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Die halbe Wahrheit

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20.12.2009
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Die halbe Wahrheit

Die halbe Wahrheit

Ein Soldat liegt in seinem Blut und Dreck beschmutzen Schlafsack auf den Rücken am Boden. Er hat ein kleines Loch im Kopf. Eine kleine Eintrittswunde. Die Austrittswunde ist aber größer wodurch sich auf dem Boden eine riesige Blutlache gebildet hat. Neben ihm liegt ein zweiter Soldat, den es noch schlimmer erwischt hat. Nur die Reste seines Schädels hängen an seinen Halsende. Es gibt viele Arten eines Kopfschusses, doch meist kommt dabei immer dasselbe Ergebnis raus.
Um die Soldaten herum ist ein kleines Nachtlager aufgebaut. Sie liegen im zweiten Stock eines ausgebrannten und halbzerbombten Abrisshaus irgendwo im Irak. In der Mitte brennt noch das Lagerfeuer, dass durch den Schein des Feuers alles noch dramatischer wirken lässt. In den ganzen Gebäude liegen insgesamt elf tote Soldaten und ein Zivilist, die alle jeweils durch einen Kopfschuss getötet wurden. Acht liegen in dem Raum des Nachtlagers in ihren Schlafsäcken um das Lagerfeuer. Der Zivilist hockt am Fenster. Zwei Soldaten liegen im ersten Stock und einer im dritten.
Raus aus der Szene.
Es sind alles nur vergangene Aufnahmen. Es ist schon vorbei und spielt sich nur im Fernsehen, eines Nachrichtensenders ab. Die Reporterin Trudy Gater sitzt im Büro ihres Chefs und sagt zu ihm "Wer hätte denn ahnen können, dass wir überfallen werden. Ich habe mir den Krieg grausam vorgestellt, aber doch nicht so."
Trudy Gater war als Reporterin im Kriegsgebiet des Iraks, da sie eine Dokumentation über den Krieg machen wollte. Sie ist die einzige Überlebende, dieses Massakers, dass sich nun vor sechs Monaten ereignet hat.
Der Bildschirm im Büro von Trudys Chef zeigt nun den Raum mit den acht toten Soldaten, der nun von einem anderen Trupp Soldaten, die Trudy Gater gefunden hatten, inspiziert wird. Trudy Gater hält die Kamera und berichtet dabei. Sie sieht mit der Kamera auf den Zivilisten der unter einen Fenster an der Wand hockt. Er hat zwei Eintrittswunden an der linken Seite seines halben Kopfes, der vornüber gebeugt auf seinen Knien liegt. Die Rechte Seite seines Schädels fehlt ihn komplett. Trudy Gater schreit im Fernsehen hysterisch "Das ist Sören, mein Kameramann. Sie haben ihn getötet."
Trudy Gater hat die Kamera ihres Kameramannes und filmt ihn, wie er tot an der Wand hockt. Ein trauriger Schritt das ein Kameramann erst sterben muss, damit er vor der Kamera stehen, oder in diesem Fall hocken, darf, um ins Fernsehen zu kommen.
Im Fernsehen des Nachrichtensenders sieht man, wie Soldaten, die Leichen von Soldaten inspizieren. Sie begleitet drei der Soldaten aus dem Raum in den ersten Stock. Alle schweigen. Die Kamera zeigt zwei weitere Soldaten, die durch Kopfschüsse getötet wurden. Einer der Soldaten des Rettungstrupps sagt "Die hier waren auf Patroullie und haben das Gebiet gesichert."
Die Kamera zeigt nun genauer auf die beiden Soldaten. Der erste liegt an der Treppe und hat eine Eintrittswunde genau am Hinterkopf. Sein Kopf ist zur Seite gedreht und man kann so sein Gesicht sehen. Sein nicht mehr vorhandenes Gesicht. Der Andere liegt am Fenster mit einer Eintrittwunde genau im linken Auge. Er ist der Einzige der ganzen Soldaten, der es noch schaffte sein Maschinengewehr zu ziehen.
