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Die einsame Witwe

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09.11.2004
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Die einsame Witwe

„Haben sie einen Beruf?“
„Freischaffender Künstler!“
„Auf welchem Gebiet?“
„Ich bin Bildhauer.“
„Interessanter Beruf! Da hat man bestimmt viel Freizeit.“
“Hält sich in Grenzen.“
„In Ordnung, das wäre dann erstmal alles. Sobald wir näheres wissen, werden wir sie benachrichtigen.“
„Dankeschön, Herr Kommissar.“
Die beiden Männer beendeten das Gespräch und standen auf.
Sie hatten am Tisch neben einer kleinen Kochnische gesessen. Nun gingen sie durch ein warm eingerichtetes Wohnzimmer zur Eingangstür der Wohnung. Der Kleinere der beiden, Johann Ebor, öffnete sie. Ein eisiger Wind zog hinein.
„Verdammte Kälte!“, fluchte der Größere.
Johann reagierte nicht. Er starrte nach draußen auf die weißen, unendlich wirkenden Felder.
„Na dann, ruhen sie sich aus. Legen sie sich hin. Wir werden sie schon finden.“
„Danke.“ Mehr fiel ihm im Moment nicht ein.
Mit einem Nicken verabschiedete sich der Polizist. Er ging den kleinen Weg, der durch den Vorgarten führte, entlang zum Bürgersteig. Johann sah ihm nach, bis er hinter der Hecke, die sein heiles Stück Natur von der grauen Realität des Menschen trennte, verschwunden war.
Gedankenverloren lies Johann die Türe ins Schloss fallen. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, lies sich in den Sessel sinken, seufzte kurz, nahm sich die Fernbedienung vom Tisch neben sich und schaltete den Fernseher an.
Reality-Soaps, Talkshows, langweilige Reportagen, deprimierende Nachrichten einer kaputten Welt.
Er schaltete den Fernseher, nachdem er alle Kanäle zweimal durchforstet hatte, wieder aus.
Er beschloss, für einen kurzen Moment die Augen zu schließen, um nach zu denken. Aus dem kurzen Nachdenken wurde schließlich doch ein längeres Nickerchen.

