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Die Fratze
Die Fratze
Dunkelheit, ja Dunkelheit mochte ich. Sie verbarg das, was mich zum Einzelgänger machte.
Ich war ein Eremit. Und das schon seit meiner Kindheit. In der Pubertät fing es an.
Bis ich verstand was mit mir geschah, war es bereits zu spät. Immer wieder überkam es mich und als ich morgens aufwachte war mein Gesicht blutig gekratzt. Meine Mutter verband mir dann jeden Abend vor dem Schlafengehen die Hände. Mit der Zeit wurde es besser. Mein Gesicht heilte, Omas Rezeptur aus verschiedenen Kräutern gab ihr übriges und förderte den Heilungsprozess. Dennoch blieben die Narben fürs ganze Leben. Auch meine Psyche hatte einen Knacks bekommen. Ich war sehr schüchtern und wenn ich sah wie all meine Schulkameraden mit ihren Freundinnen ausgingen da bekam ich stets einen emotionalen Tiefgang.
Jahre vergingen. Meine Mitschüler hatten bereits alle eine Ausbildungsstelle. Noch immer suchte ich vergeblich nach einen Platz. Ich war bereit jeden Job zu lernen, nur raus aus dem tristen Dasein. Nach gut einem Jahr hatte auch ich einen Aushilfs-Job in einer Psychischen Anstalt gefunden. Anfangs wurde ich trotz weißem Kittel immer wieder als Patient angesehen, aber nach einer Weile kannte jeder mein unverwechselbares Gesicht. Eines Tages, ich stand dicht neben dem Aufenthaltsraum, hörte ich die Schwestern miteinander reden. Sie lachten lauthals über mich und nannten mich die Fratze. Ich nahm es gelassen hin. Denn schon als Junge verkroch ich mich immer wieder wenn sie mich Monster oder Fratze nannten.
Die Jahre vergingen und ich hatte mittlerweile einen Job in einem Großlager am Rande der Stadt. Dort sah mich niemand außer meinen Kollegen und auch die konnten mich nicht sonderlich leiden. Mein Chef bekam mich nur einmal zu Gesicht. Das war bei meiner Einstellung. Durch Fleiß und Strebsamkeit schaffte ich es bis zum Lagerhauptverwalter. Nun saß ich alleine in einem kleinen staubigen Büro und gab täglich irgendwelche Nummern in den Computer ein.
Eines Tages bekam ich ein Gespräch meiner Kollegen mit wie sie über mich sprachen. Auch sie nannten mich die Fratze. Sie lachten und meinten, dass ich mit diesem Gesicht nie eine Frau bekommen würde. Doch einer von ihnen sagte: „Für jeden Topf gibt es einen Deckel“ Tieftraurig und deprimiert setzte ich mich in meinen Stuhl und kaute verzweifelt auf dem Bleistift herum.
Tagelang machte ich mir Gedanken über diesen einen Satz. Gab es wirklich für jeden Mann die passende Frau? Ich beschloss meinem bisherigen Leben zu ändern. Schließlich hatte ich nichts zu verlieren. Eine Freundin gab es nie in meinem Leben. Aber dafür besaß ich unglaubliche Fantasien.
Eines Abends stand ich vor dem Spiegel, den ich zuvor aus dem Keller geholt hatte. Jahrelang hatte ich mich nicht mehr angeschaut. Spiegel waren für mich tabu. Nur wenn ich zu meiner Mutter fuhr damit sie mir die Haare schnitt, bekam ich mich hin und wieder zu sehen. Doch letztes Jahr verstarb auch meine Mutter. Ich hatte weder Onkel noch Tanten. Keine Geschwister und auch keinen besten Freund. Einzig mein Wellensittich hatte keine Scheu vor mir.
Einen Bart hatte ich nie, denn es wuchsen mir einfach keine Barthaare. Ansonsten hätte ich meine linke Gesichtshälfte vielleicht damit verdecken können. Aber so musste ich selbst mit diesem Gesicht leben, wie auch andere mit ihren Krankheiten leben müssen. Als ich so da stand und mich anschaute bemerkte ich, dass meine rechte Gesichtshälfte sehr angenehm aussah. Die linke Seite war dermaßen mit Pusteln und Narben übersät, dass mich selbst tiefster Ekel überkam.
Nachdem ich mich im Bad fertig gemacht hatte, schaute ich mich abermals an. Bleckte die Zähne und zupfte mir noch einige Haare aus der Nase. Wenn nicht diese Warzen und Pusteln
auf meiner Haut wären, hätte ich sicherlich Erfolg bei den Frauen.
Doch heute wollte ich es wissen. Nachdem ich die Wohnung verlassen hatte und in meinen
Wagen gestiegen war, fuhr ich in die Altstadt. Mein Fahrzeug parkte ich in einer Seitenstraße
unter einen großen Baum.
Als ich die Bar betrat, waren sofort alle Blicke auf mich gerichtet. Etwas verunsichert nahm ich in einer stillen dunklen Ecke Platz. Dunkelheit, ja das war es jetzt was ich brauchte. Die Bedienung kam nach kurzer Zeit auf mich zu. Sie schaute mich ein wenig merkwürdig an. Dann aber sprach sie mit freundlicher Stimme und fragte mich, was ich denn wünschte. In mir schmolz die Schüchternheit dahin. Ich bestellte mir ein großes Bier. So saß ich da und schaute mich um. Die Bar hatte eine lange breite Holztheke. Im Raum waren einige runde Tische mit jeweils vier oder sechs Stühlen verteilt. Etwas weiter hinten war eine große Tanzfläche, auf der sich einige verliebte Pärchen bei ansprechender Musik sanft umarmt im Rhythmus zärtlich aneinander schmiegten.
Was hätte ich nicht alles gegeben, wenn ich doch auch nur mit einer Frau eng umschlungen dort hätte tanzen können. Doch ich war hier und an der Bar saßen viele hübsche junge Frauen, die scheinbar nur darauf warteten von den Männern angesprochen zu werden. Doch nach jedem Bier schien sich die Stimmung der Leute in diesem Lokal zu lockern. Aufgestylte Typen machten sich penetrant an die Schönen heran. Es schien den Frauen zu gefallen wenn sie umworben wurden. Auch nahmen sie die spendierten Drinks wohlwollend an. Nur ich saß immer noch hier im Dunklen, wo mich die Menschen um mich herum keines Blickes würdigten. Mich überkam eine lang anhaltende Depression. Ich stellte mir vor wie ich an der Bar stand und mit einem Mädchen flirtete und brach sogleich diesen Gedanken wieder ab. Denn mich wollte ja eh keine. Wie konnte ich nur so blöd sein und hier her kommen. Was war ich doch für ein Narr. Meine Hände umschlossen das Glas vor mir. Mein Blick auf den Tisch gerichtet. Mit einem Mal durchzog mich ein Schauer. Die Eingangstüre ging auf. Obwohl es draußen sehr warm war, erreichte mich ein kalter Windstoß. Mit ihm kam eine bezaubernde Frau ins Lokal. Sie schaute sich kurz um und setzte sich an der Theke auf einen freien Hocker. Nachdem sie beim Barkeeper einen Drink bestellt hatte, schaute sie sich selbstsicher um. Meinen Blick konnte ich von ihr nicht mehr abwenden.
Sie bekam ihren Drink und nippte ein wenig daran. Zwei junge Männer die ihre Anwesenheit bemerkt hatten, umwarben sie sogleich. Doch sie schien nicht interessiert und schickte sie fort, wie ich an deren Gesichter feststellen konnte. Nach einer Weile sah sie zu mir und lächelte mich an, hob ihr Glas zum Gruße und trank einen Schluck. Nachdem ich mich umgeschaut hatte, ob außer mir noch jemand hier saß und sie denn wirklich mich meinte, hob ich etwas verwirrt mein Glas und grüßte zaghaft zurück. Sie lächelte mich aus strahlenden Augen an. Als ich ihr Lächeln erwiderte, kam sie langsam auf mich zu. Ihr langes, dunkles und offen getragenes Haar hing wie ein Schleier über ihre Schultern. Sie schien lautlos dahin zu schweben. Es kam mir unendlich lang vor, bis sie endlich ganz nah vor mir stand. Trotz der Dunkelheit sah ich ihre großen braunen Augen. Ihr Gesicht war so rein und ihr Blick so klar. Sogleich stand ich auf den Beinen. Und mit einem Mal war sie so nah bei mir, dass mich ihr Atem streifte. Sie streckte die Hand nach mir aus und forderte mich auf, mit auf die Tanzfläche zu kommen. Nachdem ich meine Finger in ihre schmale Hand legte, zog sie mich zu sich heran. Als mich das Licht umgab wich sie für einen Augenblick zurück. Sie schien erschrocken zu sein. Für einen Moment dachte ich nicht an mein Gesicht. Doch jetzt war es mir peinlich. Ihr Händedruck ließ nach und ich wollte meine Hand gerade zurückziehen, da fasste sie noch fester zu und zog mich erneut an sich heran. Wir sprachen kein Wort miteinander. Noch immer meine Hand umklammert zog sie mich hinter sich her. Als wir auf die Tanzfläche kamen, schmiegte sie sich gleich an mich. Wir tanzten langsam zu einem Blues. Immer wieder glitt sie sanft mit ihren Händen über meinen Rücken.
Tausend Blicke um uns herum folgten uns auf jeden unserer Schritte. Ich schloss meine Augen und ließ es geschehen. Langsam näherte ich mich ihren Haaren und sog deren Duft ein. Mittlerweile war niemand außer uns auf der Tanzfläche. Meine linke Gesichtshälfte berührte immer wieder die ihre. Doch ihr schien es nichts auszumachen. Als ich die Augen öffnete schaute sie mich erwartungsvoll an. Nicht ein Wort kam über ihre Lippen. Schweigend tanzten wir das Lied zu Ende. Dann löste sich ihr Griff und sie ging rüber zur Theke. Sie wühlte kurz in ihrer Tasche und drückte dem Wirt einen Geldschein in die Hand.
Sie drehte sich zu mir um. Immer noch stand ich wie verzaubert auf der Tanzfläche. Dann schritt sie langsam zum Ausgang. Völlig willenlos folgte ich ihr unter unzähligen Blicken bis dorthin. Als ich dann draußen vor dem Eingang stand, saß sie bereits in einem roten Sportwagen. Sie schaute zu mir herauf und ihre Augen schienen zu glühen. Zaghaft näherte ich mich dem Wagen. Dann mit einmal glaubte ich ihre Stimme zu hören. Doch ihre schmalen Lippen bewegten sich nicht. Immer noch von ihrem Blick gefesselt stieg ich, nachdem ich die Beifahrertüre geöffnet hatte, in den Wagen und ließ mich in den Sitz fallen. Ich schloss die Beifahrertür und im gleichen Moment startete sie den Motor. Das Verdeck öffnete sich und der laue warme Sommerwind wehte um mein Gesicht.
Temperamentvoll steuerte sie den Wagen durch die Stadt. Ihr langes braunes Haar wehte im Wind. Immer wieder legte sie ihre rechte Hand auf meinen linken Oberschenkel, um diesen zärtlich zu streicheln. Hin und wieder schenkte sie mir ein Lächeln, welches ich aber nicht erwiderte. Nach einer Weile kamen wir in ein Waldgebiet außerhalb der Stadt. Dann bog sie in einen schmalen, geheimnisvollen Waldweg, der mir nicht bekannt war. Als wir am Ende dieses Weges ankamen, stand dort ein von Sträuchern umwachsenes, altes graues Herrenhaus. Efeu hing wie bizarre Gardinen vor den klaffenden Fensterhöhlen. Über dem Haus stand der helle Vollmond. Im gleichen Moment unserer Ankunft wurde eine große Schar Fledermäuse lautlos in sein Licht hineingesogen.
Sie parkte den Wagen direkt vor der großen hölzernen Eingangstüre des Hauses.
Mit ihrem Blick forderte sie mich auf auszusteigen und ihr zu folgen. Als wir in der Eingangshalle standen, fiel die Türe hinter uns knarrend ins Schloss.
Ringsherum waren die Räumlichkeiten durch flackerndes Kerzenlicht erhellt. Sie nahm mich erneut bei der Hand und führte mich die große breite Rundtreppe hinauf. Rechts an der Wand hingen sehr alte Bilder mit verschiedenen Motiven und Gesichtern. Roter Teppich säumte den Holzboden unter uns verschlang jedes Geräusch unserer Schritte.
Am Ende dieser Treppe führte uns ein langer Korridor in ein Zimmer. In der Mitte dieses Raumes stand ein prunkvolles Himmelbett. Sie führte mich dorthin und zog mich auf das Lager. Ehe ich mich versah, lagen wir eng umschlungen auf den rosa Seidenkissen.