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Des Bluthunds letzter Fall
Zerfaserte Wolkentürme quollen in einen blutenden Abendhimmel. Untypisches Wetter für einen Januarabend, der von Osten her seine Eiseskälte vermischt mit Donnergrollen über das Land schickte.
"Bist du endlich fertig, Lene?", fragte Fritz Brandt in die heranschleichende Dunkelheit. Er war voller Ungeduld herausgekommen, um sie anzutreiben. Was zum Teufel brauchte sie nur so lange? Im Haus war es kalt, der Ofen hungerte nach Holz und die Flammen würden bald verlöschen. Als er keine Antwort erhielt, schlurfte er vorsichtig über die glattgelaufene Schneefläche hinüber zum Schuppen. Sie hatte - wie befohlen - den zerschlissenen Korb mit dem Kleinholz gefüllt. Der Hackstock stand aufgeräumt an Ort und Stelle.
"Verdammt, wo bleibst du so lange?", brüllte er unwillig, ohne zu wissen, in welche Himmelsrichtung er seine Beschwerde richten sollte. Dumpfes Donnergrollen aus der Ferne gab ihm die Antwort. Der Garten war übersät mit Fußspuren, in der Mehrzahl Abdrücke von Lenes zierlichen Füßen. Holz hacken, Wäsche aufhängen, eine dünne Lebensader, die durch das Gartentor hinaus ins Dorf und in den Krämerladen führte, das Abbild eines normalen Winters. Fritz Brandt schüttelte verständnislos den Kopf. Nein, dieser Winter war nicht normal, nichts war mehr normal, die Welt war zum Tollhaus geworden.
"Lene?" Er sah sich ein letztes Mal um, resignierte frierend und wollte zurück ins Haus. Das frisch gehackte Brennholz würde er mitnehmen. Als er sich bückte, um leise fluchend den Korb aufzuheben, bemerkte er im Augenwinkel eine Bewegung. Ein Schatten löste sich von der Wand des Holzschuppens.
"Was zum Teufel ..."
Weiter kam er nicht, die stumpfe Rückseite des Beiles traf ihn am Hinterkopf. Er ließ seine Last fallen, das akkurat eingeräumte Kleinholz verteilte sich im Schnee und sein kraftloser Körper kippte vornüber, den umgedrehten Korb unter sich begrabend. Tief atmend stand Lene neben ihm, die zu dünn umwickelten, klammen Finger am zerschlissenen Stil des Beiles. Pulsierend verlor sich der Hauch aus ihrem Mund in der Eiseskälte des Abends. Sie starrte ihn an, wie er bewegungslos da lag, auf die Knie gesunken. Doch noch war sie nicht fertig mit ihm, der schwerere Teil des Vorhabens lag noch vor ihr.
Sie versuchte, den Korb unter ihm hervorzuziehen, ein elendes Unterfangen, boten doch die profillosen Sohlen ihrer Schuhe kaum Halt. Den linken Fuß gegen seine Schulter gestemmt, gelang es ihr schließlich. Wenn sie etwas in den vergangenen zwei Jahren gelernt hatte, dann war es, nicht aufzugeben. Er lag nun flach mit dem Oberkörper auf dem Schnee, hatte sein verzerrtes, fratzenhaftes Gesicht ihr zugewandt. Ob er noch lebte? Sie wollte es nicht wirklich wissen. Mit aller Kraft, die ein unterernährtes, sechzehnjähriges Mädchen aufbringen konnte, hob sie das Beil, diesmal mit der Schneide nach unten. Um seinen Hals zu erreichen, musste sie in die Hocke gehen.
Sie schloss die Augen. Mit einem hässlichen Knirschen fuhr der Stahl in sein Genick. Einmal, zweimal, dreimal. Wieviel doch so ein Hals aushielt! Als sie für einen kurzen Moment die Augen öffnete, um den Erfolg ihres Vorgehens zu überprüfen, wurde ihr klar, dass sie sich mit Blut besudelt hatte. Die Flecken auf Rock und Strickjacke waren unübersehbar, und sie würde sich in dieser Bekleidung auf die Flucht machen müssen. Angewidert warf sie das Beil von sich und rannte ins Haus, dort hin, wo ein ersterbendender Herd das letzte Bisschen seiner Wärme in den Raum verstrahlte. Das Donnern von Osten her wurde lauter.
*
"Wer hat ihn gefunden?", fragte Higgins. Bechmann begrüßte den Neuankömmling per Handschlag, deutete in Richtung des nächstgelegenen Dorfes und antwortete:
"Ein Bauer, der nach seinen Bienenstöcken sehen wollte."
Higgins wirkte sportlich, schlank und hochgewachsen, war aufgrund der unerschwinglichen Kleidung, die er trug, der Prototyp eines englischen Gentlemans. Seine flinken Augen überflogen routiniert den Tatort, während Bechmann nervös und reichlich unsicher das Gewicht seines Körpers vom rechten Fuß auf den linken verlagerte und wieder zurück. Was geschehen war, würde ein Nachspiel haben, wovor Bechmann graute, nicht nur des Papierkrieges wegen.
