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Der wichtige Dichter
Eine herzliche Hand streicht über meinen Schutzschalter. Klick!!
Da nickst du zufrieden und schmaust einen Tütenkäse. Heiho!...
So dichtete der wichtige Poet die Wände seines Klassenzimmers voll. Er schälte 40 Kilo Kartoffeln und schnitzte daraus Stempel für 200 Schriftzeichen und stempelte sich die Seele aus dem Leib.
Grundsätzliche Flauschtöne fundamentieren mein Segeltuchverständnis...
Kein Mensch verstand so recht was er schrieb.
Ein Verstand, der nicht versteht, ist wie ein Schatten, der nicht schattiert...
Man hätte auch behaupten können, seine Verse wirkten auf eine selten banale Art und Weise blöd, aber das tat keiner. Die Leidenschaft mit der er schuf, war so beeindruckend. Er verstempelte teilweise sein eigenes Blut und errichtete Skulpturen aus den Kartoffelschalen, die unbeschreibliche Formen bildeten. Das einzige was diese fledderigen Klumpen beschreiben konnte, waren seine Verse.
Du rasterschaliges Antlitz, höre auf, wenn du west...
Die Lehrer lobten zügellos sein Schaffen. Sein Klassenlehrer, Herr Wastow, gab ihm stets eine 1 in Latein und Geschichte, obwohl der Dichter weder von dem einen, noch von dem anderen einen erkennbaren Schimmer hatte. In den Lateinarbeiten gab er keine Übersetzung wieder, sondern bemalte das Klassenarbeitsheft mit seinen kryptischen Versen.
Rom, du Skelett des hehren Rosenmales, brenne und blühe zugleich, wie die Knospen des Feuers der Leidenschaft...
Die Mädchen liebten ihn und ließen sich seine Verse auf die Pos tätowieren. Anna Rewald wartete einmal ein ganzes Wochenende vor seiner Haustür, um einen exklusiven Blick auf ihren begehrten Dichter zu erhaschen, dabei war er an dem Wochenende auf einem Inspirationscampingausflug in die Natur unterwegs.
Regen überspannt die Mutter der Stressbewältigten, was wir spüren...
Die Lehrerinnen wollten sich von ihm schwängern lassen. Doch er war zeugungsunfähig, weswegen daraus nichts wurde. Aber sie versuchten es immer wieder, allen voran die attraktive Deutschlehrerin, Frau Salma-Piotrov.
Ihr Totgeburten meiner Saat, von Pampers erstickt und sinnlos verfickt...
Die Jungs beneideten ihn, nicht wegen der Lehrerinnen, sondern wegen seiner lyrischen Schaffenskraft, seiner guten Noten und seines Erfolges bei den Mädchen.
Und eines einte sie alle. Sie fanden es wirklich wichtig was er tat und gut, dass es ihn gab.
Außer einem, Janek Meier, einem der privilegierten Jungen, die mit dem wichtigen Dichter in eine Schulklasse gehen durften. Er mochte den wichtigen Dichter nicht. Ihn nervte der faulige Gestank der Kartoffelskulpturen im Klassenzimmer, den alle Fans des wichtigen Dichters mit einem kunstbeflis¬senen Lächeln ertrugen und die ebenso der Bitte des Poeten Folge leisteten, nicht die Fenster zu öffnen, weil sonst die Drucke an der Wand schaden nehmen könnten. Janek hielt die Verse des wichtigen Dichters für hirnlose Machwerke, die es sogar schafften, die langweiligen hellgrünen Wände zu verschandeln. Es kam jedes Mal Übelkeit in ihm hoch, wenn der Poet seinen Mund öffnete und seine Worte zum Besten gab. Die Worte an sich wären ihm egal gewesen, aber das laute Seufzen der Mädchen, das anerkennende Nicken der Jungen, die so wohlmöglich versuchten, sich aus unzweideutigen Gründen auf die Seite der Mädchen zu schlagen, das Applaudieren des Lehrers, und - ganz schlimm - dieser glasige Blick, wenn Frau Salma-Piotrov nach so einem Beitrag zu dem Dichter sagte "Nach der Stunde zu mir."
In gewisser Weise verstand Janek es selbst nicht, warum er so anders empfand als alle anderen.
Er selbst war übrigens nicht beliebt in der Klasse. Er hatte nur einen Freund und das war der popelfressende Hannes, den keiner leiden konnte. Janek konnte ja ebenso keiner leiden. Dabei schrieb Janek selbst Gedichte. Abends saß er auf seinem Bett und schrieb in sein Tagebuch.
