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Die abendliche Odyssee des Frank Wegele

adi

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21.03.2004
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Die abendliche Odyssee des Frank Wegele

„Du kommst spät.“, murmelte Margret Wegele, als ihr Mann den Raum betrat.
„Ich habe verloren.“, sagte Frank Wegele und legte sich zu ihr ins Bett.
Sie nahm ihn in den Arm und strich ihm durchs Haar.
„Kelly sagte, Du wärest heute auch in der Schule gewesen.“, flüsterte sie.
„Tatsächlich?“
„Sie sei zufällig vorbeigefahren und hat Dich aus dem Auto aussteigen sehen.“
„Ja, richtig. Ich hatte heute noch etwas Zeit vorm Tennis und wollte nachkommen zu dem Elternabend. Aber ich hab den Raum nicht gefunden.“
„Das ist ja schade. Tommy hätte sich gefreut. War der Raum denn nicht ausgeschildert?“
„Sag mal, traut Kelly mir eigentlich immer noch nicht?“
„Wieso?“
„Findest Du’s nicht komisch, dass sie Dir sofort erzählt, wo sie mich wann gesehen hat?“
„Ja, Du hast schon Recht…sie ist immer noch ein wenig misstrauisch, seit diesem einen Mal, als… Du weißt schon… als sie, wie sie behauptet, Dich mit Monika gesehen hat.“
„Dacht ich’s mir.“
„Hey, ich find’s ja auch übertrieben. Weißt Du, als ich ihr am Telefon gesagt habe, Du wärest trotzdem nicht auf dem Elternabend gewesen, da hat sie mir sogar geschworen, dass sie Dich gesehen hat. Sie sagte: ‚Ich schwöre bei Gott, dieser Mann stand um acht vor der verdammten Schule!’“
„Um acht Uhr?“
„Ja, acht Uhr. Das hat sie gesagt. Warum?“
„Ja, stimmt, es war ja schon acht.“
War das möglich? Das war absurd. Aber tatsächlich: ausgerechnet Margrets Freundin Kelly, die hinterhältige Spionin, war es, die Frank Wegeles Kopf aus der Schlinge holte. Und das auch noch in böser Absicht, einfach, weil sie zu blöd war, eine Uhr zu lesen…


Auf dem Heimweg fiel Wegele ein, dass seine Frau und sein Sohn ja in der Schule auf einem Elternabend waren. Die Schule lag auf dem Weg und so hielt Wegele kurz an und stieg aus. Sollte er jetzt reinplatzen? Ein Wagen fuhr vorbei, aber er beachtete ihn nicht. Es war neun Uhr. Vor einer Stunde war er auf der Brücke gewesen. Von der Brücke zur Schule brauchte man 20 Minuten mit dem Auto. Was wäre das für ein grottenschlechtes Alibi! Wegele ärgerte sich über seine Naivität, drehte sich um und fuhr wieder. Er fuhr aus der Stadt, auf die Landstraße, kilometerlang geradeaus durch die Dunkelheit. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er der sich zuziehenden Schlinge entkommen sollte. Die einzige Chance war, dass die Polizei so nachlässig wäre und nicht bei ihm forscht. Eine zweifelhafte Chance. Wegele fuhr weiter, ohne zu wissen wohin. Erst als genug Zeit verstrichen war, dass seine Frau glauben könnte, er wäre beim Tennis gewesen, kehrte er um.


Monika Wegele öffnete die Tür und schien sehr überrascht.
„Was machst Du hier?“
„Monika, wir waren verabredet.“
„Ja. Morgen.“
„Morgen? So ein Quatsch. Montag, acht Uhr, so hatten wir’s abgemacht.“
Es war längst nach acht. Wegele hoffte inständig, dass Monika nicht auf die Uhr sehen würde. „Lass mich jetzt bitte rein, ich will nicht, dass mich jemand sieht.“
Seit ihn Kelly, die Freundin seiner Frau, einmal mit Monika gesehen hat, war er vorsichtiger. Sie ließ ihn eintreten und schloss die Tür. Dann sah sie ihn lange und eindringlich an.
„Was ist?“, fragte Wegele ungeduldig.
„Frank…ich kenne Dich.“
„Ach was!“
„Du hast was angestellt.“
„Ich hab was?“
„Gib’s schon zu.“
Wie auch immer sie es geschafft hatte, sie war ihm auf die Schliche gekommen. Sie kannte ihn tatsächlich gut, viel besser als ihm lieb war. Überlisten konnte er sie nicht mehr – er musste sie bitten, ihm zu helfen.
„Es ist was Schlimmes passiert.“
„Oh nein! Was hast Du vor, Frank? Du hast was angestellt… und jetzt willst Du, dass ich, wenn jemand fragt, sagen kann: ‚Frank Wegele war mal wieder den ganzen Abend bei mir und wir haben nach allen Regeln der Kunst miteinander geschlafen.’?
„Monika…bitte!“
„Nein, mein Lieber, diesmal nicht. Als Du damals auf diesen Bürgerlichkeitstrip gekommen bist, weil das besser in der Firma ankam, konntest Du Dich auch plötzlich von mir scheiden lassen, um mit so einer blöden Sekretärin eine Familie zu gründen! Dann kann ich Dich auch im Stich lassen, wann es mir passt!!“
Überlisten funktionierte nicht. Mitleid erregen half nicht. Diese Frau war der Teufel. Er hatte verloren.


Pünktlich um acht Uhr stieg Wegele aus dem Auto und ging gebeugt zu dem korpulenten Mann auf der Brücke. Beide starrten schweigend auf die Straße unter ihnen. Dann brach der andere Mann das Schweigen.
„Bringen wir’s hinter uns.“
Wegele nickte und gab ihm einen Koffer. Der Mann kramte eine Liste aus seiner Tasche und öffnete den Koffer, dann überflog er die Namen der darin enthaltenen Mappen. Plötzlich hielt er inne.
„Wo sind die anderen, Wegele?“
„Sie meinen die ab der 17? 17 bis 24, nicht wahr? Da stand nirgends Ihr Name, deshalb hab ich die dagelassen…“
„Sie haben die Akten 17-24 nicht mitgenommen, Wegele?“
„Äh…nein, wie gesagt, da war nicht Ihr Name…“
„Sie gottverdammter Idiot!“ schrie der Mann. „Ich weiß, dass da nicht mein Name drauf stand! Aber jetzt, wo nur Akten mit meinem Namen fehlen, weiß jeder in der Firma, wer dahinter steckt! Sie haben alles nur noch viel schlimmer gemacht, Wegele!“ Der Mann schnappte nach Luft, er war außer sich. Wegele zitterte plötzlich, denn er ahnte, was es bedeutete, diesen Mann als Gegner zu haben. Er musste ihn beschwichtigen.
„Ich krieg das hin. Ich geh noch mal rein und nehme noch mehr Akten mit!“
„Sind sie wahnsinnig? Die haben doch längst gemerkt, dass da was nicht stimmt und wenn Sie da noch mal reingehen, dann haben die uns! Es gibt keine Chance mehr, ich bin am Ende – Sie, Wegele, Sie sind am Ende! Das werden Sie noch bereuen, Sie Versager…“
Mit dem Mann hatte er es sich verscherzt, die Lage war aussichtslos. Nein, nicht ganz, es gab noch einen Weg der Schadensbegrenzung, aber der war höchst unbequem. Noch einmal ging Wegele schnell alle anderen Möglichkeiten durch, aber nichts half. Der unbequeme Weg war tatsächlich der einzige, der seine Lage nicht verschlechterte. Er vergewisserte sich, dass sie alleine waren, dann gab er Eisenzopf einen kräftigen Stoß nach vorne. Der verlor das Gleichgewicht und kippte nach vorne über das Geländer. Während er fiel, dachte er noch: „Das ist das Ende – es sei denn, mir fällt jetzt etwas Kluges ein.“ Dann schlug er auf. Unten auf der Straße konnte ein Wagen gerade noch ausweichen.
Wegele war klar: er musste weg. Innerlich kochte er vor Anspannung, aber er war hochkonzentriert. Er brauchte jetzt ein Alibi. Margret dachte, er sei bei seinem Freund Gregor zum Tennis spielen und würde das auch der Polizei versichern. Doch die Ausrede Gregor taugte gerade dazu, Margret mit Monika zu betrügen. Sobald die Polizei die Sache prüfte, würde auffallen, dass Gregor gar keine Tennishalle besäße. Er war nur ein junger Kollege, der in Frank Wegeles Schuld stand.
Das konnte nicht funktionieren. Wegele brauchte ein anderes Alibi. Und er wusste schon, wen. Er stieg in sein Auto und fuhr los.


„Mein lieber Wegele, kommen Sie doch gerade mal mit in mein Büro.“
Es war Nachmittag, nicht mehr lange bis zum Feierabend. Wegele stand von seinem Tisch auf und folgte dem dicken und ungeliebten Vorgesetzten Rüdiger Eisenzopf. Auf dessen Kopfnicken hin schloss er die Tür hinter sich.
„Wegele, es gibt ein Problem. Der Chef des Aufsichtsrats hat mich eben angesprochen. Die Entscheidung zu meiner Beförderung findet schon morgen statt.“
Wegele nickte.
„Alles verschiebt sich also ein wenig.“, fuhr Eisenzopf fort. „Wir müssten uns daher schon heute treffen.“
„Das ist sehr knapp.“
„Das weiß ich selbst. Aber Sie machen das schon. Denken Sie immer dran: wenn Sie nicht diese verfluchten Daten vernichten, die mich eines Tages den Job kosten könnten, dann hätte ich keinen Grund, Sie als meinen Nachfolger zu empfehlen. Und Sie wissen wie ich, dass Ihre Chancen auf den Posten ohne meine Empfehlung sehr schlecht aussehen.“
Ja, das wusste Wegele.
„Vortrefflich, wir sind uns einig. Wir treffen uns heute um acht Uhr, Sie wissen ja wo. Bringen Sie alles mit, ich möchte mich vergewissern, dass Sie nichts vergessen haben. Und wehe, Sie vermasseln es, junger Freund. Dann gnade Ihnen Gott. Viel Glück.“
Wegele verließ das Büro. Ihm war nicht gut. Er hatte das Gefühl, dass dies ein unangenehmer Tag werden könnte. Einer, der nicht gut enden könnte. Und dieses Gefühl ließ sich auf den besten Willen nicht abstellen…

 

Hi adi,

das Rückwärtserzählen ist zwar nicht nuue, gefällt mir aber trotzdem.

Ich sehe in deiner Geschichte einen Logikfehler und zwei unrealistische Elemente:

War der Raum denn nicht ausgeschildert?“
später in der Geschichte wird gesagt, dass die Frau selber beim Elternabend war ...
Es war neun Uhr. Vor einer Stunde war er auf der Brücke gewesen. Von der Brücke zur Schule brauchte man 20 Minuten mit dem Auto.
er hat vierzig Minuten gebraucht, um den Chef zu eliminieren?
Das zweite Unrealisitische ist, dass Kelly 8 mit 9 verwechselt ... das ist viel zu konstruiert.

Abgesehen davon (und den RS- und ZS-Fehlern), hat mir die Geschichte aber gefallen.

Tserk!

 

Danke für den Kommentar, Tserk.

Bei einem Aspekt geb ich dir Recht: es ist tatsächlich unrealistisch, dass sich eine Person um eine gesamte Stunde vertut. Als Pointe wäre das sehr dürftig gewesen. Daher hab ich alles rückwärts erzählt, damit dieser ungewöhnliche Fehler quasi zum Ausgangspunkt wird.

Den Satz "War der Raum denn nicht ausgeschildert?" kann jemand, der da war, genauso gut sagen wie jemand, der nicht da war. Er drückt einfach nur aus, dass Margret sich nicht sicher ist (was ja auch dadurch kommt, dass ihr Mann sie sonst mit Sicherheit gefunden hätte). Sie könnte die Schilder schlicht übersehen haben, da ihr Sohn dabei war.

Er hat vierzig Minuten gebraucht, um den Chef zu eliminieren?
Nein. Er hat vierzig Minuten gebraucht, um den Chef zu eliminieren, zu Monika zu fahren, mit Monika zu reden und dann zur Schule zu fahren.

Nochmals danke und lieben Gruß,

adi

 

Hallo, adi.

Mir hat die Geschichte eigentlich recht gut gefallen, stilistisch kann ich mich wirklich nicht beschweren, auch wenn Du stellenweise einige sprachliche Klischees verwendest. Aber es ist halt eine Kriminalgeschichte, das kommt man um die ja fast nicht drumherum.

Der Weg, die Geschichte in Episoden von hinten nach vorne zu erzählen, ist ebenfalls gut umgesetzt. Ich muß dennoch ein bißchen mäkeln. ;)

Zunächst scheint mir Dein Zeitmanagement nicht so ganz zu funktionieren. Frank Wegele kommt nach Hause, seine Frau spricht ihn darauf an, daß er noch in der Schule war, er sagt, ach ja, er habe noch etwas Zeit gehabt nach dem Tennis, aber den Raum nicht gefunden. Soweit okay, aber wo war er zwischen seinem Wegfahren von der Schule und seiner Heimkehr. Das müßten nach der Uhrzeitverrechnung von Margrets Freundin ja dicke ein bis zwei Stunden gewesen sein. Da hat er aber ein Seelchen von Frau, daß sie sich dafür nicht brennend interessiert, was?

Dann die Sache mit Franks Ex-Frau. Das Verhältnis (sowohl menschlich als auch sexuell) ist mir nicht ganz klar geworden. Insbesondere setzt er sich ja dadurch in die Nesseln, daß er ihr quasi gesteht, daß er Murks gebaut hat. Eigentlich müßte er sie ja auch zum Schweigen bringen, denn wenn Gregors "Tennis-Alibi" sich als Finte herausstellt, um Franks Affäre mit seiner Ex zu decken, wird diese Ex ja von der Polizei auch befragt werden. Und so wie es sich anhört, wird sie ihn diesmal nicht decken wollen. Eigentlich steckt er richtig tief in der Patsche.

Und drittens: Die Entscheidung, den Chef von der Brücke zu stoßen, fällt Frank für meine Begriffe ein bißchen zu leicht: "Ui, jetzt steck ich aber in der Patsche, was mach ich denn, ich hol mal den Taschenrechner raus, tipptipptipp, aha: Ich muß ihn also von der Brücke schmeißen, dann mach ich das mal. Zack!" An dieser Stelle könntest Du die vertrackte Situation, in der er steckt, nochmal richtig aufarbeiten, am besten auch gleich emotional, immerhin zieht sich hier eine Schlinge um Franks Hals zu. Und wenn dann die Einsicht, daß der Schmiß von der Brücke die wirklich einzige Möglichkeit ist, sich zumindest vorerst das Ungemach vom Halse zu schaffen, dann kommt das als eine Verzweiflungstat auch glaubwürdiger rüber. So wirkt Frank wie ein fühlloser Profikiller, der lediglich diesmal versäumt hat, sich ein Alibi zurechtzulegen.

Daß Du den Chef im Fallen etwas denken läßt, ist übrigens ein Bruch der Perspektive, die Du gewählt hast. Hier wirst Du plötzlich allwissend, während Du vorher eigentlich alles aus der eingeschränkten Sicht Frank Wegeles geschildert hat. Ich würde das vielleicht weglassen, mich jedenfalls hat es beim Lesen irritiert.

Ürbigens, wirklich sympathisch kommt Frank nicht rüber, eher als selbstsüchtiger, schleimiger Zivilversager. Soll er vermutlich aber auch nicht. Wenn dem so ist, hast Du das durchaus gut umgesetzt.

Fazit: Eine gute Idee, an der Du vielleicht inhaltlich noch ein wenig feilen solltest, vor allem, um die Situationen und Charaktere noch ein bißchen glaubwürdiger zu machen.

Lieben Gruß

bvw

 

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