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Die Häuser sind zwei Stockwerke hoch

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24.07.2009
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Die Häuser sind zwei Stockwerke hoch

Zwischen den Gehwegplatten verdorrte das Grün. Hätte es Bäume gegeben, wären Vögel tot von den Ästen gefallen. Die Luft stand. So trocken, so heiß, unangenehm hell, dass es in den Augen brannte.

Die Häuser waren zwei Stockwerke hoch mit braunem Spitzdach und blauen Türen, an der Front mit grauem, wegen der Kinder am Ansatz manchmal löchrigem Putz. Jede Etage zwei Wohnungen breit zu je vier Zimmern, Küche und Bad á 10, 12 Quadratmeter nicht eingerechnet.

Draußen der Bürgersteig und die Pflasterstraße, am Rand Heims weißer Trabant deluxe fast senkrecht zwischen zwei Parkstreifen. Nur auf der anderen Seite stand noch ein anderes Auto, auch ein Trabant, ebenfalls weiß und deluxe.

Heim verstaute seine Tasche im Kofferraum. Er ging zur Fahrertür, stieg ein, ließ die Fenster runter. Die Papiere legte er erst aufs Armaturenbrett, dann doch in die Ablage. Die Cola warf er auf den Rücksitz. Eine Ameise schreckte auf und verschwand zwischen zwei braunen Feldern im gestrickten Polsterbezug. Auf der Frontscheibe zarte, weiße Schlieren in zwei Beinahe-Viertelkreisen. Er öffnete den Benzinhahn, drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang an, röhrte hoch, knatterte schließlich ins Standgas. Heim ließ Wasser auf die Scheibe spritzen und drückte den Hebel für die Scheibenwischer. Die Schlieren wurden um zwei Grad weicher, verschwanden aber nicht.

Heim hatte Anni unten am Münztelefon gesagt, dass er in zwei Stunden bei ihr sein könnte. Das war vor zwei Stunden gewesen. Dann war er baden gegangen, hatte immer wieder heißes Wasser nachlaufen lassen und dabei die Zeit vergessen, ohne Absicht. Heim besaß keine Uhr. Er wüsste die Zeit auch so, sagte er immer, außer manchmal und diese Manchmal wären gottgewollt, vielleicht als Teil eines Plans, der zu etwas führte, von dem nichts zu sagen war, nur dass Heim es gesehen haben sollte. Selten, dass er die Zeit wirklich vergaß. Er schüttelte den Kopf, strich sich durchs noch feuchte Haar.

Hinter ihm die Straße runter an der Ecke vom Konsum schlug ein kahlgeschorener Junge gegen den Zigarettenautomaten. Er war von normaler Statur, nicht wirklich kräftig. Ein paar rote Pusteln im Gesicht. Er glänzte nass. Kratzer auf der Oberlippe und unterm Kinn. Auf seiner Jacke stand mit weißem Klebeband geschrieben: „Bomber“, wobei dem M schon der Mittelstrich fehlte, überhaupt die Jacke viel zu groß für ihm war und er in der Hitze nach Schweiß roch, als hätte er zwei Wochen darin geschlafen.

Heim kannte Bombers Mutter vom Hallo-Sagen im Treppenhaus und von früher, als mindestens einmal im Monat die Polizei vor dem Haus gestanden hatte, weil ihr Mann ein Trinker war. Das Geschrei der beiden, wenn sie sich stritten, war bis auf die Straße zu hören gewesen. Sie hatten sich ständig gestritten, an Sonn- und Feiertagen konnte man die Uhr nach ihnen stellen.
Bombers Vater hatte sich später im Keller erhängt, irgendwann vor zwei Jahren im Frühling. Der Junge und zwei seiner Freunde hatten ihn gefunden, als sie unten heimlich eine rauchen wollten. Die Frau kam erst abends nach Hause. Niemand hatte sie erreicht. Sie soll nicht geweint haben, als man sie ins Wohnzimmer aufs Sofa setzte, nur dagesessen und irgendwann vor Schwäche in sich zusammengefallen sein. Seitdem hatte die Frau keinen neuen mehr gehabt, soweit man das sah. Man sah wenig von ihr. Meist nur im Konsum oder kurz im Treppenhaus. Sie sprach selten mehr als zwei Sätze mit jemandem.

