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Die Entscheidung

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21.05.2007
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Die Entscheidung

Was habe ich getan?
Sie ist jetzt tot. Ich weiß es. Ich hätte umkehren sollen, doch ich konnte nicht.
In sich hineinblickend, ungeachtet der Wirklichkeit ringsum, sieht man einen Helden. Er mag schwarz sein, gebeugt und im Schatten - oder strahlend, aufgerichtet, stolz.
Mein Held - mein wahres ich- ist vor wenigen Stunden gestorben. Ihre Krämpfe und Zuckungen und meine Füße meuchelten ihn dahin. Ohne inneren Helden stockt das eigene Leben. Das weiß ich jetzt. Ich weine. Stille Tränen zunächst, dann heftiger. Geschüttelt von Husten und Schluchzen. Aus den Augen, der Nase schießt das Wasser.
Verdammte Scheiße. ´Ich bin böse´, denke ich. Und weine weiter. Wenn ich noch etwas Geld hätte, könnte ich dem entfliehen. Stattdessen sitze ich hier, wo alles begann. Nüchtern und vom Affen geritten.
Der feuchte, klamme Morgennebel zieht durch die Zeitungen und Schichten von Kleidung. Trüb. Alles so trüb.
Mein Körper juckt.
Lisa und ich waren Freunde. Sie hatte ein schiefes Lächeln. Brachte mich zum Schmunzeln, wenn alles trostlos schien.
Als ihr die ersten Zähne fehlten, wirkte es verkniffener.
Lisa.
Sie lag morgens hier neben mir. Wir hatten eine Plastikplane auf einer Baustelle mitgehen lassen. Die Decken darauf, von unserem getrockneten Schweiß (und manchmal Urin) vieler tage und Nächte durchzogen, sind in Wahrheit alte Pullover aus der Altkleidersammlung. Ein paar auch geklaut. Schwimmbäder, Gaststätten, unbewachte Garderoben.
Das war unser Heim. Unsere Schlafstätte. Zwischen Park und Bahnhof.
Als irgendwelche Veränderungen in Politik und Wirtschaft damals unsere Arbeitsplätze hinwegraffte, starb diese Stadt. Ganze Häuserzüge stehen leer - aber lass dich da abends bloß nicht drin erwischen. Die Ordnungshüter und streunenden Schläger sind immer auf der Suche nach Unterhaltung.
Anfangs war ich ein paar mal hinter Gittern. Herumlungern, kleinere Diebstähle, Prügeleien, betteln - ein Dach über dem Kopf, geregelte Mahlzeiten. Einmal zu oft.
Wenn sie mich jetzt drankriegen, verschwinde ich für immer. Mir graust vorm Entzug.
Lisa und ich hatten immer genug Geld für unseren Schuss. Wir teilten uns das Spritzbesteck, dass sie bei dem toten Penner damals 2 Blöcke weiter gefunden hatte. Wir sterilisierten es immer mit Feuerzeugen die wir erbettelten oder auch klauten. Sie stand an der Strasse. Ließ sich ficken. Naja, ich auch. Gibt viele alte Männer, die nem jungen Stricher an den Arsch wollen.
Mit der Kohle von gestern haben wir uns vorhin Zeug gekauft. Schorre. Zuerst waren es nur unsre Knöchel. Als alles egal war, auch die Arme.
Ich schniefe. Fühle mich elend. Tot, denke ich. Sehe sie zappeln, am Boden, im Dreck. Schüttele den Kopf, um das los zu werden.
Wir waren doch nur noch Scheiße gewohnt. Dreckszeug, saumäßig verschnitten. Der Wichser gab uns nahezu reines Pulver. Er hätte was sagen sollen. "Aaaaarschloch", schreie ich heiser in den frühen Nebelmorgen. Ein paar Penner in der Nähe mosern. Wollen schlafen.
Ich setzte ihr den ersten Schuss. Bereitete meinen vor. "Glückslöffel", sagte sie immer und grinste mit braunen Zähnen.
Als sie zu zittern begann, sich verkrampfte, bekam ichs zuerst nicht mit. Wir lagen hinter der Frittenbude im Gras, wo die Hunde immer hinscheißen und alle Lampen kaputt sind. Sich die Fixer treffen.
"Scheiße, Scheiße, Scheiße", stotterte ich heiser hervor. „Lisa, man. Mach so was nicht!“ Hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit mir erst den Arm abzubinden und mein Glück zu spritzen- oder alles fallen zu lassen und ihr zu helfen.
"Man, die geht drauf", hörte ich jemanden in der Nähe krächzen.
"Tut doch was", jemand anderen.
Ich hörte eiliges Füßetrappeln, schlurfende Schritte, Kotzgeräusche, rascheln.
"Wenn der Notarzt kommt, kommen die Bullen", rief jemand.
Anzeigenpflicht in Bayern.
Nicht die Bullen, dachte ich erschrocken.
Panische Angst und zitterndes Verlangen überfluteten mich. Ich pisste in die Hose und stand stolpernd auf.
Sah im dunklen zurück. Fahl leuchtete ihre blasse Haut, die rausquellenden Augen. Ich beugte mich zu ihr runter, dachte an das weggeworfene Zeug, dass ich sicher nicht mehr fand und an den Entzug. Ich griff nach ihr. Sie zitterte und sah mich mit einem seltsamen Blick an. Ich klopfte ihre Taschen ab, nahm ihr alles Geld, das Feuerzeug und rannte davon. Sah nicht zurück. Den Abhang hinunter, an der Frittenbude vorbei. "Ihr verdammten Junkies", schrie jemand. Vielleicht der Pommesmann selber.
Die dunklen Gassen bis zu unsrem Versteck schoben sich hinter mir zusammen. Ich rannte und rannte.
Ihre Kohle in meiner Hand.
"Das wollte ich nicht", heule ich und denke an den nächsten Schuss.
"Sie oder ich", flüstere ich weinend. Tot?!

 

Danke für die Rezension. Viele der angemerkten Fehler sind tatsächlich keine, so sind manche Verballhornungen bewußt gewählt (unsre,rausquellende Augen,...)

Desweiteren ist es tatsächlich Slang und heißt: VOM AFFEN GERITTEN (oder: auf Drogenkater sein)

Der Protagonist hat natürlich keine Ahnung, welche Änderungen stattfanden - er sieht nur die Konsequenzen (siehe auch: Clockwork Orange, der Leser erfährt nur flüchtig über die beobachtbaren Auswirkungen welch gewaltige politische Veränderungen hinter den Kulissen stattfinden)

 

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