Mitglied
- Beitritt
- 02.11.2007
- Beiträge
- 108
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Die dunklen Tiefen
1. Akt: Der Auftrag und wie es begann
Es gibt Menschen, die behaupten, dass, wenn ein Mensch böse Dinge tut, er von einem Dämon beseelt oder selbst einer ist. Der Mann, der an jenem grauen Herbsttag, gekleidet in einem schwarzen Mantel, einer schwarzen Stoffhose und dazu passenden schwarzen Schuhen mit einem ebenfalls schwarzen Aktenkoffer in der rechten Hand, auf dem Weg zu einer von Hamburgs U-Bahnstationen war, glaubte nicht an so etwas. Für ihn waren Menschen, die derartige Behauptungen aufstellten, nichts anderes als abergläubische Neandertaler, die sich mit ihren aberwitzigen und idiotischen Theorien in der Öffentlichkeit profilieren wollten. Genau diese Menschen hatten auch behauptet, dass am ersten Januar 2000 die Welt untergehen würde. Und was war geschehen? Natürlich nichts. Was hätte auch geschehen sollen? Diese Geschichten waren nichts als Ammenmärchen, die Mütter ihren Kindern erzählten, wenn diese mit einer Spieluhr neben sich im Bett lagen.
Der Name dieses in Schwarz gekleideten Mannes lautete Markus Schmitz. Vor einigen Tagen hatte er eine Nachricht bekommen…
Markus saß in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa und schaute fern. Es war kurz nach acht Uhr abends und auf dem Bildschirm war die Tagesschau zu sehen. Der Sprecher kündigte gerade einen Bericht über die Bundeskanzlerin und die Terrorgefahr in Deutschland an. Teilnahmslos drückte er den ON/OFF-Knopf der Fernbedienung und das Bild des TV-Gerätes wich einem dunklen Grau. Markus stand vom Sofa auf, schnappte sich seinen Mantel und verließ die Wohnung, nicht ohne vorher noch einmal überprüft zu haben, dass alles seine Ordnung hatte. Dann verschwand der Schlüssel in seiner Manteltasche und er ging zügig die Treppen herunter.
„Guten Tag.“ Eine junge Frau, Markus’ Nachbarin, kam ihm auf halbem Wege nach unten entgegen.
„Hallo“, antwortete er knapp. Die Treppe war recht eng gebaut und so mussten beide ein wenig Platz machen, um aneinander vorbei zu kommen. Sie brachte einen angenehmen, unaufdringlichen Duft mit sich, der fast noch bis zur Haustür einen Stock tiefer präsent war.
Draußen war es bereits dunkel und der junge Mann machte sich auf den Weg zur nächsten Tankstelle, die nur einige Blocks entfernt war, also ging er zu Fuß. Auf der Straße war nicht viel los. Einige Autos fuhren an ihm vorbei und eine Gruppe junger Menschen kam ihm entgegen. Sie lachten fröhlich.
Freitag, dachte Markus, vermutlich gehen sie in eine Bar.
Bei der Tankstelle angekommen, ging er gleich zur Kasse des kleinen Shops und schnappte sich eine Schachtel Zigaretten. Gauloises.
Noch bevor der Kassierer etwas sagen konnte, legte Markus ihm das Geld passend auf den Tresen. „Danke“, meinte der junge Mann an der Kasse.
„Auf Wiedersehen“, erwiderte Markus höflich aber nicht weiter interessiert und machte sich wieder auf den Weg nach Hause. Er gehörte wahrlich nicht zu den Menschen, die sich um andere scherten, es sei denn, sie wären aus irgendeinem Grund für ihn besonders wichtig.
Schon die kurze Zeit in der Tankstelle hatte ausgereicht, das Bild auf der Straße merklich zu verändern. Auf dem Weg zurück nach Hause kamen ihm vermehrt kleinere Menschengruppen oder auch Paare entgegen. Einem Obdachlosen musste er ausweichen, weil dieser stur geradeaus auf ihn zu ging.
Schließlich war Markus bei der Haustür angelangt. Er warf einen Blick auf die schmalen Briefschlitze und stellte überrascht fest, dass unter seinem Namen ein Briefumschlag halb heraushing. Er zog ihn heraus. Auf dem Umschlag war weder Absender noch Empfänger angegeben, trotzdem entschied er, den Brief mit in die Wohnung zu nehmen und dort zu öffnen.
