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Des Käuzchens Ruf
Viele Stunden war ich gewandert, hatte den Bäumen Erlebtes erzählt, hatte einen kurzen Nieselregen und die Wärme der zurückkehrenden Sonne auf meiner Haut begrüßt, als ich die klappernden Hufe vernahm.
Drei Reiter auf ihren Pferden galoppierten vorbei.
Die untergehende Sonne hüllte den Wald in ein magisches Licht, das die Drei in eine fremde Welt zu entführen schien.
Ich spürte ein prickelndes Gefühl von Freiheit in meinem Körperzellen.
Ich war an einer kleinen Lichtung angekommen, setzte meinen Rucksack ab und schaute mir den Platz näher an.
Eine Amsel schimpfte in der Baumkrone, flatterte mit den Flügeln, als würde sie ihr Nest verteidigen.
Irgendwann war es still und der Vogel schien sich in seinem Erfolg zu sonnen.
Da glitt etwas durch die Luft. Als es näher zu Boden kam, erkannte ich, was es war: eine Feder.
Sie ließ sich langsam vor meinen Füßen nieder.
Bestimmt die Feder dieser Amsel, dachte ich.
Da sie mir gut gefiel, steckte ich sie in meine Hosentasche.
Die Erde war locker, nicht zu trocken, Moos und Farne bedeckten sie. Laubbäume und ein paar knorrige Kiefern umrahmten den idyllischen Ort, der aussah, als würden Trolle und Elfen an ihm hausen.
Ich dachte an Island, wo Straßen niemals Elfengebiete durchkreuzten, wo etwas Magisches alles umströmte und die verknöcherten Bäume Grimassen schnitten.
Nach den vielen Stunden Fußmarsch überkam mich die Erschöpfung und dies war genau der Ort, der mir gefiel um mich nieder zu lassen.
Ich packte mein Wurfzelt aus, das sich entfaltete, legte meine Sachen hinein und holte den kleinen Kocher aus dem Rucksack.
Ich sammelte etwas Holz im Wald, schichtete es, zündete einen Tannenzapfen an und entfachte das Feuer. Die Sonne war nun untergegangen und das Feuer knisterte und wärmte so sehr, dass ich den Abstand zu ihm vergrößern musste.
Immer wieder legte ich Holz nach und fühlte mich vom Feuer angezogen.
Der klagende Schrei eines Käuzchens ließ mich erschaudern.
Als die Feuerstelle nur noch glühte legte ich mich schlafen. Kaum hatte ich mich in den Schlafsack gezwängt, wurde der Wald um mich herum lebendig.
Im Unterholz knackten Äste, irgendein kleineres Tier, vielleicht ein Marder oder ein Eichhörnchen streiften umher.
Endlich war ich allein mit der Natur. Ohne Menschen, die etwas von mir wollten. Ganz allein in Irlands wildem Westen mit saftigem Grün, kantigen Felsen, wohlriechenden Bäumen und dem irischen Nieselregen.
Während ich meine Erschöpfung in den Gliedern spürte, überfiel mich der Schlaf.
Ein Geräusch schreckte mich hoch.
Was war das? Etwas fiel auf mein Zelt.
Vielleicht eine Eichel…nur eine Eichel…, beruhigte ich mich.
Doch das Geräusch wiederholte sich. Wieder fiel etwas auf mein Dach.
Ich kramte nach dem Feuerzeug, zündete die Petroleumlampe an und öffnete den Reißverschluss des Zeltes.
Was ich sah, ließ mich an einen Traum glauben.
Der Boden war übersät von schwarzen Käfern, die auf dem Rücken lagen und sekundenlang zappelten, bis sie sich nicht mehr regten. Ich stieß einen dumpfen Schrei aus.
Die Käfer fielen weiterhin auf mein Zelt und bedeckten schon den Erdboden. Es wurden stetig mehr und ich schlüpfte eilig in die Wanderstiefel, nahm die Lampe mit und verließ mein Zelt.
Der Himmel war bevölkert von kleinen schwarzen Flatterwesen, die unbeholfen in alle Richtungen strömten wie Einzeller unter dem Mikroskop. Es war mir als würden sie sich minütlich verdoppeln.
Sie kamen wie eine schwarze Pest von irgendwo her und fielen auf alles, was ihren Weg kreuzte, um dort zu sterben.
Auch ich wurde zum Ziel bestimmt.
Ekel kroch meinen Hals hinauf.
Ich versuchte zu fliehen, doch meine Beine waren schwer wie Blei.
Ich hörte mit einem Mal lautes Geschrei. Äste brachen und Zweige schnalzten zurück. Ich sah, wie sich viele Menschen panisch einen Weg durch dichtes Geäst schlugen.
Sie schrien etwas. Ich wollte sie verstehen, doch hörte ich nur durcheinander fliegende Worte.
Mich packte die wilde Furcht und ich versuchte davon zu kommen vor dem, was da Angst machte.
Ich rannte los, doch fühlte ich mich als wäre ich aus Metall und der Boden wäre ein starker Magnet.
Während ich mich umdrehte, sah ich die Menschen näher kommen. Sie schrien noch immer und fuchtelten wild mit den Armen um sich.
Als ich durch ein glänzendes schwarzes Meer stapfte, bemerkte ich etwas Eigenartiges in der Dunkelheit.
Es war keine menschliche Bewegung und auch nicht von einem Tier auf vier Pfoten, eher ähnlich einer Schlange.
Dieses Ding schlängelte sich in einer Geschwindigkeit auf mich zu, die mir den kalten Schweiß in den Nacken trieb.
„Verdammt!“, dachte ich und stellte mit Entsetzen fest, dass ich viel zu langsam war um zu entkommen.
Das Wesen kam in beträchtlicher Geschwindigkeit näher. Es hatte etwas auf dem Kopf, das aussah wie ein Hahnenkamm. Sein großes Maul, das es von Zeit zu Zeit öffnete, ließ eine lange Zunge hervor schnellen.
Es schoss auf mich zu bis es kaum noch Raum zwischen uns gab.
Gerade noch rechtzeitig duckte ich mich, griff nach einem Stock, der vor mir auf dem Boden lag, holte aus und versetzte dem Wesen einen heftigen Schlag zwischen die Augen.
Es taumelte und fauchte dabei, so dass ich vor Entsetzen erstarrte.
Endlich schaffte ich es aus der Erstarrung heraus und rannte weiter durch den Wald.
Doch schon kurze Zeit später war es mir wieder auf den Fersen.
Noch immer war ich nicht schnell genug.
Seine Augen starrten mich gierig an. Schon leckte es seine Lippen nach mir. Panik machte sich in mir breit. Der Schrei, den ich ausstieß dröhnte wie eine Trillerpfeife in meinen eigenen Ohren. Doch es ließ nicht von mir ab.
Nur eine Elle war es von mir entfernt und ich sah, wie seine Zunge blitzartig hervorschnellte, um mich zu packen.
Mit aller Kraft boxte und trat ich nach ihm.
Ich schrie erneut in Todesangst, doch die Schreie verhallten im Wald. Kein einziger Mensch war in der Nähe. Alle waren entkommen, nur ich war noch übrig. Die Lampe hatte ich bereits verloren und die Dunkelheit lag auf mir wie ein Kettenhemd.
Niemand konnte mich hören. Niemand würde mich retten.
Mir wurde bewusst, dass meine letzte Stunde geschlagen hatte und ich spürte, dass mich mein Kampfgeist verließ. So ergab ich mich dem Unbekannten und ein Gefühl der Ohnmacht überfiel mich..
Es war, wie im Treibsand festzustecken.
Etwas schnürte sich um meine Taille und zog mich in ein dunkles enges Loch. Scheiße!, dachte ich. Gott, wenn es Dich gibt, dann hilf mir hier raus!, betete ich und fühlte mich wie Jona im Walfisch.
Im Angesicht des Todes lief mein Leben in Sekundenbruchteilen an mir vorbei: Ich sah Bilder aus meiner Kindheit, sah meine Eltern, meine Kinder und meinen Mann, Sie erschienen mir, als wollten sie sich von mir verabschieden.
Doch ganz unerwartet spürte ich in mir eine gewaltige Energie in mir aufsteigen.
Ich fühlte mich wie David, der gegen den Riesen Goliath siegen würde.
Das Ding fing an, Schluckbewegungen zu machen.
Es hatte vor, mich in einem Stück hinunterzuwürgen!
Mir wurde schwindelig. Ich rang nach Luft, doch das elende Maul war geschlossen.
Mit meinem Kopf versuchte ich es an einer empfindlichen Stelle zu treffen. Vergeblich.
Die rhythmischen Bewegungen des Hinunterwürgens wurden stärker und stärker bis ich in seinen Schlund zu rutschen begann.
Die Luft wurde knapp. Nicht mehr lange und ich würde das Bewusstsein verlieren.
Da zwängte ich mit letzter Kraft meinen Arm in Richtung Hosentasche.
Ich bekam die Feder zu packen und kitzelte den Rachen des Ungeheuers.
Es fing an zu glucksen, öffnete sein Maul und Luft strömte hinein.
Ich kitzelte unermüdlich weiter. Meine Ohren dröhnten vor lauter Gurgelgeräuschen. Nun begann es zu husten. Ich spürte einen heftigen Schwall an meinem Körper reißen.
Mit drei Stößen war ich wieder im Maul und mit einem weiteren landete ich unsanft in der Helligkeit.
Es hatte mich doch tatsächlich ausgekotzt!
Benommen wie nach meiner Geburt machte ich die ersten Atemzüge.
Dicht vor mir saß das Ungeheuer und glotzte mich mit seinen engstehenden Augen an.
Da geschah etwas Eigenartiges.
Das Wesen blickte mir tief in die Augen und ich hatte das Gefühl, es lächelte mich an.
Kurz darauf drehte es sich um und verschwand im Licht des anbrechenden Tages.
Und auch die toten Käfer erwachten zum Leben. Sie breiteten ihre Flügel aus und flogen in den Himmel hinauf.
Das Käuzchen schwieg, denn die Nacht war vorbei mit den ersten Strahlen der Sonne.
Jetzt erst bemerkte ich, dass ich mich in der Nähe meines Zeltes befand. Die ganze Zeit über musste ich im Kreis gelaufen sein!
Ich öffnete mein Zelt. Alles war wie beim Verlassen.
Und doch war alles anders.