Trudy folgt den Soldaten in den dritten Stock. Dort liegt der letzte Soldat am Fenster. Wieder ein Kopfschuss. Er wurde von hinten erschossen und die Austrittswunde in seinen zerfetzten Gesicht hat sein Nachtsichtgerät mit Blut verschmiert und total zerstört. Glas liegt auf dem Boden. Einer der Soldaten sagt in die Kamera "Dieser hier hielt am Fenster Ausschau. Er hätte sie eigentlich bemerken müssen."
Trudy geht zu dem Fenster und man sieht durch ihre Kamera, die Straßen und die Stadt vor dem Gebäude. Am Horizont geht langsam die Sonne auf. Es ist ein ganz normaler Tag irgendwo im Irak.
Man merkt dass, diese ganze Szene für Trudy nicht einfach sein muss, da die Kamera wackelt, denn Trudy zittert. Öfters hört man ihr Schluchzen oder ein Schniefen, denn Trudy ist mit den Nerven am Ende. Im Fernsehen wirkt der Krieg immer anders, als wenn man ihn Live gesehen hat.
Die Soldaten gehen wieder runter, in den zweiten Stock, zu ihrer Einheit und diskutieren die Situation. Trudy filmt das Ganze.
Ungekürzt und ungeschnitten.
Überall auf der Welt gibt es Reportagenpreise, für die beste Reportage einer Nachrichtensendung. Meist werden Kriege oder Naturkatastrophen prämiert. Dazu kommt noch die Bewertung und Prämie bei hohen Einschaltquoten. Der Reporter muss bloß zur richtigen Zeit am richtigen, oder moralisch gesehen, am falschen, Ort sein.
Diese Reportage war es auch die Trudy Gater einen dieser Reportagenpreise einbrachte. Aber nicht nur das. Diese Aufnahme ist außerdem das Ende ihrer an sich langweiligen Dokumentation, wofür sie auch noch mal einen Preis kassierte. Nur für dieses Ende. Dazu kommen dann noch unsagbar viele Auftritte in Late-Night-Talkshows. Zwar redet Trudy nicht gerne über diese Nacht, aber man sagte ihr, dass es für die seelische Aufarbeitung des Geschehenen helfen würde.
Im Fernsehen sieht man nun, während die Soldaten die Situation bereden, wie Trudy die Kamera durch den Raum schwenkt. Überall ist Blut, Knochensplitter und Hirnmasse verteilt. Sie schwenkt über die Leichen und zerfetzten Köpfe der Soldaten bis das Bild bei ihren toten Kameramann stehen bleibt. Erst wackelt die Kamera nur leicht, dann stärker, dann geht sie langsam horizontal nach unten zu Boden, da Trudy in dem Moment weinend in die Knie gegangen ist.
Man sieht im Bild über den Blut und Leichengetränkten Boden zum Hintergrund, indem immer noch die Leiche des Kameramannes zu sehen ist. Dann sieht man wie sich mehrere Soldatenschuhe der Kamera nähern und zu Trudy gelaufen kommen und man hört irgendwo einen Soldaten sagen "Schnell wir brauchen ein Beruhigungsmittel."
Nun hört man die ganze Szene nur noch. Die Kamera liegt am Boden und man sieht nur noch Soldatenschuhe herumlaufen. Gerade diese Szene wirkt sehr dramatisch, da man nur das Weinen und Flehen von Trudy hört.
Im folgenden Protokoll des vermeintlichen Bergungstrupps steht: Wir fanden die Zivilistin Trudy Gater im fünften Stock des Abrisshauses indem wir die toten Soldaten der Einheit 22 fanden. Sie hatte sich in einer kleinen Nische hinter einer Plane und Schutt versteckt, bis sie die Sprache eines Soldaten wiederkannte. Erst da kam sie verwahrlost aus ihrem Versteck heraus.
Ein ähnliches Protokoll aus Sicht von Trudy Gater läuft im Abspann ihrer preisgekrönten Dokumentation.
Der Aussage von Trudy Gater zu Folge schliefen alle Soldaten während sie sich noch mal mit ihren Kameramann unterhielt. Als dieser auch schlafen wollte, ging sie in den oberen Stockwerk eine rauchen. Sie hörte keine Schüsse, doch als sie Krach und eine Ausländische Sprache hörte, versteckte sie sich instinktiv.