Zum Vorschein kamen ein paar Fotos und ein Blatt mit am PC geschriebenem Text. Markus las die Nachricht konzentriert und zur Sicherheit gleich zweimal durch. Anschließend schaute er sich die Fotos an, steckte alles wieder in den Umschlag und ging anschließend zu Bett.
An diesem Herbsttag also musste er mit der U-Bahn fahren. Er fiel in der Menschenmasse, die die Station bevölkerte und aus vielen jungen und alten, dicken und dünnen, schönen und hässlichen, blonden und braun- oder schwarzhaarigen Menschen bestand, nicht weiter auf. Sie alle standen dicht an dicht und warteten auf die U-Bahn, während sie sich über Beruf, Privates oder alltägliche Dinge unterhielten.
Als die Linie endlich da war, zwängte sich die Menschenmasse durch die sich automatisch öffnenden Türen und Markus ging mit dem Strom. Während der Fahrt schaute er aus dem Fenster, obwohl es dort natürlich nicht wirklich viel zu sehen gab. Nach wenigen Minuten erreichte die U-Bahn Markus’ Ziel. Er stieg zusammen mit mehreren anderen Menschen aus und verließ die Station. Er war in Hamburgs Geschäftsviertel und sein Ziel war der Wolkenkratzer einer Versicherung.
In der großen Eingangshalle hielten sich einige Männer mit feinen Anzügen in einer Sitzecke auf, die aus einem kleinen Glastisch und drei schwarzen Ledercouchen bestand. Die einzige Dekoration bestand aus einer Pflanze, deren zahlreiche Stängel so lang waren, dass sie auf dem Boden lagen. Die Anmeldung war von einer Frau und einem Mann besetzt, die beide in ein Gespräch vertieft waren. Als sie ihn bemerkten, schauten sie auf. Stirnrunzelnd verfolgten sie ihn mit ihren Blicken, er wurde aber nicht aufgehalten. Markus indes hielt geradewegs auf die Fahrstühle zu und betätigte den Knopf, damit eine Kabine ins Erdgeschoss fuhr. Aus der Kabine kam ein älterer Herr mit Seitenscheitel und nickte ihm zu. Markus betätigte den Knopf für die oberste Etage und die Türen schlossen sich leise und sanft.
Oben angekommen ging er ins Treppenhaus und die letzten Stufen bis zum Dach hinauf. Die Tür zum Dach war nicht abgeschlossen. Das wunderte ihn nicht, normalerweise verirrten sich ja auch keine Angestellten oder Gäste hierher und so gab es keinen wichtigen Grund, sie abzuschließen. Als Markus auf das Dach hinaustrat, kam ihm ein kalter Wind entgegen. Unwillkürlich zog er mit seiner Linken den Mantel höher und ging mit vorgezogenen Schultern an den Rand des Daches. Dort ließ er sich auf die Knie herab und legte den schwarzen Koffer vor sich hin. Mit einem leisen Knacken öffnete er ihn und zum Vorschein kamen viele kleine und größere Metall- und Kunststoffteile, die auf den ersten Blick harmlos erschienen und in grauem Schaumstoff eingebettet waren. Mit geübten Bewegungen machte Markus sich daran, all diese Einzelteile zusammenzusetzen und als er damit fertig war, hielt er eine PSG1 von Heckler & Koch in seinen Händen. Vielleicht nicht das beste, aber zumindest eines der besten Präzisionsgewehre, die es auf der Welt gab. Doch noch war die Zeit nicht reif. Markus schaute zum Himmel hinauf. Der Tag war wolkenverhangen und grau.
Die Nachrichten hatten eigentlich besseres Wetter versprochen, aber was nützte ihm das? Immerhin regnet es nicht, dachte er.
Er nahm ein kleines Fernglas aus der Innentasche seines Mantels und beobachtete. Die Straße unter ihm führte links nach etwa hundert Metern an eine Kreuzung und an der hinteren, rechten Ecke dieser Kreuzung hatte ein Hotel seinen Eingang. Markus’ Informationen besagten, dass sein Zielobjekt aus diesem Hotel kommen würde. Er wusste nicht, wann genau das sein würde, doch anhand der Fotos aus dem Briefumschlag wusste er, auf wen er wartete.
