Die Ausstellung
Kunst ist etwas, das man nicht greifen kann. So stand es auf unzähligen Plakaten, die überall aufgestellt worden waren. Es war schon unglaublich, ein Maler stellte seine Bilder hier in unserer Stadt aus.
Da ich in einer Kleinstadt lebte, gehörte dies zu den größten Ereignissen seit Jahren. Ich hatte noch nie zuvor etwas von diesem Maler gehört, geschweige denn gesehen. Wenn ich ehrlich war, interessierte es mich auch nicht sonderlich. Aber es gab Menschen, zu denen auch meine Freundin zählte, die sich für fast alles begeistern konnten. Aber es dauerte noch eine ganze Woche, bis die Ausstellung eröffnet wurde. Meine Freundin Tanja hatte von der Ausstellung das erste mal in der Berufsschule erfahren. Sie befand sich in der Ausbildung zur Industriekauffrau und hatte bereits zwei Jahre hinter sich gebracht. Sie wollte unbedingt diese Ausstellung besuchen, also versprach ich ihr, sie dorthin zu begleiten. Nun ja, es kam wie es kommen musste: Sie hatte keine ruhige Minute mehr und sprach fast nur noch über den uns unbekannten Maler, seine ebenso geheimnisvollen Bilder und über die Ausstellung. Irgendwann war ich es leid, rief noch spät bei ihr an und schlug vor, am nächsten tag in die Stadt zu fahren, um dort in der Stadtbibliothek etwas über diesen Maler in Erfahrung zu bringen.* Sie fand die Idee „Süß“, wie sie mir dann auch noch durch einen Kuss über das Telefon mitteilte. Ich versprach ihr sie nach der Arbeit abzuholen. Ich hatte meine Ausbildung schon vor einem Jahr beendet und hatte glücklicherweise sofort eine Festeinstellung in meinem Ausbildungsbetrieb, einem größeren Automobilzulieferer erhalten. Gegen 15 Uhr war ich zu Hause und stellte mich erst einmal unter die Dusche. Als ich aus der Dusche kam und mich angezogen hatte, schaute ich auf die Uhr. Tanja hatte erste gegen 17 Uhr Feierabend. Ich hatte noch etwas mehr als eine Stunde Zeit, bevor ich losfahren musste.
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Also setzte ich mich an meinen Amiga, den Tanja nicht leiden konnte. Manchmal war sie richtig eifersüchtig auf meinen kleinen elektronischen Freund. Es gab Zeiten, an denen ich ganze Tage und Nächte vor dem Computer verbracht hatte. Doch dann lernte ich Tanja kennen und der Computer, der mir einmal sehr wichtig gewesen war, begann die zweite Geige zu spielen. Nur gut, dass Computer keine Gefühle haben! Aber ab und an, kann ich einfach nicht umher, den Rechner* einzuschalten, so wie jetzt. Seit meinem achten Lebensjahr besaß ich immer einen Computer, ich hatte meinen ersten Rechner sogar noch in meinem Bettkasten liegen. Man konnte mittlerweile zwar nicht mehr viel mit ihm anfangen, aber irgendwie konnte ich mich nicht von ihm trennen. Ich hing einfach meinen Gedanken nach und schaute noch einmal auf die Uhr, es war Zeit. Wenn ich pünktlich sein wollte, musste ich jetzt losfahren. Den Rechner schaltete ich noch im Aufstehen aus und ging die Treppe, die in die Etage meiner Eltern führte hinunter. Meine Mutter stand in der Küche, und war dabei, einen Kuchen zu backen. „Ich hole jetzt Tanja ab und dann fahren wir noch in die Stadt, soll ich dir was mitbringen?