Ihr einziges Kind, Bomber, schlug noch einmal dumpf gegen den Automaten. „Fick dir du scheiß Ding!“

Ein Rentner in Unterhemd lehnte sich über das dunkel geblümte Kissen auf seiner Fensterbank im zweiten Stock und schnarrte: „Ruhe da unten!“
Aus seiner Hosentasche kramte er ein blaugrau kariertes Taschentuch, wischte sich damit über die Stirn. Er atmete angestrengt, mit dem Mund weit offen.

„Mein lieber Schollie. Wat‘n Wetter“, sagte er ins Zimmer hinter sich hinein. „Is ja nich zum Aushalten. Da jehst ja ein.“

Bomber zeigte ihm erst einen und dann beide Mittelfinger. Dann wusste er auch nicht weiter und schlug noch einmal gegen den Automaten. Woanders lachte jemand.

„Ick komm dir gleich runter“, drohte der Rentner mit geballter Faust. Im Zimmer hinter ihm zischte eine Frau: „Erwin! Hör uff mit dem Quark!“
„Ach komm!“, wiegelte der ab. „Bring mir lieber meinen Tee. Jugend von heut denkt och, die Welt jehört ihnen.“

„Na und?“ Die Frau stand auf. „Musst‘n trotzdem nich noch provoziern.“

„Tu ick doch janich“, sagte Erwin trotzig.

Gegenüber kam ein Pärchen von vielleicht 20 aus der 9. Die Frau trug ein helles, leichtes Sommerkleid und ihre glatten, dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Sie war fast einen Kopf kleiner als ihr Freund, wirkte zierlich und verletzlich neben ihm, beinah wie Anni. Ihre Augen hatten rote Ränder, so als hätte sie geweint. Der Mann in brauner Trainingshose mit einer blauen Sporttasche in der Hand.

Er wollte sich unterhaken, doch sie zog den Arm weg. „Nu komm, Marie“, sagte er versöhnlich, tat als wollte er sie umarmen. Die Tür fiel hinter ihnen mit einem kurzen Knarzen ins Schloss. Sie ging wortlos an ihm vorbei, er ihr hinterher. „Weißte, Marie, manchmal biste echt anstrengend.“

Sie lief einfach weiter, vorbei an einem pummeligen, blonden Mädchen, das Ameisen auf dem Bürgersteig zertrat, fast als würde es tanzen. Es summte Wörter, die keinen Sinn ergaben, zu einer Melodie, die nach Doris Day klang, im Hintergrund begleitet durch das vereinzelte Knattern und Rauschen im nächsten Straßenzug passierender Autos. Es wirkte entrückt, ganz verloren in seinem Todestanz. Auf seinem linken Unterarm eine lang gezogene Narbe, noch rotgelbbraun und krustig und beinahe frisch.

Das Mädchen trieb behutsam zwei Ameisen mit seinen fleischigen Füßen zusammen, ging in die Knie, holte Schwung und sprang mit einem hohen Hopser auf sie drauf, beide Füße parallel wie im Sportunterricht. Anschließend schaute es, was von den Tierchen übrig war. So gut wie nichts. Das meiste klebte an seinen Sohlen, was es erst nicht sah. Maries Freund zeigte ihm den Vogel. Das Mädchen steckte die Zunge raus.

Er stolperte Marie hinterher, griff sie am Arm. „Warum bist’n schon wieder so scheiße drauf?“

„Weil du ein Arschloch bist“, sagte sie, ohne sich nach ihm umzudrehen.

„Warum das denn?“, fragte er.

„Darum“, sagte sie und wechselte die Straßenseite zum Konsum hinüber.

Er schaute erst nach links und rechts, bevor er weiterging. „Marie, jezz bleib doch mal stehn! Lass uns dit doch wie erwachsene Menschen klärn.“ Da war sie schon fast drüben bei Bomber am Automaten. Der hatte unterdessen Schwung geholt und seine Faust in einem unglücklichen Winkel gegen die Maschine gerammt. Im gleichen Moment war etwas in seiner Hand mit einem widerlichen Knirschen zu Bruch gegangen.

Bomber stöhnte, hielt sich die Knöchel. Er tat ein paar Schritte weg vom Automaten und rempelte dabei Marie an. Er spuckte aus, fluchte: „Gottverdammte Scheiße.“

Erwin schniefte schadenfroh von seiner Fensterbank: „Siehste. Dit kommt davon!“ Dann drehte er sich zur Frau im Zimmer hinter ihm: „Haste dit jesehn? Sach noch eener, dit jibt keene Jerechtichkeit.“

„Komm endlich da wech vom Fenster“, sagte die.

Auf dem Bürgersteig fragte Marie vorsichtig: „Ist alles in Ordnung?“

Bomber deutete mit dem Kopf die Straße runter, keuchte: „Komm, fickt euch wech!“, das Gesicht eine Maske aus Schmerz. Er hatte sich vornübergebeugt, den Arm wie ein Krüppel und die Hand, als hätte man sie ihm vor Sekunden abgeätzt.

„Tut bestimmt weh“, sagte Marie und deutete auf die Hand. Ihr Freund kam dazu. „Mal schön sachte“, sagte er zu Bomber. „Is dit klar, ja?“

Er legte seinen Arm um Maries Hüfte. Sie ging zur Seite, sagte zu ihm, als würde sie es so meinen: „Lass mich doch einfach in Ruhe.“

„Was denn? Marie ey jezze“, sagte er.

„Du solltst mich einfach in Ruhe lassen. Kapierst du’s nicht?“

Bomber unterbrach ungemütlich: „Ey, nehmt euch doch nen Zimmer. Hauptsache, ihr verpisst euch.“

Oben war der Rentner zurück im Fenster. Die Frau hinter ihm zischte: „Erwin! Kannst du nich einmal Ruhe jem? Denk doch mal och an mir!“

Erwin hielt etwas Dunkles in der Hand und schimpfte etwas mit „Jugend von heute“.

„Mann! Jeh mir nich uff die Nüsse!“, schnauzte Bomber zurück. Oben drohte Erwin: „Ma schön ruhich bleim. Sonst tu ick gleich die Polizei rufen“, und zur Frau im Zimmer empörte er sich: “Der tickt doch nich janz richtich. Haste sowat schon erlebt?“

Die Frau schlug mit der flachen Hand auf den Wohnzimmertisch, dass die Tassen klirrten. „Mensch Erwin, hör uff! Ick seh et doch schon wieder kommen.“

Draußen kam ein Läufer um die Ecke. Er trabte an Marie und ihrem Freund, dann an Bomber vorbei, die Anhöhe heran, den Blick müde auf seinen dürren Schatten, der mit der Nachmittagssonne in seinem Rücken fast parallel zur Wand verlief. Sie schauten ihm nach, wie er vorne an der 12 stoppte und sich nahe dem Hauseingang an der Mauer abstütze. Dort zog er den Schuh aus, schüttelte ihn, bis ein Steinchen auf den Bürgersteig sprang. Unter dem Ärmel seines Shirts die Ausläufer einer Tätowierung, ein dunkles, zittriges Ornament. Schweißperlen auf seiner Stirn.

Über ihm im ersten Stock öffnete sich ein Fenster. Das Glas scheuchte grelle Flecken über den Putz des gegenüberliegenden Hauses. Von drinnen warf jemand einen Gegenstand auf die Straße, in einem geraden Wurf, so dass er sich nicht um die eigenen Achsen drehte. Das Fenster schloss sich wieder. Im selben Moment klatschte ein Taschenbuch mit braunem Einband flach aufs Pflaster.

Der Läufer drehte sich um, hielt sich die Hand schützend über seine Augen. Heim sah ihm vom Fahrersitz aus zu, wie der das Buch aufhob. Er griff nach dem Zündschlüssel. Der Läufer blätterte durch die Seiten ohne Interesse für ein Detail.

