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Die einfache Welt
Die einfache Welt
für die Vielfalt
Klaus-Hermann hatte ein Problem.
Er konnte rosa nicht von pink und violett nicht von lila unterscheiden. Für ihn sah das alles irgendwie gleich aus.
Das ging schließlich sogar so weit, dass er sich dazu entschloss, die vier Farben nur noch in zwei zu unterscheiden. So gab es für ihn nun noch rosa und lila, während pink ein Synonym für rosa, violett eines für lila war.
Klaus-Hermann war sich sogar sicher, dass er recht hatte. Pink und violett waren doch lediglich Erfindungen der Modebranche, damit man sich T-Shirts in mehr Farben kauft, als es eigentlich gibt.
Aber er, er wusste es besser.
Klaus-Hermann war glücklich, sich die Welt ein wenig einfacher gemacht zu haben.
Probleme hatte er mit dieser Farbumbenennung nie. Zur Not machte er mit einem einfachen Präfix aus lila und rosa kurzerhand „hell-lila“ oder „dunkel-rosa“, und schon hatte er eine schier unendliche Auswahl an Farben.
Einmal wollte Klaus-Hermann etwas notieren und suchte einen Bleistift. Stattdessen fand er einen Kugelschreiber. Er machte seine Notiz mit dem Kugelschreiber und bemerkte, dass dies mindestens genau so gut funktionierte, als wenn er die Notiz mit dem Bleistift gemacht hätte. Wieso unterschieden normale Menschen dann überhaupt noch Kugelschreiber, Bleistifte, Füllfederhalter, etc., wenn man sie doch einfach mit dem Wort „Stifte“ zusammenfassen konnte?
Klaus-Hermann war der Meinung, dass die Stift-Mafia dort ihre Finger im Spiel hatte. Wenn er da nicht mal einer internationalen Verschwörung auf die Schliche gekommen war. Diese dreckigen Mafiosi! Die möchten, dass man sich einen kompletten Schreibwarenladen zulegt, dabei tut es doch ein Stift voll und ganz.
Da entschied sich Klaus-Hermann, Stifte Stifte sein zu lassen, und sie nicht mehr zu unterscheiden und war froh, sich seine Welt wieder ein wenig einfacher gemacht zu haben.
Es begab sich jedoch, dass Klaus-Hermann passionierter Lottospieler war. Als er seinen wöchentlichen Mittwochsschein jedoch mit einem Stift ausfüllte und wie immer die Zahlen zwei, elf, 15, 32, 33 und 47 tippte und abgeben wollte, wurde er vom Lottoscheinannahmestellenbetreiber mit großen Augen angeguckt.
„Entschuldigen sie, aber sie können doch den Lottoschein nicht einfach mit Bleistift ausfüllen, das ist doch im Nu wieder verblichen.“
Klaus-Hermann hatte für den Menschen nur einen verwirrten Blick übrig und verließ schließlich glücklich lächelnd den Kiosk.
Als Klaus-Hermann eines Tages an der Ampel stand und herüberging, fiel ihm auf, dass eine Fußgängerampel nur zwei Phasen – rot und grün – hat.
Wieso waren dann normale Ampeln so kompliziert? Es klappte doch auch so ganz wunderbar. Jeder wusste, wann er zu gehen und wann er zu stehen hatte.
Die gelbe Ampelphase war doch lediglich eine Erfindung der Glühbirnenindustrie, damit diese mehr Lampen verkaufen kann, als eigentlich für eine Ampel nötig waren! Gelb ist vollkommen unnötig. Belastendes Beiwerk. Blöd!
Und so entschied sich Klaus-Hermann dafür, nur noch die grünen und die roten Ampelphasen zu beachten, die Gelben ignorierte er schlichtweg.
In den kommenden Wochen stiegen Klaus-Hermanns Ausgaben für Strafzettel rapide an. Dennoch bereute er seinen Entschluss nicht.
Im Gegenteil, er war froh, sich seine Welt wieder ein wenig einfacher gemacht zu haben.
Nach einigen Wochen konnte sich Klaus-Hermann nicht einmal mehr an die ursprüngliche Bedeutung der gelben Ampelphase erinnern.
So ging es weiter, lange Zeit.
Schließlich war Klaus-Hermanns Welt einfach. Aber grau. Und eintönig.
Es gab keinen Platz mehr für Vielfalt.
Es gab Fortbewegungsmittel, Gebäude und Gewächse. Und alle Dinge (oder Sachen, für Klaus-Hermann war dass kein Unterschied) waren in einem einheitlichen Farbenbrei gehalten.
Da erkannte Klaus-Hermann, was er da wieder angerichtet hatte.
Er versuchte wieder die gelbe Ampelphase in sein Leben zu integrieren, Kugelschreiber von Bleistiften und Füllern zu unterscheiden und schließlich auch wieder pink, violett, rosa und lila auseinander zuhalten, doch er konnte sich partout nicht an die Sachen erinnern.
Und so blieb seine Welt, wie sie war.
Brei.