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Die dritte Wahl

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21.12.2007
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Die dritte Wahl

Ich stand im Flur und starrte den Blumenstrauß an, der neben der Tür stand. Die war eben hinter der jungen Frau ins Schloss gefallen. Sie hatte mir gesagt, dass sie die Geliebte meines Mannes sei - und entschlossen, um ihn zu kämpfen. Sie wolle mir das persönlich sagen, um die Dinge zu beschleunigen. Die Rosen sahen immer noch aus wie an dem Tag, an dem Viktor sie mir mitgebracht hatte. Moosröschen mit frischem Grün, meine Lieblingskombination. Er schenkte mir oft Blumen. „Anstelle von Diamanten“, sagte er dann, weil er wusste, dass ich keinen Schmuck trug. Welche Dinge wollte sie beschleunigen? Wollte Viktor mich verlassen?

Wir hatten vorgestern Nacht noch Sex gehabt. Weil es schon spät war, kamen wir schnell zur Sache. Es war gut. Es war fast immer gut, denn er war zärtlich, versiert und bestimmt genug, um mich nicht zu langweilen. Nachher schlief er ein, ein Arm und ein Bein über mich gelegt. Ich hatte nicht den geringsten Verdacht.

Ich stand im Flur und starrte den Blumenstrauß an. Ich wartete auf ein Gefühl. Die Katze lief an mir vorbei, quetschte sich durch die Klappe und verschwand nach draußen. Es war halb eins Mittags und die Sonne fiel golden durch das Fensterchen in der Tür. Mein Sehfeld verengte sich, von den Rändern breitete sich silbergoldenes Glitzern aus, zog einen grauen Schleier hinter sich her und begann, mir die Sicht zu nehmen. Ich streckte die Hand nach der Garderobe aus, hielt mich an Viktors Mantel fest und wartete darauf, dass die Aura wieder verschwand. Erinnerungen klappten auf und zu wie Türen: Viktor im Anzug vor der Polizeikette, Viktor, der seine Elvis-Imitation zum Besten gibt, Viktor mit einem Drink auf dem Sofa, Viktor in seinem Büro, Viktors Tränen am Grab seines Vaters, Viktor am Grab meiner Mutter, Levin am Grab meiner Mutter, Levin in den Dünen, Levin über mir, Levin in mir, Levin. Eine merkwürdige Art von Trotz stieg in mir auf. Viktor hatte sein Recht aufgegeben.

Levin sah immer noch fantastisch aus. Groß, hager und verwegen mit seinem langen Haar und dem grauen Bart. Als er mich umarmte, überfiel mich eine grauenvolle Schwäche. Es war, als hätten die Migränetabletten nur den Kopfschmerz gedämpft; die übrigen Symptome brachen in diesem Moment über mich herein wie eine Welle aus Eiswasser. Sein selbstsicherer, tiefer Kuss wärmte mich nicht; ich klammerte mich an ihm fest und presste mich gegen seinen harten, sehnigen Körper. Er drückte mich auf das Sofa und nahm mich dort, als hätten wir unsere Beziehung nie unterbrochen. Ich glaubte, erfrieren zu müssen und kam trotzdem nach wenigen Minuten. „Das ist unglaublich“, lachte er atemlos, „du gehst immer noch genauso ab wie früher.“

„Dauernd darüber nachzudenken“, erklärte Levin ein paar Tage später und zündete eine Zigarette an, „macht dich bloß fertig, Alex.“ Das kaum hörbare, weiche, holländische Zischen am Ende meines Namens kroch mir immer noch in den Slip. Er schob mir die Zigarette zwischen die Lippen. „Er hat dir ja schon am Telefon gesagt, dass er die Kleine abserviert hat und alles tun würde, damit du zurückkommst. Du kannst dich also locker machen und die Zeit genießen, bevor du wieder monogam wirst.“ Er zwinkerte mir zu und drückte meinen Oberschenkel. Die Berührung verursachte ein begehrliches Ziehen tief unten in meinem Bauch, für das ich mich vor mir selbst schämte.

