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Die Hoffnung ist nicht grün

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Monster-WG
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01.01.2015
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Die Hoffnung ist nicht grün

Der Kürbis vibriert, schaukelt und rollt behäbig vom Kompost hinunter. Noch eine Böe. Die Stangenbohnen schwanken, ihr Rankgestell neigt sich, sinkt gegen den Strommast und bleibt dort zitternd hängen. Der ganze Garten wird aufgepeitscht, durcheinandergewirbelt und erwartet, sich ängstlich duckend, das aufziehende Unwetter. Inmitten des Gemüsegartens steht die Vorstadtvilla – alt, gebrechlich und dunkel.
Dicke Gewitterwolken verschlingen das Tageslicht. Aus dem Wintergarten beobachten Hans und Emma das sich anbahnende Chaos. Es ist der einzige Raum ohne gesplitterte Fensterscheiben, die Heizung spuckt noch etwas Wärme aus. Das Geld reichte einfach nie für nötige Reparaturen. Hans hofft, dass es jetzt besser wird. Durch die zunehmende Finsternis versinkt das Schachbrett ins Reich der Fantasie. Bei jedem Zug an der Pfeife glimmt der Tabak auf, macht die Figuren kurz deutlicher. Die beiden Rentner lieben es, hier im Dunkeln zu sitzen, von niemandem gesehen zu werden.


„Ha, jetzt hab ich deine Dame!“ Emma greift resolut über das Schachbrett, die Augen blitzen durch halbe Brillengläser. Es gelingt ihr selten, Hans im Schach zu schlagen. Sie nimmt seinen irritierten Blick auf ihre Handgelenke wahr und zupft die Stulpen zurecht. Normalerweise strickt sie diese in gedeckten Farben aus Wollresten. Doch vor ein paar Wochen entdeckte sie an den Händen einer der Nachbarinnen leuchtend rote Stulpen mit Spitzenkante. Die Frau hatte versucht, in den Gemüsegarten zu spähen und dabei die engstehenden Eisenstangen des Gartenzaunes umklammert. Emma hatte die Augen nicht von den wunderbaren Stulpen lassen können. Aber so etwas war ja lösbar.
Hans ist schon wieder ganz beim Spiel. Er schmunzelt vor sich hin und zieht seinen Turm. Emma versucht hektisch ihre Bauern zu retten, übersieht wieder mal ein Pferd und schon droht Schachmatt. In einer schwer zu durchschauenden Mischung aus Wut, Erstaunen und Beleidigtsein, wischt sie die Figuren in ihre Schachtel.
„Schatz?“ Ganz vorsichtig beginnt Hans das Gespräch.
„Was ist?“ Emma mümmelt, sie hat wieder mal keine Zähne drin.
„Was meinst du, Liebes, reicht das Geld diese Woche für ein Stück Räucherlachs? Ich hätte so Lust auf Kartoffelpuffer und Lachs.“
„Ernsthaft?“ Die zahnlosen Kauleisten hin- und herschiebend zieht Emma die Stirn kraus und steckt die störrischen grauen Haare zurück in den Dutt.
„Ich denke, wenn wir Brot selber backen, ja, dann geht das. Nur gut, dass du seit Jahrzehnten keine Butter mehr isst, die kostet mittlerweile auch einiges.“
„Schon toll, wie du es immer drehst und uns von dem bisschen Rente ernährst.“ Hans setzt sein nettestes Lächeln auf und streicht ihr leicht über den Arm.
„Na ja, den Hauptanteil rettet der Garten und den beackern wir ja wohl zusammen.“ Jetzt kehrt ihr Lächeln allmählich zurück, welches das Schachmatt aus ihrem Gesicht gewischt hat. „Und vielleicht geht der Plan ja auf.“

