Die Ausserirdische
Die Ausserirdische
Die Tür fliegt auf. Eine Frau kommt raus, sie trägt zwei Töpfe in ihren Händen und unter ihren Arm hat sie einen Schirm geklemmt. Die Alte stakst mit ihren hohen Schuhen zum Bach und wirft die Töpfe mit voller Wucht hinein. Dann geht sie zurück und knallt die alte Holztür hinter sich zu.
Ein altes, mit Moos bewachsenes Haus steht einsam da. Die Trauerweide, die es fast vollständig verdeckt, hat sich goldig gefärbt. Die Dämmerung bricht ein und die Blätter verlieren in der Dunkelheit ihre Farbe.
Drinnen schaut die Frau fern, es läuft gerade ein Horrorfilm. Sie blickt mit starrer Miene auf die Mattscheibe, zuckt nicht einmal mit der Wimper, als ein Mann auf grausamste Weise umgebracht wird. Die Alte schaltet den Fernseher aus und geht die Holztreppe, die sich bei jedem Tritt durch ihr Knarren schmerzlich zu beschweren scheint, zum Schlafzimmer hoch. Die Frau legt sich aber nicht in ihr Bett, sondern setzt sich auf den Schaukelstuhl nebenan und schaukelt. Zuerst langsam, dann immer schneller und wilder hin und her. Danach geht sie zu Bett.
Am nächsten Morgen steht die Alte um sechs Uhr auf und geht mit dem Schirm zum Briefkasten. Dort findet sie Rechnungen vor. Die Frau stakst zum Bach und wirft sie hinein. Ein Auto fährt langsam die Strasse hinauf. Die Alte schlägt wie verrückt mit dem Schirm darauf ein und brüllt:“ Das ist meine Strasse!“ Dann geht sie ins Haus zurück und dreht das Radio an. Fröhliche Musik dudelt aus den Lautsprechern. Die Frau sitzt da, starrt ins Leere. In ihrem Gesicht kann man weder Freude noch Trauer erkennen. Die Alte schaltet das Radio aus. Sie geht an ihren Flügel und beginnt zu spielen, einfach so, ohne Noten. Ihre Hände scheinen alles alleine zu machen, die Frau ist weggetreten. Die berühmtesten Stücke von Beethoven und Mozart erklingen. Die Hände spielen und spielen, bis zur Dämmerung, mal fröhliche, mal traurige Lieder. Plötzlich steht sie auf, geht die Treppe hinauf, legt sich ins Bett und schläft sofort ein.
Am nächsten Tag geht die Alte als erstes wieder zum Briefkasten. Dieser ist leer, sie starrt hinein. Plötzlich hört sie fröhliches Kinderlachen und dreht sich um. Es ist ein etwa dreijähriger Junge, der vergnügt auf seinem Dreirad herumfährt. Als sie ihn mit ihren kalten Augen anblickt, lacht er ihr fröhlich ins Gesicht. Die Frau nimmt den Schirm zur Hand und läuft mit ihren hohen Schuhen auf das Kind zu. Dieses lässt das Dreirad zurück und rennt zu seiner Mutter, die gerade das letzte Laub im Garten zusammen rächt, darunter auch das, der Trauerweide. Tränen laufen dem Jungen übers Gesicht und er erzählt seiner Mutter von der Frau mit dem Schirm. Diese ist empört und geht zum Haus der Alten. Sie klopft energisch an die alte Holztür und wartet. Plötzlich reisst die Frau die Türe auf. Das Kind versteckt sich hinter seiner Mutter, welche die Alte zur Rede stellt, jedoch keine Antwort bekommt. Die Frau starrt sie nur an. Dann sagt sie: „Das ist meine Strasse!“ Und knallt die Tür zu. Im Fernsehen läuft jetzt Yeti. Und die Alte tut etwas, was sie bisher noch nie getan hat. Sie schaut den Film zu Ende. Während sie gebannt auf die Mattscheibe starrt, sieht sie vor ihrem inneren Auge sich selbst mitten in einer Menschenmenge stehen. Sie steht da, sagt nichts, hört die anderen nur sprechen, versteht jedoch kein Wort, sieht, wie sich Menschen umarmen, wie sie streiten, und kann es nicht nachvollziehen.
Als der Film fertig ist, wird der Frau bewusst, dass sie ihre eigenen Regeln nicht befolgt hat. Sie geht die Treppe hinauf und das Ritual mit dem Schaukelstuhl wiederholt sich.
Am nächsten Morgen steht die Alte wie immer um sechs Uhr auf und stakst mit dem Schirm zum Briefkasten. Dort findet sie einen Brief vor. Darin steht, dass man sie in eine geschlossene Anstalt einweisen werde, wenn sie sich weiter so unmöglich benehme. Auch dieser Brief wird vom Bach weggespült. Ein junger Mann geht vorbei, die Frau schlägt mit dem Schirm auf ihn ein. Dieser schreit, er werde sich so etwas nicht gefallen lassen und Anzeige erstatten.
Die Frau knallt die alte Holztür hinter sich zu, schaltete den Fernseher ein, um ihn sogleich wieder auszuschalten. Ihre Hände spielen Klavier bis zur Dämmerung. Dann gehrt sie die Treppe hinauf, schaukelt wie wild und geht dann zu Bett.
Die Woche geht zu Ende. Die Tage nehmen ihren gewohnten Lauf. Töpfe fliegen in den Bach, weil es keine Post gibt die sie hineinwerfen kann.
Am Montag bekommt sie einen Brief. Darin steht, man würde sie am 24. Oktober abholen, da sie unzurechnungsfähig sei und eine Gefahr für Andere darstelle. Der 24. Oktober ist der folgende Tag. Die alte Holztür knallt hinter der Frau zu. Sie starrt aus dem Fenster. Plötzlich sieht sie den Jungen mit dem Dreirad. Sie packt den Schirm und rennt nach Draussen. Der Junge steht ihr den Rücken zugewandt am Bach. Er versucht einen Brief hinaus zu fischen. Dunkle Wolken ziehen auf und die Trauerweide verliert ihre letzten Blätter. Die Alte nähert sich langsam dem Jungen. Sie schlägt ihn nieder. Das Kind fällt bewusstlos in den Bach. Die Frau geht hinein und beginnt Klavier zu spielen. Sie spielt ein fröhliches Lied. Es regnet, es scheint, als ob der Himmel weine.