„Und was ist mit Levin?“, fragt Viktor. Ich will nicht über Levin sprechen und blocke ab: „Ich frage auch nicht nach dieser Miriam.“
„Das ist nicht das gleiche.“
Ich lasse mich demonstrativ nach hinten fallen, gegen die Stuhllehne. Hoffentlich fragt er nicht weiter.
„Vergiss es“, sagt er undeutlich, senkt den Kopf und schüttelt ihn. „Tut mir leid.“
Er weiß es. Wahrscheinlich hat er es immer gewusst oder zumindest gespürt.
„Du hast ja Recht.“ Mein Sehfeld verengt sich, von den Rändern breitet sich silbergoldenes Glitzern aus.
„Du hast dich verknallt“, höre ich seine Stimme durch das Grau, das dem Glitzern folgt und mir die Sicht nimmt. Er klingt erschöpft, als er fragt, seit wann das so ist. Ich sage es ihm und warte darauf, dass die Aura vorbeigeht, der Kopfschmerz einsetzt oder Viktor endlich die Stille durchbricht.
„Wenn du trotzdem zurückkommst…“, sagt er nach einer Ewigkeit, gerade in dem Moment, wo mir ein dumpfer Schmerz in die Schläfe fährt und ich Viktors Konturen wieder erkennen kann. „Also, das wäre schön, Alexa.“
Ich schiebe meine Arme weiter über die Tischplatte. Er nimmt meine Hände ohne Zögern. „Wenn du willst, fahre ich dich jetzt irgendwohin, wo du dich hinlegen kannst.“

Natürlich hat er es gemerkt. „Man sieht es an deinen Augen“, sagt er immer. Ich denke nicht, dass "man" es sieht. Er sieht es. Ich drücke seine Hände. „Lass uns nach Hause gehen, Viktor.“

 
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hi richard,

dieser kleine stolperstein gleich am anfang deiner geschichte ließ mich schwer in die story eintauchen:

Die war die eben hinter der jungen Frau ins Schloss gefallen.
ich glaube hier ist ein die zu viel, oder?

aber je mehr ich weiter gelesen habe, desto besser wurde der text, finde ich. sie findet heraus, dass ihr viktor fremd geht, geht selbst fremd und zum schluss finden sie wieder zusammen, jedenfalls wollen sie es, aber du spielst darauf an, dass sich in der zwischenzeit ihre gefühle verändert haben ... ich finde du hast einen sicheren schreibstil, verwendest meistens frische vergleiche. mhm ... ja in einem so kurzen text kannst du halt deine charaktere auch nicht groß entfalten lassen, ich finde diesen levin hast du gut charakterisiert, auch den prot, dieses trotzgefühl versteht man gut, was ja schließlich zur affäre führt. aber wieso viktor fremdgeht erfahre ich nicht. anscheinend schien ja alles wie immer gewesen sein. das würde ich zum schluss noch etwas mehr auflösen. insgesamt würde ich den viktor etwas mehr zeichnen und dem leser präsentieren, denn er ist ja die eigentliche schlüsselfigur dieser geschichte, aber von ihm bekomme ich am wenigsten mit.

zeug was mir aufgefallen ist:


„Er hat dir ja schon am Telefon gesagt, dass er die Kleine abserviert hat alles tun würde, damit du zurückkommst.
'abserviert hat und alles tun würde', meintest du glaube ich.

Es war halb eins Mittags, es war warm, die Sonne schien.
also ich persönlich würde das setting etwas anschaulicher aufziehen. es ist warm, mittag, die sonne scheint: da habe ich einfach keine bilder vor augen, das klingt einfach so nach: es ist schön. ich hoffe du verstehst was ich meine, ich kann einfach das geschehen nicht vor augen sehen, nicht riechen, nicht fühlen. hätte mir beim lesen besser gefallen, würdest du mehr detailbeschreibungen der umgebung mit einfädeln, die mir das ganze anschaulicher machen.

Die Berührung verursache ein begehrliches Ziehen tief unten in meinem Bauch, für das ich mich vor mir selbst schämte.
verursachte

„Und was ist mit Levin?“, fragt Viktor. Ich will nicht über Levin sprechen und blocke ab: „Ich frage auch nicht nach dieser Miriam.“
ist es absicht, dass der letzte absatz im präsens verfasst ist? finde ich nicht gut. das stört irgendwie den lesefluss, finde ich.

