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Die Alge der Gerechtigkeit

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01.07.2001
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Die Alge der Gerechtigkeit

An einem stürmischen Wintertag klopfte einmal ein Wanderer an die Türe unseres abgelegenen Hauses. Er hatte sich verlaufen und suchte bei uns Zuflucht für die Nacht, die schon hereinbrach. Er setzte sich zu uns ans Kamin und erzählte was ihn in eine so abgelegene Gegend getrieben hatte. Er sei auf der Suche nach einem Keim, erzählte er, ein Algenkeim. Eigentlich existiere dieser Keim noch gar nicht, er sei mehr auf der Suche nach jemandem, der ihm erkläre, wie man einen solchen Keim erschaffen könne. Wir verstanden ihn nicht und sagten ihm, dass wir ihm nicht weiterhelfen können, da wir nicht viel von Keimen verstehen, um genau zu sein wissen wir nicht mal genau was so ein Keim überhaupt ist. Er entgegnete, dass das nichts mache, wahrscheinlich könne ihm sowieso nur jemand Auskunft geben, der keine Ahnung von sowas habe, vielleicht gebe es auch gar niemanden, der ihm dabei helfen könne, was natürlich sehr tragisch für ihn wäre, da er sich ja gerade das zur Lebensaufgabe gemacht habe. Wir verstanden ihn immer weniger, schwiegen aber. Da beschloss er uns doch etwas ausführlicher zu informieren. „Dieser Keim, falls es ihn denn jemals geben sollte, ist eben eine Alge, die Alge der Gerechtigkeit, um sie beim Namen zu nennen. Wenn dieser Keim einmal vorhanden ist, dann müsste er sich mit rasanter Geschwindigkeit auf der ganzen Welt ausbreiten, wie sich eben Algen in einem Teich vermehren und ihn unter Umständen vollständig ausfüllen können. Vielleicht ist das auch nicht so“, sprach er weiter, „vielleicht stirbt der Keim auch gleich wieder ab, sobald er erschaffen wurde, aber das glaube ich nicht, ich bin der Überzeugung, dass er sich ausbreiten und die ganze Erde in Beschlag nehmen würde.“ Seine anfangs sehr dumpfen Augen in seinem genauso dumpfen Gesicht begannen immer mehr zu leuchten, als hätte jemand in der Tiefe seiner Augen eine Kerze angezündet. „Was dann geschieht“, erzählte er weiter, „wie die Welt dann aussieht, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ich weiss nur, dass wir hinterher die Welt, in der wir jetzt leben, verachten werden und die neue Welt werden wir alle lieben wie unser eigenes Kind. Eben, ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht diesen Keim zu erschaffen. Eine undankbare, aber dafür eine sehr ehrenvolle Aufgabe. Ich suche jedes Stückchen dieser Welt nach irgendeinem Hinweis ab, der mir weiterhelfen könnte, bis jetzt erfolglos. Aber ich gebe nicht auf, nein, es ist nicht einfach, das wusste ich von Anfang an.“ Dann schwieg der Fremde eine ganze Weile.
Still sassen wir um den Kamin. „Ich bin müde, kann ich schlafen?“, riss der Fremde uns unvermittelt aus der beängstigenden Stille. Wortlos führten wir ihn zum Gästezimmer.
Am nächsten Morgen in der Früh verliess uns der Fremde wieder, ohne dass wir nochmals auf die Alge der Gerechtigkeit zu sprechen kamen. Wir beobachteten ihn, wie er durch den Schnee davonstampfte und ohne sich nochmal umgedreht zu haben hinter der Wegbiegung verschwand.

 

Alge der Gerechtigkeit... bizarre Idee, wie nicht anders zu erwarten.

Und wie immer beschreibt deine Geschichte eine einzelne, seltsame Begebenheit. Diese Story führt aber irgendwie zu nix, außer einem die Idee der "Gerechtigkeitsalge" zu vermitteln. Und diese Idee ist... naja, bizarr.

 

Was meinst du mit 'führt zu nichts'? Führt zu keiner Interpretation, oder was meinst du?
Ich sehe durchaus einen Sinn hinter dieser Geschichte (logisch, ist ja auch von mir :) ).

 

Jo, eine Interpretationsmöglichkeit gibt's schon. Was ich meinte, war, dass die Geschichte eine Spannung aufbaut, durch die Ankunft des Fremden, die dann gegen Ende einfach so verpufft.
Aber wie ich dich kenne, war das Absicht.
Auf jeden Fall find ich deine Stories sehr erfrischend. :)

 

Hallo Pirscher,
also 'bizarr' ist für die Geschichte der richtige Ausdruck. Irgendwie startet sie recht vielversprechend und führt dann ins Nichts.
Passt dadurch sehr gut ins Genre 'SELTSAM'
Scotty

 

Hallo,

Ich muss sagen, Deine Geschichte gefällt mir viel besser als sie den Anderen gefallen halt. So seltsam finde ich sie eigentlich auch gar nicht. Ich treffe z. B. oft sehr, sehr seltsame Leute, von denen ich später nie wieder was höre, und oft wundere ich mich was aus ihnen geworden ist. In sofern ist Deine Geschichte auch vollkommen realistisch, und es ist gar nicht schlimm, dass sie "zu nichts führt". Im echten Leben führt es ja wohl auch zu nichts, wenn man an den entlegensten Orten nach "der Alge der Gerechtigkeit" sucht.
Weiter so! <IMG SRC="smilies/cwm29.gif" border="0"> :D

 

Hallo Pircher,

vielen Dank für diese Geschichte, die mir als Stück Prosa in ihrem Stil recht gut gefällt. Es ist ein schlichter einfacher Erzählstil, der durch seine Wortwahl echt und wahrhaftig wirkt. Manchmal gibts noch kleinere Probleme mit der Grammatik ("...nach einem Keim, ein Algenkeim."), aber das ist jetzt hier wohl nicht so wesentlich.

Inhaltlich indessen löst der Text beim Leser sehr hohe Erwartungen aus. Der Autor tritt mit einem hohen moralischen Anspruch auf. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist allen sensiblen Menschen geläufig und wohl bekannt. Und viele von uns haben schon an Ungerechtigkeit gelitten. Es ist ein schöner Gedanke, dass das Bestreben nach einer gerechteren Welt mit dem Bild der "Alge" ausgedrückt wird. Darin steckt wohl die zu vermittelnde Einsicht, dass dieser hohe Wert sich nur langsam ausbreiten kann. Vielleicht soll allein diese Einsicht dem Menschen vermitteln, dass er selbst durch seine individuellen Anfänge von Gerechtigkeit diesem hohen Wert zur allgemeinen Geltung verhelfen muss.So ließe sich auch der abrupte Schluss rechtfertigen.

Nur, dann muss man daraus folgern, dass die bislang existierende Welt nur voller Ungerechtigkeit wäre. Und darin, so meine ich, liegt ein klischeehaftes Pauschalurteil.

Mit freundlichem Gruß,

Hans Werner

 

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