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Die Frage
Die Frage
Der Tag war jung, die Sonne strahlte und ich war auf dem Weg zur Schule, nur noch das kleine Stück von der Bushaltestelle bis zur Eingangstüre des hässlichen Betonbaus war zu bewältigen.
Für jemanden mit durchschnittlichen Essgewohnheiten, ohne Hang zum vegetarischen Rauchen und Normalgewicht kein Problem. Ich allerdings brauchte für dieses Stück täglich mehrere Minuten, ab und an zog es sich auch auf eine halbe Stunde. So wie heute.
Nach wenigen Stritten überfiel mich mein innerer Schweinehund und verlangte eine Extramahlzeit.
„Nichts da, ich bin dick und fresse sowieso viel zu viel. Heute gibt’s nichts.“
Aber wie immer war er stärker, machte anscheinend das Fitnesstraining das der Körper so dringend benötigt hätte.
Also ab zum nahegelegenen Supermarkt, der weiter entfernt war als das Schulgebäude, doch ich musste irgendetwas hinunterschlingen. Daran hinderte mich nicht einmal der Fußweg.
Mit aller Gewalt presste ich die automatische Türe auf, als diese nicht schnell genug aufschwang.
Hastig enterte ich das Süßigkeitenregal, übernahm die Kontrolle über eine Packung „Dr. Peps Party Frühstücksflocken, jetzt mit noch weniger atomarer Verstrahlung“ und spurtete ungestüm auf meinen Elefantenstampfern zur Kasse.
Mit einer Behändigkeit, von der ich nicht gewusst hatte, dass ich sie besaß, warf ich der zuständigen Angestellten die Schachtel und ein bisschen Kleingeld im Lauf zu. Danach griff ich mir die bezahlte Ware, riss gierig die Packung auf und stopfte mir eine Hand voll von dem ekelhaften Nahrungsbrei in den Mund. Ohne zu Kauen schluckte ich herunter, mein Magen wollte zerstören, vernichten.
Doch dann kam etwas aus dem Karton, was mein Leben bis in die Grundfesten erschüttern, komplett verändern sollte: Eine kleine Plastikfigur eines heidnischen Fallusymboles, das heißt ein Männlein mit einem gigantischen Geschlechtsteil. Scheinbar die versteckte Überraschung, obgleich nichts dergleichen in dem Aufdruck der Verpackung erwähnt wurde.
Plötzlich hörte ich eine Stimme in meinem Kopf: „Rubble mich!“
„Nein, ich werd auf keinen Fall keinem Spielzeug einen runterholen.“
„Tu es und du bekommst ein Geschenk, das mit keinem, das du jemals in deinem armseligen Leben bekommen hast, vergleichbar ist.“
„Ich mach mich nur lächerlich.“
„Das bist du sowieso längst.“
„Da hast du recht“, antwortete ich und begann meine schmutzige Arbeit zu verrichten.
Ein paar Menschen, Fremde, die ich niemals wiedersehen würde (und das war auch gut so), kamen an meiner Position vorbei. Sogar ein paar alte Frauen, gestützt auf rostige Gehhilfen, betrachtete mich kurz, schüttelten die Köpfe und murmelten irgendwas über den Verfall von Sitte und Ordnung.
Doch das Ganze fruchtete schon nach wenigen Augenblicken schweißtreibender Strapaze: Die Figur kam, der Plastiklümmel explodierte und heraus schwebte ein, na ja, zuerst dachte ich, es handle sich um einen hässlichen, eingesperrten Maikäfer, dann jedoch ... ja dann erkannte ich es. Es war eine sichtlich von Magersucht geplagte Fee. Ein zerfetztes Kleid hing an ihren Schultern, die Flügel nervös angeknabbert, Haare verfilzt.
