Die Darmgeschichte
Oberschwester Inge betrat das Schwesternzimmer, ergriff die Krankenblätter und plazierte sich hinter ihren Schreibtisch.
Auf Alina, die Hilfsschwester achtete sie nicht. Einzig ihre Krankenblätter und die dazu gehörenden Krankheiten waren ihrer Aufmerksamkeit würdig.
„Der Tag verlief ohne Zwischenfälle“, berichtete Alina, in der vorgeschriebenen Weise, ihrer Vorgesetzten.
„Nur Herr Lüttenhaus hat sein Schlaftablette noch nicht eingenommen.“
„Wer ist Herr Lüttenhaus, ich will die Krankheit.“
Alina seufzte, Der General war die einzig richtige Bezeichnung der Oberschwester.“
„Die Darmgeschichte.“
„Ach was!“ Dröhnte es hinter dem Schreibtisch des Generals.
„Ich erledige das!“, triumphierte der General und blies zum Angriff auf die Darmgeschichte.
Die Darmgeschichte langweilte sich und der dazu gehörende Patient zippte lustlos durch die Fernsehprogramme.
„Herr Ferdinand Lüttenhaus.“ Jäh sprang die Tür auf. Der Patient widerstand dem Gefühl stramm zu stehen. Stattdessen spähte er mit einem unschuldigen Blick zur Tür.
„So, jetzt nehmen wir unsere Schlaftablette“, stürmte der General das Krankenzimmer.
Ferdinand setzte sich auf das Bett.
„Wieso wir?“, Wehrte Ferdinand den ersten Angriff ab.
„Is doch verboten?“
„Was soll verboten sein?“, stotterte der General. Man sah ihm an dass er mit Gegenwehr nicht gerechnet hatte.
„Ferdinand setzte sein 'ich hab auch keine Ahnung Gesicht' auf.
„Im Nachtdienst Schlafen.“
„Ich will nicht schlafen!“ Das Barometer kletterte auf Sturm.
„Ich bin im Dienst.“
Ferdinand kurbelte seinen Körper in die Lotrechte.
„Dann brauchen Sie auch keine Schlaftablette.“
„Sind Sie krank? Ich glaube Sie fantasieren.“
„Sonst wäre ich ja nicht hier“, Ferdinands Langeweile war wie weggeblasen.
„Außerdem“, Ferdinand rülpste hinter vorgehaltener Hand. „Sie betraten das Zimmer und sagten, dass wir jetzt unsere Schlaftablette nehmen sollten.“
„Sie verstehen das falsch“, keifte der General.
„Ach was.“ Ferdinand war in seinem Element.
„Kein Nachtdienst, da freue ich mich für Sie. Diese Schicht ist bestimmt besonders anstrengend.“
„Und dann noch die Patienten“, seufzte er mitfühlend.
„Selbstverständlich habe ich Nachtdienst.“ Der General versuchte in die Offensive zu gehen.
„Weshalb stehe ich wohl hier“, triumphierte er.
Ferdinand schaute einige Minuten aus dem Fenster. Wandte sich wieder seinem Kontrahenten zu und schüttelte besorgt den Kopf.
„Ich glaube, Sie sind etwas durcheinander.“
Die Tabletten prasselten auf das Krankenbett, die Mundwinkel fielen herab und die rote Mähne flatterte zum Sturm.
„Ich bin Oberschwester Inge“, sagte sie fassungslos und rang einige Sekunden nach Luft.
„Oh“, sagte Ferdinand, „und ich dachte Sie sind hier der General.“ Listig wie er nun einmal war, hatte er vor zwei Tagen ein aufschlussreiches Gespräch im Schwesternzimmer belauscht.
„Ich bringe überhaupt nichts durcheinander, Herr Lüttenhaus.“ Der General rang mühsam um Fassung.
Ferdinand schlüpfte flink, wie ein Wiesel, auf den Balkon und beschlagnahmte den einzigen Liegestuhl. Genüsslich zündete er sich eine Zigarette an.
„Wir nehmen jetzt die Tablette und dann gehen wir ins Bett, sonst rufen wir den Stationsarzt“, zischte es durch die geöffnete Balkontür.
„Ich nicht!“
„Was... ich nicht?“
„Ich rufe nicht den Stationsarzt.“ Ferdinand erhob sich und betrat wieder das Zimmer.
„Stellen Sie sich vor, der Arzt betritt dieses Zimmer und findet uns im Bett.“
Ferdinand klein von Gestalt, aber groß von im Geist stellte sich vor den General.
„Denken Sie doch an ihren guten Ruf, und den Job.“
Der General und die Oberschwester waren dem Nervenzusammenbruch nahe, wobei sich der erste freiwillig dem Patienten das Feld überließ.
„Bitte, nehmen Sie ihre Tablette, morgen Vormittag ist doch ihre Operation“, schluchzte die Oberschwester.
„Der Chefarzt wird wütend, wenn Sie nicht morgen...“
„Ach Ja!“ Ferdinand strich sich über seine Glatze, meine Darmgeschichte, hätte ich beinahe vergessen.
„Danke, dass Sie mich daran erinnert haben.“ Zufrieden legte er sich ins Bett. Bevor die Tablette wirken konnte war Ferdinand eingeschlafen.