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Die dritte Wahl
Ich stand im Flur und starrte den Blumenstrauß an, der neben der Tür stand. Die war eben hinter der jungen Frau ins Schloss gefallen. Sie hatte mir gesagt, dass sie die Geliebte meines Mannes sei - und entschlossen, um ihn zu kämpfen. Sie wolle mir das persönlich sagen, um die Dinge zu beschleunigen. Die Rosen sahen immer noch aus wie an dem Tag, an dem Viktor sie mir mitgebracht hatte. Moosröschen mit frischem Grün, meine Lieblingskombination. Er schenkte mir oft Blumen. „Anstelle von Diamanten“, sagte er dann, weil er wusste, dass ich keinen Schmuck trug. Welche Dinge wollte sie beschleunigen? Wollte Viktor mich verlassen?
Wir hatten vorgestern Nacht noch Sex gehabt. Weil es schon spät war, kamen wir schnell zur Sache. Es war gut. Es war fast immer gut, denn er war zärtlich, versiert und bestimmt genug, um mich nicht zu langweilen. Nachher schlief er ein, ein Arm und ein Bein über mich gelegt. Ich hatte nicht den geringsten Verdacht.
Ich stand im Flur und starrte den Blumenstrauß an. Ich wartete auf ein Gefühl. Die Katze lief an mir vorbei, quetschte sich durch die Klappe und verschwand nach draußen. Es war halb eins Mittags und die Sonne fiel golden durch das Fensterchen in der Tür. Mein Sehfeld verengte sich, von den Rändern breitete sich silbergoldenes Glitzern aus, zog einen grauen Schleier hinter sich her und begann, mir die Sicht zu nehmen. Ich streckte die Hand nach der Garderobe aus, hielt mich an Viktors Mantel fest und wartete darauf, dass die Aura wieder verschwand. Erinnerungen klappten auf und zu wie Türen: Viktor im Anzug vor der Polizeikette, Viktor, der seine Elvis-Imitation zum Besten gibt, Viktor mit einem Drink auf dem Sofa, Viktor in seinem Büro, Viktors Tränen am Grab seines Vaters, Viktor am Grab meiner Mutter, Levin am Grab meiner Mutter, Levin in den Dünen, Levin über mir, Levin in mir, Levin. Eine merkwürdige Art von Trotz stieg in mir auf. Viktor hatte sein Recht aufgegeben.
Levin sah immer noch fantastisch aus. Groß, hager und verwegen mit seinem langen Haar und dem grauen Bart. Als er mich umarmte, überfiel mich eine grauenvolle Schwäche. Es war, als hätten die Migränetabletten nur den Kopfschmerz gedämpft; die übrigen Symptome brachen in diesem Moment über mich herein wie eine Welle aus Eiswasser. Sein selbstsicherer, tiefer Kuss wärmte mich nicht; ich klammerte mich an ihm fest und presste mich gegen seinen harten, sehnigen Körper. Er drückte mich auf das Sofa und nahm mich dort, als hätten wir unsere Beziehung nie unterbrochen. Ich glaubte, erfrieren zu müssen und kam trotzdem nach wenigen Minuten. „Das ist unglaublich“, lachte er atemlos, „du gehst immer noch genauso ab wie früher.“
„Dauernd darüber nachzudenken“, erklärte Levin ein paar Tage später und zündete eine Zigarette an, „macht dich bloß fertig, Alex.“ Das kaum hörbare, weiche, holländische Zischen am Ende meines Namens kroch mir immer noch in den Slip. Er schob mir die Zigarette zwischen die Lippen. „Er hat dir ja schon am Telefon gesagt, dass er die Kleine abserviert hat und alles tun würde, damit du zurückkommst. Du kannst dich also locker machen und die Zeit genießen, bevor du wieder monogam wirst.“ Er zwinkerte mir zu und drückte meinen Oberschenkel. Die Berührung verursachte ein begehrliches Ziehen tief unten in meinem Bauch, für das ich mich vor mir selbst schämte.
„Und was ist mit Levin?“, fragt Viktor. Ich will nicht über Levin sprechen und blocke ab: „Ich frage auch nicht nach dieser Miriam.“
„Das ist nicht das gleiche.“
Ich lasse mich demonstrativ nach hinten fallen, gegen die Stuhllehne. Hoffentlich fragt er nicht weiter.
„Vergiss es“, sagt er undeutlich, senkt den Kopf und schüttelt ihn. „Tut mir leid.“
Er weiß es. Wahrscheinlich hat er es immer gewusst oder zumindest gespürt.
„Du hast ja Recht.“ Mein Sehfeld verengt sich, von den Rändern breitet sich silbergoldenes Glitzern aus.
„Du hast dich verknallt“, höre ich seine Stimme durch das Grau, das dem Glitzern folgt und mir die Sicht nimmt. Er klingt erschöpft, als er fragt, seit wann das so ist. Ich sage es ihm und warte darauf, dass die Aura vorbeigeht, der Kopfschmerz einsetzt oder Viktor endlich die Stille durchbricht.
„Wenn du trotzdem zurückkommst…“, sagt er nach einer Ewigkeit, gerade in dem Moment, wo mir ein dumpfer Schmerz in die Schläfe fährt und ich Viktors Konturen wieder erkennen kann. „Also, das wäre schön, Alexa.“
Ich schiebe meine Arme weiter über die Tischplatte. Er nimmt meine Hände ohne Zögern. „Wenn du willst, fahre ich dich jetzt irgendwohin, wo du dich hinlegen kannst.“
Natürlich hat er es gemerkt. „Man sieht es an deinen Augen“, sagt er immer. Ich denke nicht, dass "man" es sieht. Er sieht es. Ich drücke seine Hände. „Lass uns nach Hause gehen, Viktor.“