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Die Übel der Routine
Der Rohbau war kalt. Er kniete sich in eine unbequeme Hockhaltung. Aus der zerbeulten Aktentasche zog er die Tageszeitung der Stadt und legte sich diese über die Knie. Er griff in die Außentasche seines abgewetzten, mit Kalkflecken übersäten Blaumanns und wickelte die mit dünnem Papier umwickelten Brote aus. Was sie wohl draufgelegt hatte, dachte er flüchtig. Die ausgewickelten Brote dufteten. Bevor er hineinbiss, roch er daran.
Der Geruch erinnerte ihn an etwas. Er überflog die Schlagzeilen ohne zu verstehen, was diese bedeuteten. Der Geruch erinnerte ihn an seine Kindheit, an heitere warme Sommer in Mecklenburg. Ende August dufteten die Felder im Ort nach Getreide. Mit verbunden Augen, konnte er damals alle Getreidesorten an ihrem Geruch erkennen. Nur mit dem Weizen und der Gerste klappte es nicht immer auf Anhieb.
Der Gedanke machte ihn traurig. Warum war er hier, in einem kalten Rohbau im November, in einer lauten Stadt, in der er sich nicht zu orientieren wusste?
Er nahm das zweite Brot und zog die Brotscheiben auseinander. Eine Seite war ein wenig mit Butter beschmiert, die andere trocken draufgelegt. Kein Salz auf dem Käse. Ein Stück Wurst, hatte sie vergessen.
Während er sein Brot kaute, ließ er die Augen weiter über die Schlagzeilen gleiten. Wieso hatte er herkommen müssen und warum war er nicht einfach in Mecklenburg geblieben? Er hätte im Spätsommer den Weizen eingefahren und wäre am Abend barfuß den Strand entlang gelaufen. Wie lächerlich, dachte er.
Er stellte sich kurz auf, da seine Beine eingeschlafen waren und hockte sich mühevoll wieder hin. Als er den Sportteil beendet hatte, nahm er das dünne, übergebliebene Papier. Aber es roch nach nichts mehr, jedenfalls nichts, das ihn an etwas erinnerte.
Der Rohbau war kalt. Er mühte sich schwer aus seiner Hocke, beließ das Papier auf dem kalkigen Estrich. Er ging zurück an die Arbeit.