Es verging einige Zeit und die Kälte auf dem Dach war unangenehm, doch schließlich fuhr eine schwarze Limousine, ein Daimler, vor und hielt am Hoteleingang. Markus’ Opfer kam aus dem Hotel, begleitet von drei Bodyguards. Es war ein Mann um die fünfzig, in einem dunkelgrauen Anzug gekleidet und mit schütterem Haar. Die Hintergründe für seinen Auftrag kannte Markus nicht, das spielte für ihn auch keine Rolle. Blitzschnell legte er das Fernglas zur Seite und brachte sich und sein Gewehr in Schussposition. Im Gegensatz zu einigen anderen Kollegen verzichtete er auf ein Laservisier. Es machte zwar das Zielen grundsätzlich einfacher, doch es war auch sehr riskant. Es brauchte nur einer der Bodyguards zufällig den roten Punkt bemerken, der plötzlich auf dem Körper des Opfers erschien, und schon wäre alles vorbei. Also bevorzugte er die altmodische Art. Schnell hatte er durch das Zielfernrohr sein Opfer gefunden.
Und im letzten Bruchteil einer Sekunde, als es zu spät war und Markus mit seinem Finger den Abzug betätigte und sich der Schuss löste, da dachte er, der Mann mit dem schütteren Haar schaue zu ihm herauf durch das Zielfernrohr direkt in die Augen. Seine Augen waren schwarz, ohne Pupillen oder Augenweiß, der Mund entblößte die Zähne zu einem schrecklichen Haifischgrinsen und Markus hatte das Gefühl - er wusste - dass er einen großen Fehler beging.
Ein leiser, zur Sicherheit schallgedämpfter Schuss löste sich und die Einbildung wich der Realität. Der Mann wurde, wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, zurückgeworfen und sank zu Boden. Schnell setzte Markus das Gewehr ab und zerlegte es wieder in seine Einzelteile, legte sie in den Koffer zurück und schloss ihn. Das Fernglas steckte er wieder in die Innentasche seines Mantels und nach kaum einer Minute war der Auftragskiller vom Dach verschwunden und ging die Treppen wieder hinunter, aus dem Haus heraus und verschwand in den anonymen Menschenmassen auf der Straße.
2. Akt: alBtRauM
Alles um ihn herum war tot. Die Erde. Die seltenen, trockenen Sträucher ohne Blätter. Und die noch selteneren, kleinen und verkrüppelten Bäume, die auch keine Blätter trugen. Die Landschaft war grau und hügelig, der Himmel ebenso grau obgleich ein glühend roter Feuerball die Erde verbrannte. Er wanderte los. Zeiten vergingen und immer schien der Feuerball auf ihn herab. Kein Tier kreuzte je seinen Weg, nicht einmal eine Ratte. Kein Vogel saß je auf einem der toten Bäume oder zog am Himmel an ihm vorbei. Nur manchmal wurde die Einöde unterbrochen von Seen aus schwarzem Teer. Einmal kam er auf einen besonders großen Teersee zu und er musste einen weiten Umweg gehen. Aber konnte man wirklich von einem Umweg sprechen, wenn er doch sowieso orientierungslos durch immer die gleiche, tote Landschaft wanderte? Ein Umweg setzte ein Ziel voraus, welches er nicht hatte. Wieviel Zeit wohl vergangen sein mochte? Es konnten Stunden, Tage, Wochen, ja, sogar Jahre sein. Er hatte keine Ahnung.
Er wusste zwar, dass er in einem Albtraum gefangen war, doch leider nützte ihm dieses Wissen nichts. Nach seinem letzten Auftrag, als er diesen dämlichen, dicken Kerl am Hotel getötet hatte, schien alles ganz normal zu sein. Abends hatte er sich noch mit einer Freundin in einer Bar getroffen, Anna. Sie unterhielten sich über ihre Jobs – Anna hielt ihn für einen Manager – und über dieses und jenes. Er wurde aber recht schnell müde und so verabschiedeten sie sich mit einem flüchtigen Kuss ehe er nach Hause und direkt ins Bett ging. Kaum hatte er die Augen geschlossen, war er auch schon eingeschlafen und nun war er hier, in diesem gottverdammten ... war es wirklich nur ein Albtraum? Alles schien ihm so real. Die trockene, heiße Luft, die toten Sträucher und Bäume, die er sogar aus Neugier mal berührt hatte um zu wissen, ob sie sich echt anfühlten. Selbst die Zeit, die verging, war so echt, dass es ihm schwer fiel, all das für einen Traum zu halten. Er hatte davon gehört, dass es möglich wäre, bewusste Träume zu manipulieren, doch es gelang im partout nicht.