Nun ist Trudy Gater eine der angesagtesten Reporterinnen und ihr Name und Ruhm eilt ihr voraus. Große und Rangvolle Sender der ganzen Welt schlagen sich förmlich um sie.
Da Weile war sie nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Im Bild sieht man immer noch die Kamera auf dem Boden liegen und Soldatenschuhe über den Boden laufen. Das Flehen und Weinen von Trudy Gater, dass man die ganze Zeit hörte wird langsam leiser und ruhiger. Das Beruhigungsmittel scheint einzusetzen.
So wird man ein Medienstar. Man ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Selbst wenn es der Krieg ist. Manche werfen Trudy Gater vor, dass sie aus ihren Leid nur Profit schlagen will. Andere wiederum sagen, dass es ihr gutes Recht sei, als Reporterin und Überlebende darüber zu berichten. Vor allem nachdem was sie erlebt hat. Es ist die einfache Frage, was mehr Gewicht hat. Geld oder Moral? Pressefreiheit oder Geldgier? Und eins muss man nun mal sagen, zu Kriegszeiten steigen die Auflagen von Tageszeitungen und die Einschaltquoten der Nachrichten. Es ist nicht die Frage, dass es gezeigt wird. Es ist die Frage, dass es gesehen wird.
Nun wackelt die Kamera, da sie von jemanden aufgehoben wird. Man hört nicht mehr Trudys Flehen und Weinen. Man hört nur die Stimmen und Schritte der Soldaten. Jemand dreht die Kamera schnell um einhundertachtzig Grad und man sieht einen Soldaten, der nun genau im Bild ist. Er sagt "Nun reicht es aber. Der Krieg ist schon für uns grausam genug."
Und er schaltet die Kamera ab.
Cut!
Ich sitze an einer Wand in dem dunklen Raum. Nur das kleine Lagerfeuer spendet uns hier Licht. Acht Soldaten schlafen, während drei Soldaten auf Patroullie sind. Ich kann nicht schlafen. Schon sehr lange nicht mehr. Mich beschäftigt nur eine Sache. Die ganze Zeit.
Ich schaue zu meinen Kameramann, der am anderen Ende des Raumes unter einem Fenster hockt und eine raucht. Seine Kamera liegt neben ihn. Er filmt nicht. Was gibt es auch zu filmen. Acht schlafende Soldaten. Wie Aufregend. Zwei Soldaten, die sich im ersten Stock über ihre betrügenden Frauen zu Hause unterhalten. Wie Unterhaltsam. Oder ein Soldat, der sich wahrscheinlich im dritten Stock zu tote langweilt. Wie abenteuerlich. Das hier ist alles nichts wert.
Mein Kameramann schaut zu mir und ich weiß, dass er das selbe denkt, wie ich. Aber nun mal nicht so intensiv wie ich. Wir denken beide, warum sind wir überhaupt hier?
Dieser Krieg ist so spannend, wie eine Runde Bingo im Altersheim.
In der Stille des nun schwach durch Feuer beleuchteten Raumes sitze ich und langweile mich. Acht Soldaten in Schlafsäcken sind nicht gerade das aufregendste am Krieg.
Dies ist der sechsundsiebzig Tag dieser endlosen Dokumentation voll Langeweile. Seit sechsundsiebzig Tagen ziehen wir hier durch das Land und es passiert einfach nichts. Ich verzweifle. Das klingt zynisch aber, warum ist es wohl härter für mich, als für meinen Kameramann. Weil diese Dokumentation meine letzte Chance ist, denn ich soll entlassen werden. Mein Kameramann weiß nichts davon. Niemand, außer meinen Chef und ich, wissen was davon.
Ich schaue zu meinen Kameramann, der seinen Zigarettenstummel auf den Boden schnipst, stehe auf und gehe zu ihn. Es ist einer dieser Momente, die einem ein Leben lang verfolgen. Wochenlang habe ich überlegt, wie ich es ihn sagen soll. Wie ich beginnen soll. Nun ist der Zeitpunkt und ich gehe zu ihm.