Die Linien meines Lebens
verlaufen gelegentlich
an mir vorüber
und sind nicht nur Furchen
eines Pfluges,
die ich wie ein Ochse
hinter mir ziehe.
Wenn sie mich gar umkreisen,
dann suche ich Schneisen,
ihnen zu entrinnen.
Doch diese Rinnen sind Furchen,
und ich bin ein Ochse.
Vielleicht war Janek einfach nur neidisch und daher nicht gewillt, die Leistung des Poeten anzuerkennen.
Durch den Erfolg des wichtigen Dichters motiviert, zeigte Janek irgendwann seine Verse Frau Salma-Piotrov. Die sah in gütig an und meinte zu ihm: "Janek, wenn du einmal erwachsen bist und ein Mädchen kennen lernst, dann wirst du damit gewiss ihr Herz gewinnen, aber zeig ihr nicht unbedingt das Gedicht mit dem Ochsen." Das war's. Damit war der Fall für sie erledigt.
Diese Reaktion seiner Deutschlehrerin gewährte Janek doch einen gewissen Einblick in die Mechanismen des Erfolges des wichtigen Dichters. Der war zwei Jahre älter als Janek, nämlich 17, war von seiner alten Schule geflogen ("Das verkannte Genie", wie Herr Wasow dazu zu sagen pflegte.) und war wohl das, was man bei normalen Jugendlichen als frühreif bezeichnet hätte. Janek war wohl das, was man gerne als Paradebeispiel eines "Spätentwicklers" anführt. Janek hatte noch nicht einmal den Ansatz eines Bartes und die Körpersprache eines an einer windigen Wäscheleine hängenden Schlafanzuges. Nach der Reaktion seiner Lehrerin drängte sich ihm mehr und mehr der Eindruck auf, dass diese Äußerlichkeiten durchaus einen Einfluss auf den Erfolg des wichtigen Dichters und Janeks Misserfolg haben könnten. Er ging gedanklich sogar weiter und überlegte sich, ob die Dichterei des Poeten nicht gar nur ein Vorwand für die Leute wäre, um ihrem Wunsch nach Bewunderung einer attraktiven Person Luft machen zu können.
Janek war enttäuscht, neidisch und genervter denn je.
Eine Woche nachdem Janek Frau Salma-Piotrov seine Gedichte gezeigt hatte, veröffentlichte der wichtige Dichter ein Werk an der Tafel, das mit der Widmung "Für Janek" untertitelt war. Die Lehrerin hatte den Dichter nach einem ihrer Schäferstündchen wohl eingeweiht.
Rate aus und rate tief. Spühlmaschinen in dem Hirn
spielen auch mal gerne Fußball mit dem Küchenjungen.
Worte sind für sich nicht dumm. Außer "dumm" natürlich.
Und der Reiher der sie reiht, dass man reihern muss. dadumm!
In dem Moment musste Janek feststellen, dass es sogar möglich ist, einen nicht vorhandenen Ruf zu zerstören. Er spürte es. Keiner lachte über ihn, doch nur weil sie zuviel Ehrfurcht vor dem Werk des wichtigen Dichters empfanden.
Das war der Moment, an dem Janek sich wünschte, den wichtigen Dichter zu töten.
Die Tafel wurde natürlich, ob des wichtigen Werkes, nicht mehr gewischt und die Schüler mussten sich alles vom Lehrer Gesagte merken oder notieren. Hinzu kam, dass Janek Allergiker war, was das Sitzen in dem Klassenzimmer mit den schimmligen Kartoffeln immer schwerer erträglich machte. All das und der versteckte Hohn seiner Klassenkameraden auf ihn steigerte seinen Hass auf den Dichter so sehr, dass er irgendwann wirklich bereit war ihn zu ermorden. Die Frage war nur wie?
Allerdings versäumte Janek es, sich diese Frage vorher zu stellen. Er wusste, dass der Dichter mittwochnachmittags im Klassenzimmer alleine Gedichte stempelte. So fuhr er dorthin, bereit mit all seiner Kraft dem Dichter, der ihn so erniedrigt hatte, und auch seinen Glauben an die Poesie und den Wert seines eigenen Schaffens aufs Schändlichste verriet, den Garaus zu machen.
Er platzte in den Raum, ohne anzuklopfen. Darin sah er den wichtigen Dichter auf einem Tisch stehen, eine Schlinge um seinen Hals und offensichtlich bereit für den Absprung in den Freitod.