Verzweifelt blieb er stehen und drehte sich mehrmals im Kreis. In weiter Ferne sah er einen schwarzen Punkt, der eine graue Staubwolke hinter sich her zog. Bis vor einer Minute wäre er froh über jedes Zeichen von Leben gewesen, doch dieser ferne Punkt verhieß nichts Gutes. Er hatte keine Ahnung, wieso er sich so sicher war, aber das spielte keine Rolle. Er drehte sich um und rannte so schnell wie noch nie in seinem Leben los. Weg von dem schwarzen Punkt. Nur weg! Er rannte und rannte und schon bald hörte er hinter sich leises Hufgetrappel. Er drehte sich im Laufen wieder um und aus dem schwarzen Punkt war ein schwarzes, gewaltiges Pferd mit einem in schwarzer Rüstung gekleideten Reiter geworden. Der Mann hatte schütteres Haar, schwarze Augen und ein Haifischgrinsen.
Da war es wieder. Dieses Gefühl, einen tödlichen Fehler gemacht zu haben, als er diesen Typen beseitigt hatte. Sein Gesicht war so schrecklich dämonisch von Hass verzehrt, dass es absolut nichts Menschliches mehr hatte. In den schwarzen Augen loderte der Zorn und Geifer troff aus dem Maul und zog Spuren über die Wangen der Dämonenfratze, bis sie vom Wind davongetragen wurden. Er rannte noch schneller, doch es nützte nichts. Welcher Mann konnte schon vor einem Pferd davonlaufen?
Es kam zu schnell, als dass er noch hätte reagieren können. Der Abgrund klaffte plötzlich und ohne Vorwarnung direkt vor ihm in der toten Erde und er stürzte hinein. Im Fallen drehte sich sein Körper und er konnte sehen, wie das schwarze Pferd direkt vor dem Abgrund zum Stehen kam. Staub wirbelte auf und kleine Steine stürzten ihm hinterher in die Tiefe. Er wurde von der Schwärze verschlungen und der Reiter lachte grausam, bis er nichts mehr hören konnte.
3. Akt: Die Schreie und wie es endete
Schreie weckten Sandra Fuhrmann aus dem Schlaf. Sie machte ihre Nachttischlampe an und blinzelte verwirrt.
Da! Wieder waren Schreie zu hören. Offensichtlich kamen sie aus der Nachbarwohnung. Sandra warf einen Blick auf ihren Wecker. Viertel nach vier.
Mein Gott, dachte sie, das ist ja mitten in der Nacht.
Aber die Schreie hörten nicht auf und Sandra fing an, sich Sorgen zu machen. Nach einem weiteren Moment des Zögerns stieg sie aus dem Bett, warf sich den Schlafmantel über und verließ die Wohnung. Bei der Nachbartür klopfte sie an.
„Hallooo!! Herr Schmitz! Ist alles in Ordnung?!“
Wieder ein Schrei, kurz und abgehackt, aber sonst keine Reaktion.
Sarah klopfte nochmals, jetzt lauter und energischer.
„Hallo! Hey! Hören Sie mich, Herr Schmitz?!“
Es folgten keine weiteren Schreie, aber die Tür wurde noch immer nicht geöffnet. Ein kalter Windhauch streifte sie.
Irgendjemand muss wieder ein Fenster im Treppenhaus offen gelassen haben, dachte sie. Diese Idioten.
Aus Verwirrung und Sorge über die jetzt verstummten Schreie wurde allmählich Angst. Da stimmte doch irgendwas nicht! Sarah ging zurück in ihre Wohnung und wählte die 110.
„Ja? Mit wem spreche ich bitte?“
„Hören Sie, mein Name ist Sandra Fuhrmann. Bitte kommen Sie schnell her, aus der Wohnung nebenan waren bis eben Schreie zu hören! Es klang, als wenn mein Nachbar Todesangst gehabt hätte!“
„Wo wohnen Sie denn?" fragte der Polizist.
„Wichernstraße 12."
„Also gut“, meinte der Polizist am anderen Ende der Leitung. „Ich werde jemanden zu Ihnen rumschicken.“
Der Notarzt, der eine halbe Stunde später von den Streifenpolizisten gerufen worden war, konnte nur noch den Totenschein für Markus Schmitz ausstellen.