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Die etwas andere Beichte
Aufgeregt ist jeder Mensch einmal. Manchmal ist es die Euphorie, manchmal die Angst, die in das Wort Aufregung mündet. Mein Gefühl, als ich die Kirche betrat, war definitiv Angst. Ich, mittlerweile zweiundvierzig, angezogen wie der letzte Yuppie, betrat das erste Mal seit über fünfundzwanzig Jahren diese Kirche. Mit jedem Schritt, der mich näher an mein Ziel brachte, fühlte ich mich immer kleiner werden. Es war nicht das alte Gemäuer, sondern meine innere Last, die mich erdrückte. Die Zeit war gekommen, über meine Sünde zu reden.
Ich schaute mich intensiver um. Niemand teilte diesen Raum mit mir, bis auf den Priester, der in dem Beichtstuhl saß und wartete. Das ermutigte mich ein klein wenig mehr. Ich neigte den Blick, atmete nochmals tief durch und fühlte mich letztendlich bereit zu beichten. Die volle Geschichte, ungeschminkt.
Ich trat hinter den weinroten Vorhang und setzte mich.
Hinter der kunstvollen Holztrennwand sah mich der junge Geistliche kurz an und schwieg. Ich wartete auf ein Zeichen, aber dann begriff ich, dass es an mir war den ersten Schritt zu tun. Die Aufregung stieg ins Unermessliche.
„Pater, ich habe gesündigt.“
„Was hast du denn getan, mein Sohn?"
Auf diese Frage hatte ich mich vorbereitet. Die folgenden Wörter sprudelten nur so aus mir heraus:
„Ich weiß noch ganz genau, es war 1980, da tat ich etwas sehr Böses. Jugendlich wie ich war, nahm ich jede Gelegenheit, die kam, um Unfug zu treiben und allerlei infantile Späße an anderen Menschen auszuprobieren.
Diese Gabe des Schabernacks – ja es ist in der Tat eine Gabe – wusste ich nicht richtig einzusetzen. Ich verletzte Gleichaltrige auf die schlimmste Art. Ich brach ihre Herzen. Dafür bespuckten sie mich.“
„Sie bespuckten dich?“
„Ja, sie ächteten mich jeden Tag. Manche schrieben mir Drohbriefe, manche verprügelten mich und andere ignorierten mich. Ich wußte, dass ich das nicht länger aushalten würde. Ich verließ alles: meine Eltern, meine Freundin – ich verließ die Stadt.“
Leise begann ich auf meinem Beichtstuhl zu weinen. Diese Tränen kamen aus dem Innersten, wie aus einem tiefen Brunnen. Die Schmach der Erinnenrung traf mich erneut, nur weitaus intensiver.
Der Priester wartete noch einige Sekunden, bis ich mich wieder gefasst hatte und durch ein Taschentuch der Großteil der Tränen weggewischt war.
Dann sagte er: „Du hast von der Bestrafung an dir gesprochen, aber noch nicht von der Sünde, die dich belastet und die diese Bürger dazu gebracht haben, dich so zu behandeln. Meine und Gottes Ohren sind offen. Du kannst uns alles erzählen. Dafür gibt es ja die Beichte.“
„Also, gut. Die Idee zu dem Schabernack, den ich an ihnen trieb, kam wie von ganz alleine. Ich saß in einem Lichtspielhaus, besser gesagt in einer Vorpremiere von „Das Imperium schlägt zurück“. „Krieg der Sterne“ ist Ihnen doch ein Begriff oder?“
„Äh...nein. Sprich weiter.“
„Dann muss ich es ihnen erklären“... und ich erzählte einem Priester die ganze Geschichte von Star Wars bis einschließlich „Das Imperium schlägt zurück“.
Offensichtlich überfordert sagte er: „Das ist aber eine lange Geschichte.“
„Ja, sie ist aufgeteilt in drei Episoden. Jede bildet einen Film. Diese Filme wurden heiß erwartet. Mit großer Aufregung standen sich die Kinder und Jugendliche der Stadt vor dem Kino förmlich die Beine in den Bauch. Sie hatten drei Jahre auf die Fortsetzung gewartet. Als ich aus dem Film kam, sah ich diese Schlange von Menschen. Da passierte es.“
„Was passierte?“
„Ich schrie! Ich schrie ihren erwartungsvollen Gesichtern zu, dass Darth Vader Lukes Vater ist!“
Die Tränenbäche, welche aus meinen roten Augen sprudelten, nahm ich gar nicht mehr wahr.
„Schhht! Sei bitte etwas leiser. War dies also deine Sünde?“
„Ja, sie hat mich seitdem immer begleitet. Meist in meinen Träumen. Ich habe großes Unrecht getan. Ihre Blicke verfolgen mich noch immer! Sie müssen wissen, dass ich nun Versicherungsvertreter bin. Heute hatte ich einen Termin in dieser Stadt, meine Heimatstadt, die ich verließ. Es wurde Zeit, dass ich mich meiner Sünde stelle.“
Der Priester brach in plötzliches Gelächter aus. Ich schaute zu ihm ungläubig hinüber und sah ihn kichern.
Empört entgegnete ich ihm: „Was....das verstehe ich nicht? Lachen sie mich aus?“
Er sagte: „Nun, ich muss mich wohl entschuldigen, es tut mir Leid.“ Trotz seiner Worte konnte er das Lachen nicht halten und prustete unverblümt hinaus.
„Was haben sie? Ich verlange eine Erklärung!“
„Ich konnte mich noch sehr lange beherrschen, aber jetzt muss ich dir mein Geheimnis verraten:
Ich kenne dich und deine Geschichte!“
„Wie bitte?“
„Nun ich muss es wissen! Ich bin dein Bruder.“
copyright M.Klemt 2006