“ „Nein, ich brauche nichts, aber fahr bitte vorsichtig, hörst du?“ Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon in meinem Leben gehört hatte, aber meine Mutter machte sich immer große Sorgen. Ich glaube so sind Mütter nun einmal. Auf dem Weg zur Haustür schnappte ich mir noch meine Jacke und rief meiner Mutter noch ein „Ja, Ma“ zu. Dann verließ ich das Haus und den schlug den Weg zur Garage ein. Den Schlüssel hatte ich bereits in der Hand und öffnete das Garagentor. Das Wetter an diesem Tag war mies. Es war kalt und es regnete, eben typisch November. Ich stieg in meinem schwarzen Corsa und startete den Motor. Er sprang erst nach dem zweiten Versuch an, er war eben nicht mehr der jüngste. Als ich die Firma erreichte stand Tanja schon vor dem Eingangstor. Mir viel sie schon von weitem auf, denn ihr Feuerrotes Haar leuchtete trotz des trüben Wetters als würde es angestrahlt. Als sie meinen Wagen sah, kam sie auf mich zu und ich öffnete die Beifahrertür. Geschmeidig wie eine Katze glitt sie in den Wagen und zog die Tür zu. Noch bevor ich etwas zur Begrüßung sagen konnte, hatte sie sich schon umgedreht und küsste mich. Erst danach bekam ich die Gelegenheit etwas zu sagen: „Hi, wie geht es dir?“ „Gut, aber lass uns fahren, denn ich muss heute Abend noch für die Arbeit morgen in der Schule lernen.“ Ich fuhr los und wir unterhielten uns auf dem Weg noch eine ganze Weile über die Schule und die Firma. Der Verkehr hatte zugenommen, so das wir des öfteren zum stehen kamen. Doch dann endlich hatte ich das Parkhaus erreicht, in dem sogar noch Plätze frei waren. Den Wagen stellte ich auf eines der oberen Parkdecks ab und wir gingen in Richtung Treppenhaus. Die Stadtbibliothek lag schräg gegenüber des Parkhauses und hatte bis 20 Uhr geöffnet. Als wir sie betraten, hatte wie immer das Gefühl, in eine Gruft zu steigen. Die Bücher gaben einen eigentümlichen Geruch ab. Eine freundliche Dame fragte uns, ob sie uns behilflich sein könnte. Tanja fragte nach einem Maler Namens Brian Shannon. Die Dame tippte den Namen in einen Computer und sagte dann, das es kein buch über diesen Maler gäbe. Etwas enttäuscht schaute Tanja mich an und sagte: „Okay, dann fahren wir wieder. Es war einen Versuch wert.“ Wir wollten uns schon bedanken und gehen, als die Dame sagte: „Moment..... hier habe ich etwas über ihn.“ „Was ehrlich?“, Tanja konnte ihre Überraschung nicht verbergen. „Ja, es gibt ein Buch über ungewöhnliche Maler unserer Zeit“, sagte die Bibliothekarin.* Sie gab uns die Nummer des Buches und eine knappe Wegbeschreibung, wo wir es finden konnten.
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Die Bibliothek war riesig, wir waren schon des öfteren hier gewesen und hatten es noch nie geschafft, uns nicht zu verlaufen. So auch jetzt. Aber dann fand ich den richtigen Gang und zog Tanja einfach mit. Wir standen vor einem Regal, das so lang war wie eine Sporthalle, von oben bis unten mit Büchern gefüllt. Zum Glück hatten wir ja die Nummer des Buches, so mussten wir nur sehr kurze Zeit suchen und fand es schließlich. Wir huschten in eine der Leseecken und schauten im Inhaltsverzeichnis des Buches nach. Das Buch trug den Titel: „Ungewöhnliche Maler der heutigen Zeit“. „Was ist wohl so ungewöhnlich an ihm?“, fragte ich Tanja. Sie sagte allerdings nichts und deutete nur auf diese Buch, sie hatte mittlerweile die Seiten gefunden und aufgeschlagen. Viel gab das Buch nicht über ihn her, das er mit sehr dunklen Farben malt und seine Bilder allesamt einen düsteren Eindruck hinterlassen. Es waren zwei seiner Werke abgebildet, man konnte allerdings nicht allzu viel erkennen, das es sich um Schwarz/Weiß – Abbildungen handelte. Ich blätterte auf die nächste Seite, dort war ein Bild des Malers abgedruckt. Er sah schon ungewöhnlich aus, mit seiner dunklen Kleidung und den langen Haaren, das bis über die Schultern reichte. Sein Gesicht wirkte eingefallen und ausgetrocknet. „Das kann doch nicht sein“, meinte Tanja. „Es gibt keine Informationen über den Maler selbst, komisch.“ Sie blätterte in diem Buch hin und her. Alle anderen darin aufgeführten Maler hatten so etwas wie einen Lebenslauf, nur Brian Shannon nicht. Etwas enttäuscht klappte sie das Buch zu und sagte: „Komm, ich will nach Hause.“ Wir stellten das Buch noch zurück ins Regal und gingen dann Richtung Ausgang. Ich nahm Tanja bei der Hand. Die Bibliothekarin fragte noch, ob wir gefunden hätten, was wir suchten. „Leider nein, da kann man nichts machen“ , sagte ich während wir die Bibliothek verließen. Draußen war es mittlerweile dunkel und noch kälter geworden. Als ich auf die Uhr schaute, stellte ich fest das es kurz vor 19:30 Uhr war. „Man, die Zeit fliegt heute aber wieder“, sagte ich so vor mir her. Ich bezahlte den Parkschein und ging mit Tanja zum Wagen. Als wir den Corsa erreicht hatten, fragte sie: „Darf ich, bitteeeeeee?“ Sie wusste genau, das ich nicht nein sagen konnte, wenn sie so fragte. Also gab ich ihr den Schlüssel und ging zur Beifahrerseite. Im Wagen war es kalt, so das ich schleunigst die Heizung auf die höchste Stufe stellte. Tanja hatte seit knapp einem Jahr ihren Führerschein, konnte sich aber aufgrund ihrer Ausbildung keinen Wagen leisten. So fuhr sie hin und wieder mit meinem alten Opel. Sie fuhr wirklich gut und es machte ihr auch Spaß. Der Verkehr war jetzt nicht mehr so dicht und wir kamen gut voran. Aber leider nieselte es immer noch und der dunkle Himmel hing voller Wolken. Wir sprachen auf der Rückfahrt noch über diesem Maler und seine Bilder, mittlerweile war auch ich neugierig geworden. Deshalb beschlossen wir, die Ausstellung auch am Tag ihrer Eröffnung zu besuchen. Der Ausstellungseröffnung viel auf einen Samstag und man konnte ab 10 Uhr die Gemälde begutachten. Es war klar, das wir vorhatten auch so früh wie möglich dort zu sein.* Samstag war perfekt, dann brauchten wir beide nicht zu arbeiten. Langsam kroch die Wärme in das Fahrzeug. Tanja drehte die Heizung etwas zurück und schaltete das Radio ein. Erst als sie den Motor abstellte wurde ich wieder wach, ich war wohl kurz eingenickt. Wir standen vor ihrem Haus und verließen beide den Wagen. Wir verabschiedeten uns voneinander und ich fuhr rückwärts die Einfahrt heraus. Sie winkte noch einmal kurz, bevor sie sich umdrehte und im Haus verschwand. Müde war ich schon und wollte deshalb auch so schnell wie möglich nach Hause.
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Samstag.
Tag der Eröffnung.
Ungewöhnlich früh für einen Samstag waren wir aufgestanden und hatten uns fertig gemacht. Ich hatte bei Tanja übernachtet, nachdem wir gestern noch spät von einer Party gekommen waren. Wir waren beide ziemlich aufgeregt und konnten es kaum erwarten, endlich los zu fahren. Mit etwas gemischten Gefühlen würgte ich eine Scheibe Toast mit eine Tasse Kaffee herunter, Tanja kochte einfach den besten Kaffee der Welt. Auch sie aß eine Kleinigkeit und dann ging es auch schon los. Wir schlichen uns die Treppe herunter, denn Tanjas Eltern lagen noch in tiefem Schlaf. Nachdem sie die Haustür von außen wieder abgeschlossen hatte, gab ich ihr die Autoschlüssel, wofür ich mit einem Kuss belohnt wurde. Wie gesagt, ich legte in einer Kleinstadt und wir brauchten nicht einmal 10 Minuten bis zu Stadthalle, wo die Ausstellung stattfand. Einen Parkplatz hatten wir auch schnell gefunden, es war noch verhältnismäßig leer. Eigentlich merkwürdig, denn heute sollte doch die Eröffnung sein, na ja, vielleicht interessieren sich doch nicht so viele Menschen aus unserer Stadt für die Kunst. Das breite Eingangsportal empfing uns, die Stufen waren glatt und nass. Ich war schon öfter in der Stadthalle gewesen, meistens auf Computertrödelmärkten oder Filmbörsen, aber so hatte ich sie noch nie gesehen. Man hatte sich allergrößte Mühe gegeben, die großen Glasfenster und das Dach der Halle mit schwarzen Vorhängen zu bedecken. Es brannten nur einige Kerzen, die mit ihren kleinen Flammen helle Inseln in der Finsternis schufen. An der Information bezahlte ich die beiden Eintrittskarten und erst jetzt viel mir auf, das wir sonst noch niemanden gesehen hatten. Aber wir hatten doch in der Nähe des Wagens unseres Bürgermeisters geparkt. Also musste wenigstens er irgendwo hier sein. Durch eine kleine Glastür verließen wir den Vorraum und betraten die eigentlichen Ausstellungsräume. Mir gefiel die Atmosphäre in der Halle nicht, auch glaubte ich zu spüren, dass es hier um einiges kühler als in der Empfangshalle. Das teilte ich auch Tanja mit, die mir sagte: „Hey, was ist denn los mit dir? So kenne ich dich ja gar nicht, du bist ja richtig nervös!“ Ich wusste selber nicht genau was los war, aber irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Dann kamen wir zu dem ersten Bild. Es war grauenhaft! Das Bild zeigte einen kleinen Jungen, der unter einem Baum stand. An sich nicht schlimmes, aber der Gesichtsausdruck des Jungen war so traurig, gequält und aufschreiend zugleich. Mir tat der Junge irgendwie leid. Tanja allerdings war fasziniert von dem Bild und meinte: „Was muss man für ein großen Künstler sein, um so ein trauriges Bild hinzubekommen.“ „Oder ein großen Spinner“, rutschte es mir heraus. „Der Typ ist doch krank, schau mal genau in die Augen des Jungen, man kann seinen Schmerz ja fast spüren!“ „Das ist es ja, was ich meine.“ Ich merkte schon, dass es keinen Sinn hatte Tanja noch weiter zu wiedersprechen ohne einen Streit vom Zaun zu brechen. Ich schwieg also während wir zum nächsten bild weitergingen.
