Was ist neu

Die Abweichung von der Ideallinie

Mitglied
Beitritt
14.03.2005
Beiträge
215
Zuletzt bearbeitet:

Die Abweichung von der Ideallinie

Die Abweichung von der Ideallinie


„Frau Seibolt-Weißenborn, reichen Sie mir bitte doch mal die Schablone für die Charakterherausarbeitung für Protagonisten.“
„Bitte sehr!“
„Danke sehr! ... Also die elf Fixpunkte für gute Herausarbeitung des Hauptcharakters wurden hier aber nicht ganz getroffen. Schauen Sie mal!“
„Ja, jetzt sehe ich es. Von den elf Punkten sind hier gerade mal neun getroffen. Ich würde sagen, damit ist der Protagonist dieser Geschichte nicht ganz klar definiert. In den Papierkorb?“
„Würd’ ich sagen. Schreiben Sie dem Autor … schreiben Sie besser nix.“
„Herr Mellenkamp, ich hab' hier eine Abweichung von der Plotparabel. Ich würde sagen nur zu 87 % getroffen.“
„Zeigen Sie mal … Legen Sie es erstmal auf den Mal-Sehen-Stapel. Wir sind ja noch nicht mit allen Geschichten durch. Wie viele Perspektivwechsel?“
„Ich glaub’ zwei oder drei.“
„mmhh … zu komplex für ne’ Kurze! Papierkorb!“
„O.K.! … Die hier ist gut. Die Entwicklungskurve zeigt eindeutig eine Steigerung an. Haben wir da irgendwelche Vorlagen?“
„Muss ich mal schauen. Die Dramatische Entwicklungskurvenschablone oder die für charakterliche Weiterentwicklung der Protagonisten?“
„Ähm … warten Sie mal, ich seh’ schon, die Exposition hier ist für eine Kurzgeschichte eh viel zu lang. Da brauch’ ich jetzt wegen der Entwicklungskurve auch keinen Aufriss mehr machen.“
„Haben Sie das genau nachgeprüft? Schließlich geht es bei diesem Wettbewerb um ganz schön viel Geld.“
„Naja, die vorgeschriebene Expositionslänge ist um dreizehn Schriftzeichen überschritten worden, ohne Leerzeichen.“
„mmhh … Nee, da können wir keine Ausnahme machen!“
„Und was ist hier mit? Keine Pointe, abrupter Schluss? Herr Mellenkamp?“
„ … Ich glaub’ ich habe die Entwicklungskurvenschablone gefunden. Mal sehen ‚Anwendung zur Prüfung des dramatischen Erzählaufbaus mit Steigerung, des Voranschreitens der Handlung auf den Höhepunkt zu blablabla…. Ich glaube wir können die Schablone hier verwenden. So, die Kurve geht hinten eindeutig nach oben … versteh ich nicht. Wie soll das hier gehen?“
„Na laut Definition müsste sich die Handlung auf einen Kulminationspunkt zu bewegen und dann einen abrupten Umschwung nehmen. Deswegen ja Kurve hoch, und dann plötzlich runter. Wie bei der Schablone. Und der Abfall der Kurve soll dann den Umschwung des Geschehens repräsentieren. Aber bei der hier geht die Kurve nur nach oben.“
„mmhh…keine Übereinstimmung. Papierkorb!“

Einige Zeit und viele Schablonierungen später.

„Sooooo, Frau Seibolt-Weißenborn, wir haben einen Gewinner.“
„Wurde ja auch langsam Zeit.“
„Moment, ich schau mal eben auf den Titel. „Die Abweichung von der Ideallinie“ Naja, haut mich nicht so um der Titel, aber er hat halt gewonnen. Übermitteln Sie das dem Autor. Warten Sie mal, wie heißt der? Können Sie das lesen? Scheint irgendwie Arabisch zu sein.“
„Sahd Iirhae Pah’ Bst.“
„Er kann sich den Scheck dann nächste Woche abholen.“
„Alles klar, Herr Mellenkamp.“

 

Tut mir Leid, dass hier schon wieder was von mir steht, aber ich leide in letzter Zeit unter erhöhtem Geschichtenauswurf. Aber ich glaube, dass die Symptome schon schwächer werden.

 

Hey Andrynowaka,

„Frau Seibolt-Weißenborn, reichen Sie mir bitte doch mal die Schablone für die Charakterherausarbeitung für Protagonisten.“
Charakter-Heraus-Arbeitung ist wirklich ein Wort-Ungetüm, Bindestriche helfen da einfach; von Protagonisten würde ich empfehlen; Aber es ist natürlich eine bürokratische, wörtliche Rede – von daher

„Herr Mellenkamp, ich hab hier eine Abweichung von der Plotparabel. Ich würde sagen nur zu 87 % getroffen.“
Mellenkamp? Hm … ;)

Schließlich geht es bei diesem Wettbewerb und ganz schön viel Geld.
Um, nicht und

„Sahd Iirhae Pah’ Bst.“
Boah, das Glücksgefühl, wenn man erst zehn Minuten wie nen Idiot davor steht, versucht es rückwärts und auf dem Kopfstehend zu lesen, nur um dann zu kapieren, dass man es laut aussprechen muss. ;)