"Hallo Janek", sagte der Dichter, sah ihn aber nicht an.
Janek war das Suizidgehabe des Dichters egal.
Er fuhr ihn an: "Was machst Du da wieder für einen Blödsinn? Ich hasse dich!"
"Ja, ich weiß", antwortete der Dichter und starrte vor sich hin.
Jetzt nahm Janek wahr, dass der Dichter nicht sein affektiertes Gehabe von sich gab, dass er sonst von ihm kannte und das verunsicherte ihn.
Er fragte vorsichtiger: "Willst du dich umbringen? Warum?"
"Das müsstest du doch am besten wissen, Janek."
Janek war baff. Er wusste gar nicht - bis zu dem Gedicht mit der Widmung, dass der Dichter ihn überhaupt wahrgenommen hatte.
"Wie-wieso ich?"
"Weil ich weiß, dass du mich genauso siehst wie ich mich. Ich sehe es an deinen Blicken. Und deine Gedichte haben mir endgültig die Augen geöffnet. Ich bin süchtig danach, von allen geliebt zu werden. Auch nur die Verachtung eines einzigen Menschen kann ich nicht ertragen. Heute bist du es, morgen Anna Rewald. Übermorgen der Rest."
Janek war nun völlig verwirrt. "Aber" erwiderte er, "du hast mich mit deinem Gedicht über mich verhöhnt. Du hast dich lustig über mich gemacht."
Der Poet lachte trocken auf.
"Nein Janek. Ich dachte du wärst schlauer. Ich meinte mich selbst mit dem Gedicht. Du hattest mich entlarvt, daher hatte ich es dir gewidmet. Somit wollte ich auch deine Anerkennung erlangen, ohne die der anderen zu verlieren. Aber die Sache ging nach hinten los und du hast mich nur noch mehr verachtet. Ich habe natürlich bemerkt warum. Ich habe es verstanden. Es war einer der vielen Fehler die ich gemacht habe."
Janek schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Der Dichter begann zu schluchzen.
Da fragte Janek: "Und was willst du nun tun?"
"Was tun? Schau her", sprach der Dichter und sprang von dem Tisch.
Bevor Janek reagieren konnte war das Genick des Dichters gebrochen und er hin tot baumelnd an seinem Strang. Janek stürmte sofort zum Hausmeister und berichtete ihm mit klopfendem Herzen von der Tragödie. So hatte er sich das wahrlich nicht vorgestellt.
Der Dichter wurde in einer großen Feierlichkeit beigesetzt. Das beschriebene und bedruckte Klassenzimmer wurde zum Ausstellungsraum umfunktioniert, wobei nun die Skulpturen entsprechend präpariert und eine Lüftung eingebaut wurden. Die Stadt finanzierte das ganze, denn der wichtige Dichter hatte nach seinem Tode auch Anerkennung über die Grenzen seiner Schule hinaus erlangt. Seine Werke wurden als Bücher veröffentlicht. Janek kaufte sie sich alle. Da eines der Werke ihm gewidmet war, interviewte man ihn diverse Male. Er erzählte den Reportern dabei gerne, dass er ein Dichterkollege des wichtigen Dichters gewesen sei und dass dieser in dem Gedicht seine Unterlegenheit ihm gegenüber zum Ausdruck bringen wollte. Der sei ja halt depressiv gewesen.
Im Fahrwasser dieser Geschehnisse konnte Janek auch seine eigenen Werke durch einen namhaften Verlag herausbringen. Nun nahmen die Mädchen auch ihn wahr, zumal er jetzt ungleich selbstbewusster auftrat. Der plötzliche Erfolg stieg ihm zu Kopf und machte aus ihm bald einen arroganten, narzisstischen Arsch. Er schwängerte Anna Rewald und Frau Salma-Piotrov und wurde eine zeitlang berühmt.
Eine Frage jedoch ließ ihn immer wieder an sich zweifeln: Hatten all die Menschen, die den wichtigen Dichter zu Lebzeiten bewundert hatten, etwas in diesem gesehen, etwas von wahrer Bedeutung, was ihm selbst verborgen geblieben war? Oder waren sie nur dem Scharlatan aufgesessen, der nach wie vor verkannt wurde?" Für ihn, Janek selbst, war der wichtige Dichter jedenfalls von großer Bedeutung, aber erst im Tode.
Wer Salat rasiert ist selbst schuld,
und Schuld ist ein Luxus der ameisenkleinen Armen.