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Die Bilder wurden alle links und rechts von Kerzen erhellt. Nur hier und da durfte ein Scheinwerfer seine Arbeit verrichten. Das nächste Gemälde war absolut geschmacklos, es zeigte eine nackte junge Frau, die sehr hübsch war, aber man hatte sie Kopfüber an einen Türrahmen genagelt und ihr das Herz aus der Brust gerissen. „Ich kann es einfach nicht glauben, dass sich Leute so einen Scheiß in die Wohnung hängen. Das ist doch pervers!“ Ich bekam keine Antwort von Tanja und so schaute ich zu ihr herüber. Sie starrte nur das Bild an und schien überhaupt nichts mehr wahrzunehmen. Erst als ich sie am Arm fasste, zuckte sie zusammen und sah mich verwundert an. „Was ist los?“ „Was los ist?“, wiederholte ich. „Du scheinst das alles ja ganz toll zu finden, aber ich will hier weg. Ich habe genug von diesem Künstler gesehen.“ „Gefallen dir den seine Werke nicht?“ „Nein, sie sind einfach nur schlecht“, erwiderte ich und griff nach Tanjas Hand. Mein Gott, ihre Hand war ja eiskalt! „Komm, wir gehen.“ „Nein, ich will auch noch die andern Bilder ansehen,“ sagte sie. „Muss das denn unbedingt sein?“ Als Antwort bekam ich einen sehr verachtenden Blick und einen Zug am Jackenärmel. Na gut, dachte ich, schaust du dir auch noch die nächsten Bilder an. Doch als ich das nächste Bild sah, schrak ich zusammen. Auf dem Bild war unser Bürgermeister zu sehen, wie er hinter seinem Schreibtisch von zwei abartig aussehenden Wesen zerfleischt wurde. Das sich der Bürgermeister für so einen Schund hergibt, dachte ich noch, als ich feststellte, das Tanja verschwunden war. Ich schaute mich um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Als lief ich durch die Ausstellungshalle um sie zu suchen. Es war niemand sonst auf der Ausstellung, auch Tanja war nicht zu entdecken. Deshalb rief ich nach ihr, doch ich bekam keine Antwort. Langsam machte ich mir richtige Sorgen, denn diese düstere Umgebung sagte mir überhaupt nicht zu. Dann sah ich einen Schatten hinter einem Vorhang verschwinden und lief ihm sofort nach. Als um die Ecke lief, rannte ich gegen den Schatten und viel hin. Der Schatten war der Künstler, doch in der Realität sah er noch schrecklicher aus als auf dem Bild in dem Buch. „Entschuldigen sie bitte, ich habe sie nicht gesehen.“ „Und warum läufst du einem, den du nicht sehen kannst hinterher?“ „Ich dachte sie währen jemand anderes, denn ich suche meine Freundin. Sie war auf einmal verschwunden.“ Er schüttelte nur den Kopf und sagte dann: „Wie sah sie denn aus? Etwa so wie die hier!“ Er deutete auf ein Bild an der Wand und ich erschrak. Auf dem Bild war Tanja zu sehen, wie sie gegen eines dieser Wesen kämpfte. Noch bevor ich dazu kam ein Frage zu stellen, überschlugen sich die Ereignisse. Der Maler bekam leuchtende, rote Augen und sprach mit einer Stimme zu mir, die mehr ein tiefes Grollen war. „Vergiss sie, sie ist nicht mehr. Ich habe sie zu einem Kunstwerk gemacht und mir ihre Seele einverleibt. Denn ich bin ein Sammler, ich sammele interessante Menschen und mache sie zur Kunst. Genauso wie euren Bürgermeister und noch einige andere....“ Ich war wie vor den Kopf geschlagen, mein Hirn fühlte sich an, als währe es mit Watte gefüllt. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Doch der Dämon sprach weiter: „Verschwinde von hier, wenn dir dein Leben lieb ist. An dir habe ich kein Interesse!“ Er kam auf mich zu und gab mir einen Stoß, der mich durch die halbe Halle katapultierte. Ich prallte irgendwo mit der Schulter gegen und fiel auf den Boden. Blind vor Zorn und Wut sprang ich auf und rannte auf den Dämon zu. Dieser packte mich am Arm und sprach: „Du willst nicht hören wie? Verschwinde von hier, bevor ich es mir anders überlege....“ Dann folgte eine schnelle Bewegung seiner Pranke und ich spürte einen heißen Stich an meiner rechten Wange. Sofort war der Schmerz da, doch ich hatte keine Zeit um ihn richtig wahrzunehmen, denn ich bekam einen weiter Stoß und landete neben einer Statue. Ein schauriges Lachen begleitete mich. Meine Wange sah schlimm aus, eine tiefe, blutende Wunde klaffte über der gesamten Fläche. Ich wurde fast wahrsinnig vor Schmerz. Irgendwie schaffte ich es bis zum Wagen, denn ich schwor mir nicht aufzugeben und den Dämon zu töten. Nur leichter gesagt wie getan. Was hatte ich nicht schon alles gelesen und gehört. Weihwasser und Silberkreuze sollten gegen solch ein Wesen wirken, im Roman oder Film jedenfalls. Aber was war hier? Hier war die Realität. Ich quälte den Motor und den Corsa bis zu meiner Haustür und sprang sofort in mein Zimmer. Ich hatte von meinem Großvater zur Kommunion ein kleines silbernes Kreuz bekommen. Ich kramte es hervor und streifte es über. Vergessen war der Schmerz. Im vorbeigehen nahm ich noch einen leere Wasserflasche mit. Dann raste ich mit dem Wagen weiter bis zur kleinen Kapelle, die ungefähr auf dem halben Weg zur Stadthalle lag. In Windeseile füllte ich die Flasche mit Weihwasser und war auch schon wieder auf dem Weg zur Stadthalle.
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Ich parkte den Corsa direkt vor der Treppe, die zum Eingang führte und rannte die Stufen hinauf. Brian Shannon war nicht zu sehen. Also lief ich zu Tanjas Bild. Sie sah darauf so traurig und voller Angst aus. Ich hängte das Bild von Haken und wollte mich gerade umdrehen, als ich ein gefährliches knurren hinter mir vernahm. „Stehlen willst du also. Dafür wirst du sterben!“ Ich stelle das Bild auf den Boden und zog die Wasserflasche aus der großen Innentasche meiner Jacke. Während ich mich langsam umdrehte, öffnete ich den Verschluss der Flasche, wobei ich darauf achtete, das der Dämon die Flasche nicht zu Gesicht bekam. Es war ein Bild des Grauens, der Maler hatte nichts Menschliches mehr an sich, er sah genau so aus, wie die Wesen auf seinen Gemälden. Er riss seine Arme hoch und ich konnte die gefährlichen Klauen mit den rasiermesserscharfen Krallen genau erkennen. Er hatte seinen Kopf leicht nach hinten gelegt und bleckte die Zähne. Wie stifte standen sie in seinem Maul und gelblicher Geifer rann über sein Kinn. Die roten Augen glühten förmlich und mir viel der Vergleich mit einem Werwolf ein, nur das dieser Dämon nicht mit Fell bedeckt war. Als er auf mich los stürmte, riss ich die Flasche hervor und drehte sie um, so das sich die Flüssigkeit aus dem inneren vor meinen Füssen verteilte. Er wollte bremsen, doch er hatte viel zu viel Schwung in seinen Angriff gelegt, so das er es nicht mehr schaffte. Er tappte in die Flüssigkeit. Sofort fingen seine nackten Füße an zu qualmen und ein beißender Gestank verteilte sich. Der Dämon schrie mit schmerzverzerrter Miene auf. Geistesgegenwärtig schleuderte ich die Flasche auf seinen Kopf, wo sie zerbrach. Das Weihwasser verteilte sich auf seinem Kopf und lief sein Gesicht hinunter. Sein schreien wurde noch lauter und als ich das Kreuz in sein Gesicht drückte, wandelte sich der Schrei in ein Gurgeln. Im gleichen Augenblick sackte der Dämon zusammen und viel voll in die Lache. Überall begann es um ihn herum zu brodeln und der Qualm wurde so dicht, dass man kaum noch atmen konnte. Der Dämon verging. Kleine Flammen stachen aus seinem Körper und fanden in ihm sofort neue Nahrung. Die Flammen erfassten auch die Vorhänge und die Gemälde. Sehr schnell stand alles in Flammen, ich schnappte mir Tanjas Bild und rannte so schnell ich konnte aus der Halle. Eine riesige Flammenwand verfolgte mich. Ich schaffte es gerade noch aus dem Gebäude zu kommen, bevor alles hinter mir zusammenfiel. Der Motor des Corsas lief sogar noch und die Fahrertür stand offen. Ich sprang schnell hinter das Steuer und gab Gas. Ich wollte nur noch weg.
