Die Bar
Die Bar
Er führte das Glas ruhig zum Mund, nach kurzem Verharren nahm er einen kleinen Schluck von seinem Whiskey. Sein Blick kroch über das Glas hinweg, durch die Bar. Er suchte jemanden, musterte jede einzelne Person, von oben bis unten. Er saß allein, niemand hatte sich zu ihm gesetzt, obwohl sich die Bar langsam zu füllen begann, und bald würden die Musiker anfangen zu spielen und den Raum mit ihrer Musik fluten.
Er setzte sein Glas wieder ab, mit etwas zu viel Schwung traf das Glas die Tischplatte. Etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit schwappte auf den Tisch. Das Geräusch ging jedoch bereits im Stimmengewirr und den Bargeräuschen unter. Der Tabakrauch der bereits schwer in der Luft hing, schien es einfach verschluckt zu haben.
Gerade als ein Schwall von neuen Gästen, kalter Luft und Straßengeräuschen durch den Eingang kam, erschienen die Musiker in einer kleinen Tür neben der Theke und setzten sich auch gleich an diese.
Wieder fing er an die Menschen zu mustern, er nahm sich für jeden ein Minute und mehr. Notizbuch und Stift lagen diesen Abend noch jungfräulich nebeneinander. Seine Hände lagen still daneben.
Wie er hieß wusste ich nicht, und weiß es bis heute nicht. Ich habe es noch nie herausfinden können. Ich wusste nur, dass er in dieser Stadt wohnt, sogar wo, und dass er Menschen beobachtet. Fast jeden Abend sitzt er irgendwo in dieser Stadt, in einer Bar, in einem Club, in einer Kneipe, beobachtet Menschen. Dabei saß er immer allein, nie saß jemand bei ihm, egal wie überfüllt die Bars waren, er hatte nie Tischgenossen.
Ich konnte mir nie erklären warum. An den Nachbartischen saßen Menschen, direkt neben ihm, dass kaum ein paar Zentimeter Platz waren. Man fragte nach seiner Bestellung, nach freien Stühlen. Aber niemand hatte jemals an seinem Tisch Platz genommen, selbst ich hatte nie an einem Tisch mit ihm gesessen. Es widerstrebte mir. Auch diesen inneren Widerstand konnte ich mir bis heute nicht erklären.
Genau so war es auch an diesem Abend. Er saß allein an diesem Tisch, nur ein freier Stuhl.
Es kamen gerade keine weiteren Gäste, die Musiker saßen noch an der Bar, unterhielten sich, machten Witze.
In der Bar hielten sich sogar eins seiner ehemaligen „Opfer“ auf, ein Schauspieler der auf den Namen Alfredo hörte.
Es ist ein paar Jahre her seit er in einer der Bars oder Kneipen dieser Stadt auf Alfredo traf, Alfredo war zu diesem Zeitpunkt noch kein professioneller Schauspieler. Er verfolgte dieses Ziel jedoch mit einer Leidenschaft, die man ihm bereits beim Zuhören anmerkte und die eng mit dem Fegefeuer verwandt zu seien schien.
Wie er, suchte ich mir einen Platz in der Nähe Alfredos, er tat dies jedoch bereits beim Eintreten Alfredos, ich erst im Verlauf des Abends. Die Bühne war bei Alfredo nur die Frage einer sehr kurzen Zeit.
Er war bereits völlig erstarrt als ich begann Alfredo zu belauschen. Die Adern und Sehnen auf seiner gekrampften Hand schienen bereits auswandern zu wollen. Seine Augenlider sprangen unregelmäßig auseinander, worauf hin der Stift einen schnellen Stepptanz auf dem Notizbuch darbot. Das Fegefeuer hatte sich ausgebreitet.
Dann drängelte er sich neben ihn an die Bar und bestellte ein Bier, was er, seid ich ihn kenne, nie zuvor getan hatte. Alfredo besaß ebenfalls einen Notizbuch, ähnlich dem das er auch besaß. Es lag neben Alfredo auf der Bar. Als er sein Bier bekommen war das kleine Buch bereits im seiner Manteltasche verschwunden..
Niemand hielt ihn auf, ich war der einzige Zeuge.
Als Alfredo die Bar verließ, leider ohne sein Notizbuch, folgte er ihm,
nichts Ungewöhnliches.
Alfredo war zu Fuß. Es konnte also nicht weit sein, ich folgte ihnen in die erwartungsvolle Nacht.
Die Verfolgung dauerte dann tatsächlich zwei nieselnde Stunden.
Nach dieser Nacht traf ich jedoch öfters vor Alfredos Wohnung auf ihn, und wir trafen noch öfters alle drei im Theater aufeinander. Niemals zuvor sah ich ihn so fanatisch einen Menschen beobachten. Seit Alfredo gab es immer weniger Ereignisse die Alfredo nahe kamen. Keins was Alfredo gleichrangig war. Keines das Alfredo übertraf. Als ob ihn die Menschen anfingen zu langweilen.
Ich sah kaum noch etwas was mich überraschte. Die Menschen waren phantasielos geworden. Selten waren Momente, in denen er etwas neues entdeckte, egal welches kleine Details.
Im Moment interessierte er sich für niemanden, alle die die Bar betreten hatten waren ausnahmslos für unwürdig erklärt worden.
Jetzt rissen sich die Musiker von der Bar los, steuerten die Bühne an. Wenn also scheinbar keine Verfolgung an diesem Abend stattfinden würde, würde ich wenigstens Musik genießen können.
Die Musiker betraten die Bühne, sie nahmen ihre Instrumente zur Hand, setzen sich ans Klavier, ans Schlagzeug.
Finger schnipsten, Stimmbänder zählten.
Dann strömten Akkorde und Rhythmen durcheinander. Die Melodien trieben darauf wie Blätter auf einem Wildbach.
Nur noch am Rande bemerkte ich wie immer wieder neue Menschen in die Bar kamen. Gerade als wieder eine kleine Gruppe, vielleicht Studenten, mich ablenkte, ließ sie meinen Blick erst durch die Bar, dann auch zu ihm hinüber wandern. Er saß immer noch an seinem einsamen Tisch, hatte auch schon vorher dort gesessen, Rücken zu mir gewandt, ganz ruhig sitzend. Ich wandte mich wieder der Musik zu, genoss.
Ich entspannte mich und ließ meine Gedanken auf der Musik treiben.
Diesen Abend würde ich so schnell nicht vergessen. So gut entspannen konnte ich mich schon lange nicht mehr. Dieser Abend war etwas Besonderes.
In diesem Moment schoss es mir durch den Kopf. Ruckartig drehte ich mich wieder um. Er saß immer noch, mit dem Rücken zu mir. Ich schaute ihn genau an, konnte jedoch nichts erkennen. Meine Neugier war noch nicht befriedigt. Ich stand auf, drängelte mich an die Bar und bestellte mir ein Bier, nur um ihn besser sehen zu können. Jetzt sah ich meine Vermutung bestätigt. Das alte Fieber hatte ihn doch wieder gepackt. Er war erstarrt, das Feuer war wieder ausgebrochen, Funkenflug konnte diesmal jedoch nicht verantwortlich sein. Mir brach der Schweiß aus der Stirn. Da war niemand. Durch den Schleier aus Rauch, Stimmen, Musik und Gläserklirren konnten sein Ohren unmöglich weit dringen, der Brandstifter, falls es den gab, konnte nicht weit sein.
Er saß in der Nähe einer Gruppe von Studenten, oder zumindest war er ihnen am nächsten.
Sie saßen dort und unterhielten sich angeregt, hörten nur zweitrangig auf die Musik. Nichts Auffälliges. Sie war einfach nur normal, eine mehr als die andere. Nur ein Mann stach ein wenig heraus: groß, gutaussehend, muskulös, auffallend modisch gekleidet, ... Sportstudent.
Tausendmal gesehen. Langweilig auffällig.
Dies war jedoch kein Anlass für solch einen zweiten Großbrand. An allen Nachbartischen war das gleiche Bild zu sehen. Unauffällige Menschen, man sieht sie, vergisst sie. Nichts Spektakuläres, man sah ihnen allen den Alltag an, das Gewöhnliche. Wie Steine die man vom Meeresboden holt und wieder ins Dunkel zurückwirft aus dem sie kamen.
Es schien aber doch diese Gruppe zu sein die ihn interessierten. Ihnen saß er am nächsten.
Es wollte mir einfach nicht aufgehen was ihn an einem dieser Studenten so extrem interessierte. Einfach eine weitere Handvoll Steine.
Ich musste herausfinden wer ihn interessierte und warum. Ich suchte mir also einen Platz ganz in seiner Nähe und der, der Studenten. Ich fand einen Platz an einem Tisch direkt neben dem der Studenten und seinem.
Ich konzentrierte mich ganz auf die Stimmen. Meine Vermutung, dass es eine Gruppe Studenten sei, bestätigte sich. Sie sprachen über Professoren, Vorlesungspläne, Klausuren. Der Mann war jedoch kein Sportstudent, er studierte irgendwas mit Biologie. Eine Studentin schien Journalismus zu studieren eine andere irgendwas kompliziertes, Physik vielleicht. Mehr nahm ich nicht war. Ich verstand ohnehin kaum worüber sie sprachen.
In den ganzen letzten Jahren hatte sein Fanatismus abgenommen. Immer weniger Neues war ihm und mir begegnet. Und diese Gruppe rechtfertigte einfach nicht sein Interesse.
Dann jedoch kam plötzlich eine vierte Stimme dazu. Und jetzt erkannte ich, dass es jene Gruppe von vorhin war. Und diese bestand in der Tat aus vier Personen. Ich spitzte also meine Ohren
Sie studierte Deutsch und Geschichte, wolle Lehrerin werden, sich mit Kindern beschäftigen und ihnen helfen. Ihre Gesprächsthemen waren verständlich, ich hätte mitreden können.
Etwas wirklich Interessantes erfuhr dabei jedoch nicht ich nicht. Sie wohnte ebenfalls hier in der Stadt, war gerade erst umgezogen, hatte einen Hund, alle vier Wochen besuchte sie ihre Großmutter im Altersheim und machte gerade ein Praktikum in einem Kindergarten.
Themen die mich wirklich nicht interessierten.
Tausendmal gehört.
Eine mir durchaus sympathische Person, Aber furchtbar langweilig.
Es waren kaum zwei Stunden seit der Ankunft der Studenten vergangen, da verabschiedete sie sich schon. Ich war erleichtert jetzt nicht mehr diese Alltagsgeschichten zu hören. Ich konzentrierte mich also wieder auf die verbliebenen Drei. Plötzlich vernahm ich das Schurren eines zweiten Stuhls hinter mir, als ich mich umdrehte sah ich, dass er aufgestanden war. Er zog sich seinen Mantel an. Im ersten Moment war ich überrascht, dass er aufstand, dass er sich bereit machte zu gehen. Ich war völlig perplex.
Instinktiv stand ich auf und warf mir meinen Mantel über. Ich folgte ihm nach draußen. Dann sah ich warum er die Bar verlassen hatte.
Kurz nachdem sie aufgestanden war, hatte ich sie schon wieder vergessen. Aber jetzt sah ich sie knapp dreißig Meter vor ihm die Straße entlang gehen. Er ging sehr zügig, ich hatte Schwierigkeiten ihm zu folgen ohne zu rennen. Er durfte mich auf keinen Fall bemerken.
Ich weiß nicht in welche Richtung wir gingen, ich weiß nicht wie lange es dauerte bis das Taxi an uns vorbei fuhr. Sie winkte, rief dem Taxi nach. Ich sah wie sie dem Taxi hinterher rannte. Das Taxi hielt tatsächlich.
In dem Moment als das Taxi hielt, erstarrte er. Es war nicht das gleiche Erstarren wie in der Bar. Er fror vielmehr ganz plötzlich ein. Wir hatten mit so etwas einfach nicht gerechnet.
Womit ich jedoch nie gerechnet hätte war das, was er daraufhin tat. Er zog einen Schuh aus und schlug damit die Scheibe des nächsten Autos ein.
Er öffnete die Tür, und schaffte es das Auto zu starten. Der Motor heulte auf.
Keine Alarmanlage.
Er raste aus der Parklücke hinaus dem Taxi hinterher.
Rote Rücklichter verschwanden im Dunkel.