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Die etwas andere Mutprobe (Wörterbörse - 14 Tage in der KG-Rubrik)
„Psssst, nicht so laut- verdammt nochmal!“ Jody sah uns alle mit ihrem warnenden Blick an.
„Wollt ihr etwa auffliegen?“
Wir konnten nicht anders und kicherten. Das lag zum einen am Alkohol, der bisher reichlich geflossen war, zum anderen an unserer guten Stimmung. Wir waren einfach gut drauf und wollten dieses Hochgefühl alle noch eine Weile genießen.
Dass ich ein wenig Bammel hatte, überspielte ich gekonnt. Schließlich wollte ich nicht als Verliererin dastehen und nicht auf Ablehnung stoßen.
Ein lautes Klicken signalisierte, dass Sid es geschafft hatte. Er steckte das Werkzeug weg, mit dem er gerade die Türe aufgeknackt hatte.
„Los jetzt! Schnell rein und schnappt euch, was ihr tragen könnt. Ich halte hier draußen Wache.“
Jody und Matt rauschten an mir vorbei. Als Jimmy an mir vorbei lief, schnappte er meine Hand und zog mich mit sich.
Mein Herz machte einen Hüpfer und ich musste grinsen.
Im Inneren des Spirituosenladens war es dunkel und ich musste mich anstrengen, um etwas erkennen zu können.
Zu meiner Linken stand Matt –ich erkannte ihn am dunklen Umriss- der eine Taschenlampe aus seinem Rucksack holte und diese anschaltete.
Jimmy hielt noch immer meine mittlerweile verschwitzte Hand und lächelte mir aufmunternd zu.
Ich lächelte zurück und spürte ein Kribbeln im Bauch.
Zum Glück konnte er dank der Dunkelheit nicht erkennen, dass ich leicht errötete.
Matt ließ den hellen Schein der Taschenlampe suchend durch den Laden streifen, bis er plötzlich an der Kasse hängen blieb.
Silber leuchtete es uns entgegen.
„Sollen wir?“ fragte er grinsend.
„Lass das besser bleiben,“ sagte Jimmy sofort. „Ich wette, die Kasse wird abends geleert. Konzentrieren wir uns auf den Alkohol.“
Das war das Stichwort. Ich löste- wenn auch nur widerwillig- meine Hand aus seiner und begann, sämtliche Flaschen aus dem Laden in den Rucksack zu packen, den ich auf dem Rücken hatte.
Die anderen taten es mir gleich. Gelegentlich hörte man ein verräterisches Klirren, ansonsten gaben wir uns große Mühe, so wenig Geräusche wie möglich zu machen.
Nach nicht einmal zehn Minuten standen wir wieder draußen bei Sid, der sich in der Zwischenzeit eine Kippe angezündet hatte und lässig an der Wand gelehnt stand.
„Habt ihr alles mitgenommen, was ging?“ fragte er, während er den Rauch inhalierte.
„Sicher,“ antwortete Jody. „Mehr konnten wir nicht tragen.“
Ich wollte gerade vorschlagen, dass wir den Tatort verlassen sollten, da klopfte Matt mir auf den Rücken.
„Glückwunsch Leslie. Du hast die Mutprobe bestanden.“
Grinsend nahm ich die Glückwünsche entgegen.
Jimmy umarmte mich sogar, was mir ein ganz neues Hochgefühl gab.
Ob er ahnte, was für eine Wirkung er auf mich hatte? Dass ich ihn einfach umwerfend fand und nur bei so einem Schwachsinn mitmachte, damit er mich „cool“ fand?
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so viel Mumm in den Knochen hast,“ neckte Jody mich.
„Ich glaube, ihr unterschätzt mich. Wir aus Jersey haben mehr drauf als ihr New Yorker,“ konterte ich und klopfte ihr feixend auf die Schultern.
Plötzlich ging alles ganz schnell.
Ich vernahm gerade noch, wie Sid geschockt seine Kippe wegwarf und uns mit großen Augen ansah. Auch Matts und Jimmys Körperhaltung versteiften sich.
„Die Bullen! LAUFT!“ rief Jimmy, noch bevor ich selbst die heulenden Sirenen hörte.
Ehe ich mich versah, nahm er wieder meine Hand und riss mich mit sich mit. Im Laufen sah ich gerade noch, dass Matt und Jody gemeinsam nach links rannten und Sid in die entgegengesetzte Richtung.
Ich konnte nur mit Mühe mit Jimmy Schritt halten.