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Ich weiß heute nicht einmal mehr, wie ich nach Hause gekommen war. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Zimmer auf dem Bett. Alles nur geträumt, dachte ich erleichtert, als mein Blick auf das am Boden liegende Bild viel. Die ohnmächtige Wut übermannte mich und ich fing an zu weinen. Ich hatte Tanja verloren! Sie, die mir alles bedeutet hatte, gab es nicht mehr.
Ich konnte mich nicht mehr beruhigen und weinte noch intensiver. Zwischendurch schaute ich immer wieder auf das Bild, dass mittlerweile von meinen Tränen ganz nass war. Da, plötzlich glaubte ich eine Bewegung in dem Gemälde zu erkennen und schaute noch genauer hin. Der Rahmen glühte leicht rötlich und die Oberfläche der Leinwand kam mir vor, als bestünde sie aus Wasser. Ich wollte die Fläche berühren, doch mein Finger verschwand darin! Sofort zog ich ihn zurück. Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten. Dann entstand eine Beule in der Mitte des Bildes, sie wurde immer größer und kam mir immer näher. Sie nahm Form an. Es war ein Kopf, Tanjas Kopf! Nach und nach schob sie sich weiter aus dem Bild heraus. Ich konnte nichts tun und schaute nur fassungslos zu. Irgendwann war sie komplett aus dem Bild entstiegen und fiel zur Seite auf den Boden. Das Gemälde fing Feuer und löste sich dann sofort in Rauch auf. Nichts blieb davon über. Tanja aber lag auf meinem Boden und sah aus, als würde sie schlafen. Erst jetzt konnte ich mich wieder Bewegen und sprang zu ihr hin. Zärtlich streichelte ich ihre Wange, als mir einfiel, dass ich auch verletzt worden war. Ich fasste an meine Wange und stellte fest, dass es keine Wunde mehr gab. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Tanja die Augen aufschlug und fragte: „Was ist denn los?“ Eine Antwort bekam sie nicht, stattdessen nahm ich sie in meine Arme und fing erneut an zu weinen. Nach einer Weile sagte sie: „Hey, du zerquetscht mich noch. Erzähl mir endlich was passiert ist. Das letzte an das ich mich erinnere ist, dass wir zu dieser Ausstellung wollten.“ Ich begann die ganze Geschichte zu erzählen und wurde dann gefragt, ob es mir gut gehen würde, denn Tanja glaubte kein einziges Wort. Ich schlug vor zur Stadthalle zu fahren, um ihr zu Beweisen, dass meine Geschichte doch wahr sei. Doch als wir bei der Stadthalle ankamen, war dort eine Blumenausstellung in vollem Gange. „Habe ich es mir doch gedacht, dass du mich anflunkerst,“ sagte sie und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Na komm lass uns reingehen, ich freue mich schon die ganze Woche auf die tollen Blumen.“ Hatte ich wirklich nur geträumt?
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Nein, denn mein Kommunionskreuz hing immer noch um meinen Hals. Ich hatte diese Kreuz schon seit Jahren nicht mehr getragen. Die Ausstellung war gut besucht und wunderschön. Der Duft der Blumen schwängerte die Luft und alles schien so hell und friedlich zu sein. Wir schritten durch die Ausstellungsräume und genossen die tolle Atmosphäre. Ich würde die Wahrheit wohl für mich behalten müssen, was mir allerdings leicht fiel, denn ich hatte den wichtigsten Menschen der Welt zurück...