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Die Hochzeit des Mädchens

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03.11.2007
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Die Hochzeit des Mädchens

‘Nein’ durfte sie nicht sagen. Sie war erst zwölf Jahre alt, als sie von ihrem Vater verheiratet wurde und Widerstand konnte sie nicht leisten. Sie war nur ein Kind, und Kinder haben gar nichts zu sagen... ganz einfach so.
Ja, sie geriet in Panik aber die Erwachsenen hatten vor der Hochzeit so viel zu tun, dass es ihnen egal war, wie es ihr ging. Kein Wunder, dass sie am Vorabend davor nicht schlafen konnte. Die ganze Nacht drehten sich ihre Gedanken um Angst und Sorge, Angst und Sorge! Da sass sie in ihrer Hängematte, schweissgebadet, zitternd, die Hand ihrer Lappenpuppe festhaltend, wie an die letzte Rettungsplanke.
Ihr Vater war zufrieden. Der Bräutigam war ein sechsundzwanzigjähriger Junge aus der Gegend, der ab und zu zum Kaffee vorbeikam. Manchmal wurde sie auch zum Gespräch gerufen aber sie wusste, dass sie nicht sprechen durfte. Also sass sie artig zwischen den Erwachsenen mit abwesendem Blick und herabhängendem Kopf, verstrickt in die Welt kindlicher Angst.
Innerlich hatte sie Schwierigkeiten, den Jungen als Ehemann zu akzeptieren aber... ‘nein’ durfte sie nicht sagen. Seit ein paar Nächten konnte sie die Augen nicht schliessen und jetzt, am Vorabend der Hochzeit, wurde es noch schlimmer. Die Leute machten eine Menge Lärm draussen: Sie plauderten über dieses und jenes, sie lachten, sie schlachteten Tiere... alles musste für den darauffolgenden Tag organisiert werden während sie, das Mädchen, in ihrer Hängematte lag, sich vor Angst krümmend, weinerlich und betend. Und der Schlaf kam nicht.
Der nächste Tag war sonnig.
Die Braut stand jetzt vor der Tür und ihre Begleiter – Verwandte, Hausdiener und Nachbarn – standen dicht nebeneinander um sie besser sehen zu können. ‘Oh, du siehst ja so schön aus!’,‘wie eine Puppe!’, ‘wirklich schön!’, hörte sie noch verschiedene Male an jenem Tag. Und so war es ja auch. Niemand in der Gegend konnte ja ahnen, dass eine auffallend schöne Braut aus jenem schüchternen Mädchen werden sein könnte. Ihr Vater stand jetzt auch vor der Tür und gab ihr seine Hand, um sie offiziell zu ihrem Bräutigam zu führen. Nein, sie konnte nicht umhin. Zeit um von ihrer Familie ‘weggegeben’ zu werden. Na, denn man los! Sie ging die Treppe hinunter ihrem Bräutigam entgegen, der auf sie mit strahlendem Blick und strahlendem Lächeln draussen wartete.
Der Priester war ein guter Freund der Familien und kam öfters zu ihnen. Das Mädchen kannte ihn schon seit ihren Kinderjahren: der Mann mit langem, schwarzem Bart, grossem schwarzem Hut, ganz in Schwarz gekleidet, auf einem schwarzen Pferd reitend... eine beängstigende Erscheinung, als sie ihn zum ersten Mal sah aber jetzt – zehn oder elf Jahre später - war er der gewöhliche und familiäre Pater Felix.
Der Bräutigam hielt ihre Hand fest, und nun wusste sie warum sie trotz der frischen Luft draussen ein bedrückendes Gefühl hatte: Es war die Angst. Angst um mit diesem Mann zusammenzuleben und ihre Zukunft mit ihm zu teilen. Sie wusste nicht bestimmt, was diese Hochzeit für sie eigentlich bedeutete. Sie wusste nur, dass sie ihrem Ehemann – genauso wie ihrem Vater und den Erwachsenen ihrer Familie - Gehorsam verpflichtet war. Der Rest... abwarten.
Das Mädchen – meine Ururgrossmutter – ist jetzt nur ein Name auf einem Grabstein, ein in der jüngeren Generation der Familie in Vergessenheit geratener Name. Ja, nur ein Name auf einem Grabstein...

 

Hallo Ronald,

und herzlich willkommen hier.
Ich finde die Geschichte etwas leer und in ihrem Ende widersprüchlich.
Zum einen finden solche Hochzeiten in vielen Regionen heute noch statt, begleitet von den durch dich sicher treffend beschriebenen Ängsten bei den Mädchen (oder ja vielleicht sogar auch bei den jungen Männern). Irgendwie bleibt es in dieser Beschreibung stecken, sodass ich als Leser nur mit den Schultern zucken kann und feststellen: Ja, das gibts. Es ist traurig, aber es ist so.
Was mir fehlt, ist die Seite der Tradition, die Bedeutung der Tradition in ihrer Grausamkeit, der wirkliche Konflikt, warum sich nichts ändert, warum Menschen daran festhalten. Der ist natürlich schwer einzuhalten, wenn die Geschichte in die Vergangenheit gesetzt wurde und von der Ururgroßmutter erzählt.
Unstimmig und widersprüchlich in sich ist der Text, weil er damit endet, dieses damals kleine Mädchen sei nur noch ein Name auf einem Grabstein. Aber irgendwie muss sich ihre Legende zum aufschreibenden Ururenkel getragen haben. Schon die Existenz der Geschichte macht die Frau zu mehr als einem Namen auf einem Grabstein, nämlich zu einem Menschen, der in der Erinnerung fortlebt, von dem erzählt wird, sogar von dessen Ängsten, die doch angeblich niemand beachtet, mitbekommen hat und die allen egal gewesen sein sollen. Es muss also dem Mädchen Verbündete gegeben haben, die diese Ängste weitergetragen haben, erzählt haben, vielleicht sogar Konsequenzen daraus getragen haben. Oder die Ururgroßmutter hat selbst mit der Tradition gebrochen und ihre Nachfahren nicht mehr zwangsverheiratet. Dann ist sie aber erst recht mehr als nur ein Name auf einem Grabstein, dann hat sie eine nachhaltige Veränderung bewirkt.
Details ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

standen dicht nebeneinander um sie besser sehen zu können
standen, um (vor "um" immer ein Komma
dass eine auffallend schöne Braut aus jenem schüchternen Mädchen werden sein könnte.
werden sein?
als sie ihn zum ersten Mal sah
gesehen hat
Angst um mit diesem Mann zusammenzuleben
hier ist das "um" sprachlich deplatziert
dass sie ihrem Ehemann – genauso wie ihrem Vater und den Erwachsenen ihrer Familie - Gehorsam verpflichtet war
zu Gehorsam

Lieben Gruß
sim

 

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