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Die gelbe Nuss
Die gelbe Nuss
Ich öffnete die Augen und sah die übliche Anordnung von Gegenständen. Ein kleiner Schreibtisch mit einer Lampe und einigen losen Blättern darauf, rechts daneben mein gelber Ledersessel, der beinahe die Hälfte der Wand einnahm und auf dem Boden verteilte Kleidungsstücke und Kleinkram.
Ich stand auf, betrat das winzige Bad und stand kurz darauf unter der klaustrophobisch-kleinen Dusche. Anfangs wechselte das Wasser ungleichmäßig von blubberndem Sprudeln zu aufgeregtem Spritzen, bis sich der Strahl normalisierte und abwechselnd kaltes und warmes Wasser auf mich herab rauschen ließ. Nach einer Weile normalisierte sich auch die Temperatur, doch stoppte ich da schon den Fluss, trocknete mich noch unter der Dusche ab, hing das Handtuch auf und betätigte den Schalter, der das Ding anwarft, welches den Wasserdampf absaugte, um ihn mit abgestandener Schachtluft auszutauschen.
Die kalte Beleuchtung löschend verließ ich sogleich frisch angezogen das Haus, um mich auf den Weg zur Arbeit zu machen.
Ich lief durch saubere Straßen zwischen sauberen Wohnblöcken in Richtung eines riesigen Glasgebildes und verzehrte dabei mein soeben gekauftes Frühstück, das wie immer nach köstlicher Pappe schmeckte.
Normalerweise würde ich an dieser Stelle jetzt ganz unbekümmert weiterlaufen, den Plastikbehälter, der meinem Frühstück einst Heim war, entsorgen, das Glasgebilde betreten, mit dem Aufzug zur dreiundzwanzigsten Etage fahren, den Gang entlang, dann rechts, dann nochmal rechts und dann ein Stückchen geradeaus gehen, bis ich Raum E23-G-406 erblickte.
Diesen betrat ich dann, grüßte meine Kollegen flüchtig, ging zu meinem Arbeitsplatz, erledigte meine Arbeit und ging dann nach Hause, schlief, wachte auf, sah die übliche Anordnung von Gegenständen. Ein kleiner Schreibtisch mit einer Lampe und einigen losen Blättern darauf, rechts daneben mein gelber Ledersessel, der beinahe die Hälfte der Wand einnahm und auf dem Boden verteilte Kleidungsstücke und Kleinkram.
Ich stand auf, betrat das winzige Bad, duschte, verließ die Wohnung, ging durch saubere Straßen zwischen sauberen Wohnböcken in Richtung eines riesigen Glasgebildes und aß köstliche Pappe.
Ja, so würde ich normalerweise verfahren. Bisher klappte das ja auch immer ganz gut, doch an diesem Tag kam etwas dazwischen.
Als ich über den Rand meiner köstlichen Pappe blickte, sah ich sie, die gelbe Nuss. Anfangs dachte ich mir nicht viel dabei und nahm sie mit. Da war ich mir noch nicht bewusst, wie folgenschwer diese Entscheidung für mich sein würde.
Nachdem ich die Nuss in meiner Tasche verschwinden lassen hatte, machte ich mich auf gen E23-G-406.
Der flüchtige Gruß an meine Kollegen, das Betreten meines Arbeitsplatzes; alles lief eigentlich wie gehabt, bis mich ein fast unmerkliches Drücken in meiner Hosentasche aus den Gedanken holte, die momentan sowieso nicht sonderlich produktiv waren.
Langsam ließ ich meine Hand zur Quelle dieses Drückens fahren und spürte die unebene Oberfläche der Nuss, die sogleich aus ihrer Gefangenschaft in meiner Tasche befreit wurde und Platz auf meinem Arbeitstisch fand.
Ich sah helles, aber nicht besonders helles Tageslicht auf die Nuss fallen und fragte mich, warum die Nuss gelb sei und warum ich sie mitgenommen hatte.
Da ich keine zufriedenstellende Antwort auf die erste Frage finden konnte, widmete ich mich der Zweiten. Warum hatte ich die Nuss mitgenommen?
Nun ja, zum einen glich sie keiner Nuss, die ich bisher gesehen hatte, vielmehr schien sie eine Art Durchschnitt zwischen vielen vorhandenen Nussarten zu bilden. Sie war weder rau, noch wirklich glatt, etwas länglich, mit einer Art Wulst, die die Abgrenzung zwischen beiden Nusssegmenten hervorhob. Zum anderen aber hatte sie irgendwas Faszinierend-Nichtssagendes, aber Geheimnisvolles, der Schlichtheit Trotzendes. Und sie war gelb.
Was mag wohl in dieser nichtssagenden gelben Nuss stecken?
Mein Blick fiel auf den schweren Fuß meiner Schreibtischlampe.
Ein lauter Knall ließ meine Kollegen aufschrecken, dann war die Nuss geknackt. Etwas enttäuscht darüber, dass es so leicht gewesen war, schaute ich nach, was es über ihren Inhalt zu berichten gab.
Nichts. Leer.
Ich widmete mich wieder meinen Aufgaben und verließ am Abend meinen so heiß geliebten Arbeitsplatz und Raum E23-G-406, verabschiedete meine Kollegen, die mich skeptisch beäugten, und trat meinen Heimweg an. Ich schlenderte durch saubere Straßen zwischen Sauberen Wohnblöcken und sah drei oder vier saubere Menschen auf dem Nachhauseweg.
In meiner winzigen Wohnung angekommen erblickte ich die übliche Anordnung von Gegenständen. Ein kleiner Schreibtisch mit einer Lampe und einigen losen Blättern darauf, rechts daneben mein gelber Ledersessel, der beinahe die Hälfte der Wand einnahm und auf dem Boden verteilte Kleidungsstücke und Kleinkram. Der einzige Unterschied zu sonst bestand darin, dass auf dem gelben Ledersessel ein toter Affe lag.
Haarig, vielleicht etwas blass und puppenhaft lag er da. Der Affe selbst sah nicht wirklich bedrohlich aus, was mich zu diesem Zeitpunkt so in Aufruhr versetzte war einzig die Tatsache, dass ein toter Affe in meiner Wohnung war. Von heutigem Standpunkt aus betrachtet hatte ich vermutlich überreagiert. Jedenfalls reichte meine Aufregung, um mich dazu zu bringen, in Panik aus der Wohnung zu rennen. Auf der Hälfte nach Unten kam mir der Gedankte, dass ich mich vielleicht geirrt hatte, es mir nur eingebildet hatte und ging wieder nach Oben.
Aus gläsern wirkenden Augen glotzte das Tier reglos in die Stille.
Vom Stufensteigen erschöpft setzte ich mich aufs Bett.
Was hatte das zu bedeuten?
Ich wollte schlafen, konnte jedoch nicht, den Affen bei mir wissend. Öffnete ich die Augen, sah ich ihn dunkel auf dem Sessel sitzen. Ich drehte mich um, doch den stumpfen Blick des toten Affen in meinem Rücken ertrug ich nicht. So wälzte ich mich noch eine ganze Weile von einem ins andere Übel.
Am nächsten Morgen hatte ich Angst, die Augen zu öffnen.
Ich tat es trotzdem und blickte auf den Affen. Wie ein Sack hing er auf dem gelben Sessel. Nur jahrelange Routine brachte mich dazu, mich unter die blubbernde und spritzende Dusche zu stellen, mich anzuziehen und zur Arbeit zu gehen.
Mächtige Wohnblöcke zogen an mir vorbei, beugten sich über mich. Pappe zu essen vergaß ich.
In E23-G-406 angekommen ging ich schweigend zu meinem Arbeitsplatz und sah einen kleinen gelben Nussschalensplitter, den ich versäumt hatte, zu entsorgen. Ich ließ ihn liegen. Meine Arbeit verrichtete ich nur unkonzentriert, die meiste Zeit starrte ich auf diesen Splitter. Je mehr ich ihn ansah, umso mehr schien er zu wachsen, mir geradezu das Auge auszustechen. Ich blickte wieder auf meine Arbeit, kritzelte etwas und widmete mich wieder dem Splitter.
Ich ging. Mächtige Wohnblöcke zogen wieder an mir vorbei und beugten sich über mich. Ich aß etwas Pappe, deren Heim ich kurz darauf entsorgte.
Vor meiner Wohnungstür zögerte ich. Ich trat ein und sah den toten Affen im einzigen winzigen Zimmer meiner winzigen Wohnung auf dem gelben Ledersessel prangen.
Ich wollte den Affen weg bringen, entsorgen, aus meiner Wohnung verbannen, doch ich konnte nicht; es ging einfach nicht, so sehr ich auch wollte. Also beschloss ich, ein Hotel aufzusuchen.
Ich ließ abermals Wohnblöcke, diesmal Dunkle, an mir vorbeiziehen, bis ich ein Hotel gefunden hatte. Das Zimmer war nicht viel größer als meins und ich legte mich sogleich zu Bett.
Spät in der Nacht wachte ich auf. Ich drehte mich um und sah schemenhaft die übliche Anordnung von Gegenständen plus den Affen. Ich machte Licht, das ungewöhnlich stark blendete und öffnete blinzelnd die Augen.
Ich war in meiner Wohnung.
Panik überkam mich. Ich zog mich schnell an, verließ mein Gefängnis, trat in das künstliche Licht der nächtlichen Stadt und lief. Immer weiter und weiter, bis die Nacht sich lichtete und schließlich wieder Arbeitszeit war.
Dann ging ich zur Arbeit. E23-G-406. Schreibtisch.
Das Arbeiten erschien mir nahezu unmöglich. Ich starrte auf den Nusssplitter. Gelb. Der Nusssplitter nahm unterschiedliche Formen an. Mal groß, mal klein, mit Tentakelauswüchsen und Schnurrbart. Ein einzelner Augapfel lag in meiner Hand, verwandelte sich in eine gelbe Nuss, zersplitterte. Die Splitter nahmen abermals unterschiedlichste Formen an und wurden zu einem Meer aus gelben Schlingen. Eine Affenhand wuchs aus der Decke und strich mir durchs die Haar und über mein Gesicht.
Dann wachte ich fiebernd in meiner Wohnung auf, den Glasblick des Affen auf mich gerichtet. Ich zog mich an, duschte und ging zur Arbeit.
Mächtige Wohnblöcke zogen an mir vorbei, beugten sich über mich. Ich vergaß die Pappe. In E23-G-406 angekommen ging ich zu meinem Arbeitsplatz. Man sehe keine Ergebnisse, sagte man mir, ich solle nicht wiederkommen.
Durch saubere Straßen zwischen mächtigen Wohnblöcken, die sich über mich beugten, ging ich nach Hause.
Der Affe saß auf meinem gelben Ledersessel, der fast die Hälfte der Wand einnahm, links daneben ein kleiner Schreibtisch mit einer Lampe und einigen losen Blättern darauf. Kleidungsstücke und Kleinkram lagen auf dem Boden verteilt.
Ich setzte mich aufs Bett, legte mich hin, setzte mich wieder auf, fuhr mir durchs Haar, ging zum Fenster, öffnete es und sprang. Einige Etagen zogen an mir vorbei, mir wurde kalt.
An den Aufprall erinnere ich mich nicht mehr, jedenfalls wachte ich in meiner Wohnung auf, den Glasblick des toten Affen auf mir.
In völliger Verzweiflung, an meinem eigenen Geisteszustand zweifelnd, stand ich auf und beschloss jemanden aufzusuchen, der sich mit so etwas auskannte. Ich duschte also und verließ das Haus. Eine saubere Straße führte mich in die Stadt, wo ich mich informierte.
Einige beklemmende Tage später saß ich ihm gegenüber, dem Professionellen, den ich mir empfehlen lassen hatte.
Er kenne einen Mann, sagte er, auf einem Berg. Diesen Mann sollte ich aufsuchen und ihm von meinem Unheil berichten.
Ich fragte, wo ich diesen Mann denn fände. Mein Gegenüber antwortete mir.
Also machte ich mich auf. Noch am selben Tag stieg ich in ein Flugzeug, die Architektur des Flughafens war futuristisch gehalten, und flog. Der Flug dauerte nicht allzu lang und der Berg war leicht zu finden, wenn man nur auf die Einheimischen hörte. Auch war der Aufstieg leicht, zumindest am Anfang. Wenig Steine säumten den Weg und wenn mich dürstete, war stets eine Quelle da, die mich mit frischem Bergwasser versorgte.
Die Hürde bestand darin, nicht einzuschlafen.
Schlief ich ein, musste ich wieder zu dem toten Affen.
Ich fragte mich, ob der Affe eigentlich gelb war. Ich erinnerte mich nicht mehr, jedenfalls wanderte ich friedlich hinauf auf den Berg, wo ich den Mann schon sitzen sah.
Ich sprach ihn an, erklärte mich ihm und berichtete von meinem Problem.
Es sei ganz simpel, erwiderte der Mann, Ich müsse einfach den Affen schrumpfen lassen.
Nun gut, ich schlief mich also wieder nach Hause zu dem Affen und wollte diesen sogleich schrumpfen lassen.
Doch der tote Affe schrumpfte nicht. So sehr ich mich auch bemühte, er schrumpfte nicht. Ich wollte ihn von ganzem Herzen schrumpfen lassen, doch er tat es einfach nicht.
Was nun?
Ich weiß bis heute nicht, was mich zu dieser Entscheidung bewegte, jedenfalls nahm ich den Affen auf den Arm, trug ihn in die Küche und legte ihn auf die winzige Arbeitsfläche. Mit dem großen Küchenmesser schnitt ich vorsichtig seinen Bauch auf, und zerkleinerte einen Teil seiner gelben Gedärme, dann nahm ich einen Spieß, spießte ein Stückchen auf und verspeiste es. Es schmeckte leicht bitter. So verfuhr ich, bis beinahe der gesamte Torso des Affen hohl war, dann schlug ich ihm mit einem Hammer kräftig auf den Kopf, bis sein Schädel platzte wie einst die gelbe Nuss. Mit einem großen Löffel verzehrte ich nun die Gehirnmasse. Die Augäpfel schnitt ich mit einem Messer heraus und aß sie so. Den Rest komprimierte ich dann mit dem Hammer und kochte es einige Stunden, dann aß ich auch dieses.
Heute halte ich das für eine sehr perverse Reaktion auf die Umstände, aber vielleicht sehe ich das Ganze auch einfach zu eng.
Jedenfalls löffelte ich den so entstandenen Brei, in dem Haare und Knochensplitter schwammen.
Als ich fertig war schien alles um mich herum größer zu werden und sich zu entfernen.
Ich schrumpfte.