Ein grellweißer Blitz schlägt in die naheliegende Wiese, sodass ihnen das Aufflackern des Bildschirms der Alarmanlage fast entgeht. Das Grollen des Donners rollt durch ihre Bäuche und mit einem kleinen Lächeln rutscht Emma dichter an Hans heran. Die erste Kamera hängt im Flieder und nimmt verbotenerweise die Straße auf. Es passiert einfach zu viel in dieser Gegend. Gebannt schauen die beiden Alten auf das Bild eines sehr langsam vorbeifahrenden Transporters.
„Meinst du?“ Hans stemmt sich halb aus dem Sessel.
Emma winkt mit der Hand auf und ab, kein Grund für Aktionismus. Bloß nicht zu optimistisch herangehen. Ob Hans der Sache gewachsen ist? Das Auto hält an. Gebannt beobachten sie das Auto. Wer mag darin sitzen?
„Der ist vergangene Woche schon vorbeigeschlichen.“ Hans lässt den Bildschirm nicht aus den Augen.
„Vor dem Einbruch bei Meyers?“
Emma zupft an ihren kurzen Fingernägeln, versucht zu knabbern. Sie kontrolliert, ob nicht doch eine Kleinigkeit wie Kerzenlicht oder Rauch ihre Anwesenheit verraten. Aus dem dicken Passionsblumengeranke schneidet sie einmal wöchentlich schmale Spalten frei.
„Schau, Klaus wird munter.“ Begeistert zeigt Hans auf das Bild der dritten Kamera. Klaus ist ein Weberknecht, der es sich im Objektivdach gemütlich gemacht hat. Dort hält er Wache.
„Ob er etwas spürt?“ Emma kriecht fast in den Bildschirm, versucht Details zu erkennen, erschaudert und zieht ihren Wollschal fester. In den letzten Wochen gab es Überfälle, sogar Gewalttaten in der Nachbarschaft. Zwei Menschen wurden kurzfristig vermisst, jedoch war ihr völlig zerrütteter Zustand, in dem man sie später auffand, noch viel bedenklicher. Seitdem verschanzen sich alle, Zäune werden erhöht und Alarmsysteme boomen. Zum Glück ist Hans ein begnadeter Bastler, für eine moderne Überwachung hätte ihr Geld nie gereicht.

Da! Aus der Fahrertür schiebt sich eine schmale Hand, die zierliche Person versteckt lange, blonde Haare unter einer Sturmhaube, während sie sich umschaut. Dann spricht sie zu jemandem im Transporter, winkt hektisch und zieht ein Messer aus dem Fahrzeuginneren. Nein, für ein Messer ist das glänzende, geschwungene Ding zu groß.
Emma greift zitternd die Hand ihres Mannes, drückt sie. Hans stemmt sich nun doch aus dem Sessel, schaltet schnell auf die nächste Kamera, die auf das seitliche Gartentor gerichtet ist, die Schwachstelle ihres Grundstückes. Die maskierte Person zieht eine bullige Gestalt hinter sich her, wedelt mit der Machete Richtung Haus. Emma und Hans schauen sich an, dann zum Telefon, der Videokamera und dem gegen die Scheiben klatschenden Regen. Das morsche Tor ist kein Hindernis, schon stolpern die Fremden durch den Gemüsegarten. Hans tippt mit dem Finger auf den Bildschirm. Ein dunkler Fleck dort im Beet, wo sich der Fußabdruck des Typen mit einer zähen Flüssigkeit füllt. Hier stehen Rote Beete in den Reihen.
Emma nickt und wispert: „Gut, hoffentlich sind wir nicht die Ersten.“ Vor Wochen hatten sie ein leeres Auto und nur Einbruchspläne für die Nachbarhäuser gefunden. Die paar Geldscheine für das Diebesauto hatten Emma enttäuscht.
Hans aktiviert eines der Mikrofone, mehrere sind an der Innenseite der Mauer eingelassen. Trotz Regens ist das Gespräch der beiden gut zu verstehen.
"Nein, es sieht leer aus, kein Licht, kein Rauch aus dem Schornstein.“ Die Frau schleicht näher.
„Lilo, muss das noch sein? Ich bin nicht fit.“
„Ja und ja! Und keine Namen, du besoffener Idiot.“
„Bin nicht besoffen, nur nicht nüchtern. Hier ist es unheimlich.“ Der große Typ schwankt leicht, stolpert und macht noch einen Schritt ins Beet.
„Igitt Kevin, was klebt da an deinen Schuhen? Sieht aus wie Blut.“ Es knistert aus dem Lautsprecher, dennoch ist die Antwort gut verständlich.
„Keine Namen? Und red keinen Unsinn, bin ins Gemüsebeet gestolpert, … ist rutschig.“
„Rutschig? Du bist nicht sicher auf den F…“ Bevor Lilo den Satz beenden kann, reißt es ihr die Füße nach vorn, sie rudert mit den Armen, greift haltsuchend in die Stachelbeere und schlägt mit zerkratzten Händen auf den Plattenweg. Erbsen, grün und rund kullern zu allen Seiten davon. Sprachlos beobachtet sie die Erbsen auf dem Weg. Endlich springt sie entsetzt auf und krallt ihre Hände in die Jacke ihres Partners. „Was ist hier los?“ Er tastet sich zur Gartentür zurück.
„Warte! Du hattest behauptet, es lohnt sich.“ Ihre Stimme klingt zögerlich.
„Jo, bin mir sicher, die haben ne Menge altes Zeug, leicht gemachtes Geld.“
Lilo zieht ihre Jacke enger. „Stimmt, die Alte hat bestimmt Schmuck. Also los!“ Sie schiebt ihren Partner vor sich her, hält die Machete wieder in der Hand.

