Was ist neu

Die Gnade der Krähe

Mitglied
Beitritt
03.08.2002
Beiträge
318
Zuletzt bearbeitet:

Die Gnade der Krähe

Eigentlich sollte ich bereits tot sein, ging es ihm durch den Kopf, während er den scharlachroten Abendhimmel beobachtete. Die Kirchenglocke hatte bereits das achte Mal geschlagen und bis zur Finsternis würde nicht mehr viel Zeit bleiben. Mit ihr würde die zweite und letzte Nacht für ihn an dieser Stätte anbrechen.
Eigentlich... Wären nicht die Worte des Pfarrers gewesen, hätte Eddard mit dem Wegtreten des Scheffels seinen letzten Lebenssinn erfüllt.
Er breitete die Hände vor sich aus, wie ein Pfarrer, der zur Predigt anstimmt, und wandte seinen Blick dem an den Gelenken deutlich hervor tretenden Aderwerk zu. Mit einem Messer hätte er sie durchtrennt, um dann gnädig zu verbluten. Marien, seine Frau, hätte einen Schock erlitten. Nicht etwa, weil er ihr am Herzen liegen würde, und auch nicht ganz allein wegen der Tatsache, dass er durch seine Arbeit als Scharfrichter dafür sorgte, dass die Familie keinen Hunger leiden musste; ihr verdammter Glauben würde sie sich als Sünderin sehen lassen, da sie mit einem Selbstmörder – einem der ganz sicher in der Hölle die Ewigkeit in Anschein nehmen würde – verheiratet war.
Die Hölle – welche Qualen sollte sie beinhalten, die diese Tage nicht mit sich brachten?
Von den Handgelenken sah er zu dem Mann auf, der wenige Meter vor ihm noch immer an dem Strick hing, den ihm Eddard selbst um den wulstigen Hals gelegt hatte. Der Schänder seiner Tochter.
Der Wind ließ den massigen Körper hin und her wiegen. Die Augen der Bestie waren weit aufgerissen und standen obszön aus ihren Höhlen hervor.
„Eigentlich sollte ich bereits bei dir sein“, flüsterte Eddard, zog Schleim hoch und spuckte aus.

Zog man die Kaputze vom Haupt des Hinzurichtenden und legte ihm die Schlinge über, konnte man die Panik in ihren Augen sehen. Das schreckhafte Zucken der Lider, der hechelnde Atem, wenn sie die Menschenmenge mit ihren Blicken wahrnahmen, die sich gröhlend und mit erwartungsvollen Gesichtern vor dem Galgenkonstrukt den Höhepunkt entgegensehnte.
So war es bei allen gewesen. An drei Dutzend hatte Eddard in den vergangenen zwanzig Jahren diese Prozedur vollzogen, und immer hatte er ihre Verzweiflung riechen können. Bis zu jenem Tag, an dem das Urteil an dem Müller vollstreckt worden war.
Kein Flehen, kein Weinkrampf, nur Teilnahmslosigkeit in den Glupschaugen, die sich an den geschundenen Körpern dreier junger Mädchen geweidet hatten.
Sicherlich, das fette Schwein hatte sich die Seele aus dem Leib geschrien, als Eddard seine Gelenke mit dem Knüppel zertrümmert hatte. Verdammt, wie erfüllend war das Geräusch jedes zerbrechenden Knochens gewesen!
Eddard hatte sich in einem Rausch wiedergefunden, mit dem Eichenholz in der Hand und der Frage im Kopf, ob seine Tochter ähnlich hatte Schreien müssen. Es hatte viel an Überwindung gekostet, die Schläge einzustellen, um nicht den vorzeitigen Tod herbeizuführen.
Doch alle Erfüllung und Befriedigung war von ihm abgefallen, als er den Müller wieder aufgerichtet und den Sack vom Kopf gezogen hatte. Wo ihn die Augen des Schänders nicht mit der erwarteten Verzweiflung begegneten, sondern mit ernüchternder Gleichgültigkeit.
Dieser Moment erschien immer wieder lebhaft in seinem Kopf. Er hatte ihn die letzte Nacht über gequält, die er auf dieser Wiese weit vor den Toren Ellrichsdorfs verbracht hatte, um die Krähe von ihrem Werk abzuhalten, und tat es auch nun wieder, da das letzte Rot am Horizont verschwand.

Du tust es für deine Tochter, sagte er sich, als er sich vor Kälte zitternd in seine verdreckte Wolldecke hüllte. Der März hatte in diesem Jahr noch nicht einmal den zartesten Frühlingsausläufer mit sich gebracht.
Für deine Elisabeth. Könntest du ihr je wieder in die leeren Augen sehen, wenn du dies nicht durchstehst? Wegen ein Kälte, wegen den Schmerzen in den deinen alten Gliedern und dem Ziehen in der Brust?
Nein, das würde er nicht können. Das Bild, wie sie in den Fetzen, die ein Kleid gewesen waren, weggetreten vor ihm stand, hatte sich in seine Seele gebrannt, wie ein wucherndes Geschwür. Zwei alte Frauen, im Waldstück auf der Suche nach Pilzen, hatten sie wimmernd im Gebüsch entdeckt. Ihr Unterkörper entblöst, eine tiefe Einstichwunde an ihrem Bauch.
„Müller Reber“, hatte sie gesagt und war dann bewusstlos geworden.
Sie würde überleben, sagte der Doktor, der die Wunde nähte und mit Kräutersalbe versorgte. Doch Eddard wusste, dass sie bereits gestorben war. Innerlich tot... Er hatte es in ihren ausdruckslosen Augen gesehen.
Er zwang sich dazu, die klappernden Zähne ruhig zu halten. Aus der Manteltasche holte er das Fläschchen hervor, das ihn auch in der vorran gegangenen Nacht mit etwas Wärme versorgt hatte. Er drehte den Verschluss auf und nahm zwei Schluck von dem Wurzelschnaps.
„Elender Bastard“, schrie er zu dem am Galgen Baumelnden empor und brach dann in Tränen aus.

Doch er würde seine Genugtuung bekommen. Gott mochte gnädig sein, er ersehnte die Rache. Die Krähe mit dem roten Fleck auf ihrem Flügel würde an diesem Hingerichteten ihr Werk nicht vollbringen!
Es waren die Augen des Pfarrers, die Eddard von der Richtigkeit des Unglaublichen überzeugt hatten. Er hatte in dem Hellblau die Angst eines Mannes gelesen, der auf eine Sache Einfluss nahm, die seine bescheidene Welt bei Weitem überragte.
Willst du wirklich Rache für dein Mädchen nehmen,hatte der Gottesmann nach seinem Besuch gesagt, in dem er der Familie seine Seelsorge angeboten hatte, wache zwei Nächte bei seinem Leichnahm. Es ist die Krähe... die mit dem roten Fleck auf dem Gefieder. Sie erteilt Gnade, indem sie den Gerichteten ihr Augenlicht raubt, auf dass ihre Seelen, durchqueren sie das Fegefeuer, um in Gottes Reich zu gelangen, nicht den Wahnsinn um sie herum mitansehen müssen.
Nach diesen Worten war er gegangen und hatte Eddard alleine im Hauseingang stehen lassen. Es hatte eine wachgelegene Nacht gebraucht, bis das Gesagte für ihn von einem Ammenmärchen zu einer Möglichkeit geworden war.

Die Krähe kam mit dem Regeneinbruch. Es war die Eine, die sich von ihren Artgenossen durch eine rötliche Färbung des Gefieders am linken Flügel unterschied. Selbst im Mondschein stach diese Stelle hervor und erinnerte an eine Sense.
Mit ausgebreiteten Schwingen ließ sie sich auf dem Querbalken des Galgens nieder und öffnete ihr Maul, um einen hohen Schrei von sich zu geben.
Wie um mich zu begrüßen, dachte Eddard und spürte die Müdigkeit, die ihn in den letzten Stunden gemartert hatte, von sich abfallen. Ihr leuchtend schwarzes Augenpaar lastete auf ihm und es kam ihm so vor, als würde sie grinsen, während sie den Kopf quer legte.
Die letzte Nacht, sagte sich Eddard und stützte sich auf. Seine Gelenke knackten und der Schmerz, der sich seinen Rücken hochzog, ließ ihn aufschreien. Doch das war nichts gegen die Pein in seiner Brust, die ihm den Atem raubte. Seine Finger klammerten sich an diese Stelle und gruben sich in die Haut. Sein Schrei verflachte zu einem Röcheln.
Weier, weiter, sagte – schrie – er sich in Gedanken zu.
Als würde der Gefiederte das Leiden seines Widersachers begreifen, begann auch er Laute von sich zu geben. Eddard zweifelte nicht daran, dass der Hohn, den er darin hörte, keine Einbildung war. Er hob den Stab neben sich auf, um damit wie in der Nacht zuvor, die Krähe zu verjagen. Diese bewegte sich mit kleinen Hüpfern auf dem Balken vorran.
Eddard spürte, wie Panik immer mehr von ihm in Besitz nahm.
Für deine Elisabeth...
Der Gefiederte hatte das Ende des Holzes erreicht und ließ sich mit einem Krächzen verbunden auf die Schulter des verdammten Müllers fallen.
Den Blick starr auf das Vieh gerichtet, hastete Eddard durch das hoch gewachsene Gras. Sein Gesicht glich einer Fratze, wie sie ein Dämon aus biblischen Erzählungen trug.
Seine Lunge brannte, als er an einer Stelle stehen blieb, von der die Krähe mit dem Stab zu erwischen glaubte.
Er holte aus, stellte dabei des besseren Halts wegen einen Fuß einen Schritt voraus und rutschte dabei auf der vom Regen glitschigen Oberfläche eines Steins aus.
Im Fallen konnte er sehen (schrecklich langsam, als wäre der Augenblick ein Vorgeschmack der höllischen Ewigkeit), wie der schwarze Vogel den Kopf zur Seite neigte und wie sich dabei das Mondlicht auf seinem Schnabel spiegelte.
Eddard schlug mit dem Kinn auf einen weiteren Stein auf. Allerdings war es nicht die neuerliche Welle Schmerz, sondern Wut, die ihn aufschreien ließ. Diesen letzten Moment der Erfüllung... Gott sollte ihm diese Gnade schenken, nicht dem Mörder dreier junger Seelen!
Nicht aufgeben, denk an den Blick deiner Tochter... Die Augen, hinter deren Blau nur noch Leere...
Eddard schrie und tastete mit der rechten Hand nach dem Stab. Seine Finger fanden ihn, doch bevor sie sich vollständig darum schließen konnten, lähmte ein Schmerz jeden Muskel in seinem Körper. Die Pein, die ihm selbst das Schreien versagte, hatte ihren Ursprung in seiner Brust.
Unfähig sich zu bewegen, ruhten seine Augen weiterhin auf dem Gefiederten, und mit Verbitterung wurde er gewahr, wie die Krähe den Schnabel in das erste Auge des Toten stieß. Im Sterben musste Eddard mitansehen, wie sie ihr Werk der Gnade vollbrachte, während die Dämmerung noch in weiter Ferne lag.

 

Hallo kevin2!

Doch alle Erfüllung und Befriedigung war von ihm abgefallen, als er den Müller wieder aufgerichtet und den Sack vom Kopf gezogen hatte, wo ihn die Augen des Schänders nicht mit der erwarteten Verzweiflung begegneten, sondern ernüchtender Gleichgültigkeit.
Nach ‚hatte’ wäre ein PUNKT angebrachter gewesen, als ein KOMMA. … sondern mit ernüchternder Gleichgültigkeit
Es war die Eine, die sich von ihren Artgenossen durhc eine rötliche Fätrbung des Gefieders am linken Flügel unterschied.
Mit ausgebreiteten Schwingen ließ sie sich auf dem Querbalken des Galgens nieder und öffnete ihr Maul, um einen hohen Schrei von sich zu gegen.
Er holte aus, stellte dabei des besseren Halts wegen einen Fuß einen Schritt vorraus und rutschte dabei auf der vom Regen klitschigen Oberfläche eines Steins aus.
voraus, glitschigen


Also eine Krähe, die Mörder und sonstiges Pack ihren Tod erleichtert, indem sie ihnen die Augen auspickt, damit sie auf dem Weg in den Himmel nicht dem Wahsinn anheim fallen. Ich hätte immer gedacht, Vergewaltiger, Mörder und so kommen gar nicht in den Himmel ...
Abgesehen davon war ich ein bisschen betrübt, aber nicht überrascht, dass das Vorhaben des Scharfrichters nicht gelungen ist. Er selbst ist ja ein Mörder. Ohne Rücksicht darauf, dass er im Sinne des Staates seine Arbeit vollbringt. Ein paar Mal kam mir dein Stil arg gestelzt vor, zu lange Sätze, aber das ist nur mein persönlicher Eindruck. Ansonsten war es eine angenehm zu lesende Geschichte.

Gruß,
One

 

Vielen Dank One Weak!

Die Fehler wurden beseitigt. Hat mich gefreut, dass dir die Geschichte wohl ganz gut gefallen hat. Nachdem die letzten Sachen nicht wirklich gut ankamen, tut dein Kommentar gut.
Das mit der gestelzten Sprache war auch der Hauptkritikpunkt an der ursprünglichen Fassung. Und die war wirklich gestelzt...
Hatte eigentlich gedacht, dass ich das Problem ausgemerzt hätte. Dachte ein gesundes Mittelmaß gefunden zu haben. Naja...
Nochmals Danke!

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom