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Des Teufels Hund
Ein kleiner Floh hüpfte fröhlich über den ziemlich schmutzigen Boden und verfing sich dabei im Staub. Röchelnd kämpfte er sich wieder auf die dürren Beine und hüpfte weiter.
Schließlich fand er warme Haut, auf der er sich dankbar niederließ, um seinen kleinen, spitzen Saugrüssel samt garstigen Widerborsten tief hineinzustoßen. Nach den ersten, reichlich gierigen Schlucken bemerkte der Unwissende einen brennenden Schmerz in seinen Verdauungsorganen, der Schmerz weitete sich aus und schließlich stieg Dampf aus den Tracheen des kleinen Insekts.
Dann explodierte es.
Hätte es nur gewusst, an wessen Blut es sich da gütlich tat, dann wäre ihm dies derartig traurige Schicksal erspart geblieben.
Der Besitzer jener undankbaren Haut saß in einer Kneipe und war zu benommen, um davon etwas mitzubekommen.
Erwin, der dicke Wirt, schrubbte Gläser und beobachtete seinen letzten, schweigenden Gast, der nun schon mehr Bier intus hatte als der kalte, unendliche Nachthimmel Sterne.
»Wo drückt denn der Schuh, Kumpel?« fragte Erwin, der in seinem vorherigen Leben Missionar in Namibia gewesen war. Er steckte sich eine Zigarette an und stützte sich mit beiden Händen schwer auf den Tresen.
Der Fremde stierte düster vor sich hin.
»Ach«, sagte er, seine Stimme erstaunlich klar, »heute ist eben einfach nicht mein Tag.«
Etwas früher.
Der Teufel war am verlieren.
Oh, wie er das hasste. Nichts konnte ihn zorniger machen. Er blickte auf die Karten in seiner Hand und knirschte mit den Zähnen. Zwei kleine Seraphime hatte er in seiner linken Hand. Und der Rest waren wertlose Harfen.
Seine Mitspieler hingegen waren die Ruhe selbst. Man musste kein Telepath sein (so wie der Teufel übrigens), um zu wissen, dass das dreckige Grinsen in ihren Gesichtern von der untrüglichen Gewissheit herrührte, dass sie gewinnen würden.
»Ich verdopple den Einsatz«, sagte Gott. »Und du?«
Der heilige Geist kratze sich am Ohr. »Ich gehe mit.«
»Ich auch«, sagte Jesus.
Sie blickten den Teufel an. »Ich halte«, erwiderte der Teufel, ohne seinen Blick zu erheben. Was hätte er auch sonst tun sollen?
»Tja, ich habe drei Heilige und zwei Selige«, sagte der heilige Geist.
»Und ich habe vier Apostel«, trumpfte Jesus auf.
Der Teufel schüttelte den Kopf.
»Und ich«, sagte Gott und seine Hände mit den Karten begannen vor Erregung zu zittern, »habe drei mal mich selbst und zweimal den Teufel.«
Der Teufel stieß zischend Luft aus. »Ihr drei steckt doch unter einer Decke«, rief er wütend.
Wieder zurück in der Kneipe.
Der Teufel warf ein paar Münzen auf den Tresen.
»Erwin, du solltest wirklich die Finger von den Zigaretten lassen«, sagte er. »Es sollte in deinem eigenem Interesse sein.« Dann verließ er die Bar.
Erwin, der nun allein zurückblieb, nahm die Zigarette aus seinem Mund und betrachtete sie. Etwas im Gesicht des Fremden hatte ihm Angst gemacht. Etwas in dessen Blick...
Er warf die Zigarette zu Boden und rauchte fortan keine weitere mehr.
»Ähh, Sie haben Ihren Hund vergessen!«, rief er dem Fremden noch nach.
Es war vor ein paar Tagen gewesen, als der Teufel festgestellt hatte, dass er die Lust verloren hatte.
Die Luft hörte auf nach Schwefel zu riechen, die Schreie wurden leise und unsicher und nur manchmal verirrte sich noch ein einzelner in das Ohr des Teufels auf seinem Knochenthron. Das Seufzen und Jammern hörte auf und wurde ersetzt durch gewisperte Fragen: »Wie geht’s dir so?« - »Rumhängen, das Übliche.« - »Hast du deine Leber noch?« »Wurde mir gestern erst wieder rausgerissen.« - »Puh.«
Kurz darauf hatte der Teufel Sisyphos geholfen, den Stein auf den Gipfel des Berges zu rollen. (»Puh, das war anstrengend«, hatte Sisyphos gesagt. »Was lange währt wird endlich gut«, hatte der Teufel erwidert. »Ähh, und jetzt?«, hatte Sisyphos gefragt.)
Er hatte Thantalus einen Becher mit Wasser gegeben (»Ich hasse Wasser!«) und ihm einen Apfel gereicht. (»Ihhhh, Äpfel!«)
Belzebub war wirklich besorgt gewesen und hatte seinem Meister zu Erbauung einen kleinen Hund geschenkt, der beständig sabberte.
»Ich werde springen, wirklich«, drohte Sebastian. Nun ja, eigentlich war es keine Drohung, sondern vielmehr eine Frage. Und sie war an niemand bestimmten gerichtet. Umso erstaunlicher war es, dass plötzlich jemand ein paar Meter von ihm entfernt am Brückengeländer stand.
»Ja, tatsächlich?«, fragte dieser Jemand. Etwas Verschlagenes lag in seinem Blick, etwas Finsteres, Böses. Seine Aura war unheilschwanger, gefüllt mit düsteren Vorahnungen. Sinister war eines der vielen Wörter, die Sebastian durch den Kopf geisterten. Ja, sinister.
Er klammerte sich fester an das Brückengeländer.
»Ich werde Sie übrigens nicht aufhalten, wenn Sie das meinen«, sagte der Fremde.
»Wirklich nicht?«, fragte Sebastian ungläubig.
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht.«
»Ich kann aber nicht, wenn Sie gucken.«
»Dann halte ich mir eben die Augen zu.« Der Fremde hielt sich mit beiden Händen die Augen zu.
Sebastian seufzte und starrte nach unten. Unter ihm war der Fluss. Finster, reißend, schnell.
»Sie gucken ja zwischen Ihren Fingern durch«, empörte sich Sebastian, nachdem er noch mal einen kurzen Blick zurück geworfen hatte.
Der Fremde seufzte. »Ich dachte, Sie merken es nicht.«
»Ich hatte heute einen unglaublich schlechten Tag.«
»Oh ja, das kenne ich«, sagte der Teufel. »Ich hatte auch einen schlechten Tag.«
»Nicht so schlecht wie meiner.«
»Doch, ich denke, schon«, sagte der Teufel. Er trat näher an Sebastian heran. »Ich weiß, wer du bist, Sebastian Bauer. Ich weiß, was dir heute widerfahren ist. Du bist aufgewacht, in einem leeren Bett, hast in der Küche eine Notiz gefunden mit der Aufschrift Fortan brauchst du keine Familienpackung Klopapier mehr zu kaufen, Silvy, dein Hamster lag tot in seinem Käfig...
Sebastian schüttelte den Kopf. »Aber es gibt auch die schönen Seiten des Lebens, verdammt.«
Der Teufel lächelte. »Und die wären?«
»Meine Arbeit.«
»Dein Chef hält dich für einen Warmduscher.«
»Und wenn schon«, rief Sebastian. Er klammerte sich an das Geländer und warf einen Blick nach unten. Tief war es ja schon.
Hab ich den Herd ausgemacht?, schoss es ihm durch den Kopf.
Ja.
Gut. Er sah erstaunt zu dem Fremden hinüber. »War das eben deine Stimme in meinem Kopf?«
Der Teufel zuckte mit den Schultern. »Naja...«
»Ich will nicht sterben! Nicht heute! Nicht mit dir!«, schrie Sebastian. » Jetzt habe ich aber mächtig die Nase voll!«
»Ich habe leider kein Taschentuch dabei«, sagte der Teufel entschuldigend.
»Das war metaphorisch gemeint«, erklärte Sebastian.
»Dann habe ich doch eins«, gab der Teufel zu.
»Ich werde nicht springen! Hörst du? Nicht springen!«
»Dann eben nicht«, sagte der Teufel beleidigt und wollte gehen.
»Ähm«, sagte Sebastian. »Ist das eigentlich Ihr Hund?«
»Komm, oh Satan, düsterer Unheilsbringer, nächtlicher Schleicher, König des Ungeziefers, Herrscher über die Unterwelt, wir beschwören dich, wir rufen dich, wir sehnen uns nach dir!«
Als Hans-Jürgen vorgeschlagen hatte, den Teufel zu beschwören, hatte Sven gerade seinen zweiten Marsriegel gegessen und Günther leckte die Krümel aus der leeren Verpackung des ersten.
Er hatte ein altes Buch auf dem Dachboden gefunden und darin eine Anleitung gefunden, den Teufel zu beschwören.
(HANS-JÜRGEN: »Ich meine, den Teufel höchstpersönlich, könnt ihr euch vorstellen, was das bedeutet?«
SVEN: »Schwefel!«
GÜNTHER: »Ja, Schwafeln ist gut!«
HANS-JÜRGEN: »Nein, der Teufel muss uns jeden Wunsch erfüllen!!«)
»Ich glaube, das wird heute nix mehr«, murmelte Sven. Er hatte gerade festgestellt, dass sein T-Shirt zu kurz war und einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Rückens frei lag. Er zupfte an dem Shirt herum, aber es rutschte immer wieder nach oben.
Hans-Jürgen saß konzentriert vor dem Bannkreis, den er mit Erdbeersirup gezeichnet hatte (im Buch hieß es Blut, aber die Metzgereifachangestellte hatte dumme Fragen gestellt) und zischelte seine Beschwörungsformel.
Und als dann wirklich niemand mehr damit rechnete, gab es einen lauten Knall.
»Der Teufel«, kieckste Hans-Jürgen.
Als sich der Rauch lichtete, stand er tatsächlich vor ihnen: der Teufel persönlich.
»Und ich habe ihn beschworen«, hauchte Hans-Jürgen.
»Eigentlich ist er durch die Tür gekommen«, sagte Sven.
»Und er hat einen Hund mitgebracht«, stellte Günther fest. »Der dir auf den Teppich sabbert.«
Der Hund hechelte. Zu seinen kleinen Pfötchen hatte sich eine Speichelpfütze gebildet.
»Ha!«, rief Hans-Jürgen. »Ich halte dich im Bannkreis gefangen und gebe dich erst wieder frei, wenn ich...«
»Ähh, nur der Hund steht im Bannkreis«, stellte Sven fest.
»Ach ja, richtig«, gab nun auch Hans-Jürgen zu. »Würde es dir etwas ausmachen...«
»Nein, Entschuldigung«, sagte der Teufel und trat einen Schritt zur Seite in den Bannkreis hinein.
»Du bist nun verpflichtet, uns jeden Wusch zu erfüllen. Jeden, verstehst du?«
»Findest du es richtig, den Teufel zu duzen?« wisperte Sven seinem Freund zu.
»Klappe jetzt«, zischte Hans-Jürgen zurück.
»Ein Wunsch also«, sagte der Teufel, dem nun alles egal war. »Gut, dann nennt mir eure Wünsche.« Er seufzte schwer.
»Wuff«, bellte der Hund.
»Eine Frau«, rief Hans-Jürgen. »Ich hätte gerne eine Frau.«
»Gut«, sagte der Teufel. »Und du?« fragte er und starrte Sven an.
»Sie... ähm, Du weißt doch bestimmt, was ich mir wünsche, oder nicht?«
Der Teufel grinste und nickte.
»Und ich«, sagte Günther, »würde gerne den Erdbeersirup auflecken.«
»Zigarette?«
»Nein, Danke«, sagte der Teufel.
Gabriel zuckte mit den Schultern und steckte sich seinen Glimmstängel an. »Du siehst beschissen aus«, stellte er fest.
»Ich bin der Teufel«, sagte der Teufel. »Dafür werde ich bezahlt.«
»Punkt für dich.«
»Es ist nicht mein Tag«, seufzte der Teufel.
»Die Hölle?«
»Ach, nein. Ich weiß nicht Recht. Vielleicht bin ich einfach ... etwas sensibel geworden.«
»Wuff«, machte der Hund. Sabber quoll aus seinem Maul.
»Hatte Cerberus nicht früher mal drei Köpfe?« fragte Gabriel.
»Das ist nicht Cerberus«, sagte der Teufel.
»Aber er riecht genauso.«
»Ich glaube, ich habe meine Schlechtigkeit verloren«, sagte der Teufel. »Das Quälen macht mir keinen Spaß mehr. Ich bin sinnlos geworden, Gabriel. Wer bitte braucht mich noch?«
Gabriel räusperte sich. »Darf ich mal den advocatus diaboli spielen?«
»Ich bitte darum.«
»Du bist mitnichten überflüssig. Du bist der schlechteste, böseste, verdorbenste, schlimmste, stinkigste und eckigste Dämon, der auf dieser und jeder anderen Welt wandelt.«
»Der eckigste?«
»Mir ist kein anderer Superlativ mehr eingefallen.«
»Aber sieh mich an, Gabriel! Was habe ich heute Schlechtes geleistet?«
Gabriel nahm einen Zug von seiner Zigarette und grinste.
»Guck dir den an«, sagte Gabriel und deutete auf Erwin, den Wirt, der in seinem Sessel vor dem Fernseher lag und Schokolade aß.
»Ja, dem habe ich heute erfolgreich das Rauchen ausgeredet«, seufzte der Teufel.
»Du hast ihm nur ein Laster gegen ein anderes ausgetauscht. Er wird Schokolade essen. Immer und immer mehr. Er wird dick werden, fett und dann...«
»Und dann...?« fragte der Teufel erschrocken.
»Herzinfarkt.«
»Nein.«
»Doch.«
Das Bild von Erwin vor dem Fernseher zitterte und löste sich auf.
Der Teufel und Gabriel waren nun in einer engen, sauberen Küche, vor ihnen saß Sebastian an seinem Tisch und ordnete seine Briefmarkensammlung.
»Ihm habe ich heute das Leben gerettet«, erzählte der Teufel. »Das darf ich keinesfalls am nächsten Stammtisch der niederen Dämonen erwähnen.«
»Hey, der Typ ist Briefmarkensammler!«
»Huch«, sagte der Teufel. »Das sollte ich mir fast für die Folterkammer der Hölle merken.« Der Teufel machte sich Notizen.
Die Umgebung veränderte sich erneut. Sie befanden sich plötzlich in einem unordentlichen Zimmer, vor ihnen ein Bett mit zwei schlafenden Gestalten darin.
»Das ist dieser Möchtegernsatanist«, erklärte der Teufel. »Ich hab ihm eine Frau geschenkt.«
Gabriel lächelte. »Aber weiß der Gute auch, dass diese Frau, die sich nun Chantal nennt, ehemals sein bester Freund Sven war?«
»Ich wollte auch Sven seinen Wunsch erfüllen«, entschuldigte sich der Teufel.
»Und der Hund? Der ist doch nun wirklich harmlos. Guck dir nur diese süßen Augen an, Gabriel!«
»Wuff«, machte der Hund.
»Ich weiß nicht«, sagte Gabriel und beugte sich hinab zu dem kleinen Hündchen. »Ist dir aufgefallen, dass er kein Halsband trägt?«
»Um Himmels Willen!«
***
»Belzebub, ich bin wieder da«, rief der Teufel und mit einem lauten Knall kehrte er auf seinen Knochenthron zurück.
»Ahh, schön, Meister, gerade eben sind ein paar neue, verlorene Seelen eingetroffen. Ich habe mir erlaubt, sie etwas warm zu machen.«
»Schön.«
Belzebub machte einen Kratzfuß.
»Ich bin in wirklich schlechter Stimmung«, sagte der Teufel und grinste.
Die Schreie gellten wieder durch die schwefelgeschwängerte Luft, Feuer brannten, die armen Seelen seufzten und jammerten.
Sisyphos bekam einen neuen Stein und Thantalus wurde in ein Gefängnis gesteckt, das man aus Äpfel erbaut hatte.
Es war die Hölle.
***
»Dies sind die Pforten der Hölle, Ungläubige. Ihr werdet nie wiederkehren, das Himmelsreich ist euch verwehrt. Dies soll euer ewiges Gefängnis sein. Und der Höllenhund wird am Eingang wachen!«
»Wuff«, machte der Hund.
»Was? Diese windige Töle soll ein Höllenhund sein?«
»Vorsicht, Fritz, der irre Köter trägt kein Halsband!«
»Huch!«
»Wuff, wuff, wuff!«
»Argh! Helft mir! Helft m... Arrrgh!«