Er schaut aus der Hocke zu mir hoch und ich schaue runter zu ihm. Im Augenwinkel, sehe ich die Nacht dieses Landes durch das Fenster. Überall nur Langeweile. Kein Licht das nach Raketen aussieht. Keine Einstellung die nach einer Aufnahme ruft. Ich schaue zu ihm runter und frage "Kann ich mich setzen?"
Er schaut zu mir hoch und antwortet "Ja."
Ich hocke mich rechts neben ihn hin. Nach einer kurzen Schweigepause sage ich ohne ihn anzusehen "Das alles bringt mich um."
Aus den Augenwinkel sehe ich, wie er seinen Kopf zu mir dreht, seine Stirn in Falten legt und fragt "Was meinst du?"
"Diese Langeweile. Weißt du, dies ist meine letzte Doku und hier passiert einfach nichts."
Aus den Augenwinkel kann ich sein ratloses Gesicht sehen und er fragt "Ich verstehe nicht."
Und ich drehe meinen Kopf zu ihn um, schaue mit Tränen der Verzweiflung in meinen Augen in seine fragenden Augen und sage "Ich werde entlassen."
Solche Momente wie diese, zeigen wie Menschen wirklich sind. Es sind Momente wie diese, die dich womöglich bis an dein Lebensende verfolgen werden.
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
Ich wende meinen Blick wieder von ihn ab. Was soll er auch von mir denken. Was soll er schon dazu sagen. Ich wische mir eine Träne weg, die sich gerade einen Weg über meine linke Backe bahnt. Ich schaue über die schlafenden Soldaten, die in den Feuerlicht und der Tränenflüssigkeit ganz verschwimmen und abstrakte Formen annehmen. Und er sagt nur "Das tut mir leid."
Was soll er auch sonst sagen. Ich weiß nicht ob ich mehr Mitleid von ihn erwarten kann. Wir Menschen werden nicht ohne Mitleid geboren. Diese Welt formt uns zu Mitleidslose Brocken. Und als Reporter muss man immer objektiv sein. Objektive Menschen sind womöglich die schlimmsten Menschen überhaupt. Wir beziehen zu nichts eine persönliche Stellung, was uns so kalt werden lässt. Es ist nicht verwunderlich, wenn man sich über manche Reporter in den Nachrichten aufregt, dass sie pietätslos wären, weil sie keine Gefühle zeigen. Kein Anstand haben. Wir sehen zu viel Elend und müssen immer weiter. Von einem Elend zum nächsten. Das ist unsere Arbeit. Dafür werden wir bezahlt. Und manchmal sogar als Aasgeier beschimpft. Immer weiter. Und dazu noch diese Objektivität. Diese Mitleidslosigkeit. Machen wir das alles nur wegen des Geldes? Wegen des Ruhmes?
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
Ich schaue durch den Raum über die verschwommenen Soldaten hinweg und wische mir die Augen mit meinen Ärmeln trocken. Die Soldaten nehmen wieder Struktur an. Sie haben wieder eine Form. Sie ähneln uns so sehr. Sie müssen objektiv sein. Müssen immer loyal ihren Bossen gehorchen. Ihren Job machen. Kein Mitleid empfinden. Ich drehe meinen Kopf zu den mitfühlenden Blick meines Kameramannes und sage "Danke. Ist schon ok."
Er sieht mich an und fragt "Weißt du schon, was du danach machen willst?"
Ich sage "Nein, diese Dokumentation sollte mein Stützpfeiler sein. Mein Rettungsbalken. Mein Notanker. Das kann ich ja jetzt wohl knicken."
Er schüttelt mit den Kopf und sagt "Und ein anderer Sender?"
Ich sage "Nein, ich habe zu mir gesagt, wenn das hier nichts wird mache ich nicht weiter. Ich höre auf als Reporterin zu arbeiten."
"Aber was machst du dann?"
Ich sage ein bisschen lauter, da er mir langsam auf die Nerven geht "Ich weiß es gottverflucht nicht."
Er dreht seinen Kopf von mir weg, schaut zu den Soldaten und ich füge hinzu "Tut mir leid. Ich bin mit den Nerven einfach am Ende."
Was soll man schon nach so einem Job machen. Man kann nicht einfach so aufhören. Diese Welt hat uns verkorkst und wir verkorksen die Menschen, weil wir darüber berichten.
Wir schweigen uns an, bis ich den nächsten Schritt wage und frage "Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber kann ich dich mal was persönliches fragen. Du musst aber versprechen zu schweigen."
Er schaut mich wieder an und antwortet "Ja, klar."
"Sag bitte erst mal gar nichts und hör mir nur zu, was ich dir sage und versteh mich bitte nicht falsch."
Er dreht seinen Kopf wieder von mir weg, holt eine Zigarette raus, bietet mir eine an, die ich freundlichst ablehne, zündet sich seine an, atmet tief ein um den Rauch dann in einem langen Schweif nach vorne in den Raum auszupusten. Danach schaut er mich wieder an und sagt "Dann erzähl mal."
"Lass mich dir erst mal zwei Geschichten erzählen. Die Erste handelt von einem Reporter, der einen Krieg in die Zeitung schrieb, den es gar nicht gab. Ich weiß nicht ob dir der Tartarenkrieg was sagt, aber egal. Jedenfalls gab es nichts zu berichten und er erfindet einfach diesen Krieg. Solche Zeitungsenten können schlimm enden. Oder? So entstehen auch diese ganzen Urban Legends. Ich frage dich, was die Wahrheitspflicht heute noch für eine Bedeutung hat? Da kann man doch niemanden mehr glauben. Die zweite Geschichte handelt von einem Nachrichtenreporter der 1997 ein Interview mit einem Amokläufer geführt hat. Dieser hatte sich in einer Schule verschanzt und bat die Polizei einen Reporter aufzutreiben, der ein Interview mit ihn führen sollte. Die Reporter rissen sich natürlich um die Aufgabe. Am Ende wurde nicht nur die Aufnahme mit einem Nachrichtenpreis gekrönt, sondern der Reporter auch berühmt. Was die Zivilbürger dabei nie erfahren haben, sind die Hintergründe, die bei der Auftragsvergabe der Polizei passierten. Nicht nur dass das Ganze schlimmer war als eine Aktion bei Ebay. Nein, als einer den Auftrag erhielt, schlugen andere Reporter diesen zusammen und so musste ein neuer Reporter unter Polizeilichen Begleitschutz zum Gebäude in dem der Amokläufer war gebracht werden."
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
"Die Mediengeilheit der Menschen ist nun mal so schlimm geworden, wie nie zuvor. Leid und Unglück machen die Einschaltquoten. Wer will schon etwas von einem glücklichen Leben hören. Wir wollen Verfolgungsjagden, Naturkatastrophen, Amokläufe."
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
"Und nicht das ein Reporter nur dafür bezahlt wird. Es gibt diese Nachrichtenpreise, Dokumentationspreise, Geld, Ruhm, Publicity. Da ist es langsam kein Wunder, dass Reporter und Journalisten sich aufführen wie Leute eines Überwachungsapparates der UDSSR oder des dritten Reiches. Wir werden schamlos damit überhäuft, dass wir jegliches Verbrechen, Unglück, Schamlosigkeit und Perversion des Menschen aufzeigen. Und da ist es auch kein Wunder, dass wir bald selbst so werden. Aber Hauptsache ist doch den Leuten gefällt es. Aber was ist, wenn es nichts zu berichten gibt. Wenn die Welt nur so von Glücklichkeit und Freude stinkt. Wenn die Einschaltquoten sinken. Ist dies ein Grund die Wahrheit zu verändern. Oder sogar neu zu erfinden. Bedenke, selbst gewisse negative Dokumentationen über den letzten US Präsidenten sind mehr oder weniger total übertrieben. Hat das alles überhaupt noch mit wahren Journalismus zu tun. Ja. Es gibt kein Gesetz das Wahrheitspflicht von Reportern verlangt. Es gibt bloß ein Ehrenkodex. Was ist heutzutage noch Ehre und Stolz? Von Ehre kann man sich nicht unbedingt ein BMW kaufen. Stolz bezahlt mir nicht meine Miete. Das macht nur Geld. Das ist der Kapitalistische Grundgedanke. Hier zählt keine Moral. Hier zählt nur Geld. Alle bescheißen die Bürger in den Nachrichten. Entweder wird gelogen oder es wird verschwiegen. Zum Beispiel müsstest du ja wissen, dass unsere Nachrichtensender von Unternehmen und Parteien Zuschüsse und Gelder erhalten. Dafür dürfen wir aber auch nicht über gewisse Themen reden und Unternehmen nicht diskreditieren."
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
"Nachrichten werden dazu auch noch als Werbemittel benutzt. Ein deutscher Fernsehsender ließ einen Ausschnitt aus einer Mysteryserie, als Nachricht getarnt über die Bildschirme laufen. Es ist eine Schande, dass so etwas aus unseren Beruf gemacht wird. Man nennt uns rasende Reporter. Hassender Reporter trifft es wohl eher. Wir sind Richter und Henker. Wir können das Leben eines einzelnen Menschen nur mit einer Reportage oder Schlagzeile vollends versauen. Wenn wir wollten könnte wir auch berichten Russland hätte wieder die Atomraketen auf die USA gezielt. Jeder lügt. warum sollten wir anders handeln? Jeder erfindet Geschichten. Warum sollten wir es nicht tun?"
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
"Niemand hinterfragt mehr, das was er hört, oder liest, oder sieht. Irak hat Atomwaffen. Ich würde sagen es stimmt. Oder hat das auch nur wieder jemand erfunden?"
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
Ich schaue meinen Kameramann in seine fragenden, unverständnisvollen Augen und sage "Verstehst du? Verstehst du worauf ich hinaus will? Wahrheit hat keine Bedeutung. Ebenso wenig wie Moral. Die Leute glauben das, was man ihnen auftischt. Sie glauben es blind. Sie int...."
Er unterbricht mich wütend "Jetzt hör mal auf. Worauf willst du eigentlich hinaus?"
"Ich will dir ein Leben voller Ruhm anbieten. Auch du kannst vor die Kamera kommen. Auch dein Leben kann interessant sein. Ist es nicht das was alle eigentlich wollen. Ich biete dir das an?"
Und er fragt "Und wie?"
Ich wende meinen Kopf nach vorne und schaue über die schlafenden Soldaten und sage "Du musst nur die Kamera halten, wenn ich über ein Massaker berichte bei dem elf Soldaten gestorben sind."
Er sagt entsetzt "Was?"
Und ich greife in eine Seitentasche meiner Jacke und hole eine Schallgedämpfte Pistole heraus.
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
Wenn man nichts mehr zu verlieren hat, ist alles egal. Wie weit würdest du gehen um Ruhm, Erfolg, und Geld zu haben? Wenn du schon ein klein bisschen Macht über den Glauben der Menschen besitzt, würdest du ihn missbrauchen? Die Menschen manipulieren?
Ich halte die Pistole in meiner Hand und beginne leicht zu schwitzen. Mein Puls rast und ich spüre förmlich wie das Adrenalin durch meinen Körper jagt. Elf Soldaten. Ein Magazin, Fünfzehn Schuss. Die Waffe habe ich von einem toten Irakischen Soldaten geklaut. Sie hat zum Glück einen Schalldämpfer und die Patronen sind dazu noch Teilmantelgeschosse.
Er schaut auf die Pistole und fragt entsetzt "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?"
Glaubst du alles, was man dir erzählt? Was du hörst? Was du siehst?
Ich drehe den Lauf der Pistole in Richtung des Kopfes meines Kameramannes und frage "Doch, es ist mein Ernst. Ich frage dich jetzt, willst du berühmt werden."
Und wie schon erwähnt. Die Kamera hielt Trudy.