Die Sirenen wurden lauter, und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Panik überfiel mich.
Wenn die Cops uns erwischten, brauchte ich mich gar nicht mehr bis nach Hause trauen. Dann steckten meine Eltern mich wohlmöglich in den nächsten Umzugswagen.
In einiger Entfernung hinter uns vernahm ich das Rauschen eines Funkgeräts.
„Wir haben Sichtkontakt, genau zwölf Uhr. Zwei Tatverdächtige, die die Flucht ergriffen haben. Ein Junge und ein Mädchen, beide im Teenageralter.“
Die Stimme des Polizisten gab mir neue Kraft, schneller zu laufen. Ich keuchte und stolperte hinter Jimmy her, der immer noch eisern meine Hand festhielt.
„Komm mit, ich hab einen Plan,“ schnaufte er.
Wir rannten ungefähr fünf lange Minuten durch das nächtliche Brooklyn, die Cops dicht auf den Fersen.
Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass wir entkommen konnten, weil ich mich nicht wagte, daran zu denken, was passierte, wenn meine Eltern davon Wind bekamen, geschweige denn wenn die Cops mit mir vor unserer Haustür standen.
Meine Eltern dachten, dass ihre Tochter lieb und brav in ihrem Bett in ihrem Zimmer lag und seelisch vor sich hin schlummerte.
Irgendwie schafften wir es, ein wenig Entfernung zwischen uns und den Cops zu bringen.
Jimmy rannte um Straßenecken und nahm Abbiegungen, als würde er die Stadt im Schlaf kennen.
Wahrscheinlich tat er das auch.
Wir bogen in ein ruhiges Wohngebiet ein, als mir ein gleißender Schmerz durch linken Fußknöchel jagte.
„Scheiße!“ fluchte ich und spürte, wie ich den Boden unter den Füßen verlor, doch Jimmy fing mich gerade noch auf.
Auf dem Gehweg lag ein dicker Ast, über den ich gestolpert war und an dem ich mir den Fuß umgeschlagen hatte.
Sofort spürte ich, wie er anschwoll und der Schmerz war so heftig, dass es mir die Tränen in die Augen trieb.
„Alles okay?“ Jimmy kam ebenfalls zum Stehen und sah mich besorgt an.
Er war verschwitzt und außer Atem, seine Wangen waren rot, seine Augen waren lebendig und aufmerksam.
„Ich hab mir den Fuß umgeschlagen,“ stöhnte ich und versuchte, nicht zu jämmerlich und wehleidig zu wirken.
Ich hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, da hob Jimmy mich hoch. Ich klammerte mich um seinen Hals, um den Halt nicht zu verlieren.
„Schaffst du das?“ fragte ich besorgt, doch er grinste nur und rannte los.
Rechts und links neben uns erstreckten sich die Hinterhöfe der umliegenden Häuser.
Ich warf einen Blick über seine Schulter und stellte erleichtert fest, dass ich keinen der Cops sah.
„Hinter uns ist niemand mehr. Ich glaub wir sind sicher.“
Jimmy schüttelte den Kopf und entgegnete: „So leicht ist das leider nicht. Die werden schon noch kommen.“
Dann blieb er stehen und sah sich hastig um.
„Da hoch,“ keuchte er und deutete auf eine Mauer zu unserer Rechten.
Erschrocken riss ich die Augen auf.
„Ist das dein Ernst? Wie soll ich da hoch kommen?“
Ich hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da setzte Jimmy mich ab und stellte sich vor die Mauer.
Mit seinen Händen formte er eine Art „Räuberleiter“ und sah mich erwartungsvoll an.
„Los, beeil dich. Oder willst du gepackt werden?“ Ich dachte den Bruchteil einer Sekunde an die Reaktion meiner Eltern und stieg bereitwillig mit meinem gesunden Fuß auf Jimmys Hände.
Als ich den linken Fuß nachzog durchfuhr mich erneut ein gleißender Schmerz, der mich zusammenzucken ließ.
„Du hast es gleich geschafft, Süße. Ich glaub an dich.“
Ich biss die Zähne zusammen und hievte den linken Fuß über die Mauer, verweilte einen kurzen Augenblick oben, um mir einen Überblick über den dunklen Hinterhof zu machen.
Hier gab es nur ein kleines Blumenbeet, eine scheinbar leere Hundehütte und einen alten Geräteschuppen.
Ich gab mir einen Ruck und sprang los.
Beim Aufprall hätte ich schreien können, doch mir entfuhr nur ein ersticktes Stöhnen.
In meinem Fußgelenk brannte und pochte es unaufhaltsam.
Jimmy landete gekonnt und fast lautlos neben mir. Wie oft hatte er das eigentlich schon getan?
Kurz darauf hörten wir schnelle Schritte hinter der Mauer, wo wir vor wenigen Sekunden noch gestanden hatten.
Er zog mich mit sich runter, so dass ich auf seinem Schoß zum Sitzen kam.
Seine braunen Augen funkelten mich amüsiert und aufmerksam an, er legte mir einen Finger auf die Lippen.
„Wo sind sie hin?“ hörten wir eine Männerstimme, die einen der Bullen gehören musste.
„Ich weiß es nicht,“ antwortete eine andere Stimme. Wahrscheinlich sind sie weiter gerannt.“
Einen Moment lang war es still. Er kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Dann sagte der eine Cop: „Los, weiter! Die müssen hier irgendwo sein.“
Ihre Schritte entfernten sich rasch.
Ich atmete erleichtert aus und warf den Kopf in den Nacken.
„Gott sei Dank,“ stöhnte ich leise. „Ich dachte, die hauen gar nicht mehr ab.“
Meine Panik verflog allmählich.
Ich setzte mich wieder auf und sah direkt in Jimmys Augen, die mich eindringlich musterten, er war jetzt ganz ruhig und regungslos.
„Hattest du auch so einen Schiss wie ich?“ kicherte ich.
„Ich dachte, das war´s und die packen uns jeden Moment. Meine Eltern hätten mir den-“ weiter kam ich nicht, denn er fasste mir in den Nacken und zog mein Gesicht näher an seins. Sanft, aber bestimmend.
Wir waren uns jetzt ganz nah, ich spürte seinen Atem auf meiner Haut.
Dann legte er seine Lippen auf meine. Erst zögerlich, dann fordernd und fast schon gierig.
Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer und ich erwiderte den Kuss, öffnete die Lippen leicht, um seiner fordernden Zunge Einlass zu gewähren.
Der Kuss steigerte sich und wurde so intensiv, dass eine Gänsehaut meinen Körper überzog.
Jimmy stöhnte wohlig auf, als meine Hände durch seine Haare fuhren und dann seinem Nacken streichelten.
Er tat es mir gleich und zog mich noch näher und enger an sich.
Seine Hände strichen meinen Rücken entlang und wir nahmen nichts um uns herum wahr.
Sein Lippenpiercing kitzelte mich auf angenehme Art und Weise.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich ein Geräusch realisiert, das irgendwie nicht in diese Szene passte. Erschrocken löste ich mich aus dem Kuss.
„He, nicht aufhören,“ protestierte Jimmy und wollte mich gerade wieder an sich ran ziehen, doch ich blockte ab.
„Hast du das gehört?“
„Was? Da ist nichts.“
„Doch,“ widersprach ich. „Hier war gerade ein Geräusch, das hab ich mir doch nicht eingebildet.“
Gerade als ich selbst schon glaubte, dass dieses Geräusch nicht existierte, hörte ich es erneut.
Ein Knurren. Ein tiefes, kehliges Knurren.
Wir fuhren herum und sahen direkt in die Augen eines riesigen schwarzen Hundes, der einige Meter entfernt von uns stand und anscheinend nicht gerader erfreut darüber war, dass wir uns in seinem Revier befanden.
„Wo kommt der denn so plötzlich her?“ fragte Jimmy aus dem Mundwinkel in meine Richtung.
Vorsichtig, fast in Zeitlupe, standen wir auf und er nahm meine Hand. Ob aus Angst oder um mich zu beschützen, wusste ich nicht.
Der Hund knurrte lauter und nahm eine Angriffshaltung an.
Vorsichtig wagten wir einen Schritt nach hinten, doch sofort kam er ein Stück näher und bellte laut.
„Sssshhh,“ versuchte ich ihn zu beruhigen und sah mich panisch um. „Braver Hund. Wo ist das Stöckchen? Geh und hol es uns!“
Meine erhoffte Reaktion traf nicht ein, stattdessen bellte er nur noch mehr.
„Wir sind am Arsch,“ fluchte Jimmy und just in diesem Moment wurde das Licht im Hof angemacht.
„Fuck!“ fluchte auch ich.
„Lennox? Was hast du schon wieder? Komm rein!“ Es war die Stimme einer älteren Frau.
