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Die Besucher

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04.12.2007
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Die Besucher

Er sah aus dem Fenster. Gleich würden sie kommen, dachte er, lange konnte es nicht mehr dauern. Sie kamen immer und sie waren immer pünktlich. Da fiel ihm auf, wie schnell die Zeit schon wieder vergangen war. Die Sonne stand bereits tief am Himmel und die Bäume warfen unheimliche Schatten durch das Fenster. Er hörte das dumpfe Klicken einer Türe. Rasch sah er in die Zimmerecke und registrierte, dass der Baumschatten die Ecke berührte. Pünktlich wie immer, dachte er. Er hörte ihre schweren Schritte auf dem Boden und Stimmen, die sich flüsternd miteinander unterhielten. Langsam öffnete sich nun auch die Türe des Raumes, in dem er sich befand. Jetzt geht es los, dachte er.

Als sich die Tür wieder hinter ihnen schloss, war es draußen schon dunkel. Er fühlte eine tiefe Erleichterung in sich. Er hatte es geschafft. Die Erschöpfung brach schlagartig über ihn herein, doch er war mit sich zufrieden. Er dachte über die Ereignisse der letzten Minuten nach. Oder waren es Stunden gewesen? Wenn sie da waren, verließ ihn immer das Zeitgefühl. Heute lief es besser als sonst. Er wusste zwar, dass er nichts zu befürchten hatte, solange er tat, was sie sagten, doch manchmal konnte er sich einfach nicht dazu überwinden. Heute schon. Heute war er sehr mit sich zufrieden und dafür nahm er sogar de Erschöpfung in Kauf. Dass er jetzt einige ruhige Stunden vor sich hatte, war jedoch nur ein schwacher Trost, denn er wusste, dass sie morgen wieder kommen würden. Sie kamen immer und waren immer pünktlich. Trotzdem wusste er nicht, wer sie waren. Sie hatten sich ihm nie vorgestellt, redeten aber mit ihm, als würden sie ihn schon ewig kennen. Das machte ihn oft wütend, denn immerhin war es doch sein Recht zu erfahren, wer sie waren. Der Mond schien nun durchs Fenster und signalisierte ihm, dass es Zeit für ihn war, zu schlafen. Schlagartig überkam ihn die Müdigkeit und er versuchte, es sich so gemütlich wie möglich zu machen. Doch bevor er die Augen schloss, sah er sich noch einmal im Zimmer um. Es hingen Bilder an der Wand. Er fragte sich immer, wer sie zusammengestellt hatte, denn sie passten alle überhaupt nicht zusammen. Er selbst war es jedenfalls nicht gewesen, denn er hatte nie Blumen fotografiert und die Personen waren ihm auch alle fremd. Gespenstisch grinsten sie auf ihn herab, denn sie schienen etwas zu wissen, was er nicht wusste. Schnell schloss er die Augen.

Als er sie wieder öffnete, war der Mond verschwunden und an seine Stelle sie Sonne getreten. Noch benommen registrierte er langsam, dass die Spitze des Baumes bereits die Ecke des Raumes berührte. Das Klicken der Türe ließ ihn zusammenfahren. Er hatte verschlafen. Sie waren schon da. Wie immer pünktlich. Er hatte sich überhaupt nicht auf sie vorbereiten können.
Er hörte wieder die flüsternden Stimmen, doch etwas ließ ihn aufhorchen. Es befand sich eine neue Stimme unter ihnen. Sie redete schnell und hoch. Er fand sie sehr unangenehm und hoffte, dass sie nur dieses eine Mal dabei sein würde. Als sie den Raum betraten, atmete er tief durch und schloss die Augen.

Als das Mädchen den Mann erblickte, der dort im Sessel saß, erschrak sie. Wie dünn und kraftlos er doch wirkte. Langsam ging sie auf ihn zu und beugte sich über ihn. Doch er öffnete noch nicht einmal die Augen, um sie anzusehen. Traurig nahm sie seine faltigen Hände und flüsterte ihm ins Ohr: „Opa, ich bin es. Schau mich doch bitte an.“
Von hinten trat jemand an sie heran. „Gib dir keine Mühe. Er kennt uns nicht mehr.“

 

Hallo Shamandalie,

Ok. Gute Idee aus der Perspektive des dementen Alten zu beschreiben. Allerdings ist die Schilderung seines Zimmers und seines Lebens darin etwas seltsam.
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Rasch sah er in die Zimmerecke
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Schnell schloss er die Augen.
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Schlagartig überkam ihn die Müdigkeit und er versuchte, es sich so gemütlich wie möglich zu machen.

Erweckt den Eindruck von schnellen Bewegungen, ein agiler Opa also.

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Er hatte verschlafen. Sie waren schon da. Wie immer pünktlich. Er hatte sich überhaupt nicht auf sie vorbereiten können.

Also ich kenne nur alte Menschen die schlecht schlafen oder geregelt schlafen - niemals aber verschlafen. Grade wenn am Vortag nichts außergewöhnliches passiert ist, macht es für mich wenig Sinn. Kann am Vortag nicht etwas außergewöhnliches passieren?

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Das machte ihn oft wütend, denn immerhin war es doch sein Recht zu erfahren, wer sie waren.

In meiner Erfahrung ist Wut bei Demenz eher selten (korrigiere mich wenn es nicht stimmt). Ich kenne eher die Frustration oder Trauer die aufkommt, wenn der/die Kranke merkt, dass sie wieder etwas nicht weiß - zB. wer der Gegenüber ist.

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Wenn sie da waren, verließ ihn immer das Zeitgefühl.

Seine Überlegungen wirken sonst sehr zusammenhängend, dabei hat er generell fast kein Zeitgefühl. Nicht nur wenn ihn jemand besuchen kommt.

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Doch bevor er die Augen schloss, sah er sich noch einmal im Zimmer um.

wirkt unnatürlich. So im Sinne: Ich will noch mal kurz was klar machen also lasse ich ihn sich umgucken. Ich empfinde Demenz-Kranke nicht grade also sonderlich lebendig und interessiert an der direkten Umwelt. Warum also sollte ihn auf einmal die Wanddeko interessieren? Wenn sein Blick zufällig darauf fällt, dann ok!

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Er wusste zwar, dass er nichts zu befürchten hatte, solange er tat, was sie sagten, doch manchmal konnte er sich einfach nicht dazu überwinden. Heute schon.

Wenn du aus seiner Perspektive schreibst, musst du meiner Meinung nach konkreter werden. Die Bedrohung wirkt im Nachhinein unrealistisch. Zwar kann man sich eine bedrohliche Situation vorstellen, aber nicht so abstrakt. Liest sich so: Schwarze Männer kommen und verwenden dich wie eine Puppe (anfangs dachte ich wirklich an eine Art moderner Sklaverei) und kommen am nächsten Tag wieder.
Die Bedrohung in diesem Fall ist doch wesentlich subtiler udn entsteht aus seiner eigenen Unsicherheit. Beschreibe doch bitte etwas näher wieso er sich bedroht fühlt und zu was er sich gezwungen fühlt. Eine Reduktion der Bedrohung auf abgenutzte Bilder passt hier nicht.

So weit so gut. Generell ausbaufähig, aber gut. Wie wäre es außerdem, wenn an einem der beiden beschriebenen Tage etwas von Wichtigkeit passiert. zB. wird er am ersten Tag mit etwas neuem konfrontiert. Die Auseinandersetzung mit demjenigen (oder dem objekt) strengt ihn an. Aber vielleicht ist die Begegnung mit seiner Enkelin zB. durchaus positiv. Vielleicht fühlt er sich nciht bedroht von ihr. Vielleicht erinnert sie ihn an seine verstorbene Frau. Demente Menschen erinnern sich ja oft an die weit zurück liegenden Dinge.
Etwas besonderes passiert --> Er verschläft, ein Bruch in (s)einem Rhythmus. Doch dann die Erkenntnis: Die Mühle dreht sich doch weiter. Am nächsten Tag ist die Bedrohung zurück...

Grüße,
nikonotiz.

 

Hallo Shamandalie

Die Idee der Geschichte und deren Perspektive gefallen mir sehr gut. In der Ausgestaltung geht es mir ähnlich wie nikonotiz. Erst dachte ich an eine Ominöse Geschichte oder Wahnvorstellungen.

Bei einem zweiten Lesen, hatte ich einen anderen Bezug dazu, da ich die Wahrnehmung des Alten verstand. Je nach Stadium einer Demenzerkrankung gibt es verschiedene Phasen, wie der Einzelne seine Umwelt noch wahrnimmt. M. W. lässt erst das Kurzzeitgedächtnis nach und es treten zeitweise Aussetzer des Erkennens und Erinnerns ein. Beim Opa in der Geschichte ist dies wahrscheinlich schon sehr fortgeschritten.

Ich denke auch, mit einer Überarbeitung der Empfindungen und der Sicht des Alten, könntest du aus der Geschichte noch etwas herausholen. Dass es sich erst am Schluss aufklärt, finde ich aber sehr gelungen.

Gern gelesen.

Gruss

Anakreon

 

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