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Die Geschichte vom Straßenpianisten

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24.05.2025
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Die Geschichte vom Straßenpianisten

Wann war noch mal dieser Tag genau? Der Tag an dem ich ahnte, dass ich auf dieser Straße spielen würde. Der Tag an dem ich ahnte, dass es diese Straße sein würde und nicht etwa ein Konzertsaal. Schon gar kein großer Konzertsaal. Nein, sicher kein großer Konzertsaal.

Wann war noch mal dieser Tag genau? Der Tag an dem ich keinen Applaus hören würde, sondern das klägliche Klimpern der Münzen, die in den Plastikkorb geworfen werden, achtlos, im Vorbeigehen.

Aber immerhin, dankbar sollte ich sein, für diese Münzen. Applaus, nun ja, klingt anders. Dieser Applaus, wenn der letzte Akkord verhallt, dieser Applaus von dem Publikum, die gekommen sind um mein Spiel zu hören.

Der Wind ist ein wenig kühl heute und habe entschieden eine Mütze zu tragen und Fingerlinge, meine Hände vertragen keine Kälte mehr. Ich reihe Töne aneinander und wiege mich im Takt. Es muss nach Ekstase aussehen, dann gibt es mehr Münzen. Ich schließe die Augen. Ich könnte es nicht ertragen die Menge anzusehen. Ich würde lächeln müssen, am besten verzückt lächeln, das mögen sie am liebsten, aber das bringe ich nicht fertig. Ich reihe einfach Töne aneinander, schnelle Wechsel, die gut klingen und ich schließe die Augen und wiege mich im kühlen Wind.

Die Frontabdeckung des Klavieres habe ich abgenommen, sie liegt jetzt zu meinen Füßen. So können sie sehen, dass ich wirklich spiele und die Melodie nicht etwa vom Band kommt. So kann man die hölzernen Hämmer gegen die Saiten schlagen sehen und ich höre das leichte „Klack“ noch dazu. Manchmal stelle meine Füße auf beide Pedale, weil es bequemer ist. Mir egal wie es klingt.

Fragt sich eigentlich niemand wie das Klavier hier auf diese Straße kommt? Fragt sich denn niemand wo ich herkomme? Fragt sich denn niemand was meine Geschichte ist? Fragt sich denn niemand, wie lang der Weg ist, von einem Konzertsaal auf diese Straße? Kurz ist er, überraschend kurz. Das zweigestrichene F hängt durch, der Ton kommt flach und verspätet.

Viele Münzen klimpern in den Plastikbehälter, Qualität wird belohnt. Es wird also Abendessen geben und vielleicht auch ein Frühstück. Ein junger Mann erbittet ein bestimmtes Klavierstück, dass mit seiner Mutter zusammenhängt. Er redet ausschweifend, betont, wie viel es ihm bedeuten würde, dieses Stück zu hören und wirft ein paar Cent Münzen zu den anderen. Ein paar Cent Stücke zum Andenken an seine Mutter für einen Pianisten an einem echten Klavier auf dieser Straße. Mehr gibt dazu wohl nicht zu sagen. So sind sie. So sind die meisten. Unerträglich.

Eine ältere Frau beobachtet sie Szene. Sie steht schräg hinter mir und schaut mir zu. Ich wende mich um zu ihr, um zu sehen wer sie ist und was sie will. Ich sehe in ihrem Blick einen Vorwurf, den Vorwurf, dass ich dieses Klavier nicht liebe, weil das F hängt, weil es verstimmt ist, weil ein Klavier auf irgendeiner Straße dieser Welt, das im kühlen Wind steht, verstimmt sein muss. Der Vorwurf, dass ich die Musik nicht liebe die ich spiele, weil sich ein Stück wie das nächste anhört.

Gute Frau, wissen Sie wie das ist? Nein, ich liebe dieses Klavier nicht, aber es hält mich am Leben. Nein, ich liebe diese Musik nicht, sie sagt mir nichts, nur wenn ich Hunger habe, dann spricht sie zu mir. Gute Frau bitte gehen sie, ich kann diesen Blick nicht ertragen. Gehen sie, dann packe ich meine Sachen und verschwinde von hier. Dann erzähle ich die Geschichte von dem Straßenpianisten auf einer anderen Straße, wo man mich nicht erkennt.

 

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