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Dicke Kinder sind schwerer zu kidnappen
Dicke Kinder sind schwerer zu kidnappen.
Es ist noch gar nicht so lange her, da liebte ich noch Familienfeste. Heutzutage ist es nicht mehr dasselbe, doch mit, sagen wir so zwischen sieben und elf, waren Familiengeburtstage die Lichtblicke, auf die ich zu gelebt habe. Ich war ein ziemlich übergewichtiges Kind und Süßigkeiten und ich waren die besten Freunde. Zuhause gab es für mich wenig zu lachen. Meine Mutter war sehr darauf bedacht, dass ich nicht noch dicker werde, deswegen waren Süßigkeiten, Chips und Konsorten im Umkreis von acht Kilometern unserer Küche nicht aufzufinden. Kein Wunder, dass ich es auf den Geburtstagen von meinen Cousins, Onkels, Tanten usw. richtig krachen lies. Es war für mich immer wieder wie ein Kulturschock. All die verschiedenen Dinge die ich nicht kannte und die ich unbedingt ausprobieren musste. Meine Hand steuerte fast wie von alleine die kleinen Holzschälchen an, die auf den Tischen verteilt standen. Meine Augen folgten meinen Händen, die sich wild durch Schokolade, Chips, Cola, Gummibärchen, Lasagne, Chips, Schokolade, Schokolade, Chips, Erdnussflips, Schokolade, Chips, Essiggurken, Laugenbrezel, Wurstbrot, Kuchen, Schokolade, Chips (Paprika), Schokolade, Käseplatte und Kräcker wühlten. Nach einem Kindergeburtstag war ich in der Regel drei bis vier Tage krank. Mein Magen war einiges gewohnt, doch Kindergeburtstage brachten ihn an die Grenzen des Machbaren. Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Ich war wie Arnold Schwarzenegger in Terminator, nur mit Lebensmitteln. Ich war programmiert zu vernichten und nichts auf der Welt konnte mich davon abringen. Und wenn es verlangte, dass ich stundenlang über der Kloschüssel hänge und meiner Familie schlaflose Nächte besorge, dann musste ich das in Kauf nehmen.
Dieses schamlose Spiel aus zügelloser Schlemmerei zog ich jahrlang durch, ohne schlechtes Gewissen und würde es auch mit Sicherheit auch heute noch so handhaben, wäre da nicht ein einschneidendes Ereignis, damit meine ich nicht meine Hose, in meinem Leben gewesen.
Es war auf einem Kindergeburtstag in der vierten Klasse. Ein Freund von mir hatte Geburtstag und ich konnte schon tagelang davor, vor lauter Vorfreude, nicht schlafen. Meine Mutter ahnte Schreckliches und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Ich war bereits seit Wochen mental auf den Geburtstag vorbereitet. Ich hatte schon im vornhinein geplant, wie meine Essreihenfolge aussehen wird. Doch alles kam anders als erwartet.
Sie stand auf dem Esstisch und schaute mich mit ihren braunen, schokoladig sahnigen Augen an. Eine Mohrenkopftorte. Eines der sieben Esswunder der Erde. Ich nahm zwei Stücke und genoss jeden Bissen, den ich ohne zu kauen hinunter schluckte. Man nannte mich auch die Danny de Vito Version einer Anakonda. Wenige Stunden später hing ich über der Kloschüssel. Business as usual, dachte ich, doch ich schien falsch zu liegen. Denn auch am nächsten Tag hing ich über der Kloschüssel. Es waren Salmonellen. Der Erzfeind eines jeden Zuckersüchtigen.