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Die Bewerbung
»Beschreiben Sie Ihre Persönlichkeit. Nennen Sie uns Ihre Stärken und Schwächen.«
»Ja, wenn ich es mir so recht überlege, dann -da möchte ich keine langen Umschweife machen- bin ich das, was man einen Winner-Typ nennt. Was ich anpacke, gelingt mir. Manchmal wundere ich mich selbst, mit welch leichter Hand ich Dinge zum Erfolg führe, nicht nur in der harten Business-Welt, auch im Privaten -sie wissen sicherlich, was ich meine.
All meine Stärken aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Ich beschränke mich daher auf diejenigen, die ich selbst für meine herausragensden halte: Zielstrebigkeit. Kompetenz, Teamfähigkeit, Gespür für Potential, wie verborgen es auch sein mag, weiter Redegewandtheit, Überzeugungskraft, Charme.
Bei meinen Schwächen muss ich schon länger nachdenken. Da fällt mir eigentlich nur mein Perfektionismus ein. Ich kann einfach nicht aufhören, bis alles meinen extrem hohen Anforderungen gerecht wird.«
»Danke, das genügt«, nutzte die adrette Personalassistentin die Sprechpause des Bewerbers. Dabei blickte sie von ihren Notizen auf, die sie an die vorgesehenen Stellen ihres Fragebogens hingekritzelt hatte. Ich signalisierte ihr, dem Bewerber gerne eine Frage stellen zu wollen. Lächelnd gab sie meiner Bitte statt.
Ich musterte den Kandidaten mit prüfendem Blick von oben nach unten.
»Was ist eigentlich mit Ihrem Selbstbewusstsein? Davon erwähnten Sie vorhin nichts in Ihrer Aufstellung.«
»Sie haben vollkommen Recht. Andererseits dachte ich, meine Ausstrahlung mache die besondere Erwähnung dieser Eigenschaft überflüssig …«
Ich blickte ihn derart finster an, dass er seinen Satz abrupt abbrach.
»Höflichkeit scheinen Sie dagegen weniger zu schätzen. Das vereinfacht die Sache. Dann brauche ich es Ihnen gegenüber nicht an Deutlichkeit fehlen zu lassen.
Sie glauben also, ein Winner-Typ zu sein. Wie kommen Sie nur darauf? Wissen sie was Sie sind? Ein Blödmann!«
»Bitte Herr ... «, fiel mir die Personalassistentin ins Wort.
»Ein Winner-Typ würde sich niemals auf so eine bescheuerte Anzeige für so eine mies bezahlte Stelle mit so überzogenem Anforderungsprofil bewerben.«
Mein Gegenüber suchte unerbittlich Augenkontakt.
»Wollen Sie wissen, wer vor Ihnen auf Ihrem Stuhl gesessen hat?«, wehrte ich mich genervt, »Ich werde es Ihnen verraten. Die Erste hatte einen großen Busen, die Zweite trug einen kurzen Rock und die Dritte einen verflucht gut sitzenden Business-Dress. Mit Ihnen sprechen wir nur wegen der Quote. Das sollten Sie bedenken. Bei solch augenfälliger Konkurrenz glauben Sie, uns mit so billigem Geschwafel beeindrucken zu können? Da hätten Sie sich schon ein bisschen mehr einfallen lassen müssen. Raten Sie mal, welche positiven Eigenschaften Ihre Vorgängerinnen aufgezählt haben Zielstrebigkeit, Kompetenz, Teamfähigkeit, Gespür für Potential, Redegewandtheit, Überzeugungskraft, Charme. Und welche Schwächen? Die Erste meinte Perfektionismus, die Zweite Perfektionismus und die Dritte? Sie raten es? Perfektionismus.«
»Das zeugt doch nur davon, wie professionell sich alle Eingeladenen auf dieses Gespräch vorbereitet haben«, bemerkte die Personalassistentin.
»Pech gehabt«, fuhr ich fort, ohne ihren Einwand zu beachten, »dass sie alle demselben Ratgeber gefolgt sind Top-Strategien für Top-Bewerber, dem Sonderangebot unseres Lieblingsdiscounters von vorletzter Woche.«
Zur Verblüffung aller zog ich ein Exemplar dieses Buches aus einem vor mir liegenden Umschlag und schlug es dem Bewerber auf den Kopf.
»Nur ein Dummkopf wie Sie, glaubt die Lösung seiner Probleme auf dem Wühltisch zu finden.«
»Ich muss Sie jetzt ein letztes Mal bitten, Ihren Interviewstil zu mäßigen. Bemerken Sie nicht, wie sehr Sie mit Ihrem Verhalten dem Image unseres Unternehmens schaden?«, unterbrach mich die Personalassistentin.
»Sie sollten lieber dankbar sein, dass ich zu verhindern weiß, unsere begehrten Arbeitsplätze mit Ignoranten zu besetzen.«
»Das lass ich mir von Ihnen nicht sagen!« Wut entbrannt verließ die Personalassistentin den tageslichtlosen Besprechungsraum.
»OK«, wandte ich mich in sachlichem Ton wieder dem Bewerber zu, »wenn wir zwei nun allein sind, kann ich das Interview ja in meinem Sinne weiterführen. Wie stellen Sie sich Ihre Position in unserem Unternehmen vor? Welche Perspektiven schweben Ihnen vor?«
»Ich steige ein als Trainee, um mich als Kundenberater zu qualifizieren. Ich möchte mein Wissen von der Pike auf erlernen, mich an das Wertpapiergeschäft heranarbeiten, bis ich mein Ziel erreiche: Manager hochspekulativer Fonds.«
»Beachtlich! Wissen Sie, wer Ihre Kunden sein werden,? Ich meine, wenn sie es geschafft haben und Fondmanager sind.
»Mutige Menschen, die das Risiko lieben, Verlust nicht fürchten und Gewinn nicht träge macht. Unter Ihnen werden hoch vermögende Persönlichkeiten sein, aber auch Glücksritter und solche, die keine andere Chance haben, als alles auf eine Karte zu setzen.«
»Zu welcher Gruppe rechnen Sie sich?«
»Ich stehe erst am Anfang.«
»Sprechen Sie es doch offen und ehrlich aus. Sie gehören zu den Habenichtsen, wie es heute so schön heißt. Aber Sie glauben, Menschen, die soviel Geld haben, dass, wenn sie es scheißen müssten, sie den Klodeckel nicht mehr herunter klappen könnten, auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Erkennen Sie, wo Ihr Problem liegt?«
»Bei den meisten mag das ein Problem sein, ich selbst sehe das nicht so. Ich kenne keinen Neid. Ich gönne jedem seinen Erfolg. Ohne erfolgreiche Menschen sähe unsere Welt trostloser aus.«
»Interessant! Bedenken Sie, das Geld, was Ihr Engagement anderen, die längst die Taschen voll haben, zuführt, wird an anderer Stelle fehlen. Ihr Erfolg lässt Kindergärten und Schulen verfallen, Straßen und Schienenstränge verrotten, Ihr Stadtviertel zum Slum verkommen.«
»Ich habe keine moralischen Bedenken, den Rahmen, den unsere Gesetze bieten, in meinem Job optimal auszuschöpfen. Licht und Schatten bedingen nun mal einander.«
»Ah, unser Winner-Typ ist auch Philosoph. Wissen Sie, was Sie sind? Ein Arschloch!«
In diesem Moment riss der Personalchef -die Personalassistentin mit geröteten Wangen im Schlepptau- die Tür zum Besprechungsraum auf. Ich begrüßte ihn mit festem Handschlag. Sein Gesicht entspannte sichtlich.
»Hören Sie sich gut an«, richtete er sich an den Bewerber, »was unser erfolgreichster Fondsmanager Ihnen zu sagen hat. Nur selten nimmt er sich die Zeit, die neuen Mitarbeiter persönlich auszusuchen.«
»Schade, dass Sie erst so spät zu uns stoßen«, antwortete ich an Stelle des Angesprochenen, » unser junger Freund hat gerade eingesehen, dass es keinen Sinn macht, seine Bewerbung aufrechtzuerhalten.«
Als ich den Bewerber über den Flur zum Ausgang begleitete, sprach er mich noch einmal an.
»In dem Ratgeber, den Sie so wenig schätzen stand, dass man sich bei einem missglückten Gespräch nicht scheuen sollte, danach zu fragen, was man besser machen könne. Welche negative Eigenschaft hätten Sie an meiner Stelle erwähnt?«
»Als ich mich vor Urzeiten auf meine Stelle hier beworben habe, wurden einem solche Fragen noch nicht gestellt. An Ihrer Stelle würde ich bei nächster Gelegenheit sagen meine negative Eigenschaft ist, selbst beim Bumsen kurz vor dem Höhepunkt immer den Hörer abnehmen zu müssen, wenn das Telephon läutet. Dann weiß man zumindest, dass Sie Sex haben, der Ihnen offensichtlich fehlt. Derart ausgeglichene Mitarbeiter sind einfach entspannter. Außerdem hätten Sie signalisiert, auf eine große Herausforderung zu warten, die Ihr Leben verändern soll.«
»Meinen Sie wirklich?«, fragte mich der Bewerber.
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, als ich bereits zum nächsten Gespräch gerufen wurde