Das blonde Mädchen hörte auf, Ameisen zu zertanzen. Es kam herüber.

„Was ist das?“, fragte es.

„Nichts“, sagte der Läufer. „Es ist leer.“

 

Tolle Geschichte, zwei, drei Mal hab ich lachen müssen über die Sitiationen, und nach einem etwas zähen Einstieg war ich den ganzen Text über voll drin, bis auf das Ende, bei dem ich mir blöd vorkam. Dann sehe ich Rubrik "Experimente" und denke: hm. Warum hat das Taschenbuch leere Seiten? Ist es selbst eine Fiktion? Heim klingt schon wie ein ausgedachter Name, und vielleicht ist es ja gerade Heims vergessene Zeit, in der diese zufälligen Begegnungen spielen, der Erzähler nimmt sich ja mit fortschreitender Handlung mehr und mehr zurück, spiegelt sich noch einmal kurz in dem Jungen, der Marie nachläuft, und löst sich dann hinter dem Geschehen auf.

ADie Mundart ist hier schön eingesetzt, die wirken - auch wenn sie bekannten Schablonen folgen - sind in ihrer Darstellung so authentisch geraten, dass man sie sehen - und sogar riechen kann. Die Dynamik zwischen den einzelnen Figuren. Bomber und der Rentner. Der Rentner und seine Frau. Marie und ihr Freund. Marie und Bomber. Maries Freund und Bomber. Das find ich schon toll gemacht, diese Verwebung der einzelnen Figuren, die immer nur einen Satz haben, wie eine Erkennungsmelodie. Es ist ja fast ein Großstadtkonzert.
Aber was das am Ende mit dem Läufer und dem braunen Taschenbuch mit leeren Seiten soll - ich weiß es nicht, ist es was DDR-Spezifisches?

Trotzdem klasse Geschichte, das war ein Lesevergnügen
Qunn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Minofois!

Mir gefällt deine Sprache, und auch wenn das keine klassische Geschichte ist, ist sie toll, vielleicht gerade deswegen. Es gibt ja keine Handlung im eigentlichen Sinne, hier werden nur Figuren eingeführt, anhand derer Eigenschaften eine Geschichte im Kopf des Lesers entsteht.
Die Geschichte ist schon allein wegen dem Rentner lesenswert. Ich fand ihn sehr komisch.

Dir ist erstaunlich gut gelungen eine bedrückend heiße Atmosphäre zu schaffen, sodass mir die ganze Zeit klar war, wie heiß dieser Tag sein musste, als sich diese Geschichte abspielte, ohne dass es in jedem Satz erneut gesagt werden muss. Wie auch immer du das geschafft hast, es ist schlichtweg beeindruckend.

Und das Mysterium um das braune Taschenbuch konnte ich leider auch nicht entlüften. Hat was.

Hab mir deine anderen Geschichten angeguckt, und du scheinst nicht der Typ
zu sein, der auf seine Geschichten antwortet, so werden wir wohl nicht rausfinden, was es mit dem Buch auf sich hat.
Schade.

JoBlack

edit: So, hab sie jetzt empfohlen, das macht man hier mit guten Geschichten. :P

 

hi,
danke. sagst ja schon, dass hier nur figuren eingeführt und konflikte eröffnet werden. die eigentliche geschichte dahinter fehlt -> leeres buch und braun ist es, weil die häuser braune spitzdächer hatten. :schiel:

 

Hey minofois,

ich schließe mich gern den Vorrednern an und finde den Text toll.
Die Figuren sehe ich vor mir, ich sehe sogar ihre Einrichtung, ihr Leben, das sie da Tag für Tag abspulen.

Schon der erste Absatz ist genial, zieht einen und drückt aufs Gemüt.

Allerdings hatte ich beim Lesen eher die Gesellschaftsrubrik vor Augen, weil Du da ein Bild zeichnest, was gut charakterisiert. Das die Lösung der Konflikte ausbleibt, empfinde ich nicht unbedingt als Experiment.

Nur auf der anderen Seite stand noch ein anderes Auto, auch ein Trabant, ebenfalls weiß und deluxe.

Absicht? Ich empfinde das zweite 'andere' als unschön.

Der Motor sprang an, röhrte hoch, knatterte schließlich ins Standgas.

Das sind so die Sätze, für die ich den Text so schätze. Als stünde man neben dem Trabanten ...

..., überhaupt die Jacke viel zu groß für ihm war und er in der Hitze nach Schweiß roch, als hätte er zwei Wochen darin geschlafen.

ihn, oder?

Sie soll nicht geweint haben, als man sie ins Wohnzimmer aufs Sofa setzte, nur dagesessen und irgendwann vor Schwäche in sich zusammengefallen sein.

Und da erzählst Du in einem Satz ne tragische Beziehungsgeschichte. Diese Dichte und Intensität, ist einfach nur: wow!

Bomber zeigte ihm erst einen und dann beide Mittelfinger. Dann wusste er auch nicht weiter und schlug noch einmal gegen den Automaten.

Auch wenn es eigentlich tragisch ist: :lol:

Maries Freund zeigte ihm den Vogel. Das Mädchen steckte die Zunge raus.

ihr einen - so mein Empfinden

Sie ging zur Seite, sagte zu ihm, als würde sie es so meinen: „Lass mich doch einfach in Ruhe.“

Schön!

Das Buch konnte ich auch nicht deuten. Aber egal, es passt so schön in die Geschichte hinein. Und braun, wegen brauner Spitzdächer ... naja.

Super Text, atmosphärisch so dicht, als würde da wirklich ein Dokumentarfilm laufen.

:thumbsup: Gern gelesen (sogar mehrfach)
Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi minofois,

ja, mir hat das auch gut gefallen, besonders das Berliner Lokalkolorit.
Das finde ich sehr passend zu Deiner Geschichte, die ich als eine Art Milieustudie ansehe, was aber positiv gemeint ist.

Stimmt, eine richtige Handlung hat die Geschichte nicht, sie ist eher eine Ansammlung von Tätigkeiten unterschiedlicher Personen eines Straßenzuges. Aber gestört hat mich die fehlende Handlung auch nicht, genausowenig wie meine Vorkritiker.
Wichtig ist mir bei derartigen Geschichten die Atmosphäre, die Bilder, die ich vor Augen habe beim Lesen. Da können ameisenzertanzende Mädchen ganz hilfreich sein und auch Rentner, die auf Kissen aus Fenstern lehnen und das Geschehen kommentieren. Obwohl das schon wieder ein Klischee ist, aber was soll's, mir gefällt's trotzdem, jedenfalls in dieser Geschichte ;).

Mein Lieblingssatz:

„Ey, nehmt euch doch nen Zimmer. Hauptsache, ihr verpisst euch.“

Echt stark!

Jedenfalls gerne gelesen und auch zu Recht empfohlen,
liebe Grüße
Giraffe :)

 
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> Es ist das Reden, dieses ständige Reden in deinen Gedanken. Francis sagt immer, ich solle das aufschreiben und gleich warum die Welt anders sei, als ich sie mir errede<, beginnt Dein Zweitwerk und die erste Geschichte hier vor Ort, die ich von Dir gelesen hab,

lieber minofois,

und der Icherzähler will einfach nur weg und doch nie nach Island kommen – obwohl Hekla & Co. ruhig waren.

Acht Monate später entführstu uns in eine „moderne“ Szene wie zu einem Gegenpol zu Thornton Wilders und unserer kleinen Stadt, freilich nicht irgendwo, sondern mitten im Herzen Europas, auch nicht 1938 als der New Deal zu greifen begann, sondern 70 Jahre später, als schönste Träume zum Aufschwung zerplatzt sind.

Wie schon bei Wilder ist die Handlung schlicht, mancher vermisst sie gänzlich. Als wäre nicht Reden/Schwätzen/Drohen schon ein Tun, selbst das NIXtun ist Handlung, wie schon das Unterlassen und/oder Schweigen, denn genau das ermöglicht dann auch MISShandlung – und wär’s auch nur des Automaten. Zudem ist der Klassenkampf durch den Generationenkonflikt aufgehoben. Der Rentner hat insoweit Glück, als seine Kampfansage sich quasi schicksalhaft von selbst erledigt. Das ist gut beobachtet und treffend beschrieben. Und mit dem Ende gewinnt selbst die zunächst überflüssige Beschreibung des Hauses ihren Sinn, wenn aus einem Fenster des ersten Stockwerkes >ein Taschenbuch mit braunem Einband< auf die Straße geworfen wird.

Konsequent zum Abschluss heißt es >Das blonde Mädchen hörte auf, Ameisen zu zertanzen. Es kam herüber. / „Was ist das?“, fragte es. / „Nichts“, sagte der Läufer. „Es ist leer“<, wie das Leben in dieser tristen Welt. Da will ich dann nicht weiter in die Symbolik von Dach und Einband eingehen, außer, dass braun gemeinhin für Demut steht.

Abschließend sei gelobt, dass Du einer der wenigen hier an Bord bist, der einem Mädchen konsequent das korrekte grammatikalische Geschlecht zugesteht, was ich wahre Emanzipation heiße!

Womit wir fast wieder am Ausgangspunkt des kleinen Ausfluges sind -
Gruß aus'm Ruhrgebiet nach Gibraltar

Friedel

 

Sehr spät schon, und ich leide gerade unter Schlaflosigkeit. Also meines Erachtens hätte die Geschichte auch gerne unter Experimente stehen bleiben können. Ein Experiment kann auch ein inhaltliches sein, und so wirkt dieser Text auf mich.
Hier passt er jedenfalls aber auch. Da ich mich grad wie Edward Norton zu Beginn von Fight Club fühle, bin ich zu wirklich sachlicher Kritik aber heute Nacht nicht mehr in der Lage.

Nur so viel: Mir hat der Text in seiner Gesamtheit sehr gefallen.

Gruß

Cerberus

 

Hi und vielen Dank. Bei den Scheibenwischern hab ich wirklich längere Zeit überlegt. Erst waren es "Halbkreise", aber es waren ja keine, wenn ich mich richtig erinnere. Dann waren es "Beinahe-Halbkreise" und "Fast-Dreiviertelkreise", was nicht gut klang. Die haben bei einem angejahrten Trabant ja auch an Wendepunkten nicht wirklich was weggeschafft, also waren's in meiner Erinnerung am Ende doch eher Viertel- statt Halbkreise.

Zur Geschichte selbst: Das Buch auf der Straße stand halt relativ früh fest und ich hab mehrfach versucht, das sinnvoll weiterzuführen, aber danach kann eigentlich nur Fantasy kommen, wenn die eingeführten Figuren beieinander bleiben sollen, und dafür hab ich kein Händchen.

viele Grüße

 

Hallo Minofois,

war wie alle vor mir angetan von deiner Geschichte. Die Frage ob du Stilmittel, Adjektive oder anderes willentliche einsetzt spielt für mich keine Rolle. Wenn die Sprache so aus einem heraussprudelt, so sei es!
Bis vor einiger Zeit bin ich an dem Gedanken verzweifelt, dass ich es dem Film nie gleich machen könnte wenn es um das Beschreiben von Stimmungen geht (zB. Lost in Translation - von Sophia Copola). Eine Einstellung, Licht kann dem Zuschauer subjektiv so viel vermitteln was in Schriftform banal oder klischeehaft klingt. Ich finde dieses Problem löst du sehr gut, die Stimmung ist perfekt konstruiert.
Generell finde ich es experimentell (wenngleich es vorher versucht wurde) die Erzählung innerhalb/während des Konflikts abzubrechen. Du sagst auch so schon sehr viel über die Charaktere, könntest aber auch noch anderes und detaillierteres hinzufügen indem du sie den entstehenden Konflikt durchleben lässt. Nicht im Sinne der Geschichte, aber wäre ein Gedanke.

Grüße, nikonotiz

 

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