Die große Wut des Himmels - 2. Version
Ich wachte erst am späten Vormittag auf. Draußen am Dach schepperte etwas gegen die Regenrinne. Ein gewaltiger Regen war aufgezogen und peitschte gegen meine Fenster. Ich zog mich an und schaltete den CD-Player ein. Mozart gegen diesen wütenden Regen – einer sollte gewinnen. Tropfen prallten gegen symphonische Klänge und flossen bekämpft und müde die Scheibe herab. Ich blickte verträumt hinaus und versuchte das Prasseln des Regens mit dieser wunderbaren Musik eines Genies in Einklang zu bringen. Nun platschte eine ziemlich heftige Gischt gegen das Glas, ich wich ein wenig zurück und blickte auf das Fenster. Hey, war das nicht ein Gesicht, das mich dort anschaute, eine Tropfenfratze, die griente und mich verhöhnte? Aber ein Augenzwinkern später floss das Wasser bloß die Scheibe hinunter und die Fratze war fort. Ich ging zum Fenster und blickte runter auf die Straße. Die Menschen liefen ziemlich kirre umher und suchten Schutz unter irgendwelchen Schirmen und Vordächern.
Unten auf der gegenüberliegenden Straßenseite fiel mir ein junger Mann auf, der scheinbar unbeirrt zwischen den Menschen wandelte. Im Vergleich mit den anderen Passanten, die über die Straßen hetzten, ging er sehr langsam und machte nicht die geringsten Anstalten, sich irgendwie gegen den Regen zu schützen. Etwas kam mir an ihm bekannt vor. Plötzlich blieb er stehen, öffnete seine Handflächen und blickte nach oben in den Himmel, als würde er den nassen Schauer auch noch genießen.
Verrückter Kerl, der bewegt sich ja genauso wie ich mich bewege, schoss es mir spontan durch den Kopf - und in diesem Moment drehte der Typ sich um und blickte lächelnd zu mir nach oben. Unwillkürlich musste ich leise aufstöhnen. Der Mann hatte meine Augen, meinen Mund, er hatte mein eigenes Gesicht. Er blickte ziemlich gezielt zu mir nach oben, was mich natürlich noch mehr verwirrte. Ich wollte seinem Blick ausweichen, aber es gelang mir einfach nicht, meine Augen von ihm abzuwenden, denn zu unglaublich war das, was ich dort sah. Dann legte der Mann die rechte Hand an seine Stirn, als ob er genauer schauen und gleichzeitig seine Augen vor den Regentropfen schützen wollte. Er lächelte weiter, und es war ein mir sehr vertrautes Lächeln, mein eigenes Lächeln um es genauer zu sagen.
Nun wollte ich doch Gewissheit haben, ich musste diesen Mann treffen. Also ging ich in den Flur, zog Lederjacke und Schuhe an, nahm den Regenschirm und verließ die Wohnung. Oh Mann, was würde Jolie nur zu der Geschichte sagen, wenn ich sie ihr erzählte? Zu aufgeregt und wirr waren meine Empfindungen in jenem Moment als ich die Treppen hinunter stieg, als dass ich einen klaren Gedanken fassen konnte, also beschloss ich am besten an überhaupt nichts mehr zu denken. Trotzdem hielt ich im Treppenhaus kurz inne, ich hatte das Empfinden, etwas sehr Bekanntes zu treffen. Unten angekommen öffnete ich die Tür zur Straße und spann schnell den Regenschirm auf. Als ich über die Straße ging, stellte ich überrascht fest, dass es aufgehört hatte zu regnen und der Wind nur noch ein laues warmes Lüftchen war. Mit dem geöffneten Schirm kam ich mir ziemlich dämlich vor und zog ihn zusammen. Grelle Sonnenstrahlen blendeten meine Augen und zwangen mich, sie kurz zu schließen. Der Mann war verschwunden. Es war seltsam, aber ich wunderte mich nicht, dass er fort war, sondern lediglich dass ich ihn überhaupt nicht vermisste.
Das Wetter war absolut klasse. Der strahlend blaue Himmel ließ nur vage vermuten, dass dort noch vor wenigen Minuten ein Regenschauer sondergleichen runtergekommen war. Ich muss sagen, dass ich nun sogar bezweifelte, dass es überhaupt geregnet hatte. Ich lehnte den Regenschirm an eine Hauswand, weil er mir nun lästig vorkam. Mir wurde sogar regelrecht warm, es war ein spitzenmäßiges Gefühl. Also tat ich, was ich immer in solchen Momenten tat, ich schloss die Augen, öffnete beide Hände und legte meinen Kopf in den Nacken, um den Sinnesrausch voll aufzunehmen. Ich war hellwach und trotzdem absolut entspannt.
Dann schaute ich hinauf zu meiner Wohnung und ich weiß nicht wieso, aber ich musste irgendwie lächeln über meinen grandiosen Irrtum mit dem Regen. In diesem Moment sah ich eine Person im Wohnzimmerfenster. War es Jolie, war sie schon früher nach Hause gekommen? Ich legte meine Hand an die Stirn, um meine Augen vor der Sonne zu schützen. Nein, für Jolie war die Person zu groß, es musste ein Mann sein. Ich lächelte weiter, diesmal aber eher ungläubig über das, was ich dort sah. Irgendwie erinnerte mich die Statur des Mannes an mich selbst. Das konnte natürlich nicht sein, aber wer war diese Person in meiner Wohnung? Nun wollte ich doch Gewissheit haben, ich musste diesen Mann treffen.
Langsam überquerte ich die Straße und blickte noch einmal kurz nach oben. Der Mann aus dem Fenster war verschwunden. Ich öffnete die Haustür und ging in den Flur. Als ich die Treppen zu meiner Wohnung nach oben ging, hatte ich plötzlich das Gefühl etwas sehr Vertrautes zu erleben. Ich blieb kurz stehen und blickte mich um. Alles war hier vertraut, aber etwas war anders als vorher. Es war ein wirklich zufriedenes und selbstsicheres Gefühl.
Der Tag fängt ja ganz gut an, dachte ich. Beim Öffnen der Haustür kam mir ein seltsames prasselndes Geräusch aus der Wohnung entgegen. Neugierig ging ich hinein, um zu schauen, was los war. Es war wieder so dunkel wie zuvor, so dass ich das Licht anschalten musste. Ich schaute zum Fenster und erkannte die Ursache des Geräusches. Vom Wind angestachelte Regentropfen peitschten gegen meine Scheiben. Der Himmel war mit großen dunklen Wolken verhangen und ließ die Sonne nicht passieren. Ich ging zum Fenster, die Menschen rannten umher und suchten Schutz vor dem Nass. Es war, als ob jemand die Brause einer Riesendusche über die Leute hielt. Irgendwas kitzelte mich im Genick und als ich nachfühlte, erkannte ich, dass mein Körper und meine Kleidung völlig durchnässt waren. Das Regenwasser floss buchstäblich an mir herunter und hatte sogar eine kleine Pfütze auf dem Parkett gebildet.