„Hallo“, stotterte sie am ganzen Leib zitternd. „Ich bin die gute Fee. Wie du vielleicht sehen kannst gibt es in dieser Welt nicht mehr so wahnsinnig viel zu tun für Geschöpfe wie mich. Deswegen hab ich mich gar nicht erst gebadet, ich dachte, es würde eh niemand nach mir rufen.“
„Ich will ne Wagenladung Dope!“
„Nein, solche Wünsche kann ich dir nicht erfüllen.“
„Shit, wozu bist du sonst nütze?“
„Ich gebe dir hiermit das unendliche Wissen.“ Mit diesen Worten drückte sie mir einen kleinen Taschencomputer in die Hand. „Tippe hier deine Frage ein und die Antwort kommt in wenigen Sekunden zu dir.“
Eifrig tippte ich ein: „Wie komme ich an eine Wagenladung Dope?“
Der Schriftzug verschwand kurz und dann war die Antwort zu sehen: „Rufe einfach 0962173971 an und bestell. Zahle mit der Kartennummer 2407894786927846. Viel Spaß und halte dich in Grenzen.“
Als ich aufblickte und meiner Wohltäterin danken wollte, war diese ins Nichts verschwunden. Weit und breit war keine Spur mehr von ihr.
„Fett“, flüsterte ich und steckte das mysteriöse Gerät in meine Hosentasche. „Ich hab grad ne Tonne Gras gewonnen.“
Plötzlich kam mir die Sonne heller vor, sie lachte mich an, meine Mitmenschen grinsten freundlich, nicht mehr mitleidig, heute war einfach ein guter Tag. Die unliebsame Schule war vergessen, munter hüpfte ich den Gehsteig entlang, mit meiner Traumfigur ein gewöhnungsbedürftiger Anblick. Als ich zehn Meter weiter Herzstechen bekam musste ich meinen übergeschwappten Enthusiasmus allerdings vorerst bremsen und meinem Körper eine halbstündige Ruhepause gönnen.
Aber dann, ja dann legte ich richtig los. Ich orderte das Gras per Telefonzelle in den Schulhof. Die freundliche Stimme am anderen Ende meinte, es müsse in etwa einer dreiviertel Stunde angekommen sein.
Fast auf die Minute pünktlich erreichte der Lastwagen sein Ziel, entlehrte seine Fracht wie abgesprochen in den Rollerparkplatz. Alsdann verschwand er möglichst schnell auf dem Weg, den er gekommen war.
Nun blieb nur noch eins zu tun: Ich musste den kostbaren Berg anfachen damit dieser seine allbekannte Wirkung freisetzte. Ehrfurchtsvoll trat ich neben den Haufen, neigte mein Haupt und zog mein Feuerzeug aus der Tasche, das mir all diese unzähligen Stunden Glückseeligkeit geschenkt hatte.
Nachdem ich realisiert hatte, dass es allem Anschein nach niemanden interessierte, dass einen Steinwurf vom Hautgebäude Drogen im Wert von mehreren hunderttausend Euro aufgehäuft waren, beschloss ich eine weitere Ungewissheit aufzuklären: „Welcher Mensch hier auf Erden macht beim Kacken die abgefahrensten Grimassen.“
„Du bist derjenige und kannst du nicht mal Fragen stellen wie zum Beispiel: Wie kann man Aids besiegen? Primitivling!“
Diese Demütigung veranlasste mich dem zierlichen Gerät ein paar hier besser ungenannte Beleidigungen an die Plastikverkleidung zu schleudern. Gekränkt schaltete sich dieses daraufhin ab und schmollte ein wenig.
In dieser Zeitspanne steckte ich einstweilen das Gras in Brand. Es war so ausgetrocknet, dass es sofort in Flammen aufging und anfing wie ein mittelalterlicher Scheiterhaufen zu qualmen.
Der dichte Rauch kroch langsam über den Hof, schwebte durch Fensterritzen und Belüftungsanlagen direkt in die Aula, in jedes einzelne Klassenzimmer. Ich war ebenso komplett eingehüllt, konnte meine eigenen Hände nicht mehr sehen.
Es war vollbracht. Im Moment musste nur ein bequemer Beobachtungspunkt gefunden werden, von wo man das vollständige Gelände überblicken konnte. Nachdem ich diesen mit Hilfe des Taschencomputers, der mittlerweile seine beleidigte Phase aufgegeben und zu seiner ursprünglichen Tätigkeit zurückgekehrt war, ausgemacht und bezogen hatte, genoss ich die Show in vollen Zügen:
Die Türen wurden aufgestoßen und aus dem Rauchvorhang torkelten mehrere Gestalten, die ihr Verhaltensmuster in den letzten zehn Minuten stark geändert hatten.
Allen voran stürmte eine Horde nackter Elftklässer, nur mit Springerstiefeln bekleidet, aus dem Gebäude. Ihr langen Haare flatterten beim Laufen. Gefolgt wurden sie von einer tangotanzenden Fraktion des Lehrkörpers, dessen Rest sich lautstark lachend vom Balkon des Personalzimmers abseilte. Danach strömte der Rest der Schüler, bunt bemalt und mit leicht unsicherem Schritt auf den Vorplatz. Auf dem Weg dorthin verloren ab und an ein paar Kinder die Kontrolle über ihren Körper, fingen sich jedoch gleich wieder.
Ein vergleichbares Ereignis hatte dieses Gymnasium seit seiner bis heute verschwiegenen Einweihung durch Adolf Hitler nicht gegeben. Meine Arbeit war getan, ich stahl mir ein Sixpack Pils aus der Tanke und grübelte nach, wen ich als nächstes mit meinem Wissen beglücken konnte.
Auf meinem Weg quer durch die Innenstadt fielen mir die ganzen Menschen auf, die geschäftig ihren mühsamen Arbeiten nachgingen. Ein Großteil von ihnen waren wichtige Geschäftsleute, Banker, Makler. In ihren fein gebügelten Anzügen, zentimetergenau gebundenen Krawatten und polierten Designerschuhen warfen sie mir ihre missbilligenden Blicke zu.
„Was will denn so einer in unserem Teil der Stadt. Hier trägt man Gucci, nichts von H&M. Und für seine Figur könnte er auch mal was tun.“
Es war Zeit, dass jemand ihnen mal ordentlich die Meinung geigte.
„Wie kann ich diese arroganten Zipfel auf den Boden der Tatsachen zurückholen?“
„Verbreite, es gäbe kostenloses Mittagessen in der Zentralbank. Die nehmen alles, was umsonst ist und dort werden sie ihr blaues Wunder erleben.“
Auch wenn ich nicht den leisesten Schimmer hatte, was das bringen sollte, ging ich an den nächsten Passanten hin und redete ihm ein, dass in zehn Minuten freier Nudelauflauf in dem nur wenige Meter entfernten Gebäude verteilt würde.
Innerhalb einer Viertelstunde hatte sich die Nachricht wie ein Lauffeuer im ganzen Businessdistrikt überliefert und hunderte hungrige Rolexträger drängten sich um den Eingang der Bank. Die komplette Menschenmasse versuchte auf einem Haufen ins Innere zu gelangen, wo anders als sie geglaubt hatten, keine Nudeln angeboten wurden.
Statt dessen war ihnen ein geistig verwirrter Bankräuber zu Diensten, der das Personal und die Kunden in seine Gewalt gebracht hatte und nun versuchte, den Safe mit Hammer und Feile zu knacken.
In der Annahme, die Menschenmasse sei ein taktisches Manöver der Polizei um ihn aus der Bank zu locken, zündete er seinen selbstgebastelten Sprengsatz. Die gewaltige Explosion riss fast alle in den Tod, die ich in dem Gebäude befunden hatten. Die Feuerwelle fraß sich durch die Türen, entflammte Stühle, Tische und Fleisch und versengte den Beton, aus dem die dicken Wände bestanden.
Geldscheine stoben aus der zersplitterten Eingangstüre wie Staubteilchen, die jemand aus einem Ofen pustet. Wie kleine Hubschrauber rotierten die Papierscheine durch die Luft. Sofort kamen nahe Passanten in den bunten Tanz gelaufen, griffen nach dem Geld wie kleine Kinder nach Schneeflocken. Während in der Bank die Schreie der lebendig Verbrennenden zu hören waren, tollten vor der Türe erwachsene Personen herum, als wäre es Weihnachten. Nicht ein einziger von ihnen verschwendete nur einen winzigen Gedanken daran, wie man den armen Schweinen helfen konnte. Jedermann war damit beschäftigt, sich möglichst viele der herumflatternden Scheine in die Hosentaschen zu stopfen.
Diese gierigen Bastarde ekelten mich an, verdarben mir sogar die Freude an meiner kleinen Bestrafungsaktion. Missmutig entfernt ich mich ein Stückchen von dem Massaker.
Es war Zeit, meine Stimmung etwas zu heben, vielleicht konnten zehn Nutten und Kokain weiterhelfen.
„Ok, meine Bester. Wie komme ich schnell an zehn Nutten. Halt, nein, das war vielleicht etwas übertrieben. Fünf tun es auch.“
„Darf ich mal selbst eine Frage stellen, die du dann beantwortest?“
„Ja, klar, wieso nicht?“
„Bis du wirklich so dumm wie du aussiehst oder spielst du das nur?“
Ohne zu zögern entgegnete ich: „Ich bin so, kann nichts dagegen machen.“
Das war das letzte Sinnvolle, was mir meine Mutter eingebläut hatte, bevor sie im Sumpf der Alkoholabhängigkeit verschwunden war.
„Überleg dir wenigstens ein einziges Mal etwas, was meine Kompetenzen im Geringsten ausschöpft.“
„Na gut, weil du es bist. Hmm lass mal nachdenken.“
Der fatale Ideenschwund zog sich bis in den späten Nachmittag. Tief in meinen Gedanken versunken durchstreifte ich weiterhin die Innenstadt, durchquerte Parkanlagen, dunkle Gassen und wurde beinahe von einem Auto erfasst. Während mein Gehirn wie verrückt arbeitete um meinen kleinen elektronischen Reisebegleiter nicht künftig mit noch mehr Schwachsinn zu verärgern, bretterte mir irgendeine kurzsichtige Oma mit voller Wucht in die Seite. Meine hauseigenen Fettreserven schützten mir zwar vor körperlichen Verletzungen, doch mein Geist wurde einen Augenblick befreit von lästigen Plänen. Die alte Schachtel machte sich schleunigst aus dem Staub, unwissend, dass sie mir gerade eine Erleuchtung erster Klasse verschafft hatte: „Mir ist was eingefallen, du wirst stolz auf mich sein: Wann werde ich sterben?“
„Die meisten, denen ich in die verschwitzten Hände falle fragen das nach spätestens fünf Minuten. Nachdem sie mit ihren biologischen Denkapparaten kapiert haben wie ich funktioniere, versteht sich“
„Was ist nun mit meinem Todestag?“
„Den willst du nicht ernsthaft wissen, oder?“
„Allerdings.“
„Würde ich dir aber nicht raten, da kommt meist Blödsinn dabei heraus. Keiner, der seinen Todestag erfahren hat, überlebte die nächsten zwei Wochen. Wobei ...“
„Was denn?“
„Ich kann dich fetten Sitzpisser sowieso nicht leiden: Du stirbst in drei Tagen.“
„Cool.“
„Was bitte? Sterben bedeutet Tod sein, mausetot. Kein Leben mehr. Weg. Den Löffel abgeben, ins Gras beißen.“
„Naja, sterben muss jeder.“
„Aber DIR werden die Lichter ausgeblasen.“
„Folglich nehm ich mal an, dass es eine Möglichkeit gibt, mich vor der ewigen Verdammnis zu retten.“
„Kann ich dir zuerst eine kleine Finesse erklären, die das Schicksal in das Leben der menschlichen Rasse integriert hat um dem Ganzen etwas Würze zu verpassen?“
„Nur zu, ich werd dich nicht daran hindern.“
„Also: Hast du jemals daran gedacht, ob es für jedes Individuum auf diesem gottverlassenen Planeten das perfekte Gegenstück gibt? Einen fehlerlosen Partner um seine Gene weiterzugeben.“
„Wenn ich manchmal so bestimmte Geschäfte abwickle, wünsche ich mir schon jemanden, der mir zu Hand ginge.“
„Schwein! Kannst du an nicht anderes denken? Wie auch immer, es gibt dieses Wesen für jeden von euch stinkenden Fleischbatzen.“
„Kann es sein, dass du Menschen nicht ausstehen kannst.“
„Erst seit ich dich kenne. Und jetzt halts Maul und hör mir zu, verdammt: Der Haken an diesem System ist jedoch: Sollte eines dieser beiden Lebewesen über den Jordan gehen, und das wird es früher oder später, muss das Andere zwangsläufig folgen, da es durch seine Fortpflanzung nur Müll produzieren würde. Die einzige Ausnahme ist, wenn ein Partner zum Beispiel ins Koma fällt und nicht mehr erwacht oder ihm die Eier abgehackt werden. Solls ja geben. Passiert dies, wird der andere Teil meistens unfruchtbar. Es existieren ein ganzer Haufen weiterer Ausnahmen und Spezialregelungen, es würde allerdings zu lange dauern, alle aufzuzählen.
In deinem Fall: Deine Fortpflanzungserwählte wird in den besagten drei Tagen abtreten und bevor du es wissen willst: Du kannst rein gar nichts dagegen machen. Ein Rat von mir als dein Freund: Genieße deine verbleibende Zeit und stirb in Würde. Oh, wie ich mich auf diesen Tag freue, endlich wieder frei zu sein.“
„Erstens bist du nicht mein Freund, du hast mich mehrmals wüst beleidigt und zweitens: Wo wohnt sie?“
„Wer?“
„Du weißt wen ich meine, Blechbüchse.“
„Na gut, aber mach dir keine Hoffnungen, du entkommst dem Tod nicht. Er ist ziemlich gründlich in seinem Job.“
Der Computer gab mir eine Adresse, die ich mir schnell auf ein Zigarettenpaper notierte. Ohne Umschweife machte ich mich auf den weiten, beschwerlichen Weg zu dem genannten Ort.
Meine kompletten Ersparnisse, angehäuft durch kleine Gaunereien und Dealen im Schulklo, gingen für die sechsstündige Zugfahrt drauf.
Auf dem Sitzplatz gegenüber mir saß ein verschrumpelte Nonne und musterte mich mit einem Du-warst-letzten-Sonntag-nicht-in-der-Kirche-Blick.
Herausfordernd sah ich ihr tief in die Augen und flüsterte geheimnisvoll: „Suchen sie was zu rauchen?“
Hastig bekreuzigte sich die Schwarzgekleidete und antwortete: „Nein danke, mit einem von deiner Sorte möchte ich bitte nichts zu tun haben. Aber lass mir dir noch eines auf deinem zukünftigen Weg mitgeben: Du hast dich in die falsche Richtung gewandt. Immer näher kommst du dem Abgrund und du wirst fallen. Oooooooh, wirst du tief stürzen, hinab in Satans finstere Reiche.“
Die Alte steigerte sich mehr und mehr in ihren emotional geladenen Vortrag hinein.
„Wenn du aufprallst, mein Sohn, wirst du leiden bis in alle Ewigkeiten, schmoren wirst du, auf des Teufels Grillrost.“
Atemlos hielt sie eine Sekunde an um kräftig Luft zu holen, danach setzte sie zum Höhepunkt an: „RETTE DICH AUS DEN FÄNGEN DER VERDAMMNIS, hüte dich vor Drogen, böser Musik und Menschen, die dich verführen wollen. OH, HERR, VERSCHONE DIESEN KNABEN!!!“
Erschöpft blickte sie sich nach dem Kellner um, der gerade mit seinem Wagen unser Zugabteil betrat, und schnippte ungeduldig mit den Fingern: „Guter Mann, bringen sie mir bitte einen doppelten Jack-Cola und eine Schachtel filterloser Zigaretten.“ Sichtlich irritiert führte der Bedienstete den Wunsch aus, kassierte und verschwand mit einem Gesicht, als hätte er just in diesem Augenblick seinen Glauben verloren, in den nächsten Wagon.
Fünf weitere stark alkoholische Getränke später war die Nonne dann endlich bereit, sich meine Einstellung zum Leben anzuhören.
Als sie mich wenig später an ihrem Zielbahnhof verließ, rauchte sie meine Spezialmischung und befand sich auf dem Weg zum nächstbesten Plattenladen. Sie war geläutert, wenn auch nur durch die Hilfe meines engen Freundes Jack Daniell.
Drei Stationen weiter kam mein Ausstieg, müde wankte ich auf den Bahnsteig.
Ein Blick auf die dort aushängende Uhr verriet mir, dass es halb Zwölf in der Nacht war. Eindeutig zu spät um jetzt loszuziehen und das Haus meiner Partnerin zu suchen. Da ich kein Geld mehr in der Tasche hatte und zu faul war mir welches halblegal durch mein allumfassendes Wissen herbeizuholen, suchte ich nach einer kostenlosen Unterkunft zum Schlafen. Meine Wahl fiel auf eine schmale Bank, sichtlich erst vor kurzem lackiert, und so bettete ich mich auf eine zwei Lagen Zeitung und genoss den nächtlichen Sternenhimmel. Beziehungsweise die winzigen Flecken davon, die was man durch die Abgase der Stadt erkennen konnte.
Vor dem Fall in wohlverdiente Träume war mein letzter Gedanke: „Hoffentlich ist für die Zusammenstellung der Partner nicht das Aussehen wichtig. Dann komme ich nämlich nicht sehr gut we... Razrazraz.“
„RAUSCHMITTELKONTROLLE!!!“, schrie eine verrauchte Stimme durch meinen Traum von Karibikstränden und hawaiischen Mädchen, wie sie sich jeder männliche Tourist wünscht. „Nein, war bloß n Witz, Junge. Nu aber trotzdem: Du liegst auf meinem Bett.“
„Wer, wat, wie?“
Erschrocken fuhr ich hoch und wollte dem dämlichen Penner die Scheiße aus dem Leib prügeln, der es gewagt hatte mich aufzuwecken.
Vor mir stand ein junger Mann Anfang Dreißig. Er steckte in einem modernen Anzug mit glänzenden Knöpfen, hielt einen schwarzen Koffer in der linken Hand und hatte ein Sakko lässig über der Schulter geworfen.
„Steh endlich auf, Fettbacke!“
„Wer zur Hölle sind Sie und woher wissen Sie meinen Namen?“
„Na, Fettbacke hab ich geraten, ist ja schwer zu übersehen und ich ... ich bin der Präsident der Zentralbank. Leider musst du trotzdem den Platz räumen, da dies mein neues Zuhause ist.“
„Was ist mit ihrem alten passiert? Sie sehen nicht besonders arm aus und als Boss einer weltweit tätigen Bank verdient man ganz sicher nicht schlecht so schlecht, dass man im Freien übernachten muss.“
„Naja, wie soll ich sagen...„
„Einfach losreden.“
„Also gut: Gestern Nachmittag hat irgendjemand, während einer äußerst gefährlichen Geiselnahme in unserer Hauptzweigstelle, alles was laufen konnte dorthin geschickt. Es endete in einem grausamen Blutbad. Die Bilder hängen immer noch in meinem Kopf fest, verstümmelte Leichen, der Geruch von verbranntem Fleisch.“
Das Gesicht des Mannes zerfloss wie Eis in der Mirkowelle, die Augen fingen an zu lecken, die Mundwinkel rutschten unaufhörlich gen Erdboden.
„Wenn ich denjenigen erwische, der für dieses Massaker verantwortlich ist. Ich werde ihm die Eier abreißen und ihn zwingen, sie zu essen und... und... und...“ Der Rest des Satzes ging in einem zittrigem Weinkrampf unter.
Nervös wünschte ich ihm viel Glück bei der Suche und verschwand eilig bevor dieser Psychopath auf falsche Gedanken kam.
Nachdem ich fast bis in den Abend hinein mit Bus, U-Bahn und Taxi schwarz durch die Stadt gegurkt war (Im Falle des Taxis schwieriger als bei den anderen Beiden) ohne nur die geringste Spur des Wohnortes meiner Seelenverwandten zu finden kam ich auf die Idee mir einen Stadtplan „auszuleihen“. Eine wüste Prügelei mit dem Kioskverkäufer später konnte ich das Ziel in einem nicht weit gelegenen Vorort ausmachen.
Ein weiteres Mal nutzte ich einen Mietwagenfahrer schamlos aus und erreichte so mein Ziel bei Sonnenuntergang.
Als wüsste die Sonne, dass irgendetwas schreckliches bevorstünde, versteckte sie sich hinterm Horizont, bereit jeden Moment abzutauchen. In ihrem rötlichen Licht blitzten die Fenster des kleinen Einfamilienhauses. Die Vorhänge waren vorgezogen so dass ich nicht sehen konnte, was im sich Inneren abspielte.
Behutsam schlich ich auf die Haustüre zu, glitt sanft wie ein Elefant im Porzellanladen über den sorgsam auf gleich Höhe gestutzten Rasen.
Es herrschte die vollkommene Idylle. Sogar die Familienkutsche vor der Garage stimmte mit dem Perfekte-Familie-Image überein: Neutrale Lackfarbe, viele Sitzplätze und vier Türen. Wie geschaffen für alte Leute und Kleinkinder.
An die Wand gepresst drückte ich mich ums Gebäude herum, suchte einen Einstieg, in das Zimmer in dem ich meine Partnerin vermutete. Es lag von außen bedeckt mit Pflanzen im ersten Stock, direkt unter dem Dachanfang, ein Balkon war direkt davor angebracht worden.
Im Gartenhaus entdeckte ich eine verrostete Leiter, die ich für meine finsteren Pläne verwenden wollte.
Drei Stunden später vergewisserte ich mich durch sehr sorgfältige Blicke in jedes Fenster des Untergeschosses, dass die gesamte Familie zu Bett gegangen war und stellte die Leiter an den vorgesehen Platz. Nur kaum hörbare Quietschgeräusche verrieten meinen schweren Körper, der sich mühsam die Sprossen hinauf quälte.
Einem Herzinfarkt nahe erklomm ich das Geländer des Vorbaus und legte mich vorerst auf seinen kühlen Holzboden. Nachdem sich meine arme, vom Rauchen stark in Mitleidenschaft gezogene Lunge von dem Bewegungsschock erholt hatte, schlug ich eine Möglichkeit in das Zimmer zu gelangen in dem kleinen Computer nach. Diesen hatte ich in den letzten Stunden ganz vergessen hatte, mein benebeltes Gehirn hatte mir die Chance, mir einige Stunden Plackerei zu ersparen, verbaut.
„Na, hast du mich auch wieder bemerkt. Warst zu beschäftigt? Wie auch immer: Ja, das ist ihr Zimmer, ja, alle schlafen und drück einfach gegen die Türe, ist nur angelehnt. Jetzt entschuldige mich, Fettarsch, ich muss meine Batterien schonen. Wichser!“
Mit der Zeit wurde dieser kleine Haufen elektronischer Chips immer ungemütlicher.
Vorsichtig presste ich meine Augen gegen das zweischichtige Sicherheitsglas und entschied mich mit meinem Einbruch nicht länger zu warten.
Im Zimmer unterschied sich die Atmosphäre deutlich von der nächtlichen Vorstadt draußen. Eine kleine Heizung sorgte für eine angenehme Temperatur, die wegen dem Dach abgeschrägte Decke war gepflastert mit Postern von Marihuanablättern und Bob Marley Gesichtern. Mindestens fünfmal blickte der schwarze Musiker mit ernstem Gesicht auf die Einrichtung und das, was sich um sie herum abspielte. Ein uralter Schreibtisch, der aussah, als wäre er im ersten Weltkrieg von der Hand eines Einarmigen mit einem Plastikmesser von McDonalds geschnitzt worden, drückte sich mit einem passenden Stuhl in eine Ecke des Raumes. An der Wand ein paar Plakate und benutzte Eintrittskarten von Metallkonzerten. Ich war ganz sicher im richtigen Zimmer gelandet.
Jetzt musste sie nur nach etwas aussehen, dann war alles im Lot. Und Herr im Himmel, ich stellte mich neben ihr riesiges Doppelbett. Zwischen der Metallica Bettwäsche schlummerte das zauberhafteste Wesen, das jemals auf dem Antlitz der Erde gewandelt war. Meine Augen streiften über ihre feinen Gesichtszüge, eingerahmt von kohlrabenschwarzen Haaren und ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben wusste ich: Sie war die Einzige die ich irgendwann geliebt hatte und immer lieben werde.
Mit einem Finger strich ich ihr vorsichtig eine Strähne hinter die Schulter, beugte mich zu ihr hinunter und während das Erdgeschoss von der Detonation des Brandsatzes erschüttert wurde flüsterte ich ihr ins Ohr: „Mach die Augen auf.“
Der rissige Verputz rieselte von der Decke und die mächtige Druckwelle ließ hörbar Fenster zerspringen und Mobiliar in Flammen aufgehen. Markerschütternde Schreie der übrigen Familienmitglieder hallten durch die brennenden Gänge.
Meine Partnerin fuhr alarmiert aus ihrem Schlaf hoch, sah mich überrascht an und trat mir mit aller Wucht, die ihre zum dahinschmelzenden Beine aufbringen konnten, in den Unterleib. Keuchend stürzte ich auf den kratzigen Teppich und hielt ihre Fußgelenke fest, so dass sie nicht in ihr Verderben rennen konnte.
„Halt, vertrau mir, müssen hier weg!“
„Ach ne, Fettarsch.“
Über ihre Engelsstimme vergaß ich mich und sie entrutsche mir in Richtung feuerflackerndes Treppenhaus.
Hastig folgte ich ihr und schrie durch den Rausch: „Bleib hier!“ Nicht sehr originell, deswegen auch weitgehend wirkungslos.
Meine Rettungsringe fingen sich üble Brandwunden am Treppengeländer ein, doch ungebremst rauschte ich durch die offene Wohnungstüre, meiner Geliebten hinterher.
Allerdings lauerte dort der hinterhältige Bombenleger. Eine Pistole in seiner Hand und eine Sturmhaube über den Schädel gezogen stand er lässig auf dem Pflaster der Garageneinfahrt und zielte auf meine Partnerin. Diese kniete etwa sechs Meter von ihm entfernt röchelnd im Gras und spie ihr Abendessen in ein Rosenbeet.
„NICHT, was willst du überhaupt hier!“, brüllte ich dem Maskierten entgegen und stellte mich schützend vor das bleiche Mädchen.
„Töten!“, kam die Antwort, die nicht auf einen überdurchschnittlich hohen IQ Wert schließen ließ.
Mit der freien Hand deutete er auf meine angehenden Lebensgefährtin, die erschrocken hinter meinen Rücken flüchtete.
„Du bestellt Dope“, wobei sein russischer Akzent kaum zu überhören war. „mit Karte wo nix Geld drauf. Du Dope geraucht, ich denken, wo Kohle?“
„Wovon redet der Pisser zur Hölle?“ Diese Stimme, göttlich.
„Jetzt ihr sterben.“ Mit einem Ruck riss er die schwere Waffe in die Höhe und nahm uns ins Visier.
„Hände hoch, ihr verschissenen Kriminellen!“ Ein fetter kleiner Polizist, dessen Gesicht vom Schweiß glänzte, kam um die Häuserecke gewatschelt. „Keine Bewegung, oder ich werde das Feuer eröffnen.“
Ein dicker Revolver lag schussbereit in seinen vibrierenden Wurstfingern. Ein blutiger Anfänger war uns zu Hilfe geeilt.
Blitzschnell umschlang ich meine Partnerin und drehte mich mit dem Rücken zu dem durchgedrehten Russen. Ein Stoß meinerseits beförderte das Mädchen in Richtung des Beamten, in Sicherheit.
Ein Schuss fiel, traf auf weiches Fleisch. In der Luft hing ein Geräusch als hätte jemand auf einen Mehlsack eingeschlagen. Verbrauchte Luft pfiff aus meiner entkräfteten Lunge.
Hilflos musste ich mit ansehen, wie der zierliche Körper in sich zusammensackte. Wie eine Marionette, deren lebenswichtige Schnüre gekappt worden waren.
Durch die entstandene Lücke im Raum sah ich auf den Polizisten, der fassungslos auf seine Hände starrte. Sein Mund öffnete und schloss sich, ohne einen Ton von sich zu geben. Die Pistole war zu Boden gefallen. Ich schrie. Laut. Bereit zu sterben.
Eiskalt berechnend erkannte der Russe, dass sein Job von einem Gesetzeshüter erledigt worden war. Welche Ironie. Nun galt es nur noch die Zeugen zu erledigen. Sieben Mal blitzten die Glasscherben im Hof auf, dann war es zu Ende.