Ihre zierliche Gestalt erschien in der Terassentür und sie sah sich suchend nach ihrem Hund um.
Jimmy zog mich blitzschnell in den Schatten des alten Geräteschuppens. Der Spalt zwischen Schuppen und Mauer war eng, dort irgendwie schafften wir es, uns dazwischen zu quetschen.
Die vollen Rucksäcke stellten wir lautlos auf den Boden neben uns.
Sofort rannte der Hund auf uns zu und kam vor dem Spalt zum Stehen.
Er bellte und knurrte weiter aus tiefster Kehle.
„Lennox, AUS!“ rief die Frau und ich hörte ihre Schritte gefährlich nahe auf dem gepflasterten Gartenweg.
„Komm rein! Lass die Nachbarskatzen in Ruhe.“
Ich hielt den Atem an und hatte plötzlich Angst, das laute Klopfen meines Herzes könnte uns verraten.
Die gebückte Haltung der Frau warf einen Schatten auf die Steinmauer neben uns.
„Jetzt komm schon, alter Junge,“ sagte sie dann leise. „Da hinter ist nur eine Katze. Die springt dir gleich ins Gesicht, wenn du sie nicht in Ruhe lässt.“
Ich wagte kaum zu atmen und spürte Jimmys angespannte Körperhaltung neben mir.
Die Frau schien nicht mit dem Gedanken zu spielen, dass hinter dem Schuppen tatsächlich zwei Jugendliche stehen würden.
Wahrscheinlich dachte sie, der Spalt war so eng, dass hier nur eine Katze hinter stecken konnte.
Irgendwann und irgendwie schaffte die Frau es, ihren Höllenhund mit ins Haus zu nehmen.
Auch als die Hintertüre geräuschvoll ins Schloss fiel, blieben wir noch in unserem Versteck.
Es verstrichen fünf weitere Minuten, aus dem Haus drang kein einziges Geräusch.
„Das war knapp,“ grinste Jimmy mich an. „Da ging mir aber ordentlich die Pumpe.“
Ich kicherte leise, um einiges erleichterter.
Dann zog er mich wieder an sich heran und küsste mich erneut.
Da ich hier drin jedoch ein wenig Klaustrophobie entwickelte, löste ich mich nach wenigen Sekunden aus dem Kuss.
„Lass uns sehen, dass wir hier weg kommen, dann können wir das hier gerne fortsetzen,“ flüsterte ich.
Sein Blick verriet mir, dass er am liebsten weiter gemacht hätte, aber er gab widerwillig nach.
Fast lautlos half er mir über die Mauer, während ich dabei wieder einen erstickten Schmerzensschrei unterdrücken musste.
Als Jimmy neben mir landete, sah er mich besorgt an.
„Wie geht es deinem Fuß?“
„Beschissen ist noch milde ausgedrückt.“
„Komm, ich bring dich nach Hause. Denkst du, du schaffst es bis dahin?“
Ich schluckte und nickte, gespielt tapfer.
Schon nach wenigen Schritten musste ich innehalten.
Der Schmerz zog durch meinen gesamten Körper.
„Soll ich dich ins Krankenhaus bringen?“ Seine braunen Augen fixierten mein verletztes Fußgelenk.
„Bist du verrückt? Meine Eltern denken, ich schlafe friedlich in meinem Zimmer. Wie soll ich ihnen das bitteschön erklären?“
Er sagte nichts weiter, sondern hob mich hoch.
„Willst du mich jetzt den ganzen Weg nach Hause tragen?“ fragte ich, ein wenig peinlich berührt.
„Wenn es sein muss,“ grinste Jimmy. „Ich versuche es zumindest.“
Es dauerte nicht lange, bis wir bei mir zuhause angekommen waren.
Erleichtert stellte ich fest, dass das Haus noch immer im Dunkeln lag.
Meine Eltern hatten meine Abwesenheit also in der Zwischenzeit noch nicht entdeckt.
Wir blieben vor der Garage stehen, Jimmy setzte mich behutsam auf den Boden.
„Wie bist du raus gekommen?“ fragte er mich flüsternd.
„Ich bin aus meinem Zimmerfenster gestiegen und dann über das Garagendach, anschließend über die kleine Mauer hier und dann gesprungen.“
„Und wie willst du es wieder hoch schaffen?“
Ich zuckte die Schultern.
„Indem du mir wie ein Gentleman wieder rauf hilfst.“
Jimmy grinste breit und wir verfielen erneut in einen intensiven Kuss.
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