Ich sage es ihm und warte darauf, dass die Aura vorbeigeht, der Kopfschmerz einsetzt oder Viktor endlich die Stille durchbricht.
mit dem wort 'aura' habe ich mir irgendwie immer beim lesen schwer getan ... weiß auch nicht, mit aura verbinde ich eigentlich etwas anderes, eher irgendein energiefeld, das einen anderen menschen umgibt, als ein gefühl an einem selbst.


ansonsten habe ich deine kleine geschichte gern gelesen. ich finde, dieser innerliche kampf der protagonistin, wie sie mit der affäre ihres mannes/freundes umgehen soll, kommt gut heraus.


grüße,
zigga

 
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Hallo Zigga, vielen Dank für deine ausführliche Kritik! Die Fehler habe ich korrigiert.

> insgesamt würde ich den viktor etwas mehr zeichnen und dem leser präsentieren, denn er ist ja die eigentliche schlüsselfigur dieser geschichte, aber von ihm bekomme ich am wenigsten mit.

Es gibt die gleiche Geschichte nochmal zweimal - aus Viktors und aus Levins Sicht. Ich hätte die Geschichten vielleicht zu einer zusammenfassen sollen, damit das deutlicher wird, aber dann wäre die Kurzgeschichte nicht mehr kurz gewesen :-) Die "Zweite Wahl" ist jedenfalls aus Viktors Perspektive geschrieben.

> es ist warm, mittag, die sonne scheint: da habe ich einfach keine bilder vor augen, das klingt einfach so nach: es ist schön.

So war es auch gemeint. Die Protagonistin stellt gefühlstaub fest, dass draußen hellichter und herrlicher Tag ist, während drinnen ihre Welt ins Wanken gerät. Die Gegenüberstellung ist mir wohl nicht so ganz gelungen.

> ist es absicht, dass der letzte absatz im präsens verfasst ist? finde ich nicht gut. das stört irgendwie den lesefluss, finde ich.

Ja, das ist Absicht. Ich wollte eigentlich erreichen, dass dem Leser deutlich wird, dass sich die Protagonisten auf einmal im Jetzt befinden und nicht mehr in der Vergangenheit. Eine Unterbrechung des Leseflusses war aber nicht beabsichtigt. Ich werde mal drüber nachdenken, wie ich das verbessern kann.

> mit dem wort 'aura' habe ich mir irgendwie immer beim lesen schwer getan ... weiß auch nicht, mit aura verbinde ich eigentlich etwas anderes, eher irgendein energiefeld, das einen anderen menschen umgibt, als ein gefühl an einem selbst.

Na ja, die Vorboten einer Migräne (wie z.B. Sehstörungen) heißen nun mal Aura, was soll ich machen :-D

Nochmal vielen Dank für's aufmerksame Lesen und Kommentieren!

Richard

 

hey richard!

Es gibt die gleiche Geschichte nochmal zweimal - aus Viktors und aus Levins Sicht. Ich hätte die Geschichten vielleicht zu einer zusammenfassen sollen, damit das deutlicher wird, aber dann wäre die Kurzgeschichte nicht mehr kurz gewesen :-) Die "Zweite Wahl" ist jedenfalls aus Viktors Perspektive geschrieben.
achso, okay. habe die anderen beiden jetzt nicht gelesen gehabt, aber im prinzip sollte jede geschichte schon für sich alleine stehen können. ich glaube die drei geschichten hättest du auch locker in einem 'größeren' text zusammenschustern können, so lange sind die einzelnen teile jetzt auch nicht, finde ich. mein kommentar war lediglich zu diesem text hier gedacht.

Na ja, die Vorboten einer Migräne (wie z.B. Sehstörungen) heißen nun mal Aura, was soll ich machen :-D
ich weiß, kannste nix dafür :D ist mir halt eben beim lesen an mir aufgefallen, dass mir das wort irgendwie nicht so gefiel, aber egal.
bin gespannt, was du noch so aus dem hut zauberst!

grüße,
zigga.

 

Hallo Zigga, lieb von dir, dass du dir den Rest auch noch reingepfiffen hast :-) Und beim nächsten Mal mache ich eine Geschichte aus einem solchen Experiment!

Viele Grüße

Richard

 

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