Was ist neu

Dialekt

Mitglied
Beitritt
03.09.2007
Beiträge
2
Zuletzt bearbeitet:

Dialekt

Dialekt [überarbeitete Version ]

Wie ich so dasaß, den Tschador gleich einer gemütlichen Daunendecke von harten, senilen aber gutmütigen Frauenhänden glatt gestrichen, die Hände im Schoß gefaltet. Ich wollte doch die S-Bahn am liebsten zu meinem Nachtquartier machen, so viele Stunden wie möglich die Augen schließen um mich schließlich besser gewappnet einem Morgen zu stellen, der mich heute früh schon zum Kräftemessen auf dem Markt herausgefordert hatte. Wollte mich, in friedlicher Gesellschaft der müden Masse, vom Schaukeln der Waggons in den Schlaf wiegen lassen.
„Dilek! Geradesitzen! Er steigt gleich ein. Dilek! Was erlaubst du...“ Seine Stimme war hart und ohrenbetäubend, obwohl der Mann neben mir flüsterte. „Ohlsdorf, wir sind da. Da ist Aslan.“ Er krächzte: „Ey, komm her“ und pfiff seinen Cousin heran wie einen verlausten Straßenköter.
Dessen Auftritt jedoch war souverän. Sein stolzer, aufrechter und trotzdem lässiger Gang erinnerte nicht im Entferntesten an einen streunenden Hund. Aslan, der Cousin, kam mir unverbraucht und gut aussehend vor. Obwohl sich dessen Äußeres, auch seine Kleidung, nicht sonderlich von dem Mann neben mir unterschied.
Aslan kam aus der Westtürkei, aus irgendeiner Kleinstadt, nahe Istanbul. Er begrüßte mich per Händedruck. Ich schämte mich für meine schmutzigen Hände, kam mir unglaublich schlecht riechend, ungewaschen vor - er schien es nicht zu bemerken.
Während die Cousins sich unterhielten, kroch meine Müdigkeit langsam wieder hervor.
Der Gegenstand der Unterhaltung blieb mir fern, einzig der interessante, nach einer fernen Heimat wohlklingende Dialekt Aslans fesselte mich, ließ mich doch offensichtlich nicht desinteressiert wirken. Erleichtert, deshalb keinen zornigen Tritt unterhalb der - durch die Sitzflächen - verdeckten Bußzone zu spüren, fing ich an, mich wohl zu fühlen.
Aslan lächelte mich ab und zu an, zu meiner Verwunderung wurde ich nun jeden Moment wacher. Erneut zu meinen Gunsten. Denn als Aslan mich ins Gespräch mit einbezog, war ich nun bereit, einigermaßen gefasst zu antworten. So fühlte ich mich zumindest.

Ob wir glücklich miteinander wären. Ich war perplex. Ich konnte mich nicht erinnern, eine solche Frage jemals beantwortet zu haben, erst recht würde mir eine derartige Frage nie von einem Mann gestellt, eher von meinen Freundinnen und Schwestern, doch meistens drangen Gespräche mit ihnen nie in diese Bereiche vor. (Vielleicht aus Angst, herauszufinden, dass wir erschreckende Gemeinsamkeiten hatten, denen wir womöglich selbst als Gemeinschaft nicht gewachsen waren.)
Auch mein Sitznachbar verzog, für mich nun merklich, die Mundwinkel. Er blickte mich scharf von der Seite an. Dann aber wandte er sich an Aslan und lächelte gequält, versucht, sich nichts anmerken zu lassen.
„Ja, Aslan, weißt du, es läuft! Wie soll ich sagen, Aslan. Wirklich ... gut!
Wir haben viel ... Ich meine - wir sind glücklich und so!
Aber erzähl uns doch mal von dir.“

Als er anfing zu erzählen, wie eine dieser Kopfschmerzbrausetabletten loszusprudeln, den Kopf voller Geschichten, merkte ich, dass Aslan fremder war als ich gedacht hatte.
Er erzählte vom Feiern. Nicht diese Art von Feiern. Nicht am Wochenende das Ventil aufdrehen, die langsam unter Platzangst leidende Luft herauslassen.
Aslan erzählte uns, wie er den Alltag zelebrierte.
Von Traumwetter. Von Lifestyle. Von Frauenbekanntschaften aus Beruf und Nachtleben. Er zeigte uns 2 Fotos. Auffallend hübsche Mädchen. Die eine, deren lange, mit zarten blonden Strähnen durchsetzte kastanienbraune Lockenpracht zusammen mit einem kessen Lächeln und rassigen schwarzen Augen von wildem Temperament zeugte, sei mit ihm herumgereist. Sie hätten wunderschöne Jahre miteinander verbracht, bis sie ihn, vor etwas mehr als einem Jahr, sitzen ließ. Er sagte, peinlich berührt, er sei immer noch nicht über sie hinweggekommen. Zwinkernd fügte er hinzu, wir sollten der kurzhaarigen Frau mit Sonnenbrille auf dem anderen Foto bloß nicht erzählen, dass er das der Wilden noch besitze. Berechtigt. Ich mutete auch seiner neuen Freundin zu, dass sie ihre Krallen sehr schnell ausfahren und benutzen würde.
Eigenartig. Mutig. Leicht hätte ich mich in Gedanken verlieren können.
Damit war ich nicht allein. Auch der Schwarzhaarige neben mir hatte sich grade eine neue Zigarette angezündet und schon seit einiger Zeit nichts mehr gesagt. Er sah bedrohlich aus. Gab angewidert das Foto der Wilden zurück. „Was habt ihr danach mit ihr angestellt?“
Aslan blickte verständnislos drein. „Mit ihr angestellt?“
„Die Ehre, Aslan, mein Freund.“ Er zischte. „Sie hat jetzt doch bestimmt keine Lust mehr auf Männer, nachdem ihr es richtiggestellt habt. Wir sind gleich da. Sag mir, wie.“
Aslan sagte gar nichts. Die Situation gefiel ihm offensichtlich genauso wenig wie mir. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein sollte, dass die Fahrt gleich vorbei war.
Mein Mann drückte die Zigarette auf dem Sitz aus, drei Zentimeter von meinem schwarzen Stoff entfernt.
„Sind da.“ Er stand unter Strom.
„Raus hier.“

 

Hallo, Michel!

Willkommen auf Kg.de!
Deine Geschichte habe ich zunächst zweimal gelesen und dann lange darüber nachgedacht, ob und wie ich sie kommentieren soll. Ich versuche es einfach mal.
Du erzählst die Geschichte einer Muslimin, die mit ihrem groben Mann, von dem sie sich völlig entfremdet hat, oder wahrscheinlich immer schon entfremdet war, eine Bahnfahrt unternimmt, während der sie seinen Cousin treffen.
Offensichtlich legst du es darauf an, die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Männern herauszuarbeiten. Ihr Mann, von dem sie nur als "der Mann neben mir" spricht, ist ein konservativer, frauenverachtender Moslem, der auch vor "disziplinierenden" Tritten gegen das Schienbein seiner Frau, oder sogar noch schlimmerer Misshandlung, zur Wahrung der "Ehre" nicht zurückschreckt. Dem gegenüber, sein verwestlichter Cousin, der mit traditionellem, religiösen Ehrgefühl nicht mehr viel anfangen kann. Schon sein Händedruck zu ihrer Begrüßung, zeugt davon. Er löst sofort Schuldgefühle bei ihr aus, vielleicht nicht sauber genug zu sein, um einem fremden Mann die Hand zu geben. Seine Frage an sie, wie es den beiden in ihrer Beziehung geht, ist ebenfalls ein Tabu-Bruch, kein konservativ denkender Moslem würde eine solche Frage an eine Frau richten. Die Tabuisierung dieses Themas geht so weit, dass sie nicht einmal mit ihren Freundinnen offen darüber sprechen könnte. Selbstverständlich antwortet ihr Mann auf diese Frage, quasi stellvertretend für sie.
Zwischen den beiden Männern sitzt die Frau, eingehüllt in ihren Tschador, der ihr vordergründig Schutz und Geborgenheit vermittelt. Der Cousin ihres Mannes erzählt unverblümt und genussvoll über das Nachtleben und die Frauen, ja, er zeigt sogar Fotos seiner Exfrau und der neuen Freundin herum.
Den "Mann neben ihr", interessiert nur, wie die Ehre seines Cousins wiederhergestellt wurde, nachdem ihn seine Gefährtin verlassen hat. Für eine orthodoxe Muslimin ist so etwas ein schweres Verbrechen. Die Gleichgültigkeit des "Schwarzhaarigen neben ihr", gegenüber europäischer Kultur und Frauen ganz allgemein, hast du wunderbar mit der Metapher des Zigarettenausdrückens, knapp neben ihrem Tschador herübergebracht, mMn. Aber immerhin, sie steht in seiner persönlichen Rangordnung noch ganze drei Zentimeter höher, als die Sitzpolster der deutschen S-Bahn.
Ich finde, es braucht viel Mut, ein solches Thema anzupacken, mir hat die Idee deiner Geschichte jedenfalls sehr gut gefallen.
Leider gibt es einige Rechtschreibfehler in deinem Text, vor allem die Wort- und Satzstellung ist da und dort fehlerhaft. Vielleicht kuckst du dir deine Geschichte dahin gehend noch einmal an?
Hier sind ein paar Dinge, die mir beim Durchlesen aufgefallen sind, ist aber längst nicht alles:

Wie ich so dasaß, den Tschador wie eine gemütliche Daunendecke von harten, senilen aber gutmütigen Frauenhänden glattgestrichen, die Hände im Schoß gefaltet.
glatt gestrichen.
Diesen Satz würde ich anders formulieren, schon wegen der Wiederholung mit „wie“.
Vorschlag: Ich saß da, den Tschador wie eine gemütliche … glatt gestrichen und hielt meine Hände im Schoß gefaltet.

Aslan, der Cousin, kam mir unverbraucht und gutaussehend vor.
gut aussehend. (Dudenempfehlung)

Aslan kam aus Westtürkei, irgendeiner Kleinstadt, nahe Istanbul.
… kam aus der Westtürkei, aus irgendeiner Kleinstadt, nahe Istanbul.

Ich konnte mich fast nicht erinnern, einmal auf diese Frage antworten gemusst zu haben, erstrecht würde mir eine derartige Frage nie von einem Mann gestellt, eher von meinen Freundinnen und Schwestern, doch meistens drangen Gespräche mit ihnen nie in diese Bereiche vor.
„fast“ weglassen. … erst recht.
Vorschlag:
Ich konnte mich nicht erinnern, eine solche Frage jemals beantwortet zu haben. Es überraschte mich sehr, sie von einem Mann zu hören.
Eher sprach ich mit meinen Freundinnen und Schwestern über so etwas, doch meistens drangen unsere Gespräche gar nicht in diese Bereiche vor.

Wir haben viel ... Ich meine - wir sind glücklich und so!“
Widerlich glücklich.

Das „Widerlich glücklich“ würde ich weglassen, kommt auch so beim Leser an, dass es nicht stimmt.

Sie hätten wunderschöne Jahre miteinander verbracht, bis sie ihn vor etwas mehr als einem sitzen ließ.
… ihn, vor etwas mehr als einem Jahr, sitzen ließ.

3 Zentimeter.
Besser: drei Zentimeter.

„Sind da.“ Er stand unter Strom.
Vorschlag: „Wir sind da.“


Lieben Gruß,
Manuela :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke Manuela,

für deine umfangreiche Antwort. Ich muss mich für die Rechtschreibfehler entschuldigen, das kann passieren, wenn man Deutsch nur auf normalem Niveau hat (bin grad in der 13. Klasse) und - ach was red' ich, dafür gibt's keine Ausreden.

Ich hab die Geschichte hier gepostet, weil ich mir keinen besseren Ort vorstellen konnte, an dem mir konstruktive Kritik entgegengebracht würde. Meine Annahmen haben sich sofort bestätigt, echt super!

Wär' toll, wenn noch mehr sich zu dem Thema äußern würden, mich würde auch interessieren, was ihr von der Story haltet und wie ihr sie deutet (obwohl Manuela das schon nahezu perfekt gemacht hat).

Gruß,
Michel

PS: Inspiriert wurde ich von einer S-Bahn-Fahrt, an dem ich ein sich ähnlich verhaltendes Ehepaar gesehen habe. Es war widerlich, wie der Mann mit seiner Frau umgesprungen ist ... ich war total entrüstet und musste das irgendwie verarbeiten. Hab vorher nie 'ne Kurzgeschichte geschrieben, aber das schien mir das geeignetste Medium :-)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom