Was ist neu

Die Fassade

Mitglied
Beitritt
28.01.2006
Beiträge
242
Zuletzt bearbeitet:

Die Fassade

Solch tiefgrüne Augen, geformt zu derartig affektiertem Blick, den sie dazu einsetzte, um ihn gänzlichst genau zu untersuchen, hatte er vorher noch nie auf sich spüren können. Generell hatte er noch nie einen Blick spüren können. Bis zu jenem Zeitpunkt, an welchem ihn erstmals das zweifelhafte Gefühl überkam, Röntgenstrahlen durchdrängen seinen Körper, seinen Kopf und besonders sein Herz und geben ihr Auskunft, gar eine exklusive Gewinn- und Verlustreichnung über sein bisheriges Leben. Nur gab es leider keine Gewinne, was wohl auch der wahre Grund für sein Ungehagen gewesen sein muss. Die beiden waren alleine in ihrem gemeinsamen Haus, das sie sich vor Jahren einst zusammen gekauft hatten und seitdem, Freunde und Bekannte verstandes es jedenfalls immer so, als Symbol für ihre Beziehung galt, ist die Fassade des Hauses doch eine der prächtigsten im ganzen Städtchen gewesen. Sie starrte ihn an. Noch immer von der ungewohnten Mächtigkeit ihrer Stimme überwältigt, nachdem ihm ihr plötzlicher Anfall, er solle das Haus sofort verlassen, sie wolle ihn niemals wieder sehen, einen wahrhaftigen Schock versetzte, stand er beinahe eine halbe Stunde vor ihr. Seine Knie zitterten, seine Lunge rang um Atem. Er sagte keinen Ton. Länger konnte sie diesen Anblick nicht ertragen, abermals jagte sie ihn aus dem Haus, als handele es sich um einen Hund, an Stelle eines Menschen. Auf allen Vieren kroch er zur Haustüre, in der sie stand, erzürnt und streng mit dem Zeigefinger auf die Straße weisend.

Obwohl er wusste, dass sie ihn niemals wieder bei sich aufnehmen würde – ihre Entscheidungen waren stets ohne Zweifel und vollkommen unwiderruflich -, lief er nicht einfach davon. Über ihren letzten gemeinsamen Augenblick, die gesamte Beziehung und sein eigenes Leben philosophierend lief er stattdessen um das gemeinsame Haus. Runde für Runde, immer im Kreis. Er wollte wenigstens in ihrer Nähe sein, konnte er schon nicht bei ihr im Haus sein, drinnen im Wohnzimmer am Kamin auf dem Sofa liegen, die Arme umeinander geschlungen und ihre geschmeidige und blasse Haut ebenso spürend, wie ihre rosafarbenenen Lippen auf den seinen.

Plötzlich wurde er in seinem Gedankengang unterbrochen. Dem Fahrer war was unmöglich gewesen, rechtzeitig zu bremsen, er war sofort tot. Seine Füße hatte er nur einen kurzen Moment auf die Straße vor dem Haus gesetzt. Ein kurzer Moment, der ihm das Leben kostete.

Dass sie sich mit ihm verstritten hatte, erzählte sie niemandem auf der Beerdigung , nicht einmal ihrer besten Freundin. Die Beileidswünsche nahm sie alle dankend entgegen. Das schwarze Trauerkleid, ihre Tränen – Alles wirkte so echt, keiner hätte je den geringsten Zweifel gehegt, war die Fassade doch eine der prächtigsten im ganzen Städtchen gewesen.

 

Hallo Sebastian,

da ich bemerkt habe, dass du hier nicht nur deine Geschichten reinstellst, sondern auch die Geschichten anderer User kommentierst und korrigierst, dachte ich mir, komm‘ ich dir entgegen und kommentiere dafür zum Beispiel mal diesen Text von dir hier. (hab mich nur gerade wieder ein wenig geärgert, dass es hier einfach viel zu viele Leute gibt, die nur bedient werden wollen - ohne irgendeine Gegenleistung...)


Deine sehr kurze Geschichte - eigentlich eher eine Zusammenfassung für eine solche, könnte fast der Klappentext für einen Taschenroman sein - hat mir in vielerlei Hinsicht leider nicht gefallen. Zunächst mal zur Rubrik "Philosophisches". Ein Erzähler kommt im Laufe seines Erzählens zu dem Schluss, dass es erstens so etwas wie Fassaden gibt und dass diese von Fall zu Fall auch noch zur Anwendung kommen. Jedenfalls kann man davon sprechen, sobald man (subjektiv?, objektiv?) eine gewisse Differenz zwischen Sein und Schein hinsichtlich einer Begebenheit ausmacht. Platon hat ja bekanntlich viel zu diesem Thema - wie sagt man? - "philosophiert". Oder Hegel. Oder Schopenhauer. Oder Kant. Bei all diesen Vertretern der Philosophie ging es um die Erkenntnis und die Erkennbarkeit, die Wahrheit oder der Falschheit der Welt an sich. Und nicht um irgendwelche einzelnen Bestandteile daraus.

Hier jedoch wird ein sehr, sehr begrenztes Thema erzählerisch dargeboten, das ich am ehesten als sozialpsychologisch einstufen würde. Mit Philosophie hat es nichts zu tun, da das Thema dafür bei weitem nicht grundsätzlich genug ist.

Den Stil des Textes würde ich als leicht chaotisch bezeichnen. Häufig viel zu lange, zudem unnötig kompliziert ineinander verschachtelte (Wurm-)Sätze, in denen für mich nicht immer sofort klar ist, worauf sich zB. die dort auftauchenden Relativpronomina beziehen. Etwa hier:

Auf allen Vieren kroch er zur Haustüre, in der sie stand, erzürnt und streng mit dem Zeigefinger auf die Straße weisend.
Er wies erzürnt und streng mit dem Zeigefinger auf die Straße während er zugleich auf allen Vieren zur Haustüre kroch? Achso, das passive Verb "weisend" am Ende des Satzes bezieht sich auf die Frau...

Desweiteren fallen mir negativ metaphorische Vergleiche auf, die mich nicht überzeugen können:

Solch tiefgrüne Augen, geformt zu derartig affektiertem Blick, den sie dazu einsetzte, um ihn gänzlichst genau zu untersuchen, hatte er vorher noch nie auf sich spüren können.
Verkürzt heißt das: "Solch tiefgrüne Augen [...] hatte er vorher noch nie auf sich spüren können."

Ich kann mir nicht helfen, aber ich könnte Augen - ob nun tiefgrün oder sonstwie gefärbt - nur dann auf mir spüren, wenn diese jemand in physischer Form auf meine Haut legen würde! Ein Auge ist ein verhältnismäßig kleines Organ des menschlichen Organismus in zweifacher Ausfertigung. Ich stelle mir gerade ein Liebespaar vor, bei dem der Satz fällt: "Ich spüre deine Augen auf mir..." Hört sich für mich sehr unwahrscheinlich an.

Aber, aha!, wie im vorhergehenden Satz soll sich wohl anscheinend alles, was nach "Blick," kommt auf eben diesen beziehen. Wenn es aber so gemeint ist, dann halte ich die Einleitung "Solch tiefgrüne Augen," für sehr verwirrend, da man doch erwarten sollte, dass der Satz in seinem Ver-laufe wieder auf gerade dieses einleitende Objekt zurückkommt, oder nicht?

nachdem ihm ihr plötzlicher Anfall, er solle das Haus sofort verlassen, sie wolle ihn niemals wieder sehen,
Das ist kein "Anfall", sondern eine Aufforderung.

Auf die Tippfehler hier und da geh ich jetzt nicht noch extra ein; wenn du den Text nochmal aufmerksam durchliest, solltest du von selbst darauf stoßen.

Vom Inhalt her fällt mir leider auch nichts lobenswertes ein. Der Plot an sich ist nicht gerade originell und das Thema "Fassade" wird hier oder zumindest in dieser Rubrik mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder einmal narrativ umgesetzt. Alles ist einfach sehr gewöhnlich. Daran ändert auch der plötzliche Unfalltod des Mannes nichts. Ich für meinen Teil habe an dieser Stelle jedenfalls einfach nur gedacht: "Na und?"
Schuld daran ist, dass der Leser kaum eine Gelegenheit bekommt, die beschriebenen Figuren näher kennenzulernen. Ein Manko, das sich darin zeigt, dass jenem das Schicksal dieser aller Wahrscheinlichkeit nach herzlich egal sein wird.

Wenn eine Geschichte also weder inhaltlich noch atmosphärisch besonderes zu leisten vermag, was bleibt dann noch?

 

da ich bemerkt habe, dass du hier nicht nur deine Geschichten reinstellst, sondern auch die Geschichten anderer User kommentierst und korrigierst,
Ich finde, dass sowas selbstverständlich sein sollte, dass sich wer, der Kurzgeschichten schreibt, auch für die der anderen interessiert.

Bei dieser Geschichte verhält es sich, wie bei einigen anderen von mir ähnlich, wieder so, dass ich mich nicht zwischen Philosophie und Alltag entscheiden konnte, eine "Zwischenkategorie" gibt es leider nicht.

Häufig viel zu lange, zudem unnötig kompliziert ineinander verschachtelte (Wurm-)Sätze,
Das ist einfach mein Schreibstil, Du müsstest mal das Gesicht meiner Deutschlehrerin sehen, wenn ich ihr eine komplette Klausur, bestehend aus fünf Sätzen, abliefere. ;)

Für die anderen Kritikpunkte bin ich dir dankbar, ich gebe zu, dass ich die Story etwas "schnellschnell" geschrieben habe. Vielleicht werde ich sie bei Gelegenheit etwas besser ausarbeiten, so dass etwas besser der eigentliche Hintergedanke der Geschichte rauskommt.

 

Hi Du,

nette Geschichte, hat mich nicht ganz mitgerissen, wie manche Deiner Geschichten. Hier aber meine Lieblingsstelle

Alles wirkte so echt, keiner hätte je den geringsten Zweifel gehegt, war die Fassade doch eine der prächtigsten im ganzen Städtchen gewesen.
Ja, diese Stelle kommt an Dich heran, soe wie ich Deine Texte schätze...

noch nächtlichere Grüße JH.Rilke

 

Hallo Sebastian Krebs,

abgesehen von dem zwar ungewohnten, aber dadurch interessanten Stil habe ich nicht viel von der Geschichte: Streit, Rausschmiss, Unfalltod, Beerdigung.
Dass auf Beerdigungen viel Scheinheiliges passiert, ist banale Tatsache, für eine philosophische Geschichte ist das zu wenig - selbst wenn man (ohne einen in der Geschichte innewohnenden Grund zu haben) versucht etwas generell Gültiges oder Problematisches von dem Text abzuleiten.

L G,

tschüß Woltochinon

 

Plötzlich wurde er in seinem Gedankengang unterbrochen. Dem Fahrer war was unmöglich gewesen, rechtzeitig zu bremsen

Dieser spezielle Absatz hat mir gar nicht gefallen. Der Leser sieht mit den Augen des Protagonisten und erlebt, was dieser erlebt. Er wird aus seinem Gedankengang gerissen? "Na schön", denke ich, "und was kommt jetzt"? Im nächsten Satz werde ich darüber aufgeklärt, daß ich das gar nicht mehr aus der Sicht des Protagonisten erleben kann, weil er tot ist - ich fühle mich dadurch fast ein wenig ver...
Ich vermute die Absicht, den Unfall als plötzlichen, gewalttätigen Bruch der Geschichte in Szene zu setzten - aber dafür ist das viel zu kurz und leidenschaftslos abgehandelt.

Womit ich beim zweiten Kritikpunkt angekommen bin: wo ist der Konflikt in Deiner Geschichte? Sie wirft ihn hinaus - sie ist sich ihrer Entscheidung so sicher, daß sie unwiderruflich ist. Er läßt sich ohne zu murren von ihr auf die Straße befördern, kriecht auf allen Vieren, als wäre das eine Selbstverständlichkeit und hadert nicht einmal mit sich selbst deswegen. Er nimmt sogar sein unvermutetes Ableben mit stoischer Gelassenheit in Kauf.

Dritter Kritikpunkt: das Thema 'Fassade'. Einmal im Titel, einmal in der Mitte des Textes, einmal am Schluß. Drei rote Punkte, aber kein Faden. Dieser zentrale Gegenstand der Geschichte hätte in meinen Augen mehr Aufmerksamkeit verdient. Was soll die Fassade verstecken? Den nicht vorhandenen Konflikt der Beteiligten?

Aber J.H. Rilke muß ich recht geben - den letzten Absatz fand ich auch gelungen ;)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom