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Die Geschichte, in der das Ende der Welt nur eine Nebenrolle spielt
"Du?"
"Ja?"
"Kann ich dich was fragen?"
"Gerne."
"Warum... also ich meine, was genau war nochmal der Grund, aus dem du dich in eine Laugenbrezel hast verwandeln lassen?"
"Hast du was gegen Laugenbrezeln?"
"Nein. Nein, überhaupt nicht. Ich frage mich nur, warum ausgerechnet..."
"Im Übrigen bevorzuge ich den Ausdruck Knotenbrot."
"Ja, schon klar, aber warum genau..."
"Weil ich finde, dass Brezel vom Klang her ein blödes Wort ist. Außerdem ist das ein weiblicher Begriff, jetzt von der Grammatik her, wogegen ich..."
"Sächlich bin?"
"Wenn du so willst... Knotenbrote haben kein Geschlecht. Wir sind ein sui generis, wenn du so willst."
"Verstehe."
"Gut."
"Du?"
"Ja?"
"Warum bist du ein asexuelles Knotenbrot?"
Noch vor etwa zehn Minuten war alles wie immer gewesen. Vögel hatten gezwitschert, verliebte Pärchen hatten wild rumknutschend im Park gesessen, kleine knuddelige Schäfchenwolken waren am Himmel entlang gezogen, ein Hund hatte gebellt, ein paar Straßenmusiker waren in ihre Panflötendarbietung vertieft und niemand, wirklich niemand, hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, wie er sich das Ende der Welt vorstellen sollte.
Was allerdings auch nicht weiter schlimm war, angesichts der Tatsache, dass das tatsächliche Ende der Welt dann sowieso ganz anders verlaufen ist, als sich der normale Durchschnittsmensch hätte vorstellen können.
...
woanders
"Ich habe nie gesagt, dass es eine perfekte Idee war."
"Nein, Meister."
"Aber es war eine Idee."
"Ja, Meister."
"Ich meine, wer konnte denn ahnen, dass da gleich sowas... Also, wenn ich so darüber nachdenke, würde ich fast zugeben, dass mich die Entwicklungen in dieser Form doch etwas überrascht haben."
"Mich auch, Meister Gupf. Ja, mich auch."
"Aber lass den Kopf nicht hängen, Igor, noch ist nicht alles verloren."
"Meister, wenn ich dazu etwas sagen dürfte..."
"Du darfst, mein treuer Diener."
"Die Sache mit dem Kopf hängen lassen, Meister." Der Diener, der seinen Kopf seit dieser dummen Sache vor ein paar Minuten unter seinem Arm trug, zuckte etwas hilflos mit den Schultern, was aufgrund der Tatsache, dass seine Schultern dadurch zu den höchsten Punkten seines Körpers wurden, recht ulkig aussah. "Angesichts der momentanen Situation würde ich davon lieber Abstand nehmen."
"Ja... gut, dass du es ansprichst, Igor. Das ist in der Tat eine Sache, um die wir uns noch kümmern müssen. Ich meine, du als der Assistent des zukünftigen Herrschers der Welt kannst so natürlich nicht rumlaufen. Auf Dauer, meine ich."
"Nein, Meister."
"Aber sieh es positiv. Wir haben es überlebt."
"Ja, Meister."
...
"Ist das nicht die Mona Lisa?"
"Nein, das ist nur... oh doch, das ist sie. Schön."
"Irgendwie komisch, dass erst die ganze Welt untergehen muss, bevor wir beide mal in den Louvre kommen."
"Ja, es sind halt keine Wächter mehr da, die uns rausschmeißen wollen. Wie kommst du eigentlich darauf, dass das das Ende der Welt war?"
"Es sind keine Wächter mehr da, die uns rausschmeißen wollen. Und auch sonst ist nicht allzu viel los hier, seit..."
"Kannst du mich ein Stückchen höher halten bitte? Ich würde ihr gern in die Augen sehen. Vis à vis."
"Klar. Sag mal, wie kannst du eigentlich... ich meine, haben Bre... Knotenbrote auch Augen?"
"Woher soll ich das wissen?"
"Naja, ich dachte, wo du doch jetzt eines bist, da..."
"Ich habe noch nicht wieder in den Spiegel gesehen, seit dieser Sache."
"Irgendwie... ich weiß nicht, irgendwie ist das Licht doof. Kann das sein?"
"Ich glaube, das ist beim Ende der Welt ganz normal."
"Ja, vermutlich."
Es lag in der Tat ein leicht schummriger Braunton im Licht. Das war nicht etwa darin begründet, dass die Sonne einen Teil ihrer Spektralität eingebüßt hätte oder die Lampen im Inneren des Museums kaputt wären. Nein, der Grund lag vielmehr darin, dass es auf der Welt in ihrem gegenwärtigen Zustand eigentlich überhaupt kein Licht mehr hätte geben sollen. Was die beiden wahrnahmen, war eine Art allgegenwärtiges Restglühen.
"Warum bist du nochmal ein Clown geworden?"
"Ich hab mir damals nicht viel dabei gedacht, als ich das Formular ausgefüllt hatte. Ich fand das einfach lustig irgendwie. Man kann ja nicht immer nur Panflöte spielen."
"Verstehe."
"Außerdem hatte ich mir das mit der Wiedergeburt auch irgendwie anders vorgestellt."
"Ich hab übrigens mal nachgeforscht. Die Panflöte ist eigentlich gar nicht traditionell Bolivianisch."
"Ehrlich? Wusste ich gar nicht."
"Tja, ich auch nicht."
...
wieder woanders
Die Tokioter Börse sah anders aus als sonst. Natürlich herrschten auch hier die allgemeinen diffus bräunlichen Lichteffekte, so als hätte jemand ein Stück Bastelfolie über die Sonne gelegt. Natürlich war es auch hier, abgesehen von Gupf und seinem kopflosen Diener, menschenleer. Und natürlich drehten auch hier die Zeiger der Uhren sich nicht weiter. Warum auch - da es sowieso keine Zeit mehr gab, wäre das vollkommen sinnlos gewesen.
Aber noch etwas war anders. Eine Sache, die normalerweise niemandem auffallen würde, schon gar nicht angesichts der sonstigen Veränderungen, die so ein Weltuntergang so mit sich bringt, die aber dennoch von entscheidender Wichtigkeit bei dieser ganzen Sache gewesen war.
"Igor, sieh dir das mal an."
"Was denn, Meister?"
"Der Nikkei. Er ist gefallen." Gupf deutete auf die gigantische Grafik an der Wand. Und in der Tat, der asiatische Aktienindex war in den letzten Stunden ziemlich rasch gefallen. Natürlich stand er seit dem Weltuntergang auf Null, aber am Graphen war deutlich abzulesen, dass es schon vorher einen dramatischen Einbruch gegeben haben musste. "Sieh es dir an! Wir sind reich!"
"Dann hat der Plan funktioniert?"
"Ja, Igor. Es hat funktioniert."
Wenn man verrückt ist, dann bekommen die Dinge in der Welt ganz andere Prioriäten. Der Plan hatte in der Tat funktioniert. Und in der Tat waren Gupf und Igor bald die wohl reichsten Menschen auf dem Planeten, was auch dadurch kaum geschmälert wurde, dass sie so ziemlich die einzigen Menschen auf diesem Planeten waren.
"Weißt du was, Igor? Wir kaufen jetzt Aktien."
...
"Igitt!"
"Was denn?"
"Die Frau da hat gar keine Arme."
"Das ist eine Statue."
"Ich weiß. Sieht trotzdem gruselig aus. Meinst du, das ist beim Weltuntergang passiert?"
"Das mit den Armen? Nein, ich glaube, das war schon vorher so."
"Igitt."
"Aber die Brüste sind hübsch."
"Ja, durchaus."
"Oh, jetzt weiß ich auch, warum die so viel Geld machen mit ihren Bildern hier."
"Das liegt daran, dass diese Kunstwerke einzigartige und unbezahl..."
"Werbung. Alles voller Werbung hier. Da, Turnschuhe."
"Turnschuhe?"
"Ja, auf dem Schild unter der Statue da."
"Nein, das ist keine Werbung. Die Statue heißt so."
"Warum sollte jemand eine Statue nach einem Turnschuh benennen?"
"Ich glaube, das ist griechisch."
"Für eine Brezel bist du ziemlich gebildet."
"Ich habe dir schon mal gesagt, das heißt Knotenbrot. Außerdem war ich ja nicht immer eines... oh, das find ich interessant."
"Das da auf dem Tisch? Oh ja, das funkelt hübsch."
"Muss ganz neu sein... Was steht da auf dem Schild? Doof, dass ich meine Brille nicht dabei hab. En Dopl... scheint holländisch zu sein."
"Nein, da steht Endoplasma. Interessant, interessant... Was ist Endoplasma?"
Der Clown trug die Brezel in Richtung des Endoplasmatisches. Darauf lag eine einzelne Petrischale, gefüllt mit grünem Zeugs, das mystisch hin und her waberte. Als der Clown seinen behandschuhten Finger in die Schale stippte, sog der Stoff die grüne Substanz in sich auf, der Fleck breitete sich aus und überzog schließlich den ganzen Handschuh, kroch den Arm hinauf, färbte die Jacke, die Hose, die Perücke, bis am Ende beide Gestalten, der Clown und die Brezel, von einem grünen Film überzogen waren.
Und dann ging die Welt schon wieder unter.
"Wo sind wir?"
"Weiß nicht. Riecht nach Kamillentee. Wie dein Badezimmer zuhause."
"Aber mein Badezimmer ist nicht grün."
"Was sind das für Lichter?"
"Bunte."
"Ach so. Glaubst du, wir sterben gerade?"
"Schon wieder? Nein. Ich hoffe nicht. Als nächstes werde ich nämlich als Schwamm wiedergeboren. Dabei gefällt mir mein Dasein als Knotenbrot eigentlich ganz gut."
"Du bist sehr seltsam."
Der in allen unmöglichen und einigen nicht existenten Farben leuchtende Tunnel wand sich in Überschallgeschwindigkeit scheinbar ziellos durch die Unendlichkeit, Zeit und Raum verloren an Bedeutung, das Universum schmolz zu einem Ball aus gelbem Schmadder, verdunkelte sich zusehens und verlor sich schließlich in einem irisierenden Punkt aus Nichts.
Und dann spie der Tunnel die beiden Helden aus. Sie waren nicht mehr in Paris. Sie waren...
...
woanders
"Ich habe es prophezeit, Igor. Wenn das Ende der Welt erst einmal da ist, werden die Leute Unmengen an Schmierseife brauchen. Um das alles wieder sauberzuwischen, weißt du? Und wir beide, du und ich, also vor allem ich, besitzen jetzt 95 Prozent des Weltaufkommens an Schmierseife. Also, in Aktien."
"Das ist toll, Meister."
"Nein, eigentlich ist es ein total alberner Plan. Ich meine, wer kommt schon darauf, das Ende der Welt einzuläuten, indem man den Internationalen Währungsfonds durch selbstgedruckte Sieben-Yen-Scheine flutet? Aber gerade das macht die Sache ja so einzigartig."
"Ja, Meister."
"Okay, dass die Menschen dabei alle verschwunden sind, ist dumm. Aber ich bin sicher, es werden einige überlebt haben. Und die brauchen Seife. Und dann werden die Aktien wieder steigen und wir beide sind reich."
"Meister?"
"Ja, Igor?"
"Ich höre etwas..." Der Diener nahm seinen Kopf in die Hand und hielt ihn etwas in die Höhe, um besser hören zu können. "Da ist was faul im Sta..." Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment kippte die Realität mit einem leisen Plopp zur Seite und gab eine Gestalt frei.
"Meister, es ist ein grüner Clown. Er hat eine Brezel auf der Schulter sitzen."
"Ich sehe es, Igor." Gupf grinste. Es war eines dieser perfiden Weltherrschergrinsen, das nur absolut Verrückte grinsen können.
"Du?"
"Ja?"
"Wo sind wir?"
"Sieht aus, wie eine Börse."
"Wir sind immer noch grün."
"Ja. Eklig ,oder?"
"Oh, sieh mal, schon wieder Turnschuhreklame. Da oben."
"Nein, das ist ein Aktienindex. Der wird ganz anders ausgesprochen... und ganz anders geschrieben."
"Hallo, Fremder", wurden sie von einer Stimme unterbrochen. "Du bist ja ganz dreckig. Kann ich dir vielleicht ein wenig Schmierseife verkaufen?"