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Dialekt
Dialekt [überarbeitete Version ]
Wie ich so dasaß, den Tschador gleich einer gemütlichen Daunendecke von harten, senilen aber gutmütigen Frauenhänden glatt gestrichen, die Hände im Schoß gefaltet. Ich wollte doch die S-Bahn am liebsten zu meinem Nachtquartier machen, so viele Stunden wie möglich die Augen schließen um mich schließlich besser gewappnet einem Morgen zu stellen, der mich heute früh schon zum Kräftemessen auf dem Markt herausgefordert hatte. Wollte mich, in friedlicher Gesellschaft der müden Masse, vom Schaukeln der Waggons in den Schlaf wiegen lassen.
„Dilek! Geradesitzen! Er steigt gleich ein. Dilek! Was erlaubst du...“ Seine Stimme war hart und ohrenbetäubend, obwohl der Mann neben mir flüsterte. „Ohlsdorf, wir sind da. Da ist Aslan.“ Er krächzte: „Ey, komm her“ und pfiff seinen Cousin heran wie einen verlausten Straßenköter.
Dessen Auftritt jedoch war souverän. Sein stolzer, aufrechter und trotzdem lässiger Gang erinnerte nicht im Entferntesten an einen streunenden Hund. Aslan, der Cousin, kam mir unverbraucht und gut aussehend vor. Obwohl sich dessen Äußeres, auch seine Kleidung, nicht sonderlich von dem Mann neben mir unterschied.
Aslan kam aus der Westtürkei, aus irgendeiner Kleinstadt, nahe Istanbul. Er begrüßte mich per Händedruck. Ich schämte mich für meine schmutzigen Hände, kam mir unglaublich schlecht riechend, ungewaschen vor - er schien es nicht zu bemerken.
Während die Cousins sich unterhielten, kroch meine Müdigkeit langsam wieder hervor.
Der Gegenstand der Unterhaltung blieb mir fern, einzig der interessante, nach einer fernen Heimat wohlklingende Dialekt Aslans fesselte mich, ließ mich doch offensichtlich nicht desinteressiert wirken. Erleichtert, deshalb keinen zornigen Tritt unterhalb der - durch die Sitzflächen - verdeckten Bußzone zu spüren, fing ich an, mich wohl zu fühlen.
Aslan lächelte mich ab und zu an, zu meiner Verwunderung wurde ich nun jeden Moment wacher. Erneut zu meinen Gunsten. Denn als Aslan mich ins Gespräch mit einbezog, war ich nun bereit, einigermaßen gefasst zu antworten. So fühlte ich mich zumindest.
Ob wir glücklich miteinander wären. Ich war perplex. Ich konnte mich nicht erinnern, eine solche Frage jemals beantwortet zu haben, erst recht würde mir eine derartige Frage nie von einem Mann gestellt, eher von meinen Freundinnen und Schwestern, doch meistens drangen Gespräche mit ihnen nie in diese Bereiche vor. (Vielleicht aus Angst, herauszufinden, dass wir erschreckende Gemeinsamkeiten hatten, denen wir womöglich selbst als Gemeinschaft nicht gewachsen waren.)
Auch mein Sitznachbar verzog, für mich nun merklich, die Mundwinkel. Er blickte mich scharf von der Seite an. Dann aber wandte er sich an Aslan und lächelte gequält, versucht, sich nichts anmerken zu lassen.
„Ja, Aslan, weißt du, es läuft! Wie soll ich sagen, Aslan. Wirklich ... gut!
Wir haben viel ... Ich meine - wir sind glücklich und so!
Aber erzähl uns doch mal von dir.“
Als er anfing zu erzählen, wie eine dieser Kopfschmerzbrausetabletten loszusprudeln, den Kopf voller Geschichten, merkte ich, dass Aslan fremder war als ich gedacht hatte.
Er erzählte vom Feiern. Nicht diese Art von Feiern. Nicht am Wochenende das Ventil aufdrehen, die langsam unter Platzangst leidende Luft herauslassen.
Aslan erzählte uns, wie er den Alltag zelebrierte.
Von Traumwetter. Von Lifestyle. Von Frauenbekanntschaften aus Beruf und Nachtleben. Er zeigte uns 2 Fotos. Auffallend hübsche Mädchen. Die eine, deren lange, mit zarten blonden Strähnen durchsetzte kastanienbraune Lockenpracht zusammen mit einem kessen Lächeln und rassigen schwarzen Augen von wildem Temperament zeugte, sei mit ihm herumgereist. Sie hätten wunderschöne Jahre miteinander verbracht, bis sie ihn, vor etwas mehr als einem Jahr, sitzen ließ. Er sagte, peinlich berührt, er sei immer noch nicht über sie hinweggekommen. Zwinkernd fügte er hinzu, wir sollten der kurzhaarigen Frau mit Sonnenbrille auf dem anderen Foto bloß nicht erzählen, dass er das der Wilden noch besitze. Berechtigt. Ich mutete auch seiner neuen Freundin zu, dass sie ihre Krallen sehr schnell ausfahren und benutzen würde.
Eigenartig. Mutig. Leicht hätte ich mich in Gedanken verlieren können.
Damit war ich nicht allein. Auch der Schwarzhaarige neben mir hatte sich grade eine neue Zigarette angezündet und schon seit einiger Zeit nichts mehr gesagt. Er sah bedrohlich aus. Gab angewidert das Foto der Wilden zurück. „Was habt ihr danach mit ihr angestellt?“
Aslan blickte verständnislos drein. „Mit ihr angestellt?“
„Die Ehre, Aslan, mein Freund.“ Er zischte. „Sie hat jetzt doch bestimmt keine Lust mehr auf Männer, nachdem ihr es richtiggestellt habt. Wir sind gleich da. Sag mir, wie.“
Aslan sagte gar nichts. Die Situation gefiel ihm offensichtlich genauso wenig wie mir. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein sollte, dass die Fahrt gleich vorbei war.
Mein Mann drückte die Zigarette auf dem Sitz aus, drei Zentimeter von meinem schwarzen Stoff entfernt.
„Sind da.“ Er stand unter Strom.
„Raus hier.“