Das penetrante Klingeln, das seine Frau ausgesucht hatte, riss Johann aus seinen Träumen.
12:30 vermittelte ihm die Digitalanzeige an seinem Videorekorder.
„Scheiße“, sagte er zu sich selbst. Noch etwas verschlafen taumelte er zur Tür rüber. Durch die kreuzförmige Glasscheibe in der Tür konnte er Teile eines dicken Gesichts mit Hornbrille und ein wenig einer übergroßen Daunenjacke erkennen. Die macht ihn mindestens doppelt so dick, dachte er sich und öffnete die Tür.
„Ebor? Johann Ebor?“, fragte der Mann.
„Bin ich! Was gibt’s?“ Er hatte keine Lust zu reden.
„Hi, mein Name ist Franz Gerd. Ich hatte angerufen, wegen der Statue.“, bibberte er.
„Ach ja! Kommen sie doch erstmal rein.“
Der Mann trat in den Flur ein, hängte seine Daunenjacke an einen der Haken an der Wand und zog seine Handschuhe aus. Johann hatte recht gehabt, die Jacke machte ihn doppelt so dick, als er sowieso schon war.
„Irgendwas zu trinken? Kaffe, Tee oder so was?“, fragte Johann während er in die Küche ging.
„Nein, danke. Ich hab’s eilig. Weihnachtsstress!“
Johann blieb vor dem Küchentisch stehen.
„Über den Preis hatten wir gesprochen?“
„Ja, ja, ist alles in Ordnung!“
„Okay, dann folgen sie mir mal auf die Terrasse.“
Johann ging durch das Wohnzimmer auf eine Glastür zu, die offensichtlich auf die Terrasse führte. Sein Kunde folgte ihm.
Die Terrasse war mit roten Plastersteinen bedeckt. An sie schloss ein kleiner Garten an. Der Rasen war wild gewachsen und in ihm wucherten Gänseblümchen. Das Einzige, was für ein wenig Abwechslung sorgte, war ein eckiger Steinbrunnen, in dessen Mitte eine Wasserfontäne, ebenfalls aus Stein, in die Höhe ragte.
Johann fiel auf, dass der Mann den Brunnen musterte.
„Gefällt er ihnen?“
„Ja, wunderschön!“
„Schauen sie ihn sich ruhig aus der Nähe an. Er ist aber nicht zu verkaufen. Er gehört meiner Frau.“
Das Angebot lies sich der Mann nicht entgehen und eilte sofort zum Brunnen. Er sah pummelig und tollpatschig aus bei dem Versuch sich zu beeilen.
„Handarbeit?“, fragte der Mann.
„Ja, den hab ich letztes Jahr gemacht.“, antwortete Johann.
„Unglaublich. Und die Fontäne ist zu präzise gearbeitet … und das Becken!“
„Danke, danke. Wollen sie jetzt ihre Statue sehen?“
„Natürlich, ich folge ihnen.“
Sie gingen zurück auf eine weiß lackierte Metalltüre zu.
Sie quietschte beim Öffnen.
„Das hier ist mein Atelier!“, verkündete Johann stolz. Als er das Licht in dem kalten Betonbau anmachte, konnte man dies sehen.
An den Wänden waren Regale angebracht für die unterschiedlichsten Werkzeuge. In der Mitte des Raums stand ein kleiner Holzhocker vor einem riesigen Steinklotz.
„Interessant“, bemerkte der Mann „aber wofür braucht ein Bildhauer einen Betonmischer?“
In der hinteren Ecke standen ein Mischer und einige Säcke Zement.
„Der ist nicht speziell für meinen Beruf. Dient eher privaten Zwecken.“
„Verstehen sie das nicht falsch, ich war nur neugierig.“, entschuldigte sich der Mann, der bemerkte, dass es dem Künstler unangenehm war.
Der Mann schlenderte durch den Raum. Johann beobachtete ihn. Schritt für Schritt.
Plötzlich blieb der Mann vor einem weißem Lacken stehen, das etwas verbarg.
„Ist sie das?“, fragte der Mann aufgeregt.
Johann nickte zufrieden und stellte sich neben den Mann. Vorsichtig zog er das Lacken herunter.
„Mir fehlen die Worte.“
„Gefällt sie ihnen?“
„Sie ist einfach unglaublich.“
Unter dem Lacken war eine graue Statue einer Frau zum Vorschein gekommen. Das Gesicht, mit weit aufgerissenem Mund und riesigen Augen, nach vorne gerichtet, die Arme nach vorne ausgestreckt.
In dem schummrigen Licht, welches die einzige Glühbirne in der ohnehin schon kalten Atmosphäre erzeugte, spiegelte die Statue in diesem Moment alles Schreckliche wieder, was man sich nur hätte ausmalen können.
„Faszinierend! Wie soll das Werk heißen?“
„Ich nenne es …“, Johann dachte kurz nach, „Ich nenne sie Die einsame Witwe“
„Unglaublich.“
Johann legte wieder das Tuch über die Statue. Dann ging er zur hinteren Wand.
Jetzt fiel dem Mann auf, dass dies keine Wand war, sondern ein Tor. Dies hier war eine Garage.
„Fahren sie mit ihrem Wagen vor die Garage! Ich helfe ihnen beim Beladen.“
„Ach Johann? Ich darf sie doch so nennen oder?
„Sicher! Was ist denn?“
„Könnten sie mir noch meine Jacke bringen? Ich habe sie wohl drinnen vergessen.“
„Kein Problem“

Johann öffnete das Tor. Der Mann nickte zufrieden und ging hinaus auf die asphaltierte Auffahrt.
Johann wartete, bis der Mann mit einem 94er Chevy vorgefahren kam. Er parkte rückwärts ein, sodass das Beladen keine Herausforderung war.

Nachdem die beiden in mühevoller Arbeit die Statue auf der Ladefläche des Chevy platziert hatten und der Mann seine Jacke wieder hatte, stellte er Johann noch eine letzte Frage:
„Sagen sie mal, wo ist eigentlich ihre Frau? Ich hätte sie gerne mal kennen gelernt. Sie klang so nett am Telefon.“
„Tja“, antwortete Johann, „mein Frau ist zur Zeit auf einer Reise. Ich schätze, das mit dem Kennenlernen müssen wir verschieben … zumindest vorläufig.“
„Na gut, aber richten sie ihr trotzdem ´nen schönen Gruß aus. War nett mit ihnen Geschäfte zu machen! Frohe Weihnachten und ´nen guten Rutsch ins neue Jahr.“
„Danke gleichfalls.“
Mit einem Händedruck verabschiedeten sich die beiden. Der Mann setzte sich ins Auto, lies den Motor an und fuhr weg. Als er hinter der Hecke verschwunden war, zog Johann das Garagentor zu, ging ins Haus, setzte sich in den Sessel, grinste zufrieden und zündete sich eine Zigarette an.

 
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Hallo Lucino,

man merkt die Mühe, die du dir mit der Geschichte gegeben hast. Du versuchst alles, jeden noch so winzigen Schritt, ausführlich darzulegen. Und damit hast du es an einigen Stellen übertrieben. In einer Kurzgeschichte ist es meiner Meinung nach nicht nötig, jeden Atemzug aufzuzählen. Denn an einigen Stellen entstehen auf diese Art bei deiner Geschichte Aufzählungen, die auf den Leser eher ermüdend und langweilig wirken. Ein Beispiel:

Gedankenverloren lies Johann die Türe ins Schloss fallen. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, lies sich in den Sessel sinken, seufzte kurz, nahm sich die Fernbedienung vom Tisch neben sich und schaltete den Fernseher an.
Diese Aufzählung geht noch weiter. Ich hoffe, du kannst meine Anmerkung nachvollziehen. In einem Roman kann man (muss man) einiges ausschmücken, da darf es gerne ausführlicher sein. Auch in einer Kurzgeschichte sind ausführliche Beschreibungen oft gut, um Stimmungen und Atmosphäre zu transportieren. Aber eine reine Aneinanderkettung nichtiger Tätigkeiten, die weder der Voranbringung des Plots noch der Charakterisierung des Prots (oder einer anderen Figur) oder der Atmosphäre dienen, sind in einer Kurzgeschichte zuviel des Guten.

Dann wusste ich schon sehr früh, was dein Prot wohl getan hat. Du lieferst ja auch einige Hinweise. Das ist auch richtig so. Sie waren nur so eindeutig, dass auf mich keine Überraschung mehr wartete. Es kann aber auch sein, dass ich besonders unter solchen Vorahnungen „leide“, und es anderen Lesern mit deiner Geschichte anders ergeht. Ich hätte mir aber am Ende noch eine überraschende Wendung gewünscht.

Ansonsten finde ich die Idee zu der Geschichte aber ganz gut. Und auch den Prot hast du schön hingekriegt: Ein in sich gekehrter Kauz, etwas menschenscheu, will seine Ruhe haben, ist manchmal etwas bärbeißig, usw. Doch, man kann ihn sich ganz gut vorstellen.


Nun zu den Fehlern:

“Hält sich in Grenzen.“
Hier stimmt das Anführungszeichen am Beginn der wörtlichen Rede nicht.

Gedankenverloren lies Johann die Türe ins Schloss fallen. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, lies sich in den Sessel sinken
lies = ließ (zwei Mal, außerdem auch sehr kurz hintereinander. Vielleicht fällt dir ja noch eine andere Formulierung ein, um die Wiederholung zu vermeiden)

Er beschloss, für einen kurzen Moment die Augen zu schließen, um nach zu denken.
nachzudenken (zusammen)

Ich hatte angerufen, wegen der Statue.“, bibberte er.
Statue“, bibberte (Punkt weg)

„Irgendwas zu trinken? Kaffe, Tee
Kaffee (+ e)

„Okay, dann folgen sie mir mal auf die Terrasse.“
Johann ging durch das Wohnzimmer auf eine Glastür zu, die offensichtlich auf die Terrasse führte.
Zwei Mal „Terrasse“, außerdem finde ich hier die Formulierung etwas unglücklich. Dass die Tür auf die Terrasse führen wird, kann sich der Leser auch so denken. Also vielleicht eher:
„Okay, dann folgen sie mir mal auf die Terrasse.“
Johann führte seinen Gast durch das Wohnzimmer.
Das reicht schon. Dann kannst du dir auch den Satz, dass der Mann ihm folgt, sparen.

Der Rasen war wild gewachsen und in ihm wucherten Gänseblümchen.
??? Wie jetzt? Nach den weißen Feldern und der Kälte am Anfang dachte ich, es wäre Winter und es würde Schnee liegen. Doch nicht? ;)

Das Angebot lies sich der Mann nicht entgehen
lies = ließ (hatten wir schon mal, scheint auch eines deiner Lieblingsworte zu sein. Denn aller guten Dinge sind drei…, genau, es kommt noch einmal)

„Ja, den hab ich letztes Jahr gemacht.“, antwortete Johann.
Vorher hast du bei Auslassungen immer einen Apostroph gesetzt. Das sollte einheitlich sein, also „hab’“; außerdem ist hier wieder ein Punkt am Ende der wörtlichen Rede überflüssig.

„Unglaublich. Und die Fontäne ist zu präzise gearbeitet
„zu präzise“ ist negativ; der Mann ist aber ja wirklich beeindruckt; „so präzise“ wäre also besser

Plötzlich blieb der Mann vor einem weißem Lacken stehen, das etwas verbarg.
Lacken = Laken (- c); kommt kurz darauf noch einmal vor

Unter dem Lacken war eine graue Statue einer Frau zum Vorschein gekommen.
Genau, hier nämlich: Laken
außerdem würde ich „die graue Statue einer Frau“ schreiben; klingt geschmeidiger

In dem schummrigen Licht, welches die einzige Glühbirne in der ohnehin schon kalten Atmosphäre erzeugte,
Das kommt mir auch unlogisch vor. Sie sind in einem Atelier. Und da ist schummriges Licht. Und es gibt auch keine Möglichkeit, mehr Licht hereinzubringen, weil es nur eine einzige Glühbirne gibt. Ein Bildhauer braucht für seine Arbeit aber ausgezeichnetes Licht. Und wenn ein Kunde ein Stück abholen kommt, will er es sicher auch gut präsentieren, damit der Käufer nicht abspringt. Hier müsste also (rein logisch) viel mehr Licht sein.

„Kein Problem“
Hier fehlt ein Punkt am Ende.

„Tja“, antwortete Johann, „mein Frau ist zur Zeit auf einer Reise.
meine (+ e)
zurzeit

„Na gut, aber richten sie ihr trotzdem
sie = Sie (höfliche Anredeform, also groß geschrieben)

Der Mann setzte sich ins Auto, lies den Motor an und fuhr weg.
Und hier kommt auch endlich Nummer 3: lies = ließ


Fazit: Gute Idee, leider bleibt die Spannung etwas auf der Strecke und manche Stellen sind etwas zu langatmig. Mit ein bisschen Überarbeitung eine schöne Geschichte.

Viele Grüße
Kerstin

 

Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, meine Geschichte so ausführlich durch zu arbeiten.
Zu der Geschichte selbst:
Ja, ich weiss, dass sie nicht so spannend geworden ist. Ich hab den Bogen einfach nicht hin bekommen, wollte aber diese Geschichte unbedingt schreiben.
Die Fehler die du entdeckt hast werde ich in der nächsten Zeit überarbeiten.
Kurzgeschichten sind für mich absolutes Neuland (nach 4 Geschichten).
Ich habe vorher versucht einen Roman zu schreiben, war aber zu faul dafür und habe dann diese göttliche Seite gefunden. Daher neige ich dazu ab und zu etwas mit den Formulierung von Tätigkeiten aus zu schweifen.

Nochmal danke für deine Mühen!
Gruß Thomas

 

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