Aus einem der Obstbäume tönt ein heiseres Krächzen. Emma hebt einen Zeigefinger und lauscht auf das Geräusch. „Das ist Bang. Ich dachte schon, er verpasst das hier.“
Hans`kleines Lächeln erstirbt und er tippt mit den Fingern auf den Bildschirm. Die beiden kommen dem Haus immer näher, mit dem Umschalten auf die nächste Kamera werden auch die dazugehörigen Mikros aktiviert. Mittlerweile verschlucken die Windböen fast jedes Wort.
„… fesseln und knebeln …!“, hört sich nach Lilos Stimme an. Emma tastet nach der Hand ihres Mannes, drückt sie. Die beiden Alten beobachten mit zusammengekniffenen Augen, wie die Frau drohend die Machete in Richtung des Hauses schwingt. Ihr Partner ist zusammengesunken, wedelt hektisch vor seiner Nase herum, schwankt und öffnet nach Luft schnappend seinen Mund.
„Die Kohlrabies?“, fragt Hans.
Emma nickt. „Der Geruch war die letzten Tage schon sehr ... Es geht doch nichts über verfaulende Kohlgewächse. Echt böse.“ Dann verändert sich ihr Gesichtsausdruck, ängstlich starrt sie auf das Messer, die beiden Fremden im Garten. „Meinst du, die sind stark?“
Hans zieht seine Jacke enger, ein Finger reißt ein Loch in das morsche Gewebe des Stoffes.
Emma zeigt auf die Reste des Kohlrabiebeetes. „Wer wird noch helfen?“
Draußen drückt die Frau sich mühevoll unter den Arm des zusammengesunkenen Kerls, schiebt ihn weiter, drängt ihn von dem betäubenden Gestank der Kohlgewächse weg. Erschöpft sinkt sie ein paar Meter weiter auf ein Knie und würgt.
„Lass uns verschwinden, hier klappt nichts mehr“, sagt Kevin.
Lilo schüttelt den Kopf. „Nur noch ein kleines Stück bis zur Haustür. Das ist nur ein Gemüsegarten!“ Sie rappelt sich auf und tritt wütend ins Beet. Die Machete energisch schwingend, kämpft sie sich durch das Grün, köpft einen Kohlrabi, zerteilt eine Möhre und trampelt auf die Ringelblumen. Eine Ranke bricht durch die Bohnen. Die Dornen der Brombeere haken sich in ihre Hose und hinterlassen lange, blutige Kratzer auf ihrem Bein. Lilo stolpert, kreischt: „Lass mich los!“
Kevin robbt auf den Knien zu ihr. „Warte! Gleich!“ Die Erde neben dem Beet spritzt hoch, der Boden baut sich zu knöchelhohen Kegeln auf. Mit einem Aufschrei schlägt Kevin auf einen frisch aufsteigenden Haufen, stützt sich ab, als er versucht, auf die Füße zu kommen. Der Schrei bricht, Kevin schnappt nach Luft, brabbelt, starrt auf seine Hand. „Da, da …“ Kevin läuft Spucke aus dem Mund. Er starrt auf den zarten Blatthorst, der sich durch seinen Handteller bohrt. Die Augäpfel rollen nach hinten, der Kopf schlägt hart gegen einen Sellerie.
„Kevin!“ Lilo wirft sich herum, zerrt an den nachwachsenden Dornentrieben, die sich um Handgelenke und Körper winden, versucht ihren Hals zu schützen. Dann sieht sie Kevins Hand. Die Mittelhandknochen sind geborsten, eine kräftig orange Möhre ragt fünf Zentimeter heraus.
„Guck dir das an! Schau!“ Emma trippelt von einem Fuß auf den anderen.
„Bleib ruhig!“ Hans legt seiner Frau die Hand auf eine Schulter. So lebhaft war sie lange nicht, doch ihr Herz ist nicht mehr stark genug.

„Ich geh in den Keller und fange schon mal an.“ Hans heizt in der alten Waschküche den großen Kessel an, füllt mithilfe eines Eimers kaltes Wasser hinein.
Zögernd steigt er die Treppe wieder hinauf, sieht auf dem letzten Monitor, dass die beiden Möchtegerne zur Haustür kriechen.
„Sie hat die Machete benutzt. Die Möhren sind hin und der Kohl ist gespalten. Aber ein Stückchen Finger hat sie sich wohl auch abgehackt. Denk später dran, es mit einzusammeln.“
Hans wird blass, lenkt aber mit der Frage: „Was ist mit den Maden?“, ab.
„Da war nichts zu sehen, hat wohl noch nicht gereicht. Aber Klaus hat sein Versteck verlassen.“
Hans öffnet die Kellertür und bringt nun den Korb mit den sauber gespülten Flaschen hinunter. Leise klackern sie aneinander.
Als er zurück ist, sagt er: „Bang hat zweimal gekrächzt, auf der Straße ist alles ruhig.“
„Ja, ich glaube, die Extraration hat genützt, er hatte gestern so ein Glitzern in den Knopfaugen.“ Emmas Augen leuchten auch.

Draußen vor der Haustür hat die Brombeerranke Lilos Hals umschlungen, tief bohren sich die Dornen bei jedem Atemzug in die zarte Haut. Sie atmet nur flach, aber in hohem Tempo. Die Machete steckt in einem Rotkohl, leise ploppen Maden aus dem Spalt und nähern sich ihnen.
„Kevin?“ Heulend ruft sie ihren Partner, entdeckt ihn mit gespreizten Beinen halbsitzend am Wegesrand. Er hält die Hand, aus der die Möhre ragt, fest umklammert. „Ganz … einfach, ja? Nur Garten durchqueren.“
Ihr hysterisches Kichern erstirbt, als der Boden zu beben beginnt. Lilo dreht und windet sich, um zu erkennen, was die Ursache ist. Der Gesichtsausdruck ihres Partners lässt sie erstarren.
Fast ergeben sieht Kevin dem Gelben Zentner, einem Kürbis von sicherlich einem Meter Durchmesser, entgegen. Regen peitscht gegen Kevins Gesicht, ein lautes Krächzen schallt durch den Garten und der Kürbis rollt mit Schwung über Kevins Beine. Es knackt. Kevin schriller Schrei erstirbt, als die gelborange Frucht auf seinem Bauch zu liegen kommt.
Lilo beginnt zu wimmern, starrt auf die Schutz versprechende Haustür.
Emma schaut Hans tief in die Augen. „Machen wir weiter?“
Der presst die Lippen zusammen, nickt knapp.
„Viel ist ja für uns gar nicht mehr zu tun, wirst sehen.“ Emma reibt sich die Hände.

„Schön wär’s, wenn das auch vom Gemüse übernommen würde …“, murmelt Hans und geht tief ausatmend zur Haustür. An der Flurwand lehnen zwei Möbelroller. Ein paar Spanngummis und einen Schürhaken zieht er aus der oberen Schublade der Garderobe. Energisch drückt er gegen die klemmende Haustür, ein leichter Ruck und ihm schlägt Regen ins Gesicht. Hans macht schnell einen Schritt zurück, nimmt die Schiebermütze vom Schrank und tritt dann grummelnd aus dem Haus.
Das ungleiche Paar liegt reglos vor der Tür. Wasser spritzt auf, als Hans die Möbelroller abstellt. Er tätschelt seinen Lieblingskürbis und rollt ihn vorsichtig zurück ins Beet. Sanft schiebt er dabei die Blätter beiseite, legt die Ranke in ordentliche Schlaufen. „Wasser gibt es gratis.“
Auf dem Rückweg sammelt er schon mal die ersten zerhackten Kohlrabies in einen Eimer, später wird er sich um Erbsen und Möhren kümmern.
Mit schräg gelegtem Kopf steht Hans vor den beiden und überlegt, wie er sie in den Keller bekommt. Die zierliche Frau sollte kein Problem sein, doch der Kerl ist eine Herausforderung. Vielleicht bekommt er ihn sitzend auf den Möbelroller, die Beine mit Spanngummis sichern und mit einem Querstrick zu den Ellenbogen …? Im Notfall müsste er hier draußen schon die Säge ansetzen. Hans schüttelt sich. Fürs Erste setzt er die Frau auf den Roller und schiebt sie vorsichtig in den Kellereingang.
Hans tippt sich an die Stirn. Er hat das Gemüse vergessen, da hätte Emma schon mit dem Sud anfangen können. Und das Fingerstück fehlt ihm auch noch.
Trotzdem bugsiert Hans erst geduldig den Möbelroller unter den dicken Kerl. Es stellt sich schnell heraus, dass der Schwerpunkt eher der Bauch ist, daher bindet er die Arme darunter zusammen und nimmt die nun hochstehenden Beine als Deichsel. Ja, so geht es ganz gut, die Stufen sind extra für die Räder der Roller abgerundet. Im Keller angekommen, muss Hans verschnaufen, setzt sich allerdings so, dass er auf das Marmeladenregal und nicht den dampfenden Kessel schaut.
„Ist noch mehr Gemüse da?“, fragt Emma. Sie wuselt um die Frau herum und Hans sieht aus dem Augenwinkel einen Berg aus Kleidungsstücken wachsen. Mit einem Klappern schiebt ihm seine Frau die Autoschlüssel zu. „Wenn du alles an Grünzeug hier hast, kümmere dich bitte um das Auto. Und den Inhalt.“

Aufatmend nickt Hans, den Teil mag er. Es ist aufregend, was sich wohl im Fahrzeug der Einbrecher finden lässt. Vielleicht könnten Emma und er demnächst Monteure oder potenziellen Hauskäufer anlocken? Doch vorher schleppt er für Emma noch einen Eimer mit verwertbarem Gemüse runter. Von dem Fingerstück ist nichts zu sehen, wahrscheinlich hat sie sich das eingebildet. Die Möhre, Erbsen und die ausgebluteten Roten Beete machen den Eimer viel zu schwer, aber er möchte lieber nur noch einmal nach unten.
Damit das Fahrzeug nicht verräterisch auf der Straße steht, hat Hans sich einen gut strukturierten Plan erarbeitet. Er fährt zügig unter Einhaltung aller Verkehrsregeln in die große Waschanlage. Kurz zögernd, tastet er seine Hosentaschen ab. Ja, der Störsender für die Kameras ist dabei und aktiv. In den gut abgeschirmten Boxen ist man eigentlich immer allein, da fällt es nicht auf, wenn er entweder vorhandene Beschriftungen mit einer Folie überklebt oder, so wie diesmal, dem weißen Kastenwagen einen roten Streifen verpasst. Mit zur Seite gelegtem Kopf mustert er sein Werk – ja, der Transporter sieht nun anders aus. Jetzt noch die Nummernschilder wechseln und der Wagen ist für Juri bereit. Wahrscheinlich geht er noch heute Nacht über die Grenze.
Endlich kommt Hans dazu, sich im Inneren in Ruhe umzuschauen. Er lächelt. Die Fahrt zu Juri, dem Fahrzeughändler, muss wohl noch etwas warten. So wie es aussieht, war das Diebespaar heute recht fleißig. Da sind mehrere Computer, ein Riesenfernseher und zwei Kartons voll Schmuck.
Hans greift nach seinem Telefon und sucht in den Kontakten: „Paul, kann ich in deiner Garage parken? Nur zum Ausladen? … Ja, ist einiges! Technik und Glitter! … Okay, bis gleich.“ Grinsend steigt Hans ein und fährt die halbe Stunde zu seinem Großhändler. Er hat gleich beim ersten Mal festgestellt, dass er nicht alles einzeln verkaufen will. Lieber gleich das Geld in die Hand und die heiße Ware hat man aus dem Haus. Auch wenn Emma sagt, anders wäre mehr herauszuholen, Hans mag diese Version lieber. Außerdem hat Paul immer einen guten Whisky im Schapp, der ist gut für die Nerven.

Für den Rückweg nimmt Hans die Straßenbahn, es ist gemütlich in dem ruckelnden Zug, heute zusätzlich warm und trocken. Das Beste aber ist, dass die Rückfahrt wirklich lange dauert.
Mit Glück bleibt für ihn nur noch die Gießaktion.
Emma stellt eine der Flaschen beiseite, lächelt ihm unschuldig zu. Sie rührt schwungvoll im Sudtopf, der Fußboden ist bereits abgespült. Nur noch schmale, rote Bänder ziehen sich zum Abfluss.
„Alles gut?“ Hans versucht zu ergründen, was noch zu tun ist. Der Türgriff ist backsig.
„Ich musste ihr die Zunge rausschneiden, sie war einfach zu laut.“
Hans läuft eine Gänsehaut über den Rücken. „Dann kann sie aber wieder raus, kann ja nichts mehr erzählen.“
„Selbst wenn, ich glaub nicht, dass die noch alle Gedanken beisammen hat.“ Emma stößt ein krächzendes Lachen aus.
„Und er?“
„Hab ein paar Kleinigkeiten in die Suppe getan: Finger, einen Zeh … ich überlege, ob sein bestes Stück nicht den Gemüsebestand erhöhen könnte, so vom Vermehrungsgedanken her.“ Wie immer, wenn sie aufgeregt ist, hat sie rote Flecken im Gesicht.
Hans verzieht schmerzhaft das Gesicht, kneift die Beine zusammen. „Lass lieber mal sehen, was die Zunge bringt. Ich finde, sie werden allmählich recht blutrünstig.“
„Wäre aber toll, wenn das Gemüse demnächst reden könnte. Oder der Weberknecht?“ Emma schwingt das große Messer. „Meine Idee mit dem Auge beim letzten Mal war doch gut, die sind heute sehr zielgenau vorgegangen.“
Hans dreht sich um, will möglichst schnell raus aus dem Keller. Irgendwo muss er in Blut gefasst haben.
„Und? Bei dir?“ Mit glitzernden Augen schaut sie auf die Geldscheine, die Hans auf den Tisch zählt. Aber noch gieriger starrt sie auf das Blut an seinen Händen. Hat seine Frau etwa selbst einen Schluck aus dem Kessel getrunken?
Emma lässt den fertigen Sud in die bereitgestellten Gießkannen laufen. „Hier, du übernimmst den Garten, ich fülle den Flaschenvorrat ab. Die beiden Idioten sind so weit zusammengeflickt, die setzen wir heute Nacht aus.“
Hans greift eifrig nach den Kannen. Bloß raus aus dem Keller und weg von dem irren Glanz in Emmas Augen.

Das Gemüse kauert in den Beeten und wartet auf seine Ration. Der Kürbis kullert ihm ein klein wenig entgegen, die Möhren lassen ihr Laub um seine Beine kuscheln. Bang, der Rabe schwebt herab und setzt sich auf seine Schulter.
„Ja, du kriegst auch einen Schluck, bisher sehe ich keine negativen Auswirkungen.“ Der Vogel schaut ihn mit wissendem Blick an, stößt ein krächzendes Lachen aus. Eines, was Hans stark an Emma erinnert. Nun läuft ihm doch eine Gänsehaut über den Rücken.
Vor der Kellertreppe sitzt Klaus, der Weberknecht. Hans will ihm gerade einen Schluck Trank auf einem Blatt servieren, da weicht er zurück. Klaus rollt zwischen seinen acht Beinen etwas Blutverschmiertes hin und her, mit einem verzückten Grinsen.

 

Moin, moin @Seth Gecko, und vielen Dank für den auch jetzt noch hilfreichen Kommentar.

vielen Dank für Deine grüne Gruselgeschichte, da ich erst seit gestern wieder im Lande bin, komme ich erst heute zu einem Kommentar
Mir fehlt eh noch die Zeit für eine ordentliche Überarbeitung. Und gleichzeitig bleibt mir beim jetzigen Zeitpunkt das Erkanntwerden unter der Maske erspart - war schon ein bisschen frustrierend, nur des grünen Inhaltes wegen sofort benannt zu werden.

Auch wenn Du für meinen Geschmack am Ende die "Ranke noch straffer hättest ziehen können", um (bei mir) wirklichen Horror zu erzeugen, aber das ist wohl einfach Empfindungssache.
Es war mein erster Ausflug ins Horror-Genre, ich bin also ziemlich ahnungslos und vor allem grusel ich mich schon bei den kleinsten Schockern. Aber ausprobieren wollte ich es gerne mal.

Hier hätte mir ein wenig mehr an Beschreibung der Villa von außen geholfen, schneller "in the mood" zu finden, das kann aber auch nur daran liegen, dass ich Beschreibungen gerne lese
Gute Idee, ich wollte mich halt nicht wieder verzetteln, aber da würden ein, zwei Sätze ja schon helfen.
Fehlende Verortung ist oft ein Fehler bei mir.

Er schmunzelt leise vor sich hin und zieht seinen Turm.
Schmunzeln ist doch generell lautlos, oder? MMn könntest Du das "leise vor sich hin" streichen.
„Der ist vergangene Woche schon vorbeigeschlichen, lass uns aufpassen.“ Hans lässt den Bildschirm nicht aus den Augen.
Ein weiterer Streichkandidat imA. Die beiden sind ab diesem Moment so sehr auf die Bildschirme fixiert, da braucht es diese drei Wörter nicht.
Ja, da geht noch was. Ich hoffe, demnächst mal Ziet zu finden.

Welcher Rauch? Doch wohl nicht von Hans´Pfeife?
Erwischt! Genau das war mein Gedanke, da war ich Betriebsblind.

Ab einem gewissen Punkt haben mich die Perspektivwechsel ein wenig straucheln lassen. Ich lerne gerade erst noch, was es mit auktorialer, persönlicher und neutraler Perspektive auf sich hat, daher bin ich mir nicht sicher, ob ich das hier richtig erfasst habe.
Na, Ich glaube bei Dir ist alles in Ordnung, ich bin eine elende Perspektivspringerin. Hier soll es eigentlich so sein, dass ein auktorialer Erzähler von außen beobachtet - schwebend über dem Ganzen, hatte ich mir gedacht. Ich versuche noch etwas aufzuräumen.

Wir als Leser:innen sehen und hören also nur, was die Senioren sehen und hören? Wenn dem so ist, dann finde das mit dem Ton gelungen, bei der Sicht stoße ich mich jedoch an Details, die Nachts bei stärkerem Regen und (wenn überhaupt) semiprofessionellem Equipment für die Augen Deiner beiden Rentner zu erkennen wären.
Es verdunkelt sich nur durch das Gewitter, nicht noch zusätzlich Nacht. Und Hans ist ein guter Bastler, das ist schon sehr professionell, versuche da bloss nicht einzusteigen :Pfeif:

Ich glaube allerdings, dass eine Art Perspektivwechsel stattfindet, den ich aufgrund mangelnder Erfahrung nicht erkenne;
Liegt wirklich an mir, das einzige, was ich allmählich beherrsche ist die ich-Perspektive.

Da hättest Du für meinen Geschmack von der Mitte bis zum Ende ruhig noch auf- und die Alten, sowie ihren blutrünstigen Horrorgarten so richtig durchdrehen lassen.
Ich fürchte, da musst Du Dich an die erfahreneren Horrorschreiber halten, ich fand das so schon ziemlich heftig.
Ich freue mich aber wirklich, das Du es trotz der technischen Unzulänglichkeiten gerne gelesen hast. Ich hatte auch meinen Spaß und kann den Maskenball sehr empfehlen. Man hat nicht diesen Rechtfertigungsdruck, viel entspannter, wenn man mal was neues ausprobiert. Für mich war das Horror, für alle anderen halt nur leichter Grusel - passt schon.

Viele Grüße
witch

 

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