Ja, ist schon ne nette Geschichte finde ich. Wobei das so eine Sache ist: Die Verlierer von solchen Ausschreibungen schimpfen halt gerne auf die Inkompetenz der Juroren und dass sie nichts ausprobieren (wobei auch ich der Ansicht bin, dass gerade die „wichtigen“ Preise, Open Mike z.B., jedes Jahr an Texte gehen, die … na ja, die nicht meinem Geschmack entsprechen, nicht weil sie zu schablonenhaft wären, sondern weil sie mir in ihrer artifiziellen, kokettierenden Intellektualität so was von zu wider sind ). ;)

Ich muss bei solchen Schablonen (die es ja tatsächlich gibt, nur heißen sie Plot-Points oder ähnliches) immer an das Computer-Spiel „Movies“ denken. Dort konnte man einen kleinen Film planen und der Handlungsablauf war für jede Sparte schon vorgegeben (Einführung-Konflikt-blablabla), das gibt es also durchaus. Und – noch ein letztes : „Club der toten Dichter“, die Szene wenn Williams sie auffordert die Bewertungstabelle aus dem Buch zu reißen.

War nett
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Genau diese Szene aus "Club der Toren Dichter" plus eine Begründung einer Preisverleiung bei irgendeinem Litearturwettbewerb(hab ich irgendwo in Netz gelesen) plus Kritiken von Kurzgeschichten auf anderen Kurzgeschichteninternetportalen(schönes Wort) waren die Intentionen für diese Geschichte.

Ich habe erst einmal bei einer Ausschreibung mitgemacht und Erfolg gehabt("Das Sterben ist ästhetisch bunt"). Ich bin also was das angeht nicht vorbelastet.

 

Hallo Angrynowaka

Angry? Keineswegs, die Geschichte hat mir gefallen, vor allem wegen des "goldenen Schnitts" gegen Ende.
Für meinen Geschmack hat somit diese Anhäufung von literarischem Bewertungsgelaber genau die richtige Länge, nicht mehr und nicht weniger.

Gruss vom Sahd Iirhae Lehh’ Sar dot

 

Hallo

Mir hat die Geschichte ganz gut gefallen:)
Einige Fehler habe ich jedoch entdeckt.

„O.K.! … Die hier ist gut. Die Entwicklungskurve zeigt eindeutig eine Steigerung an. Haben wir da irgendwelche Vorlagen.“

Am Schluss sollte da ein Fragezeichen stehen, wenn ich mich nicht irre.

„Moment, ich schau mal eben auf den Titel? „Die Abweichung von der Ideallinie“ Naja, haut mich nicht so um der Titel, aber er hat halt gewonnen.

Hier hingegen würde ich das Fragezeichen weglassen.

Sonst habe ich nichts zu meckern.

 

Hallo Angrynowka,

nettes kleines Häppchen für Zwischendurch und hat mir gefallen, auch, wenn sich nach ein paar Sätzen die Story ansich nicht mehr so recht weiter entwickelt. Das hab ich herausgefunden, nachdem ich die Spannungsschablone angsetzt habe. :D

Tut mir Leid, dass hier schon wieder was von mir steht, aber ich leide in letzter Zeit unter erhöhtem Geschichtenauswurf. Aber ich glaube, dass die Symptome schon schwächer werden.
Nee, ist scho Recht, kannst ruhig weiter pinseln. Auch gerne in der Satire. Jedoch habe ich einen sehr dringenden Wunsch an dich: bitte bedenke, dass es hier jede Menge Autoren gibt, die mit ihren Geschichten ebenfalls auf eine Kritik warten und ganz gewiss auch auf DEINE !

Lieben Gruß
lakita

 

Ich hab in letzten Wochen schon einiges kommentiert. Mehr als in den letzten zwei Jahren zusammen. Ich bin halt nicht der Kritiker oder Korrekturtyp. Ich sag bloß, ob es mir gefällt oder nicht.

 

Ich bin halt nicht der Kritiker oder Korrekturtyp. Ich sag bloß, ob es mir gefällt oder nicht.
:thumbsup: Gut!

Es gibt nicht DEN KRITIKER !!!
Jede Stellungnahme zu einer Geschichte ist willkommen, solange sie sich nicht auf nur drei Worte beschränkt. Reine Stellungnahmen wie einem etwas gefallen hat, sind genauso wichtig wie Korrekturvorschläge, Textanalysen und und und.
Was ich grad hier auf kg so angenehm finde, ist, dass es eine Vielfalt an Lesern und Kritikern gibt. Jeder ist anders, jeder hat eine andere Herangehensweise. Diese bunte Mischung finde ich wunderbar. Somit gehört auch deine Art, etwas zu Geschichten zu äußern unerlässlich dazu.

 

ich tu mich halt mit dem Kritisieren immer schwer, und bevor ich Mist erzähle, kritisier ich lieber gar nicht

 

Hallo Angrynowaka

ich habe mich gut unterhalten, der Schluss hält gleich zwei nette Extras parat, was will man mehr.
Und passt wunderbar in diese Rubrik, d.h. kein Humor-Irrläufer.

Immerhin wird in kg.de zwischen Humor und Satire unterschieden, zwischen "Horror" und "Grusel" leider nicht.

Beste Grüße,
nic

 

Ich freue mich, dass ich anscheinend mal wieder was Gutes verzapft habe.

Danke, Danke!*verbeug*

 

Hi,

mir hat's gefallen denn für mich ist das nicht nur eine Kommetierung der Wettbewerbe um Geschichten, sondern um Wettbewerb allgemein. Mit etwas Abstraktionsvermögen kann man das auch auf seine alltägliche Arbeit übertragen und von daher fand ich die Idee extrem gut.
Grüße,
Tyll

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom