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Die Fliege
Er sitzt auf einem Hocker in seinem Zimmer. Kaum größer als eine Zelle. Wenig eingerichtet. Nur ein Tisch, darauf ein Stift und ein Block. Nichts Überflüssiges. Die Sonne scheint durch ein kleines vergittertes Fenster. Sie lässt in der staubigen Luft Lichtstrahlen entstehen. Vor dem Fenster fliegen zwei Hornissen aufeinander zu und vereinigen sich zu einem surrenden Knäuel. Für das Auge zu schnell, zu wirr. Sie fallen ein Stück, steigen dann auf. Immer wieder von neuem. Nach einer Weile fliegen sie auseinander. Es ist ruhig. Nur ein paar leuchtende Staubkörnchen schweben durch die Luft. Sonst nichts. Der Mann schaut immer noch aus dem Fenster. Die Lichtstrahlen wandern langsam weiter. Regungslos sitzt er da, starr wie eine Statue. Plötzlich ein Ruck, ein paar schnelle Bewegungen und schon jagt der Stift, über den Block. Ein silberner Kugelschreiber mit matten, goldenen Streifen verziert. Seine Augen streng auf das Blatt gerichtet, das Gesicht verzerrt. Die Hand macht ruckartige Bewegungen. Nach ein paar Zeilen hört er auf. Jetzt sitzt er wieder versunken da.
„Das Leben, ein Kampf. Das Ringen nach dem Sinn, ein Streit der Gegensätze. Die Welt, eine Anhäufung des Chaos. Untrennbar für das Auge des Verstandes. Unentwirrbar - nur von sich selbst. Doch mit dem Verstand zerlegt, geht auch der letzte kleine Sinn verloren.“ Steht in krummen, roten Buchstaben auf dem Papier.
Langsam wandern die Lichtstrahlen weiter. Mit einem sanften Summen kommt eine Fliege in das Zimmer geflogen. Klein und schwarz schwebt sie über dem Schreibtisch. Fliegt Kreise und Achten, als wollte sie ihm etwas sagen. Die Augen des Mannes sind auf die Fliege gerichtet. Die Versuche darin Buchstaben zu lesen vergebens. Die Bahn, sinnlos und unbegreiflich. Von seinen Blicken verfolgt, fliegt sie wieder hinaus. Ihre Flügel beginnen im Licht zu schillern. Wie tausend winzige Edelsteine. Ein Vogel huscht vorbei, die Fliege ist verschwunden. Vom Licht getroffen beginnen die Verzierungen des Stiftes zu funkeln. Mit einem Lächeln beugt sich der Mann über den Tisch und greift nach dem Stift.
„Scheinbar sinnlos, da gefangen im Kerker. Eisern vergittert mit den Regeln des Verstandes. So ist es nur sinnloses Treiben. Kein Leben. Ein Raubzug. Da bin ich wie der Vogel. Ein Räuber, ein Dieb. Ein Nichts, geschmückt mit lauter fremden Federn. Meine Beute, die Botschaft der Fliege: „Brich aus! Reiß dich los! – Lebe!““