"Das überraschende Ende eines Schäferstündchens", kommentierte Higgins trocken, nachdem er den Toten umrundet hatte. Bechmann schluckte und wunderte sich. Er hatte Higgins und dessen sprachliche Fähigkeiten offensichtlich unterschätzt. Woher dieser wohl das deutsche Wort "Schäferstündchen" kannte? Erstaunlich, höchst erstaunlich. Die Leiche vor der sie standen, hatte geöffnete Hosen, ein Umstand, der den Erschossenen sichtlich am Laufen gehindert hatte. Dass er an einem Kopfschuss verstorben war, erschien auf den ersten Blick wahrscheinlich. Als Tatwaffe bot sich die eigene Dienstwaffe an, diese war nämlich nicht an Ort und Stelle. Der Täter hatte sie mitgenommen, oder jemand anderer, der sie für nützlich gehalten hatte.
"Was wissen Sie sonst noch?"
"Leider recht wenig, Mr. Higgins. Es ist mir so schrecklich unangenehm ... ausgerechnet hier in meinem Zuständigkeitsbereich ..."
"Sie sagten unangenehm? Weil er einer von uns war?"
"Ja, Mr. Higgins."
"Wir sollten den Täter finden", entgegnete Higgins humorlos und beugte sich über die Leiche. Der Tote war im richtigen Leben ein gutaussehender junger Mann gewesen, dem die Uniform gut zu Gesichte stand. Leider musste man in seinem jetzigen Zustand einiges an Vorstellungskraft mitbringen, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Bechmann schwieg für einen Augenblick, um die richtige Antwort hervorzukramen. Im Brustton der Überzeugung behauptete er schließlich: "Selbstverständlich, wir werden ihn finden, Mr. Higgins!"
*
Bechmann passierte grüßend einen schwer bewaffneten Militärpolizisten, der vor dem schmiedeeisernen Tor postiert war. Er schwitzte, als er die Auffahrt entlanglief, was nicht nur an der Temperatur des wunderbaren Frühsommertages lag. Der Garten zur rechten und linken des Weges wirkte gepflegt und ausgesprochen englisch. Bechmann war noch nie zuvor hier gewesen, kannte aber natürlich die Villa, eines der Schaustücke der Stadt. Sie war um die Jahrhundertwende von einem jüdischen Bankier erbaut worden, hatte 1939 die Besitzer gewechselt und war folgerichtig 1945 durch die englische Militärpolizei übernommen worden. Geleitet von einer gouvernantenhaften Sekretärin wurde Bechmann schließlich an den Ort seiner Einbestellung geführt.
"Bechmann, wie sehen Sie denn aus? Haben Sie einen Marathonlauf hinter sich?", begrüßte ihn Higgins.
"Entschuldigen Sie bitte, Mr. Higgins, mir wurde ausgerichtet, dass ... ich bin sofort hierher gekommen."
"Legen Sie doch erst einmal ab. Kaffee? Zigarette?"
"Nein, danke ... zu freundlich, womit kann ich Ihnen dienen?"
"Ich will mit Ihnen reden, Bechmann. Von Gentleman zu Gentleman", erwiderte Higgins und bot seinem Gast Platz vor seinem Schreibtisch an. Bechmann war ein großgewachsener Mittvierziger und sichtlich gezeichnet von den Entbehrungen der letzten Jahre. Das Gefühl des Unbehagens, mit diesem Fall zu tun zu haben, hatte sich durch Überschlafen der Angelegenheit nur verstärkt. Er hatte sich auf Higgins' Einladung auf den unbequemen Holzstuhl gesetzt, der jedem Besucher unmissverständlich klar machte, wer hier Gast oder Verdächtiger und wer der Herr des Büros war.
"Nun, ich habe Sie kommen lassen, weil Sie der einzige sind, der ... kurz gesagt, Sie müssen mir helfen. Die Zeit, die ich in Indien verbracht habe, nützt mir wenig, um die Deutschen zu verstehen. Wollen Sie wirklich keine Zigarette?" Das verführerische Angebot siegte über Bechmanns demonstrative Bescheidenheit, so dass er schließlich doch zugriff. Er bedankte sich artig und Higgins setzte zufrieden seine Bildungsexkursion fort:
"Ihre Landsleute ... wie fühlen sich die Menschen zurzeit?"
"Im Moment sieht jeder, wo er bleibt. Es sind schwere Zeiten, Mr. Higgins. Natürlich sind wir alle froh, dass der Krieg endlich vorbei ist und mit ihm das ..."
Higgins schüttelte den Kopf. Bechmann schwitzte immer noch, was nur noch zum Teil daran lag, wie sehr er sich gehetzt hatte.
"Herr Bechmann, um das klarzustellen: hier geht es nicht um ihre politische Gesinnung. Außerdem ist das hier kein Verhör. Ich bitte Sie um Ihre Mithilfe. Von Inspektor zu Inspektor. O.k.?" Bechmann nickte, und schien sichtlich erleichtert. "Also nochmals, Bechmann. Wer könnte unseren Sergeant Frederic Phelps umgebracht haben? Fühlen Sie sich hinein in die Psyche Ihrer Landsleute! Wer tut so etwas? Und warum?"
Der Angesprochene schluckte. Immer noch kaute er an der Ungeheuerlichkeit, dass der aufgefundene Tote eben nicht ein austauschbarer Krimineller war, dem niemand nachweinen würde, sondern ausgerechnet Unteroffizier der englischen Besatzungstruppen. Die neuen Herren im Lande brauchten einen Schuldigen für die Bluttat, und Bechmann sollte helfen, diesen zu finden, ein hoffnungsloses Unterfangen, ohne Personal und Ausrüstung. Zudem spielte sich alles Leben in einer Trümmerwüste ab, die bevölkert wurde von einer Schar ausreichend verrohter Individuen, deren einziges Ziel das tägliche Überleben war.
"Was mir aufgefallen ist ... ein denkbarer Ansatzpunkt ... die Hose, Mr. Higgins, Sie erinnern sich an die Hose?"
"Natürlich. Und was denken Sie darüber?"
"Es ist in der Nacht zuvor geschehen. Mir fällt nur ein Grund ein, sich ein einer lauen Sommernacht auf freiem Feld unter einem Lindenbaum die Hose herunterzulassen ..."
"Nämlich?"
"Mr. Higgins ..." Bechmann sah betreten drein, unsicher wo für den Gentleman hinter dem Schreibtisch die Grenze des guten Geschmacks angesiedelt war.
*
Bechmann hievte seinen Koffer aus dem Zug, um gemeinsam mit ihm in das konturlose Grau eines Herbstabends hinauszustolpern. Der kleine Bahnsteig war nass und rutschig, "Dalwhinnie" stand auf einem leicht angerosteten Schild, das verloren im Nieselregen stand. In der Nähe des Zugendes entdeckte Bechmann einen wartenden Herrn. Er ging auf ihn zu und versuchte, die eigenen Erinnerungen mit dem in Einklang zu bringen, was ihm vor Augen stand.
"Herr Bechmann?" Higgins streckte etwas unsicher wirkend seinem Gast die Hand entgegen und war auch zwei Jahrzehnte später immer noch zu hundert Prozent der Gentleman von früher.
"Schön, Sie wieder zu sehen, nach allen den Jahren", antwortete Bechmann. Ein Schaffner pfiff und der klapprig wirkende Zug setzte sich wieder in Bewegung, um seine Fahrt durch die schottischen Highlands in Richtung Inverness fortzusetzen.
"Wie war die Fahrt?", erkundigte sich Higgins. "Sie müssen müde sein, es ist elend weit von London hierher." Sein Deutsch klang sichtlich eingerostet. Neben den Gleisen befand sich ein unscheinbares Bahnhofsgebäude, dahinter verlief gleich die Straße. Higgins deutete auf einen altertümlich wirkenden Vauxhall. "Mein Wagen. Darf ich bitten?"
Bevor er einstieg, sah sich Bechmann kurz um. Einzelne Häuser verloren sich in der Weite eines flachen Talgrundes. Die Luft des hereinbrechenden Abends roch nach Kohlenrauch und im Westen erhoben sich Berge, vielmehr grasige Hügel, deren Kuppen in das Grau eines verwaschenen Himmels sickerten.
"Leider kann ich Ihnen nichts Aufregendes über Dalwhinnie erzählen", bedauerte Higgins. "Das einzige, worauf die Leute hier wirklich stolz sind, ist: Winston Churchill hat während des Krieges einige Tage hier verbracht, um sich von der Planung des D-Day zu erholen."
Der Neuankömmling nickte anerkennend. Das Ende des Krieges lag zwei Jahrzehnte zurück. "Es war gar nicht so leicht, Sie hier aufzustöbern", bemerkte Bechmann, nicht ohne Stolz, bewies doch das Treffen, dass er auch jenseits der Pensionierung sein Handwerk noch nicht verlernt hatte. "Schön, dass Sie gekommen sind", entgegnete Higgins.
"Danke, für mich nur Zucker, keine Milch." Nachdem Bechmann seine Teetasse abgestellt hatte, kam er ohne Umschweife zur Sache. Ob sich Higgins noch an das Jahr 1946 erinnere? An den Fall des ermordeten Sergeants, den man unter dem Obstbäumchen gefunden hätte? Higgins stimmte zu. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie einen Tatverdächtigen ausgemacht hatten. Es handelte sich um einen Schwarzmarkthändler, der sich mit Waffengewalt einer Festnahme wiedersetzt hatte und schließlich erschossen worden war. In seinem heimischen Lager hatte man neben amerikanischen Zigaretten, große Mengen von Nylonstrümpfen und eben auch eine englische Offizierspistole gefunden. Nachdem im Magazin eine Patrone gefehlt hatte, war der Fall als abgeschlossen zu den Akten gelegt worden.
"Haben Sie damals wirklich geglaubt, wir hätten den Mörder gefunden?", schloss Bechmann seinen Vortrag ab. Higgins antwortete mit einer Gegenfrage: "Was hätten wir mehr tun sollen? Die Bewohner einer Straßenzeile zusammentreiben und zwanzig von ihnen erschießen?"
Bechmann schüttelte den Kopf. "Nein, um Himmels Willen", entgegnete er. Dann hakte er mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit nach. Was sich Higgins damals gedacht habe, dass man durch bloßen Zufall auf die potenzielle Tatwaffe gestoßen sei und dass dummerweise der einzige, den man zu dem Fall hätte noch befragen können, beim Sturm seines Verstecks erschossen worden sei.
Higgins schwieg und wirkte dabei wie ein müde gewordener Jagdhund, dessen Schnauze von Halali zu Halali grauer geworden war. Im Vergleich zu früher war er viel ruhiger. "Wir haben damals keinen Unschuldigen erschossen", antwortete er schließlich trocken.
Bechmann sah im in die Augen und schüttelte den Kopf. Das war nicht die Antwort gewesen, welche es wert war, dreieinhalb Tage quer durch Europa zu reisen. "Für mich war die Sache damals nicht erledigt", fügte er mit einem Ausdruck der Bestimmtheit hinzu.
Bechmanns Gedanken hatten sich über Stunden hinweg im Kreis gedreht. Was trieb des nachts einen jungen Mann auf die Felder hinaus? Er hatte sich nicht selbst erschießen können und danach die Tatwaffe wegschaffen, soviel stand fest. Und das pikante Detail mit den heruntergelassenen Hosen deutete darauf hin, dass er mit einer Frau zu Gange gewesen war. Aber warum hier außerhalb der Stadt und nicht in einem der dafür in Frage kommenden Hinterzimmer? Also war sie keine Prostituierte gewesen und das Stelldichein unter dem Apfelbaum sollte verhindern, dass ... mit jeder angedachten Variante tat sich eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, es war zum Verzweifeln. Woher könnten die beiden am betreffenden Abend gekommen sein? Aus der Stadt? Dort war zumindest der junge Mann stationiert. Und sie?
Das am nächsten gelegene Stadtviertel bestand aus "Volkswohnungen". Im Moment hausten dort vorwiegend Flüchtlinge, Menschen die von den heranrückenden Sowjets geflohen waren, weiter und weiter nach Westen bis in die Sicherheit der englischen Besatzungszone.
Bechmann hatte begonnen, systematisch einige Bewohner "der Siedlung" nach Auffälligkeiten zu befragen. Auf engstem Raum lebten dort zumeist Frauen und Kinder, deren Männer und Väter verschollen waren, sei es auf den Schlachtfeldern oder in den Weiten Sibiriens. Und waren sie es nicht oder kamen sie zurück, so fehlte den Familien der gemeinsame Bezugspunkt, um sich wiederzufinden.
Die Geschichten, die Bechmann zu hören bekam, schienen sich in ihrer Alptraumhaftigkeit zu gleichen. Alles zurücklassen müssen, Hunger, Tod, voneinander getrennt werden. Etwas, das ihm dem Mörder von Sergeant Phelps näher gebracht hätte, wollte ihm niemand erzählen.
"Es war ungefähr vier Wochen nach dem Mord, als ich eine junge Frau vernahm. Sie erzählte mir, dass eine Zimmergenossin und Freundin vor dieser Zeit verschwunden sei." Bechmann machte eine bedeutungsvolle Pause und griff zu seiner Teetasse.
"Sie haben also weitergemacht, obwohl wir den Fall abgeschlossen hatten?", erkundigte sich ein zweifelnder Mr. Higgins, der offenbar anfing, Gefallen an der Exhumierung der gemeinsamen Vergangenheit zu finden. Er versäumte es nicht, in perfekter Höflichkeit die Teetasse seines Gastes wieder aufzufüllen. 'Bechmann, der Bluthund', dachte er dabei.
"Ich erfuhr den Namen der verschwundenen Frau. Helena Köhler aus Wigrinnen, Ostpreußen."
"Warum haben Sie mir nie davon erzählt?"
Bechmanns Miene nahm einen Ausdruck der Enttäuschung an. Auch er war sichtlich gealtert, sein Haar war grau, und das Gesicht und vor allem die Augenpartie faltig geworden. "Ich habe die Frau nicht gefunden", antwortete er. "Was hätte ich Ihnen erzählen sollen?"
