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Die Höhle

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01.07.2001
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Die Höhle

Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Matthäus 5, 10



California News Report, 21. August 1987
Fresno. Gestern am späten Vormittag kam es an der Ecke Hoover Street zu einem schweren Unfall, verursacht durch einen Vanfahrer, der aus einer Ausfahrt mit hoher Geschwindigkeit auf die stark be-fahrene Hauptstraße fuhr. Unter den Verletzten befanden sich drei Erwachsene. Ein Kind schwebt zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch in Lebensgefahr.

California News Report, 26. August 1987
Fresno. Der dreijährige Junge, der in dem am Dienstag von einem betrunkenen Arbeitslosen verursach-ten Unfall schwer verletzt wurde, befindet sich auf dem Weg der Besserung. Der Junge hat mittlere bis schwere innere Verletzungen, die aber nach Angaben der Ärzte des Fresno Hospital rückstandslos ver-heilen werden.



Sieben Jahre später
Ohne Vorwarnung stürzt ein Junge in eine Höhle.
„Marcus! Oh mein Gott!" Sein Großvater läuft zu der Stelle, an der sein Enkel durchgebrochen ist. „Marcus, ist dir was passiert?" Etwa drei Meter unter ihm liegt er, von Staub eingehüllt, auf dem Rük-ken ... sich die Augen reibend.
„Nein." Er muß husten. „Nein, es ist schon okay. Aber ich glaube, ich hab’ mir das Handgelenk ge-brochen."
„Das kriegen wir schon wieder hin," ruft sein Großvater. „Kannst du aufstehen?"
„Ja, ich glaub’ schon." Langsam erhebt er sich und schaut sich in der Höhle um. „Hier liegt ‘ne Men-ge Dreck rum. Was ist das hier wohl für eine Höhle?"
„Ich weiß es nicht. Aber du, junger Mann, wirst nun erst mal wieder da rauskommen!"
„Wär’ wohl besser so," begreift er enttäuscht. Noch einmal schaut er sich um, stellt sich dann aber auf einen Felsvorsprung und greift nach den Händen seines Opas. „Autsch, meine Hand!"
„Tut mir leid. Wenn du noch ein Stück höher kommst, kann ich Deinen Arm greifen ... ja, genau so." Nach leichter Anstrengung hat der Großvater Marcus aus der Öffnung gezogen und legt ihn auf den warmen, weichen Waldboden. „Geht’s wieder?"
„Ja, sicher. Alles okay. Aber ehrlich gesagt hab’ ich für heute erst mal genug von Waldspaziergän-gen."
„Kann ich mir vorstellen." Der Großvater hilft seinem Enkel hoch. Dann nimmt er Marcus’ unver-letzte Hand in seine und zusammen gehen sie den Waldweg entlang nach Hause.


Fünf Jahre später
„Mom, wer war mein Vater?" Zusammen mit seiner Mutter sitzt Marcus im Wohnzimmer ihres klei-nen Hauses. Sein Großvater, seine bisher einzig wirkliche, männliche Bezugsperson, ist vor drei Mona-ten an Krebs gestorben.
„Wieso willst du das wissen?" fragt sie überrascht.
„Ich will es einfach," erwidert er ohne Verzögerung. „Ich habe Dich und Opa oft über ihn sprechen hören, aber Ihr habt mir immer nur gesagt, er wäre nicht mehr am Leben. Ich habe nie erfahren, was mein Vater für ein Mensch war." Er wirft ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.
Nach kurzem Zögern fängt sie an zu nicken. „Also gut. Du willst wissen, was dein Vater für ein Mensch war? Dann werde ich es dir erzählen. Auch wenn dir einiges von dem, was ich dir erzählen werde, nicht gefallen wird, so will ich doch, daß du weißt, daß ich deinen Vater geliebt habe. Egal, was er getan hat."
„Was hat er getan?"

Vor neunzehn Jahren lernte Patricia Stevenson William „Bill" Spender kennen. Er war groß und schlank, relativ muskulös und gutaussehend, mit einem guten Job. Sie verliebten sich ineinander, bevor sie im Jahre 1982 heirateten. Beide führten eine gute Ehe. 1984 erwartete Patricia dann Marcus. Als er gesund geboren wurde, waren beide überglücklich und zogen als Kleinfamilie nach Fresno in ein kleines Haus um, in dem Marcus und seine Mutter noch heute wohnen.
Aber im Jahre 1986 geschah etwas, das einen Knick in die Familie brachte. Eines Tages kamen zwei Polizisten, klopften an die Tür und verlangten William Spender zu sprechen. Als er hinauskam, legten ihm die beiden Polizisten Handschellen an und verhafteten ihn wegen der Vergewaltigung und Ermor-dung einer Prostituierten. Es gäbe eindeutige Beweise, die auf ihn als Täter hindeuteten.
Das Urteil stand schnell fest: Acht Jahre Freiheitsstrafe mit anschließender Hinrichtung auf dem elek-trischen Stuhl. Das einzige Problem war, daß er diese Zeit nicht aushielt. Zwei Monate nach seiner Ver-urteilung, Marcus war gerade drei Jahre alt geworden, beging er Selbstmord. Er hing sich am Fenster-gitter seiner Zelle auf.

„Wieso ... das verstehe ich nicht," fragt Marcus, nachdem seine Mutter ausgesprochen hat.
„Was verstehst du nicht?"
„Hat er diese Prostituierte denn jetzt umgebracht oder nicht?"
„Er hat es gestanden, Marcus. Er hat gestanden, daß er die Frau getötet hat. Selbst mir gegenüber. Und er hat es bedauert."
„Das kann ich mir vorstellen ..."
„Als er sich umgebracht hatte, boten mir alle Hilfe an. Großvater zog bei uns ein, um mir etwas mit dem Haus und dir zu helfen. Schließlich mußte ich ja auch arbeiten. Das einzig komische an der ganzen Sache war, daß ich wußte, daß er sich umbringen würde."
„Was soll das heißen, du wußtest es?"
„Ich habe es die Nacht vor seinem Tod geträumt. Ich habe geträumt, daß er sich aufhängt und dann in den Himmel kommt."
„Aber das ist doch absurd!"
„Vielleicht. Aber er hatte mir einen Abschiedsbrief hinterlassen, den ich so oft gelesen habe, daß ich ihn dir fast fehlerlos zitieren könnte. In ihm stand, er wolle, daß ich immer gut auf dich aufpasse. Er würde sein möglichstes tun, damit dir nichts zustoße."
„Und was soll das bedeuten?"
„Du weißt doch, daß du, als du noch drei Jahre alt warst, von einem Auto angefahren wurdest, oder?"
„Ja. Opa hat mir mal die Zeitungsausschnitte gezeigt."
„Er hat was?" Für einen Moment wird sie wütend, beruhigt sich dann aber wieder, als sie begreift, daß ihr Vater ihr nur damit geholfen hat. Marcus weiß also schon etwas über den Unfall. „Dann weißt du also, daß du sehr schwer verletzt warst."
„Ja. ‘Innere Verletzungen’ stand in dem Artikel."
Sie nickt. „Du hattest eine Leberquetschung und einen Milzriß. Die Ärzte mußten dich lange operie-ren. Alle sprachen davon, daß du einen Schutzengel gehabt hast." Für kurze Zeit verstummt ihre Stim-me. Marcus will sie schon fragen, warum sie nicht weitererzählt, läßt es dann aber bleiben. „Nun, dies geschah vier Monate nach dem Tod deines Vaters und ich glaube fest daran, daß dein Vater dieser Schutzengel war."
„Was?" Marcus amüsiert sich sichtlich über den Glauben daran, daß es wirklich Schutzengel gibt. „Woher willst du das wissen? Hattest du wieder davon geträumt?"
„Das ist nicht komisch, Marcus."
„Nein, das ist es wirklich nicht." Seine Miene schlägt um. „Allein der Gedanke, daß ein Vergewaltiger und Mörder mein Schutzengel sein soll, läßt mich meinen letzten Funken Glaube verlieren." Wütend steht er auf.
„Setz’ Dich wieder hin," schreit seine Mutter ihn an, während eine Träne über ihre Wange läuft. „Ich habe nicht von ihm geträumt. Ich habe ihn gesehen."
Langsam setzt sich Marcus wieder.
„Du lagst auf der Intensivstation und ich durfte nicht zu dir rein, weil dein Zustand noch zu kritisch war. Ich konnte dich nur durch eine Scheibe beobachten. Und an einem späten Nachmittag, als ich kurz eingeschlafen war, und wieder nach dir schauen wollte, sah ich einen Schatten durch dein Zimmer hu-schen. Der Schatten sah genau so aus wie dein Vater."
„Aber das ist doch völliger Unsinn." Wieder steht er auf.
„Marcus, bleib hier ... Marcus!"
Diesmal unaufhaltbar läuft er aus dem Haus, nimmt sein Fahrrad und läßt seine Mutter weinend zu-rück.

Er fährt schnell, halsbrecherisch schnell. Voller Wut tritt er in die Pedale, versucht zu verarbeiten, was seine Mutter ihm gerade erzählt hat.
Er fährt in den Wald, in den er und sein Großvater früher immer gegangen sind und dieser ihm Ge-schichten erzählt hat. Nach fünf Minuten kommt er an der Lichtung an, wo sich die beiden immer auf die große Wurzel des Mammutbaums gesetzt hatten. In der Nähe der Lichtung war es auch gewesen, wo er in die Höhle gefallen war. Er bemerkt, daß er seiner Mutter nie davon erzählt hat, sein Großvater vermutlich auch nicht. Auf einmal schießt ihm eine Erinnerung in sein Gedächtnis, die er fünf Jahre versucht hat, zu verdrängen. Der Sturz in die Höhle. Kurz war er bewußtlos, kam dann aber wieder zu sich. Dann schaute er, noch von der Bewußtlosigkeit benebelt, in ein Gesicht. Nicht in das von seinem Opa. Nein. Die Stimme war anders. Er, es, rief seinen Namen, kurz bevor sein Großvater über den Rand des Loches schaute.
Auf der Wurzel sitzend, fängt er an zu weinen.

- ENDE -

 

Ih, Bibelzitate.
Mein Lieblingsbibelzitat wäre: "Damals lebte auf Erden das Volk der Riesen", irgendwo aus der Genesis. <IMG SRC="smilies/smilewinkgrin_ron.gif" border="0">
Ich sehe nicht so recht, wie das Bibelzitat mit der Story zusammenhängt. :confused:

Hm, du hast einige Wort-Trennungen drin, die in diesem Layout nicht funktionieren. Die müsstest du mal in Ordnung bringen, dann liest es sich flüssiger.

Anonsten irritiert mich die Story eher.
Der Vater kommt "in den Himmel"? Wieso? Weil er gestanden hat?

Acht Jahre Freiheitsstrafe mit anschließender Hinrichtung auf dem elek-trischen Stuhl.

So ein Urteil gibt's m.E. gar nicht. Die langen Haftzeiten vor Hinrichtungen in den USA kommen durch Berufungsverfahren und ähnliches zustande, wenn ich mich nicht irre (bin kein Jurist).

William „Bill" Spender

William B. Davis / "C.G.B. Spender"?
X-Files?

 

Kleine Analyse.

Die Geschichte ist sehr kompakt (großer Zeitraum in kurzen Text). In diesem kleinen Raum gelingt einiges:

- Spannungsaufbau
- Konfliktverdeutlichung von Mutter und Sohn
- Irritation durch den Kontrast vom Guten im bösen Menschen

Das Bibelzitat ist wichtig, da es das Konzept und Läuterung und Vergebung hervorhebt (Kernthese).

Dass die gerichtliche Strafe so nicht offiziell existiert, ist völlig unerheblich. Denn praktisch gesehen verlaufen viele Todesstrafen derart. Es ist die Rache der (amerikanischen) Gesellschaft am Täter und es wäre weit ehrlicher, wenn die Strafe lauten würde: Wir verwahren Dich für eine unbestimmte Anzahl an Jahren und bringen Dich anschließend möglichst schmerzhaft und dramatisch um.

Die Geschichte ist gut.

 

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