entschuldigte mich kurz, machte meine Arbeit jedoch weiter. „Die Biester sind ja so schnell, immer wenn ich eine sehe, mich an sie heranpirsche und dann schnell zuschlagen will, sind sie schon weg.“
Das wunderte mich keineswegs, seine Anschleichversuche waren durch den Alkohol wahrscheinlich so laut, dass selbst ein schwerhöriger, altersschwacher Kater ihn hören konnte. Außerdem stank dieser Kerl Meilenweit gegen den Wind und da Katzen sehr reinliche Tiere sind, rannten sie wahrscheinlich vor den Ausdünstungen weg, die dieser Kerl von sich gab.
Ich musste schmunzeln und bereute diese Geste sogleich wieder, denn diesmal griff seine Hand mich blitzschnell am Kittel und zog mich ein wenig zu sich runter. „Man lacht keinen Werwolf aus, das geht nie gut!“ Er brüllte fast, ich riss mich los entrüstet, aber auch völlig verschreckt.
„Ich werde Sie zum Röntgen schicken, dann können wir sehen, was mit ihrer kleinen, ach... äh, ich meine, was mit ihrer Pranke passiert ist.“ Ich schrieb auf das Krankenblatt den Vermerk für die Röntgenstation, verabschiedete mich und drehte mich um. Kaum hatte ich das getan, heulte und knurrte er hinter mir plötzlich auf und versuchte, mich zu packen. Wieder erschrocken fuhr ich zusammen und rum und schaute ihn entsetzt an. Hörte dieser Fraggle denn nie mit diesem Theater auf? Doch innerlich platzte ich bald vor Lachen. Es war einfach zu komisch und affig zugleich. „Einem Werwolf den Rücken zuzudrehen, kommt einem Todesurteil gleich, immer in seine Augen sehen, Ohhh... bitte Schwester... bitte, binden Sie mich fest... ich... „ Er begann sich zu wälzen, verdrehte wild die Augen, das ich doch tatsächlich für einen Moment glaubte, es hätte was mit seinem Alkoholzustand zu tun. Rückwärts ging ich aus dem Raum, rasselte dabei mit einer Kollegin zusammen, die ich kurz begleitete auf dem Flur. Da heulte der Mann plötzlich los, na ja was sage ich, ein richtiges Heulen war es eigentlich nicht, es klang eher, wie eine Cockerspaniel Hündin, der man auf die Pfote getreten ist. Nur eben langgezogener. Susan, meine Kollegin fuhr vor Schreck zusammen. „Was war das denn?“
„Ach, das war nur ein Werwolf, mit seiner verstauchten Pranke, die er sich beim Katzen fangen eingeholt hat.“ Susan blieb vor Verblüffung einen Moment stehen. „Soll ich die fünfte Etage um einen Maulkorb bitten?“ Jetzt konnte ich nicht mehr, ich lachte mich fast in Grund und Boden – das Gequietsche des Kerls, der jetzt angefangen hatte, seinem Heulen Knurrende Töne einzumischen, was eher nach einem alten Schaf klang, als nach einem Werwolf. „Nein, das ist glaube nicht nötig, er scheint durch seine Verletzung gehemmt zu sein und außerdem hat der soviel Alkohol intus, das er sich kaum auf den Beinen halten kann, der ist ja gerade bei uns hier reingetorkelt, das der nicht alles umgerissen hat, war alles. Ich bringe seine Unterlagen nur eben den Kollegen vom Röntgen, die werden sich schön wundern, wenn die den Bericht lesen, wie der Unfall sich ereignet hat.“ „Das glaube ich allerdings auch, na ja, wenn er Katzen fängt, dann scheint er ja wirklich friedlich zu sein, uns Menschen gegenüber jedenfalls.“ Sie lachte kurz und ging wieder ihrer Arbeit nach und ich sah zu, dass ich dem „Wesen der Nacht“ seine verletzte Pranke wieder flickte.