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Die beste Freundin
Die Freundin
Die Freundin
Es hätte nicht viel gefehlt und der Löffel wäre von der Untertasse auf den Boden gefallen, als Doreen mit zitternder Hand einen kräftigen Schluck aus ihrer Kaffeetasse nahm und in diesem Moment die Tür des kleinen Straßenkaffees aufging und Elisa herein stürzte.
>Bitte entschuldige die Verspätung. Ich glaub, ich habe drei Tage auf die blöde Straßenbahn gewartet. Wenn das so weitergeht, besorg ich mir bald irgendeine billige Karre. Hallo. Na Süße, wie geht’s Dir? O Gott, du siehst ja fürchterlich aus! Hast du geweint?<
Elisa legte ihren Mantel über den Stuhl und sah ihre Freundin fragend an.
Doch Doreen senkte nur ihren Blick und stocherte in ihrem Tortenstück herum.
In dieser Sekunde rollten dicke Tränen über ihre Wangen.
>Hey, was ist denn passiert? Hier nimm mein Taschentuch.<
Jetzt konnte Doreen sich nicht mehr zusammenreißen und schluchzte laut auf.
>Ich glaube er... er liebt mich nicht mehr.<, stammelte sie.
>Was? Wie kommst du denn darauf? Elisa setzte sich schnell hin und sah ihrer Freundin in die Augen.
>Los erzähl.<
Dann rief sie der Kellnerin zu:
>Hallo Fräulein, kann ich bitte eine Tasse Kaffee bekommen? Äh..., schwarz.<
Jetzt brach Doreen total zusammen.
>Ich glaub, er hat eine andere. Und das schon ganz lange. Bestimmt schon ein halbes Jahr. Ich hab’s immer geahnt, dass etwas nicht stimmt. Aber nun weiß ich es genau.<, schluchzte Doreen und schniefte in ihr zerknittertes Taschentuch, das von den Tränen ganz durchgeweicht war.
>Wie meinst du das? Hast du ihn etwa erwischt?<
>Nein, das nicht. Aber er ist einfach nicht mehr derselbe wie früher.<
>Wie jetzt, derselbe wie früher?< Elisa wurde hellhörig.
Weißt du, ich wollt es dir nicht sagen, aber er schläft nicht mit mir. Schon ganz lange nicht mehr. Und küssen mag er mich auch nicht. Und streicheln oder so, schon gar nicht. Und dann kommt er jeden Tag so spät aus dem Büro, säuft nur sein Bier, guckt noch stundenlang irgendwelche scheiß Filme und schnarcht dann neben mir ein. Und wenn ich ihn mal darauf anspreche, kommen nur blöde Ausreden. Ich glaube, er lügt, wenn er sagt, dass er mich liebt.<, schluchzte Doreen.
>Hmm..., ja, das kenne ich. Wie lange seit ihr jetzt zusammen? Acht Jahre? Ganz schön lange Zeit. Weißt du was? Ich glaub, nach ein paar Jahren ticken die Kerle sowieso nicht mehr richtig. Wann ward ihr denn das letzte mal zusammen aus?<
>Ha, daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.<, antwortete sie wütend.
>Du weißt doch, er tanzt nicht gerne. In den ersten Jahren - ja da war er ganz anders. Er machte mir ab und an kleine Geschenke. Manchmal kam er mit einem wunderschönen Strauß Rosen, einen Ring aus Gold, mit einem glitzernden Stein drin oder eine Schachtel Pralinen. Er wusste genau, welche ich am liebsten mag. Und jeden Tag schickte er mir mindestens eine SMS, in der er mir schrieb, dass ich sein liebster Schatz bin. Ach, er war so charmant und lieb zu mir. Es wurde erst anders, als wir zusammen in die neue Wohnung zogen. Erst war alles so schön und nun bin ich nur noch Luft für ihn. Und das ist bestimmt alles meine Schuld.
In diesem Moment bekam Doreen einen weiteren Heulkrampf. Elisa schaute böse zu den älteren Damen, die am Nebentisch saßen und ihre Hälse reckten um das Gespräch zu belauschen.
>Seid nicht so neugierig.< zischte sie ihnen zu, während sie ihre Freundin in die Arme nahm.