Es war Zufall gewesen, reiner Zufall. Der Dialekt des Kellners veranlasste Bechmann, eigentlich nur zu der routinemäßigen Nachfrage: "Sie kommen aus Ostpreußen?"
"Ja, wieso fragen Sie?"
"Ich suche seit Jahren eine verschollene entfernte Verwandte. Sie stammt aus Wigrinnen, Kreis Sensburg."
"Haben Sie es schon beim Suchdienst des Roten Kreuzes versucht?"
"Hoffnungslos!", erwiderte Bechmann und löffelte weiter an seiner Linsensuppe. Er hatte seine Jagd nach seinem ostpreußischen Phantom ebenso aufgegeben, wie die anderen Spuren des Falles Phelps weiter zu verfolgen. Deutschland war mittlerweile mit der Durchführung seines Wirtschaftswunders beschäftigt, und auch Bechmann neigte dazu, die Nachkriegszeit in all ihrem Elend gerne vergessen zu wollen.
"Ich habe da einen Landsmann, von dem glaube ich, dass er aus dem Eck kommt. Arbeitet im Hafen, den könnte ich fragen."
"Wenn es Ihnen keine Mühe macht. Ich bin dienstlich in Hamburg, die ganze Woche über."
"Elisabeth wird uns in Kürze ein Dinner servieren. Wenn ich Ihnen zuvor noch einen Whisky anbieten darf, aus lokaler Produktion versteht sich?"
Bechmann nahm das Angebot an, weniger aus Vorliebe für alkoholische Getränke, als aus Höflichkeit seinem schottischen Gastgeber gegenüber. Er hatte Higgins von dem seltenen Glücksfall erzählt, in dem Freund des Kellners tatsächlich jemanden getroffen zu haben, der in der Nähe von Wigrinnen aufgewachsen war.
Higgins hatte zwei Gläser eingeschenkt, seinem Gast eines davon gereicht, ihm fröhlich zugeprostet und einen kräftigen Schluck genommen. Während Bechmann probierte und höflich seine Anerkennung aussprach, zerging das freundliche Lächeln des Gastgebers. "Ich möchte mich revanchieren", meinte er schließlich in ernstem Tonfall. "Bevor Sie mir die Fortsetzung ihres ostpreußischen Abenteuers erzählen, muss ich ihnen ein Geständnis machen." Bechmann horchte auf.
"Unser guter Sergeant Phelps, um den sich Ihre Geschichte dreht, war kein solcher Ehrenmann, wie er hätte sein sollen.", fuhr Higgins fort. Er war aufgestanden und hatte begonnen, mit dem Whisky-Glas in der Hand, im Raum umherzugehen. Vor dem Kaminfeuer blieb er schließlich stehen und setzte seine Ausführung fort, mehr zu den Flammen als mit Bechmann redend. "Sie wissen besser als ich, was Schwarzmarkt bedeutete, damals. Und unser guter Mr. Phelps ... nun ja, wir kamen recht bald dahinter, dass er in den Schiebereien irgendwie mit drinsteckte."
"Sie haben mir nie davon erzählt", unterbrach ich Bechmann. Er wirkte sichtlich enttäuscht. "Ich dachte, wir arbeiteten zusammen", setzte er hinzu, einen vorwurfsvollen Blick zum Kamin werfend.
"Familienangelegenheit." Higgins drehte sich kurz um und fügte mit einem Ausdruck moderaten Bedauerns hinzu: "Der junge Mann, der erschossene Verdächtige - ich habe seinen Namen vergessen - stand in geschäftlicher Beziehung zu Phelps. Und was die Tatwaffe betrifft ... so muss ich gestehen ..."
Bechmann fiel ihm ins Wort: "Das bedeutet, bei den Indizien hat die englische Militärpolizei nachgeholfen."
"Die MP, nein, nicht direkt, aber ... auf - wie sagt man bei ihnen - auf Umwegen."
Beklemmendes Schweigen herrschte im Raum. Fast zwanzig Jahre waren vergangen, eine Zeit die zur Verjährung der meisten Verbrechen ausreichte, nicht jedoch für Mord. Vieles hatte sich in dieser Zeit geändert, Higgins war versetzt worden und wenig später nach Großbritannien zurückgekehrt. Bechmanns war zum ganz normalen Kriminalbeamten mit allen Befugnissen geadelt worden und nicht länger der unbewaffnete Hilfssheriff der Besatzungstruppen. Die beiden Männer hatten sich aus den Augen verloren, jeder war seinen eigenen Weg gegangen.
Obwohl sie sich mittlerweile reichlich fremd sein sollten, schmerzte es Bechmann, nun erfahren zu müssen, dass er damals offenbar nur der Lehrjunge gewesen war, der deutsche Laufbursche, den nicht anging, was die hohen Herren in der Villa bei ihren Treffen beredeten. Aber einen Mörder hatte er herbeischaffen sollen und weil man ihm das offenbar nicht zutraute, hatte man die Sache selbst in die Hand genommen.
"Der tödliche Schuss ... war das auch ..."
"Nein, es war ein Unfall, ich schwöre es Ihnen. Dass der Junge plötzlich mit einer Mauser HSc um sich schießt, damit hatte niemand gerechnet ..." Higgins blickte seinem Gast in die Augen und sein Blick drückte aus, was er nicht zu sagen vermochte. Bechmann griff zu seinem Glas und nahm einen kräftigen Schluck. Erbärmlich, Alkohol mit Rauchgeschmack, dachte er sich. Wenn man den Gedankengang fortspann, dass es zu einer Festnahme gekommen wäre, zu einem Indizienprozess, zu einem Urteil, das einen Unschuldigen sein Leben hätte kosten können.
"Das war mein Teil der Geschichte." Higgins war zum Tisch zurückgekehrt, als wollte er ausdrücken, dass er den kurzen Exkurs für beendet halte. Für einen kurzen Moment zögerte Bechmann, nun einfach seine Erzählung fortzusetzen, als wäre nichts geschehen.
Bechmann blickte durch den Türspalt in das fragende Gesicht einer jungen Frau, die ein hochgeschlossenes Oberteil trug. Eine schmale Leiste kleiner Knöpfe zog sich vom Bauchnabel hoch bis zum Hals. Alles was an ihre wohlgeformten Brüste erinnert hätte, blieb konsequent verhüllt. Hinzu kam ein langer Rock, der selbst genäht zu sein schien und an Vorhangstoff erinnerte. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt, zu den beiden Seiten des Kopfes straff gespannt, was ihr Gesicht noch schmaler und etwas streng wirken ließ. Sie war für Bechmanns Begriffe ausgesprochen attraktiv, wenngleich ihr Kinn leicht hervorstand und ihre Gesichtszüge deshalb nicht nur mädchenhaft, sondern auch etwas markant wirkten. Die Puzzlestücke, die Bechmann durch die halb geöffnete Türe entgegenquollen, ergaben ein altbekanntes Bild: das kärglich eingerichtete, kleine Zimmer mit dem Kinderbettchen in der Ecke, ein Raum, der in seiner Bescheidenheit keinen Platz ließ für einen Vater.
"Fräulein Brandt, mein Name ist Bechmann, Kriminalpolizei Hannover. Ich würde Ihnen gerne einige Fragen stellen."
Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Bechmann sah in die graublauen Augen einer aufgeschreckten Kriegerin, die sich zum Kampf bereit machte. "Fräulein Brand", hatte er gesagt, seinen Blick neugierig durch den Raum gleiten lassen, hinüber zum Bettchen gesehen und aus seiner Größe das Alter des unsichtbaren Kleinkindes taxiert.
"Kommen Sie 'rein", bat sie ihn mit einer sparsamen Geste ins Innere ihres Reiches, jedoch ohne ihm einen Platz an einem der beiden zerbrechlich wirkenden Holzstühle anzubieten. Die Audienz sollte offensichtlich im Stehen stattfinden. "Was wollen sie von mir?"
"Es geht um den Sommer des Jahres 1946."
"Mein Gott, das ist zehn Jahre her. Sechsundvierzig? Ein Jahr nach Kriegsende, ich stamme aus Ostpreußen, sie wissen, was das bedeutet?"
"Deshalb habe ich Sie hier gefunden." Ihre Augen tasteten suchend über Bechmanns Gesicht. Es war, als wollte sie ihm von den Lippen lesen, wer er war und was er wirklich von ihr wollte.
"Also wo waren Sie im Mai Sechsundvierzig?" Sie hatte schöne, große Augen, die auch ungeschminkt den Glanz einer bezaubernden Weiblichkeit verstrahlten.
"Ich weiß es nicht. Es waren so viele Städte, zu Fuß quer durch Deutschland ... eine Zeit an die ich nicht mehr denken möchte."
"Da haben wir etwas gemeinsam", antwortete Bechmann. Sie ignorierte seine Bemerkung. Mit der Musterung war sie mittlerweile in Bechmanns Köpermitte angelangt und registrierte die sichtbaren Spuren von Wohlstandsspeck.
"Sagt Ihnen der Name Helena Köhler etwas?", fragte Bechmann weiter.
"Ich kenne niemanden, der so heißt."
"Helena ist kein häufiger Vorname. Auch Sie heißen so."
"Was wollen Sie damit sagen?" Sie blickte auf und sah nun direkt in Bechmanns Gesicht. Ihr Tonfall hatte sich geändert. Die Treibjagd hatte also begonnen. Bechmann ging hinüber in die Ecke, wo das Kinderbett stand. Ein kleines Mädchen lag darin schlafend, vielleicht zwei Jahre alt, blond wie seine Mutter und ebenso bezaubernd.
"Ein hübsches Kind."
Während er nach unten deutete, durchbohrten ihn die Blicke der Mutter, die ihn wortlos beobachtete, bereit ihm an die Gurgel zu springen, sollte er dem Kind zu nahe kommen. Bechmann dachte nach. Am Ziel seiner jahrelangen Suche angekommen, stand er nun ohne Druckmittel da. Was auch immer er hier erreichen würde, hing davon ab, wie gut er seine Rolle spielen würde.
"Dieses Fräulein Köhler verschwand spurlos an dem selben Tag, als wir einen englischen Unteroffizier aufgefunden haben. Erschossen." Bechmann zögerte weiterzusprechen. Ihm war, als hätte er ein Hornmotiv gehört. Nein, alles Schwachsinn, dachte er sich. Der Nachklang einer jüngst besuchten Opernaufführung, nichts weiter. Und die Heldin im Rollkragenpullover würde sicherlich kein Schwert hinter dem Herd oder aus dem Kinderbett hervorziehen können, um ihm den Kopf abzuschlagen.
"Derselbe Vorname und eine Beschreibung, die auch auf Sie passen würde. Seltsam, finden Sie nicht auch?" Sie hob die Schultern und schwieg. "Ich habe mit dem Dorfschulmeister von Wigrinnen gesprochen, ein interessanter alter Mann", fuhr er fort
Als sie ihm immer noch keine Antwort geben wollte, wandte er sich von ihr ab, sah aus dem Fenster und ließ die Trostlosigkeit des Hinterhofs auf sich wirken. Draußen spielte eine Horde barfüßiger Kinder Fangen. Helena Brandt machte keine Anstalten, die dramatische Pause mit einer Antwort zu füllen. Bechmann stand weiterhin zum Fenster gedreht, den Blick auf die spielenden Kinder gerichtet, deren gedämpftes Kreischen die Stille zerschnitt. "Der alte Mann wusste einiges über die kleine Helena zu berichten."
"Und was?", fauchte sie.
'Na bitte, es geht doch', dachte sich Bechmann und drehte sich um. Sie war vor das Kinderbettchen getreten, hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre langgewachsenen, zierlichen Finger gruben sich durch den Stoff ihres Pullovers. Die Heldin war kampfbereit, auch ohne Schwert.
"Er meinte, sie sei das schlaueste Mädchen im ganzen Dorf gewesen. Und dass er gerne wüsste, was aus ihr geworden sei."
Ihr Lachen wirkte heiser und aufgesetzt. Sie hatte die Arme aus der eigenen Umklammerung gelöst und zog mit der rechten Hand einen ostentativen Bogen durch den Raum. "Sehen Sie sich um. So sieht Helena Brandts Welt heute aus! Fahren Sie zurück zu ihm und erstatten Sie Bericht", antwortete sie voller Bitterkeit.
"Fräulein Brandt, bitte glauben Sie mir, ich verstehe ..."
"Sie verstehen gar nichts!", fiel sie ihm ins Wort. "Ein ordentlicher Beruf, ein gesichertes Auskommen, das sind Selbstverständlichkeiten für Sie. Die Frage, was ihr Kind morgen essen wird, stellen Sie sich nicht, statt dessen ..."
"Suche ich einen Mörder. Oder eine Mörderin."
"Wann soll das gewesen sein mit Ihrem Engländer? 1946? Mein Gott, haben Sie eigentlich schon vergessen, was das für Zeiten damals waren? Es ging ums nackte Überleben." Gespannte Stille, nur das Kreischen der Kinder im Hof war zu hören, dann ein kurzer Seufzer, der aus dem Bettchen aufstieg, um unbeachtet in der Ärmlichkeit des Raumes zu verklingen.
Bechmann atmete ein, um seiner Stimme die nötige Lautstärke und Ernsthaftigkeit mitgeben zu können:
"Mord bleibt Mord, egal wie schlimm die Umstände sind!"
Bechmann ließ die Worte bewusst im Raum verklingen, waren sie doch die Essenz seines Berufsethos. Worte, die es wert waren, zu wirken. Das warnende Hormotiv war nun einem Fortissimo-Ausbruch des ganzen Orchesters gewichen.
"Und was wollen Sie von mir?" Ihre Stimme, die auf einmal überraschend weich klang, riss ihn aus seiner Nabelschau.
"Die Wahrheit erfahren."
"Versprechen Sie mir dann, zu verschwinden und niemals wieder zu kommen?" Woher kam auf einmal diese unerklärliche Sanftheit in ihrem Ausdruck? Offensichtlich hatte seine Heldin ein anderes Register gezogen. Bechmann schwieg. Er hasste es, wenn mit ihm gespielt wurde. Aber ebenso verabscheute er es, Zusagen zu machen, die er nicht einhalten konnte. Immer noch stand sie schützend vor dem Kinderbettchen, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie war wirklich eine schöne Frau, ebenso begehrenswert wie unerreichbar in ihrem offensichtlichen Hass. Bechmann war in ihre kleine Welt eingebrochen und hatte als Willkommensgeschenk die Vergangenheit mitgebracht.
"Ohne dieses Versprechen werden Sie niemals bekommen, weswegen Sie hierhergekommen sind." Sie hatte beschlossen, dass keine Antwort auch eine Antwort war, das Duell der Blicke beendet und war als Siegerin hervorgegangen. Bechmann verstand und nickte.
"Gibt es irgendetwas, das ich für Sie tun kann?"
"Ich muss mich wiederholen. Gehen Sie. Lassen Sie mich und mein Kind in Ruhe. Bitte."
'Zeit, die letzte Karte auszuspielen', dachte sich Bechmann.
"Sie sind bei Ihrem Großvater aufgewachsen?"
"Landverschickung wegen der Bombenangriffe."
"Er soll ein seltsamer Kauz gewesen sein."
"Ich will von alledem ... Gehen Sie, verdammt noch mal, gehen Sie doch endlich. Warum können Sie mich nicht in Ruhe lassen? Ich will davon einfach nichts mehr hören, verstehen Sie denn nicht?"
"Was ist eigentlich aus ihm geworden?"
"Die Russen haben ihn ... bitte, ich kann das nicht ... es war so furchtbar ... lassen Sie uns Bitte in Ruhe!" Sie hatte geschrien und war in Tränen ausgebrochen, das schlafende kleine Mädchen war aufgewacht und begann zu weinen. Bechmann nickte höflich und trat den Rückzug an.
"Auf Wiedersehen, Fräulein Brandt. Falls Sie sich doch noch an etwas erinnern sollten, hier ist meine Visitenkarte."
Als wollte sie das Wort "Wiedersehen" nicht aussprechen, begleitete Helena Brandt ihren ungebetenen Gast wortlos zur Tür und schloss diese. Das Weinen des Kindes wurde leiser, als Bechmann die Treppe hinunter ging.
"Fang mich doch, Fang mich doch", flötete ein kleiner Dreckspatz, der in Richtung des Hinterhofs davon stob. Bechmann bemerkte ihn kaum, als er sinnierend die Straße entlang ging.
Higgins hatte ihm erneut eingeschenkt. Bechmann schätzte das angebotene Getränk mittlerweile insofern, als dass es innerlich wärmte und die Zunge lockerte. Es war später Abend und eigentlich Zeit, ins Bett zu gehen. Higgins nickte bedächtig und brummte schließlich: "Bechmann, Bechmann! Und glauben Sie, die Kleine hatte etwas mit der Sache zu tun?"
"Ich hätte darauf geschworen. Irgendetwas war faul. Sie hatte offen zugegeben, etwas zu wissen. Aber was hätte ich tun sollen?"
"Die Daumenschrauben anziehen."
"Bei dieser dünnen Beweislage. 1946! Keine Dokumente, keine Melderegister, das pure Chaos. Eine Zeit, die nur in der Erinnerung der Menschen existiert."
"Und die Erinnerungen mancher Menschen sind ausgesprochen schlecht", ergänzte Higgins.
Für einen kurzen Moment dachte Bechmann an den abschließenden emotionalen Ausbruch, mit dem ihn Fräulein Brandt schließlich hinaus geworfen hatte. Dann schüttelte er den Kopf, verdrängte die Frage, ob dieser Moment sein Scheitern in dem Fall besiegelt hatte und leerte das Glas.
"Auf jeden Fall schön, Sie nach all den Jahren besuchen zu dürfen, Higgins."
Die Sonne war herausgekommen, als wollte sie den schottischen Highlands helfen, zum Abschied einen guten Eindruck zu hinterlassen. Bechmann war in den Zug gestiegen, hatte durch die Scheibe nochmals dem am Bahnsteig stehenden Higgins zugewunken und dann Platz genommen. Die wenigen Häuser verschwanden bald in der Ferne, während der Zug sich mühsam in Richtung Süden zum Pass of Drumochter hocharbeitete. Bechmann hatte den Kopf in die linke Hand gestützt hatte und ließ halb die Unfreundlichkeit der vorbeiziehenden Steinlandschaft auf sich wirken, während er zur anderen Hälfte nachdachte. In der Glasscheibe war das undeutliche Abbild seines Gesichtes zu erkennen, eines gealterten, grauhaarigen Mannes. Was wohl aus ihr geworden war? Die Tochter müsste nun auch schon über 20 Jahre alt sein.
Bechmann lächelte seinem Spiegelbild zu, als der Zug die Passhöhe erreicht hatte. Er war nun pensioniert und wollte die verbleibenden Jahre nutzen, die kleinen Träume zu verwirklichen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Nochmals nach ihr zu suchen, gehörte nicht dazu.