 

Hallo Dare,

deine Geschichte knüpft an Dinge an die uns täglich mit den Medien präsentiert werden und uns letztlich die Frage aufdrängen, die auch deine Protagonistin bewegt: Soll man das alles glauben?

Das überraschende Ende ist dir gut gelungen, alles eingebunden – damit es nicht bei dem reinen Überraschungseffekt bleibt – in die Probleme, die von einer Medienwelt heraufbeschwört werden.

Hier gibt es auch inhaltliche Probleme: Ist der Arbeitsplatzverlust ein ausreichendes Motiv? (Ich denke, es müsste noch ein zusätzlicher Druck dahinter stehen).
Würde der Kameramann wirklich mitmachen? Richtige Actionszenen kann er nicht liefern, was ist sein Motiv (vorausgesetzt, er kommt nicht auf die Idee, dass Zeugen beseitigt werden müssen).
Nach den ersten Schüssen würden sich die übrigen Soldaten wehren (es sei denn, der Schalldämpfer ist wirklich so effektiv)? Würde man das Pistolenkaliber nicht erkennen? Wären bei einem feindlichen Angriff alle mit Kopfschuss getötet?


Zur Umsetzung:

Du beschreibst sehr viel und lang, ich fand das unnötig distanziert und etwas zäh, später wirkt es wie eine Abhandlung, z.B.:


„So wird man ein Medienstar. Man ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Selbst wenn es der Krieg ist. Manche werfen Trudy Gater vor, dass sie aus ihren Leid nur Profit schlagen will. Andere wiederum sagen, dass es ihr gutes Recht sei, als Reporterin und Überlebende darüber zu berichten. Vor allem nachdem was sie erlebt hat. Es ist die einfache Frage, was mehr Gewicht hat. Geld oder Moral? Pressefreiheit oder Geldgier? Und eins muss man nun mal sagen, zu Kriegszeiten steigen die Auflagen von Tageszeitungen und die Einschaltquoten der Nachrichten. Es ist nicht die Frage, dass es gezeigt wird. Es ist die Frage, dass es gesehen wird.“


„Kein Anstand haben. Wir sehen zu viel Elend und müssen immer weiter. Von einem Elend zum nächsten. Das ist unsere Arbeit. Dafür werden wir bezahlt. Und manchmal sogar als Aasgeier beschimpft. Immer weiter. Und dazu noch diese Objektivität. Diese Mitleidslosigkeit. Machen wir das alles nur wegen des Geldes? Wegen des Ruhmes?“

(Die Wiederholung der Reporterinnenfrage verstärkt ihre Eindringlichkeit, fand ich angemessen).

Ein Stilwechsel, gerade wenn es um Action geht, würde das ganze etwas auflockern.


Hier noch einige Änderungsvorschläge, habe nicht den ganzen Text durchforstet:


„doch meist kommt dabei immer dasselbe Ergebnis raus“

immer oder meist

„Sie liegen im zweiten Stock eines ausgebrannten und halbzerbombten Abrisshaus irgendwo im Irak“

Abrisshauses (klingt schlecht, muss man etwas umformulieren)

„der Mitte brennt noch das Lagerfeuer, dass durch den Schein des Feuers alles noch dramatischer wirken lässt.“

„Feuer“ wird unnötig wiederholt. (… seinen Schein …; sag’ nicht, dass es dramatisch ist, lass es den Leser erkennen).


„Raus aus der Szene“

Den Szenenwechsel eher schriftstellerisch lösen, das Zitierte wirkt so ‚Wink mit dem Zaunpfahl’ mäßig.


Du sagst sehr oft „Soldaten“ und beschreibst immer wieder Austrittswunden. Mich hat diese Wiederholung gestört.

Fazit: Eine aktuelle Thematik mit interessanter Wendung, die noch etwas Umgestaltung und Politur benötigt.

Woltochinon

 

Eines ist klar, der Kameramann wurde als erster erschossen, die anderen nacheinander, und nur einer hat davon etwas mitbekommen, bevor auch er dran glauben musste. Ein guter Plot, doch leider etwas unbeholfen erzählt. Der Text schwingt unaufhörlich mit dem moralischen Zeigefinger, beschuldigt Kapitalismus und weiß ich nicht wen nicht, des Geldes wegen zu töten.

Dabei ist gerade das nichts Neues. Dass sich heute möglicherweise auch Medienleute daran beteiligen könnten, ist der heutigen Zeit geschuldet – früher gab es die tausende Fernsehsender nicht, die ihre Reporter immer dorthin schicken (müssen), wo es wirklich oder im übertragenen Sinn brennt. Fernsehsender ohne Bilder schaut keiner, und wer als erster seinen Mann vor Ort hat, hat gewonnen, denn andere müssen seine Bilder übernehmen, teuer dafür bezahlen und noch unfreiwillig Werbung für ihn machen.

Und es müssen immer neue, außergewöhnlich und sensationelle Bilder sein – nach dem 100sten Selbstmordanschlag in Irak wird nur noch berichtet, wenn Personen aus dem Westen oder Prominente Einheimische ums Leben gekommen sind. Bei Naturkatastrophen wie die in Haiti findet man offenbar nichts dabei, extra zu erwähnen, dass bei 100.000 Opfern auch ein Deutscher dabei ist. Ein Deutscher ist genauso oder sogar wichtiger als tausende Einheimische, auf jeden Fall ist das eine Nachricht, und ich bin mir sicher, Bild wir seine Verwandten finden und befragen.

Aber bei deiner Geschichte, Dare, hast du ein bisschen dick aufgetragen. 11 Menschen zu töten wegen des drohenden Arbeitsplatzverlusts, das ist, wie Woltochinon schon sagte, wenig wahrscheinlich. Dessen ungeachtet, ist die Geschichte im zweiten Teil, in dem moralisiert wird und das Gespräch zwischen dem Kameramann und der Reporterin stattfindet, langweilig. Besser wäre es, das ganze Geschehen mit Fragezeichen zu versehen, zum Beispiel indem die Kamera, bevor sie ausgeschaltet wird, die Pistole mit dem Schalldämpfer zeigt, herausgezogen aus dem Schutt, hinter dem sich die Reporterin angeblich während des Massakers versteckte.

 
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An Dion

Erstmal danke, dass du dich für meine Geschichte interessiert, und sie gelesen, hast.

Zu deinen Bemerkungen:

"...Der Text schwingt unaufhörlich mit dem moralischen Zeigefinger, beschuldigt Kapitalismus und weiß ich nicht wen nicht, des Geldes wegen zu töten.
Dabei ist gerade das nichts Neues..."

Das Traurige ist, dass es kaum jemanden zu interessieren scheint, dass dies so ist. Deswegen gibt es Leute wie mich, die behaarlich auf solchen Moralischen (vielleicht schon ausgelutschten) Themen zurückgreifen. Und wie David Mitchell schon schrieb: "Es gab schon alles in der Kunst. Doch es kommt nicht darauf an, was es ist, sondern auf das wie."

"Ein Deutscher ist genauso oder sogar wichtiger als tausende Einheimische, auf jeden Fall ist das eine Nachricht, und ich bin mir sicher, Bild wir seine Verwandten finden und befragen."

1. Gottlob den Nationalstolz wenn es um unsere Opfer geht. (Kopfschüttel)
2.Die Bild damit reinzubringen, genial. Ich habe eine aggressive Aversion gegen dieses Blatt (was an sich den ganzen Verdummungsverlag der sie veröffentlicht betrifft).

"11 Menschen zu töten wegen des drohenden Arbeitsplatzverlusts, das ist, wie Woltochinon schon sagte, wenig wahrscheinlich."

1. Bezieht es sich hier indirekt auf den Arbeitsmarkt und seine schlechten Chancen.
2. Sagt die Hauptperson, dass sie danach in keinen anderen Job treten kann, da sie zu viel gesehen hat. Was will ein Desillusionierter, der weiß, was in der Welt gespielt wird schon noch anfangen.

"Dessen ungeachtet, ist die Geschichte im zweiten Teil, in dem moralisiert wird und das Gespräch zwischen dem Kameramann und der Reporterin stattfindet, langweilig."

Gebe ich dir im Nachhinein auch irgendwie Recht. Also nicht langweilig, eher extrem langgezogen.

"Besser wäre es, das ganze Geschehen mit Fragezeichen zu versehen, zum Beispiel indem die Kamera, bevor sie ausgeschaltet wird, die Pistole mit dem Schalldämpfer zeigt, herausgezogen aus dem Schutt, hinter dem sich die Reporterin angeblich während des Massakers versteckte."

Ich wollte nicht unbedingt noch ein offenes Ende mit reinbringen, da der Leser schon einen Mindfuck während der Geschichte, besser gesagt am Ende, bekommt. Ein offenes Ende würde Fragen aufwerfen, ich verwirre zwar gern mittendrin, aber löse am Ende.

An Woltochinon

Erstmal danke, dass du dich für meine Geschichte interessiert, und sie gelesen, hast.

Zu deinen Bemerkungen:

Zu den Arbeitsplatzverlust habe ich schon bei dem Kommentar von Dion etwas geschrieben.

"Würde der Kameramann wirklich mitmachen? Richtige Actionszenen kann er nicht liefern, was ist sein Motiv (vorausgesetzt, er kommt nicht auf die Idee, dass Zeugen beseitigt werden müssen)."

Dar Kamermann macht nicht mit, sondern stirbt als erstes, da er sich weigert mitzumachen.

"Nach den ersten Schüssen würden sich die übrigen Soldaten wehren (es sei denn, der Schalldämpfer ist wirklich so effektiv)?"

Schalldämpfer sind zwar effektiv, aber du hast Recht, da es immer noch zu laut wäre. Hier habe ich mich sehr auf die künstlerische Freiheit bezogen.

"Würde man das Pistolenkaliber nicht erkennen? Wären bei einem feindlichen Angriff alle mit Kopfschuss getötet?"

Sie hatte, wie gesagt, die Waffe von einem feindlichen Soldaten.

"Du beschreibst sehr viel und lang, ich fand das unnötig distanziert und etwas zäh, später wirkt es wie eine Abhandlung."

Gebe ich dir im Nachhinein auch Recht.

Also, danke dir nochmal Woltochinon für deine Interesse und Kommentare.

 

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