>Hör zu, Süße. Mach dich nicht fertig. So wie ich dich kenne, hast du ihm doch jeden Wunsch von den Augen abgelesen oder? Redet doch mal in aller Ruhe darüber.<
>Nein!<, schrie Doreen. >Er weicht mir immer aus. Er sagt, alles ist in bester Ordnung, ich sei schizophren und hysterisch und ich soll mich nicht so anstellen. Vielleicht hat er ja Recht. Scheiße, was soll ich nur machen?<
Doreen schlug die Hände über den Kopf zusammen und versuchte ihre roten Augen zu verstecken, als die Kellnerin die Tasse Kaffee für Elisa auf den Tisch stellte.
>Solls noch etwas sein? Möchten sie vielleicht einen Likör? Wir haben einen leckeren<. ...
>Nein danke, ich glaub, wir haben alles, antwortete Elisa leicht genervt!< Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu.
>OK. Ich erzähl dir mal was über Männer. Du weißt ja, dass ich auf diesem Gebiet schon einiges durch hab. Weißt du, für mich sind die alle gleich! Erst toben sie sich bei dir aus und dann zeigen sie ihr wahres Gesicht. Tut mir leid. Es ist immer das gleiche. Quasseln dir die Ohren voll und wenn sie alles bekommen haben, legen sie die Beine auf den Tisch und werden faule Schweine. Und du hast sie gefälligst zu bedienen. Ne du, also nicht mit mir.
Hör zu! Lass dir das bloß nicht gefallen. Ich würde ihn heute Abend gleich zu Rede stellen. Und wenn er nicht einlenkt? Hau ab! Du musst konsequent sein. Lieber ein Ende mit Schrecken als..., na du kennst ja den Spruch.<
>Ja, du hast gut Reden. Aber was mach ich, wenn mich keiner mehr haben will.
Hier schau mal!< Doreen sah sich kurz um, hob ganz kurz ihren Pullover hoch und zeigte Elisa ihren über die Hose quellenden Bauch. >Was meinst du? Bin ich nicht schon zu fett für die Männer? Ich bin ja nu keine zwanzig mehr. Gott, wenn ich mir vorstelle, dass mich ein anderer angrabscht – Igitt. Ich weiß nicht! Aber vielleicht sehe ich das ja alles zu eng. Was meinst du? Wie wird er wohl reagieren, wenn ich ihm sage, dass ich unglücklich bin und sich was ändern muss?<
Doreen beugte sich zu Elisa und flüsterte: >Was ist, wenn er so wütend wird, dass er mich einfach auf die Straße setzt? Er bezahlt doch die Miete. So eine Wohnlage kann ich mir gar nicht leisten. Und wenn er mir einfach den Geldhahn zudreht? Einmal, als er betrunken war, hat er mir schon an den Kopf geknallt, dass ich damit nicht umgehen kann. Und von der Kohle, die ich in dem blöden Laden kriege, kann ich mir gar nichts leisten.<
>Was? Du bist von ihm finanziell abhängig?< rief Elisa erstaunt und so laut, dass es alle im Kaffee mitbekamen.
>Psst, nicht so laut! Na ja! Du weißt doch, dass ich seit Dezember halbtags arbeite.< flüsterte Doreen peinlich berührt.
>Außerdem hab ich seit drei Jahre keine Gehaltserhöhung mehr bekommen. Mein Chef sagt, es liegt am geringem Umsatz und den hohen Personalkosten.<
>Ha, der soll mal ruhig seine Klappe halten. Hast du mal seine neue Karre gesehen? Irgend so eine schwarze Nobellimousine fährt er jetzt. Und letzte Woche hab ich ihn mit so ner platinblonden Tussi in der Skybar gesehen. Denk nicht, dass der so arm ist wie er dir gegenüber tut. Jammern tun diese Schweine alle. Pass auf Süße! Du bist viel zu gutmütig. Wenn du unglücklich bist, musst du eine Entscheidung treffen. Weißt du wie ich das sehe?
Schau sie dir doch an! Für mich sind Kerle wie die scheiß Autos. Wenn sie neu sind, riechen sie gut und laufen wie geschmiert. Aber mit der Zeit kriegen sie ihre Macken. Und irgendwann lassen sie dich total im Stich und vor allem dann, wenn du es am meisten brauchst. Und immer nur denselben fahren, ist doch kacklangweilig.
Also, hab ich recht oder was?<.
Doreen musterte sie von oben bis unten. Ja, sie sah wirklich gut aus und hatte immer noch eine Top Figur für ihr Alter. Sie wusste, dass sich ihre Freundin oft nächtelang in irgendwelchen Bars rumtrieb und trotzdem hatte sie keine einzige Falte im Gesicht. Im Gegensatz zu ihr, hielt Elisa ihr Gewicht. Ihr Busen war immer noch in Form und ihr tadelloser Po saß sexy in den Jeans. Sie hatte diese gewisse erotische Ausstrahlung und besaß genügend Selbstbewusstsein um die Männer reihenweise um den Finger zu wickeln.
>Ja, Ja, du hast gut reden. Nach dir drehen sich die Kerle ja auch alle um.<
Doreen trank den letzten Schluck Kaffee und lehnte sich nach hinten.
>Hmm... Vielleicht hast du ja Recht. Oh, ich bin so froh, dass du hier bist. Ich hab ja sonst keinen. Wenn es um Kerle geht, stehst du völlig allein da. Weißt du was?
Ich geh gleich morgen zum Frisör danach shoppen. Ich hab noch etwas Geld, von dem er nichts weiß. Ich verspreche Dir, ich bring mich wieder in Form. Aber jetzt hab ich noch Appetit auf was süßes Kühles.<
Dann hob Doreen den Daumen nach hinten an die Schulter.
>Psst. Schau mal. Der Typ da am Tisch. Ist der nicht süß? Oh, der sieht richtig lecker aus. Ich meine den Eisbecher. Los, such dir einen aus. Ich bezahl.<
Doch Elisa sah nervös auf die große alte Wanduhr, die über dem Kuchenverkaufstisch hing.
>Ne, lass mal, ich muss gleich los. Also, noch einmal. Wenn du ihn nicht mehr liebst, dann geh. Und egal, was passiert, ich bin für dich da. Wir können auch ohne die blöden Männer, oder?<
Elisa stand auf und zog sich hastig an. Erstaunt über den schnellen Aufbruch sagte Doreen:
>Mensch, du hast es aber eilig. Hast wohl schon einen neuen „Wagen“ was?
Doch Elisa ging auf ihre Frage nicht ein und lächelte nur.
>Erzähl ich dir später. Ich hab noch geschäftlich einen Termin. Ein Kunde will sich gleich ne große Zweiraumwohnung ansehen. Da muss ich unbedingt dabei sein. Gibt ne schöne Provision, wenn er unterschreibt. Also dann, mach’s gut Süße und sei nicht mehr traurig, OK? Wenn’s was neues gibt, ruf mich an.<
Elisa drückte sie fest an sich und stürmte aus dem Cafe.
Etwas verloren stand Doreen da und sah ihr nach. Die Tür ging langsam zu und Elisa war um die Ecke verschwunden. Sofort drang die eisige Februarluft in den kleinen Raum hinein und Doreen musste gleich niesen, als der kalte Windzug sie erwischte. Ihre Nase juckte und lief unaufhörlich. Sie suchte nach einem Taschentuch. Doch es war keins zur Hand. Sie überlegte, ob sie einfach die Serviette, die auf einen gedeckten Nachbartisch lag, nehmen sollte. Doch da fiel ihr ein, dass sie noch Taschentücher für den Notfall in ihrer Jacke hatte. Diese hing an der Eingangstür.
Sie durchwühlte die Taschen. Erst rechts, dann links und sah dabei flüchtig durch die große Glastür, hinaus auf die Straße.
Ihre Freundin stand noch am Straßenrand, nahe der Bushaltestelle und wickelte sich gerade ihren dicken Schal um den Hals, als in dieser Sekunde ein silbergrauer Kombi vor ihr hielt. Sie konnte genau beobachten, wie Elisa einstieg und den Fahrer zärtlich umarmte und auf den Mund küsste.
Doreen kniff die Augen zusammen, um noch schärfer sehen zu können, denn ihre Brille lag noch auf dem Tisch. Aha, dachte sie. Das war also ihr wichtiger Termin. Komisch. Sie hätte mir doch sagen können, dass sie ein Date hat.
Es dauerte ca. zehn Sekunden bis sie begriff, dass sie den Wagen sowie den Fahrer sehr gut kannte. Sie sah noch einmal hin. Jetzt war sie sicher. Ohne jeden Zweifel war der Mann am Steuer ihr Freund. In diesem Moment traf sie fast der Schlag. Sie schrie laut auf, verlor den Halt und kippte schließlich zusammen mit dem Kleiderständer um. Ihr Kopf knallte an die Tür der Herrentoilette, die sich dabei öffnete und den Blick auf zwei Männer freigab, die gerade urinierten. Der eine war so fett, dass er sich die Hose bis zu den Kniekehlen runterziehen musste, um sein Geschäft zu verrichten. Erschrocken wandte er sich ab, so dass sein Strahl die Hosenbeine sowie die hellbraunen Wildlederschuhe erfasste, die sich daraufhin dunkelbraun verfärbten. Am Becken gleich daneben stand der süße große junge „Eisbechermann“. Er guckte zwar erstaunt, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen.
Die Kellnerin, die aus der Ferne alles beobachtete, stürmte auf Doreen zu und wollte ihr hoch helfen. Sie sah, dass sie stark am Kopf blutete und war ein wenig geschockt.
>Oh, haben sie sich wehgetan? Hier, nehmen sie meine Hand und setzen sie sich da erst mal hin.<, rief sie und zog mit der anderen einen Stuhl heran.
>Ich hol schnell Verbandszeug. Halten sie sich bitte solange das Tischtuch an den Kopf. Bin gleich wieder da.<
In diesem Moment kam der junge Mann aus der Toilette und lächelte sie an.
>Hallo, geht’s wieder? Hey, die Wunde sieht nicht gut aus. Das sollte sich ein Arzt ansehen. Wo ist denn Frau, die bei dir am Tisch saß? Soll ich sie anrufen? Hier um die Ecke ist gleich ne Praxis. Wenn du willst, begleite ich dich.<
Doreen wurde puderrot und richtete sich verschämt ihre Haare.
>Oh, danke, geht schon. Ja,... Meine Freundin hat jetzt bestimmt keine Zeit für mich<, stammelte sie und senkte den Kopf.
Alles war ihr äußerst peinlich. Nur weg hier. Sie wollte sich so schnell es geht, irgendwo hin verkriechen, stand auf und stahl sich auf die Toilette. Sie verriegelte die Tür von innen und atmete durch. Aber es stank so ekelregend, dass sie würgen musste. Sie schaute sich um. An die Wände hatte irgendein „Künstler“ schmutzig, perverse Zeichnungen gekritzelt. Da dämmerte es ihr, dass sie wieder auf dem Herrenklo gelandet war. Aber das war egal. Sie musste sich erst mal sammeln. Ihr Kopf schmerzte und sie dachte an die vergangen Minuten. Unweigerlich rollten wieder die Tränen. Um sie weg zu wischen, riss sie fast einen Meter Klopapier ab und trocknete ihre Wangen. Die Toilette war eng und dreckig, aber es gab ein kleines Fenster. Sie stand auf, um es zu öffnen. Kalte, aber klare Luft strömte herein. Sogar die Sonne schien ein bisschen auf das graue Fensterbrett. Auf dem Hof spielten kleine Kinder. Ihr fröhliches Geschrei erfreute ihr Herz. Sie beobachtete das bunte Treiben ein Weilchen und langsam kamen ihre Lebensgeister wieder zurück. In diesem Moment traf sie eine Entscheidung, die sie vorher für unmöglich hielt.
Sie wusch das Gesicht, brachte ihre Klamotten wieder in Form, malte sich schnell die Lippen an und öffnete den oberen Knopf ihrer Bluse. Vorsichtig lugte sie durch die Verbindungstür zum Cafe. Sie erblickte den jungen Mann ganz am Ende des Raumes, an einem Tisch. Der las in aller Ruhe eine Zeitung und trank Kaffee. Jetzt nahm sie all ihren Mut zusammen, ging schnurstracks auf ihn zu und sprach:
>Hallo! Danke noch mal, dass du mir helfen wolltest. Darf ich meinen Eisbecher bei dir essen? Ach, ich bin übrigens Doreen...<