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Der Zweite Beginn meines Lebens
Die Welt ist dunkel und ich wage nicht mich zu bewegen. Ich weiß nicht wo ich bin, wer ich bin oder warum ich bin. Vielleicht ist es eine Art Gedächtnisverlust, vielleicht habe ich noch nie ein Gedächtnis besessen. Ich bin, ich existiere ist das Einzige, was ich weiß.
Also beschäftige ich mich zuallererst mit meinem Körper und fange an in mich hinein zuhören. Ich höre ein Rauschen und weiß, dass das mein Blut ist, das durch meine Adern fließt. Ich höre ein ruhiges gleichmäßiges Klopfen; das ist mein Herz. Ich höre ihm eine Weile zu und lasse es noch ruhiger werden. Ich höre ein Knarzen, kann es aber nicht einordnen, ein Geräusch, das ein Körper eigentlich nicht machen sollte.
Dann höre ich ein Gurgeln und Gluckern, wie das Seufzen eines enttäuschten Hundes und Wasser, das in einem Kochtopf hin und wieder überkocht. Dann spüre ich zum ersten Mal meinen Körper und weiß wer für das Gurgeln und Gluckern verantwortlich ist. Ich habe Hunger und mein Magen versucht mir das schon eine ganze Weile klar zu machen.
Ich bekomme ein weiteres Gefühl zu spüren. Das Knarzen, dass ich schon kenne entpuppt sich als Rippe, die bei jedem Atemzug schmerzt. Jetzt bemerke ich meinen Atem, höre wie die Luft durch meine Luftröhre gesogen wird, ein Geräusch wie in einem Windkanal. Und ich spüre die gleiche Luft, wie sie meine Nase passiert und nach draußen entweicht.
Ich spüre ein leichtes beständiges Zittern. Mein Körper wehrt sich gegen die kalte Luft um mich herum. Ich bewege meine Finger und höre das Laub zwischen meinen Fingern rascheln. Trockenes Laub, das schon eine ganze Weile hier liegen muss. Ich richte meine Ohren nun auf andere Dinge, lasse meine Ohren frei durch die Gegend streifen. Ein plätschernder Bach, Wind in den leeren Zweigen der Bäume und ein Knurren. Das Knurren ist das Erste in meinem Leben, das mich wirklich beunruhigt. Meine Nase macht ihre erste Entdeckung. Ein übelriechender beissender Geruch, ein Geruch wie man ihn bei jemandem vermutet, der nur rohes Fleisch ist und nie auf die Idee kommen würde sich die Zähne zu putzen. Es ist bedrohlich und wer immer dafür verantwortlich ist steht direkt über mir. Ich öffne langsam die Augen. Ein Speichelfaden berührt mein Gesicht und ich sehe ein triefendes Maul, gefletschte spitze gelbe Zähne. Ich spüre kalten Angstschweiß, der überall auf meiner Haut durch die Poren austritt. Das spitze Gesicht des Tieres ist nicht mir zugewandt. Es richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf etwas anderes, das mir bisher verborgen blieb. Es besitzt Fell, die Haare an Nacken und auf dem Rücken stehen nach oben und selbst ich erkenne, dass damit Aggressivität angezeigt wird. Das Tier springt über meinen Kopf und ich sehe seine Rute, die steif nach hinten absteht. Ich lenke meinen Blick dorthin, wohin das Tier seine Aggression konzentriert und zucke zusammen.
Eine riesiges aufrecht stehendes Tier, sein Gebrüll und Gestampfe lässt den Boden erzittern.
Mein Herz fängt an zu rasen, Angstschweiß lässt mich die Kälte spüren und mein Körper zuckt in den heftiger werdenden Zitteranfällen.
Das große Tier holt mit einer riesigen Pranke aus und das kleinere Tier, das mich wohl zu beschützen versuchte fliegt durch die Luft. Ich kann seinem Flug nicht mit den Augen folgen ohne meinen Kopf zu bewegen. Das große Tier entfernt sich.
Wahrscheinlich sollte ich aufstehen und langsam davon schleichen, aber ich bin immer noch unfähig mich zu bewegen. Ich liege eine Weile auf dem Boden und versuche meine Atmung, meinen Herzschlag und meinen Schweißausbrüche in den Griff zu bekommen. Ich höre schwere Schritte im Laub, sie kommen auf mich zu. Ich schließe die Augen. Das große Tier bleibt bei mir stehen und lässt sich auf alle Viere fallen. Ich will meinen Tod nicht miterleben und ziehe mich zurück. Ich schalte alle äußeren Sinne ab. Meine Augen sind schon geschlossen, als nächste verschließe ich die Ohren und dann sperre ich das Gefühl der Kälte aus. Die Welt um mich herum verblasst, ich nehme sie nicht mehr wahr. Ich höre wieder das Knarzen meiner Rippe und das Grummeln in meinem Magen. Ich höre nicht mehr darauf. Auch das Blut in meinen Adern will ich nicht mehr hören. Das einzige, was ich während meinem Tod hören will ist mein Herz. Es ist nun das Einzige, was ich wahrnehme und es schlägt wieder ruhig und langsam. Ich schalte alles Denken ab und höre nur noch meinem Herzen zu, wie es den Rhythmus meines Lebens schlägt. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis das große Tier mich zerfleischt, aber es kommt mir unendlich lang vor. Mein Herz schlägt weiter und ich scheine immer noch am Leben zu sein.