Die Alge der Gerechtigkeit
An einem stürmischen Wintertag klopfte einmal ein Wanderer an die Türe unseres abgelegenen Hauses. Er hatte sich verlaufen und suchte bei uns Zuflucht für die Nacht, die schon hereinbrach. Er setzte sich zu uns ans Kamin und erzählte was ihn in eine so abgelegene Gegend getrieben hatte. Er sei auf der Suche nach einem Keim, erzählte er, ein Algenkeim. Eigentlich existiere dieser Keim noch gar nicht, er sei mehr auf der Suche nach jemandem, der ihm erkläre, wie man einen solchen Keim erschaffen könne. Wir verstanden ihn nicht und sagten ihm, dass wir ihm nicht weiterhelfen können, da wir nicht viel von Keimen verstehen, um genau zu sein wissen wir nicht mal genau was so ein Keim überhaupt ist. Er entgegnete, dass das nichts mache, wahrscheinlich könne ihm sowieso nur jemand Auskunft geben, der keine Ahnung von sowas habe, vielleicht gebe es auch gar niemanden, der ihm dabei helfen könne, was natürlich sehr tragisch für ihn wäre, da er sich ja gerade das zur Lebensaufgabe gemacht habe. Wir verstanden ihn immer weniger, schwiegen aber. Da beschloss er uns doch etwas ausführlicher zu informieren. „Dieser Keim, falls es ihn denn jemals geben sollte, ist eben eine Alge, die Alge der Gerechtigkeit, um sie beim Namen zu nennen. Wenn dieser Keim einmal vorhanden ist, dann müsste er sich mit rasanter Geschwindigkeit auf der ganzen Welt ausbreiten, wie sich eben Algen in einem Teich vermehren und ihn unter Umständen vollständig ausfüllen können. Vielleicht ist das auch nicht so“, sprach er weiter, „vielleicht stirbt der Keim auch gleich wieder ab, sobald er erschaffen wurde, aber das glaube ich nicht, ich bin der Überzeugung, dass er sich ausbreiten und die ganze Erde in Beschlag nehmen würde.“ Seine anfangs sehr dumpfen Augen in seinem genauso dumpfen Gesicht begannen immer mehr zu leuchten, als hätte jemand in der Tiefe seiner Augen eine Kerze angezündet. „Was dann geschieht“, erzählte er weiter, „wie die Welt dann aussieht, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ich weiss nur, dass wir hinterher die Welt, in der wir jetzt leben, verachten werden und die neue Welt werden wir alle lieben wie unser eigenes Kind. Eben, ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht diesen Keim zu erschaffen. Eine undankbare, aber dafür eine sehr ehrenvolle Aufgabe. Ich suche jedes Stückchen dieser Welt nach irgendeinem Hinweis ab, der mir weiterhelfen könnte, bis jetzt erfolglos. Aber ich gebe nicht auf, nein, es ist nicht einfach, das wusste ich von Anfang an.“ Dann schwieg der Fremde eine ganze Weile.
Still sassen wir um den Kamin. „Ich bin müde, kann ich schlafen?“, riss der Fremde uns unvermittelt aus der beängstigenden Stille. Wortlos führten wir ihn zum Gästezimmer.
Am nächsten Morgen in der Früh verliess uns der Fremde wieder, ohne dass wir nochmals auf die Alge der Gerechtigkeit zu sprechen kamen. Wir beobachteten ihn, wie er durch den Schnee davonstampfte und ohne sich nochmal umgedreht zu haben hinter der Wegbiegung verschwand.