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Die Abrechnung

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23.12.2008
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Die Abrechnung

Er lockerte seine Krawatte, strich seinen Anzug glatt, atmete tief ein und dann wieder aus. Er legte seine Hand auf die Türklingel, drückte sie jedoch nicht , aus Angst vor dem, was sich dahinter befand.

Fast ein Jahr hatte er ihn jetzt schon nicht gesehen. Ein Jahr voller Einsamkeit, Trauer, Schmerz und Leid. Vor allem aber Furcht. Furcht vor ihm. Furcht vor diesem Tag, dem Tag des Wiedersehens, dem Tag der Abrechnung.

Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und klingelte endlich.

Sein kleiner Sohn öffnete die Tür. Er blickte aus den vertrauten, runden Augen zu ihm hinauf. Er merkte förmlich, wie der Ausdruck des Sohnes sich veränderte. Von dem unschuldigen, kindlichen Lächeln, in puren Hass.

Er nahm seinen Kleinen jedoch in den Arm, drückte ihn an sich, fester denn je. Dieser fing an mit seinen Beinen zu zappeln und mit seinen kleinen Fäustchen auf ihn einzuschlagen.

“Ich hasse dich, ich hasse dich Papa! Warum bist du da? Lass mich los, geh weg! Ich hasse dich! Deinetwegen war meine Mama sehr traurig und hat ganz oft geweint. Keiner bringt meine Mama zum weinen! Ich hasse dich! Geh weg, wie du es schon einmal getan hast!”

Doch er rührte sich nicht, ließ ihn nicht los, drückte ihn nur noch fester an sich.

Immer noch schlug sein Sohn auf ihn ein, Tränen liefen ihm über die Wangen.

Er sagte nichts. Versuchte nur, ihm all die Liebe, auf die sein Kleiner die letzten Monate verzichten musste, in diesem Augenblick zu schenken.

“Wer ist da Maximilian?”, ertönte die warme Stimme seiner Frau aus der Wohnung.

Keine Antwort. Sein Sohn verstummte allmählich, man hörte nur noch ein leises schluchzen. Er vergrub sein Gesicht in der Brust seines Vaters.

“Papa ich hab dich so lieb. Du hast mir so gefehlt. Bitte verlass uns nie wieder.”

“Maximilian, Liebling, wer ist denn gekommen?”

Ihr fiel die Tasse aus der Hand und zersprang in tausend kleine Teilchen als sie ihn erblickte.

Er nahm seinen Sohn auf den Arm und umarmte stumm seine Frau.

“Es tut mir leid.”


Nadine Hassan

 

Hallo, NADU!

Bei dieser Geschichte fehlt mir das gewisse Etwas.
Also, ein Mann kommt nach einem Jahr zurück nach Hause und das wärs eigentlich. Wo war er ein ganzes Jahr? Warum ist er weggegangen?

Zitat:
Ein Jahr voller Einsamkeit, Trauer, Schmerz und Leid.

Das fühlte der Zurückgekehrte, als er irgendwo ein Jahr lang war. Wenn er das alles verspürt hat, warum ist er dann nicht eher zurück gekommen.

Dann kommt sein Sohn. Wie alt ist er? - Nach der knappen Beschreibung ist er noch sehr klein. Deswegen denke ich, seine Reaktion wäre eine andere gewesen, bspw. er wäre weggerannt, hätte seine Mutter gerufen oder so. Aber er hätte bestimmt nicht solche Dinge gesagt, die im übrigen nicht einmal ein etwas Älterer gesagt hätte, - ist einfach unrealistisch und lang.
Wenn schon was sagen, dann hätten - "Ich hasse dich!" oder "Warum bist du zurück gekommen?" ausgereicht.

Dazu kommt noch: Die Mutter hat bestimmt irgendwie die Abwesenheit des Vaters dem kleinen Sohn erklärt, oder nicht? - Dann hätte der Junge noch mal anders reagiert: überrascht, verängstigt oder so ...

Zitat:
Er nahm seinen Sohn auf den Arm und umarmte stumm seine Frau.
“Es tut mir leid.”


Stumm = Dialog - das passt irgendwie nicht zusammen.
Entweder er umarmt die Frau und sagt nichts (stumm); oder er umarmt sie und sagt seinen einzigen Satz.

Also, für mich war das nichts.


mfg
Geert

 

hallo NADU,

ich fange mal bei dem an, was mir an der Geschichte gefallen hat. Da wäre zum einen der formale Aufbau. Die Zerrissenheit, die der Mann in sich spürt

Er legte seine Hand auf die Türklingel, drückte sie jedoch nicht , aus Angst vor dem, was sich dahinter befand.

Fast ein Jahr hatte er ihn jetzt schon nicht gesehen. Ein Jahr voller Einsamkeit, Trauer, Schmerz und Leid. Vor allem aber Furcht. Furcht vor ihm. Furcht vor diesem Tag, dem Tag des Wiedersehens, dem Tag der Abrechnung.

Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und klingelte endlich.


und die er scheinbar auch in die Familienstruktur getragen hat, bildet sich in den vielen kleinen Absätzen ab. Das gefällt mir, denn es zeigt, dass du dir bei der Geschichte und ihrer Präsentation einige Gedanken gemacht hast.
Ich mag es an Geschichten auch, wenn man sich selbst einen Teil denken darf/muss. In diesem Fall gibt es allerdings ein paar semantische Leerstellen zuviel, sodass der beim Lesen wichtige Wahrnehmungsprozess gehemmt wird. Vor allem die Frage nach Alter des Mannes, des Sohnes und dem Auffenthaltsort, sowie dem Grund dafür. Ich persönlich habe folgende Erklärung für die Abwesenheit gefunden: Evtl. ein Auslandseinsatz von der Bundeswehr (falls die Geschichte überhaupt in Deutschland spielt)? Das würde nämlich auch erklären, warum er trotz der Trauer und Sehnsucht nicht einfach nach hause gehen konnte. Trotzdem bleibt der fade Beigeschmack, dass man als Leser nciht in die Geschichte findet. Das ganze gipfelt dann auch in dem sehr künstlichen Monolog des Jungen.

“Ich hasse dich, ich hasse dich Papa! Warum bist du da? Lass mich los, geh weg! Ich hasse dich! Deinetwegen war meine Mama sehr traurig und hat ganz oft geweint. Keiner bringt meine Mama zum weinen! Ich hasse dich! Geh weg, wie du es schon einmal getan hast!”

Das wirkt sehr aufgesetzt. Vor allem das erste "meine Mama" klingt für mich sehr entfremdend. Ich möchte hier allerdings nicht soweit gehen, die Verfremdung durch ausgewählte Worte als Parabel auf die Gesamtstruktur des Textes zu interpretieren. Dazu wäre es als Stilmittel zu sporadisch und inkonsequent eingesetzt worden. Somit bleibt der Monologpart eher ungeglückt und müsste überarbeitet werden. Hier wäre weniger sicher mehr. Lass den Jungen weniger mit Worten, sondern mehr mit Taten und Mimik sprechen. Dort zeigen sich Emotionen nämlich immer zuerst.
Wie du merkst, habe ich Spaß daran, über die Geschichte nachzudenken, doch es ist bei so vielen offenen Fragen irgendwann entmutigend, wenn man keine Antworten bekommt.
Ich hoffe, dass ich dir mit der Kritik ein bisschen helfen konnte. Der Ansatz gefällt mir gut, verträgt aber noch eine Menge feinschliff.

Liebe Grüße,
Seelenschmied

 

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