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Die Jazz-Polizei

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04.03.2004
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Die Jazz-Polizei

Wer auf altem Gemäuer als unabdingbare Vorraussetzung für authentisches Existentialisten-Ambiente in einem Jazzclub besteht, der ist im zweiten Tiefgeschoß des Hofbräukellers in München-Haidhausen zumindest hardwaremäßig schon mal an der richtigen Adresse.

Der Club besteht aus zwei alten, parallel laufenden Tonnengewölben, die mit zwei Durchgängen verbunden sind. Weiß gekalkte Klinkerwände, Holzböden, Wirtshaus-Bestuhlung mit runden Tischen, Deckenstrahler, eine mittelgroße Bühne mit fest installiertem Audiosystem und ein schmerbäuchiger, abgebrühter bayerischer Geschäftsführer und Zapfhahn-Kommandeur, der von Musik ungefähr genauso viel versteht wie ich von der Arbeit eines Software-Ingenieurs. Dass wir als Soul- und Blues-Band eigentlich keine Jazzcombo sind, ist dem Herrn entweder entgangen oder neuerdings egal. Vielleicht hat Schweinchen Dick ja beim letzten Kassensturz festgestellt, dass Jazz alleine sein Kraut nicht mehr fett genug macht.
Wenn eine Band wie unsere obendrein den traditionell besonders publikumsträchtigen Samstagabend bekommt, lässt das jedenfalls tief blicken. (Ganz im Vertrauen - wer will sich schon ernstlich zweimal im Monat entweder die Gary-Hayes-Swingband oder das Harald-Rüschenbaum-Sextett `reinziehen, von der Charly-Antolini-Bigband ganz zu schweigen? Na also.)

Vielleicht ist Dickie ja auch gar nicht so verpennt und hässlich, wie er im schummrigen Kellerlicht hinter seinem Tresen meistens aussieht. Schweinchen heißt im richtigen Leben übrigens tatsächlich Richard mit Vornamen. Die Mehrzahl der Haidhauser Kulturkampftrinker kennt ihn allerdings eher aus dem Biergarten hinter dem Bräuhaus, wo er im Sommer auch schon tagsüber den Zapfhahn bedient. Ich kann mit dem Kerl zwar nicht besonders gut, aber ich bin grundsätzlich ein freundlicher und versöhnlicher Charakter.
„Hei, servus Richard, wia gäht’s `n oiwei so?“
„Grüaß di nachad. Es gäht scho, jedenfois is gestern no ganga, hähä!“
Es gelingt mir nicht mehr, über diesen Steinzeit-Schmäh wenigstens andeutungsweise höflich zu lächeln.
Vorne quillt Richards fetter Wanst über den Bund der speckigen, schwarzen Kellnerhose und hinten hängt – wie ein optischer Gewichtsausgleich – ein verknitterter Zipfel seines ursprünglich einmal weißen Hemdes heraus.
„Mir machan fei erst um achte auf, des woaßt scho, oda?“
Er schaut mich so tadelnd an wie ein staatsbediensteter Hausmeister.
„I woas scho, Richard, aber mia schpuin doch heit omds da herunt, hast des vagess’n, oda?“
„Wer schpuit heit da heruntn“, fragt er misstrauisch und steckt sich eine von diesen dünnen Weiber-Zigaretten in’s schwitzende Gesicht.
„Na mir halt, William Powell and friends! Die Soulband!“
„Ah so, ihr seids des. Jetz hob I gmoand, es seids lauta Näga, woast.“
Ich fühle mich gedrängt, dem Wirt gegenüber etwas klarzustellen.
„Naa, naa, da liegst ganz foisch. Die oanzigen zwoa echten Näga in dera Bänd san mei Bruada und I, woaßt. Mir san die Rhythmusabteilung!“
Richard grinst mich unsicher an und poliert heftig die verchromte Schankarmatur.
„Und – was schpuist’n du?“
„I bin da Bassist und mei Bruada, da Bäda, der is da Schlogzeiger.“
„Aha. Magst was dringa?“
„Ja freili, gib ma a Weißbier.“
„Is scho recht, Moaster, kimmt sofort.“
Über Bier lässt sich mit Richard immer am einfachsten reden.

Noch mal zwei Worte zum Jazzclub.
Es ist immer ein cooler Gig im Hofbräukeller, weil ich diesem Etablissement genau gegenüber wohne. Ich muss also meinen Bassverstärker nur aus dem Keller holen, mit einer Sackkarre über die Strasse schleifen, drüben wieder in den Keller schaffen und schon steht die halbe Backline auf der Bühne. Der Vorteil besteht vor allem darin, dass dem Lenker einer Sackkarre niemals der Führerschein entzogen werden kann, wenn er nach etlichen Rüscherl-Spenden und diversen Freibieren spätnachts in Schlangenlinien nach Hause fährt.
Allerdings beschert ein Auftritt im Hofbräukeller zum Ausgleich ein Problem ganz anderer Art. Ich kenne keine Kneipe und keinen Saal, der eine so abartige, unberechenbare Raum-Akustik besitzt wie dieser Jazzclub.
Ich begebe mich zum Beispiel vor dem Auftritt auf die Bühne, stelle die Klangfilter an meinem Verstärker linear und zupfe bei moderater Lautstärke ein paar Läufe und Noten auf der Bassgitarre – und zwar gerade mal so laut, dass ich mich selber gut hören kann – und garantiert schreit Dickie vom hintersten Ende des Clubs: „Spinnst du? Drah’ des Ding leiser, guater Mo, des hoit ja koa Sau net aus!“
Oder der Bass klingt satt und trotzdem angenehm trocken auf der Bühne, ich freu mich drüber und auf einmal kommt Williams Stimme von der Bar: „Hey, Hääns. Sounds fuckin‘ muddy, better cut off de lows, man.“
Eine halbe Stunde später, wenn dann die Band amtlich zu grooven beginnt, dreht er sich zu mir um und singt mich mit leicht abgewandeltem Text an: „Turn that fuckin‘ bass up loud, boy, play that funky music lou-houd...“
Also drehe ich den Brüllwürfel ordentlich auf und sehe reihenweise gequältes Stirnrunzeln in den hintersten Reihen des Publikums oder Leute, die sich plötzlich verzweifelt in Zeichen- und Gebärdensprache weiter zu unterhalten versuchen.
Und dann das andere akustische Phänomen, nicht minder verblüffend. Zum Beispiel: Die Band rollt, stampft und groovt volle Kanne, die Bläser setzen fette Riffs und Hooklines, ich dreh‘ mich zur gewölbten Rückwand der Bühne, um Augenkontakt mit meinem Bruder Peter wegen der anstehenden Breaks aufzunehmen, und plötzlich denk ich, jemand steht direkt neben mir und quatscht mir in’s Ohr. Laut und klar und ohne störende Nebengeräusche; eine Tonqualität, von der diverse Lauschbehörden und Schnüffeldienste nur träumen können. Auf der Suche nach den dazugehörigen, synchronen Lippenbewegungen stößt das schweifende Auge meist auf Clubgäste, die auf der gegenüberliegenden Seite ganz am Ende des Gewölbes nahe der Wand sitzen oder stehen. Es ist ein wenig gewöhnungsbedürftig; man spielt gerade „Georgia on my mind“, William fistelt und moduliert in höchsten Gospellagen und plötzlich sagt eine weibliche Stimme direkt auf meiner rechten Schulter: „Ich steh‘ ja nich‘ so auf diese Bimbo-Schnulzen, aber ich steh‘ schwer auf große, dicke Negerschwänze, weißt du.“
Wie soll man da musikalisch bei der Stange bleiben, wenn man plötzlich erkennt, dass der beliebte, weil beruhigende sexualpädagogische Hinweis auf die zu vernachlässigende Größe männlicher Fortpflanzungsorgane nichts als eine hinterfotzige Lüge scheinheiliger Weiber ist? Ganz abgesehen davon, dass es auch jede Menge Neger mit kleinen Pimmeln gibt und weiße Nigger mit Mörderschwänzen. Und schon hat man auf Grund dieser völlig unangebrachten Überlegungen den Wechsel zum Chorus oder zur Bridge verpennt und der Rest der Band guckt dich strafend oder hämisch grinsend an. Peinlich, Mann.
Jedenfalls, Dick liefert brav sein Weißbier ab und ich baue meine Bassanlage auf der Bühne auf und probiere ein wenig Jako-Pastorius-mäßig auf meinem Tieftonholz herum, bis Brother Pete mit seinem Schlagzeug und dem guten alten Massa William im Schlepptau aus dem Lastenaufzug kommt. Bill sieht irgendwie ein bisschen scheiße aus, Peter so wie immer, wie das blühende Leben also.
„Hallo, Mister Bassman,“ grinst er mich an, „sorry, dass wir so spät kommen, aber Paul lag noch im Bett, als ich ihn abholen wollte. Du kennst das ja, bis der seine sieben Sachen auf der Reihe hat, das dauert. Der Typ macht mich jedes mal halb wahnsinnig und er ist die Seelenruhe in Person.“
„Hi Hääns, good to see you, man,“ grinst William, knallt seinen Gitarrenkoffer und seinen Verstärker auf die Bühne und schlurft in Richtung Bar davon.
„I need some fat, man,“ erklärt er dem überraschten Richard, „I got shugar, you know! Has du eine Glass Milk for mich?“
„A Muich möchst? Ist des dei Ernst?“
Schweinchen ist fassungslos ob der Tatsache, dass ein Mensch, der obendrein halb Neger und halb Indianer ist, an seinem bayerischen Schanktisch allen Ernstes ein Glas Kuhmilch verlangt.
„Yeah, Milk. I got sugar, you know.“
Dickie guckt Peter hilfesuchend an.
„Was wui der, an Zucka in sei Milli?“
„Quatsch, er braucht ein Glas Milch wegen dem Fettgehalt. William ist Diabetiker, weißt du.“
„Schlechte Nachrichten, Bruderherz,“ meint Peter dann an mich gewandt, „wir müssen heute leider als Trio ohne Bläsersatz spielen, die Jungs haben mir alle einen Korb gegeben, weil sie schon für irgendwelche anderen Gigs gebucht sind. Kam ein bisschen kurzfristig, der Job hier.“
„Macht nix,“ sage ich in meinem adoleszenten Leichtsinn, „dann stimmt wenigstens die Gage, wenn wir nur durch drei teilen müssen.“
„Listen, Hääns, can you please tune my guitar? I put new strings on, man.“
Ich soll Willies Gitarre stimmen, soso.
Schon wieder bin ich der Roadie, so wie meistens halt. Aber es hat sich durch leidvolle Erfahrung gezeigt, dass es für den Sound der Band nicht gerade dienlich ist, wenn Bill seine Klampfe selber stimmt. Es kann dann schon mal vorkommen, dass er mit einer „Axt“ antritt, die einen Halbton tiefer gestimmt ist als normal. Da kommt dann schnell Frust und Unmut auf in der Band. Wenn wir dann, so wie heute, auch noch zum Trio reduziert auf die Bühne klettern, wäre so etwas mehr als fatal, weil Willie dann das einzige Instrument spielt, das – im Gegensatz zu meinem Bass – vollständige Akkorde produzieren muss.
Meister Powell besitzt eine tolle `68er Gibson „Les-Paul-Standart“ in Sunburst, eine Gitarre, die er auch meistens live spielt, ein echtes Schätzchen. Zu meiner Enttäuschung hat er heute ein anderes Tonholz dabei, das ich nicht ausstehen kann. Eine knallrote Gibson-Flying-V, die für mein Empfinden eher zu AC/DC oder Johnny Winter passt als zu William und seiner Soulmusic. Außerdem hält die Klampfe die Stimmung nicht besonders gut wegen dem etwas windig konstruierten Vibrator-System, in welches zugleich die Saitenhalterung integriert ist.
Um dem mechanisch entgegen zu wirken, besitzt dieses Instrument unterhalb der Stimmwirbel am oberen Ende des Halses eine Klemme, die mit Hilfe eines Spezial-Steckschlüssels angezogen wird und die alle Saiten gleichzeitig wie in einem Schraubstock fixiert.
Ganz tolle Sache, solange besagter Spezial-Imbus zur Hand ist, falls die Gitarre nachgestimmt werden muss. Ein Hinweis am Rande für den gitarrentechnisch unbeleckten Laien: Wenn man auf eine Klampfe einen Satz neue Saiten aufzieht, dann dauert es eine kleine Weile, bis sich diese ein wenig gesetzt bzw. gedehnt haben. In dieser Zeit ist gelegentliches Nachstimmen erforderlich, erst danach hält das Instrument (meistens) über längere Zeit seine korrekte Stimmung. Was soll ich noch weiter erklären, der Leser ahnt es bereits: William hat sein Tonholz neu besaitet, leidlich durchgestimmt und dann die Saitenklemme ordentlich fest angezogen, so wie sich das gehört. Das Dumme war nur, dass er den Spezialschlüssel zuhause gelassen hat. Ich habe somit nicht die geringste Chance, die Gitarre vor dem ersten Set noch einmal richtig durchzustimmen. Die A-Saite schwingt mittlerweile bei etwa 430 Herz. 440 wäre amtlich.
So eine verdammte Scheiße, nur gut dass wir ohne Bläser antreten, die Jungs würden jetzt Probleme bekommen mit der Intonation.
Der Laden hat sich mittlerweile schon zu gut Zweidritteln mit zahlenden Gästen gefüllt und es wird langsam Zeit, dass wir unsere Ärsche auf die Bühne bewegen. Wie der Signalgast auf der Brücke eines Schiffes gibt uns Dickie schon längst eindeutige Handzeichen von seinem Tresen aus. Was bleibt mir also zu tun in meiner beginnenden Verzweiflung? Genau, in diesem Falle muss eindeutig der Berg zum Propheten kommen! Das heißt, ich schnappe mir meine Bassgitarre und stimme das Teil mit ein paar flotten Handgriffen prophylaktisch einen Viertelton tiefer. Schlau, was?
Na ja, zumindest für die ersten zwei Titel reicht’s grade mal so, Bass und Gitarre sind einigermaßen im Gleichklang. Beim dritten Song, >Dock of the bay<, schlafft an Willie’s Klampfe die hohe E-Saite ab, und zwar dramatisch; nach wenigen Minuten die G-Saite, ebenfalls dramatisch. In der Summe klingen Bill’s Akkorde dadurch aber mehr als dramatisch, nämlich entweder grundfalsch oder so ultraschräg wie Meister Stockhausen at his best. Es hat keinen Sinn mehr, den Bass immer wieder nachzutrimmen, wenn die Gitarre in sich nicht mehr gestimmt ist.
Die Frage stellt sich unausweichlich und ganz von alleine, nämlich: Wie versinke ich als auffälliges Mitglied und tragende Säule eines Trios möglichst unauffällig in jenen Brettern, die angeblich die Welt bedeuten sollen? Hätte ich mir bloß nicht auch noch diese Blöde Rastafari-Ballon-Mütze über die Ohren gezogen, Mann! Hoffentlich hält mich da unten keiner für einen weißen Nigger oder gar den Bandleader. Ohne diese Haube würde mein schweißüberströmtes, angelsächsisch-weißes Gesicht viel eindeutiger signalisieren: Leute, Seht her, ich kann nichts dafür, dass Neger so doof sind! I’m only in it for the beer, you know. Ich bin hier nur der gemietete Basser und versuche, meinen Job trotz der farbigen Schlamperei hier so gut wie eben möglich zu erledigen!
Das mit dem Versinken in der Bühne klappt nicht, aber ich schaffe es, mir beim nächsten Break die Mütze von der Birne zu reißen und wütend auf den Boden zu feuern.
Spätestens jetzt müsste dem letzen Idioten im Publikum klar sein, dass der Bassist ein unschuldiges Opfer widriger Umstände ist. Ein deutscher Musiker würde niemals vergessen, seinen verdammten Stimmschlüssel zur Arbeit mitzubringen! Jawoll.

Dass dieser peinliche Auftritt und die damit einher gehende Scham noch steigerungsfähig ist, habe ich allerdings nicht erwartet. Peinlichkeit ist ja immer nur eine Frage der Umstände. Umstände können sich dramatisch und blitzschnell verändern. Was geschehen muss, das geschieht auch. In Abwandlung: Wenn die Chance besteht, dass etwas Blödes obendrein passieren kann, dann passiert es meistens auch. Murphy’s Law.
Selbst Peter, der bis jetzt noch tapfer und hochprofessionell hinter seinen Eimern, Kesseln und Becken hervor die Leute im Publikum angegrinst hat, stößt plötzlich an das Limit seiner mimischen Möglichkeiten, als er zufällig zum Eingang hinüber blickt.
Genauso muss es ausgesehen haben, wenn im Chicago des beginnenden 20. Jahrhunderts der Gangsterboss Meyer-Lanski mit seinen Gorillas einen Club betreten hat. Ein kleiner, verknitterter alter Mann mit Strohhut in Begleitung zahlreicher gewichtiger, ebenfalls älterer Herren mit Hüten betritt den Jazzkeller und bleibt prüfend am Eingang stehen. Seine flinken Schweinsäuglein huschen abschätzend über das Publikum, vorzugsweise die anwesende Damenwelt. Die Band würdigt er keines einzigen Blickes, und erst als der Boss sich schließlich bewegt und deutlich schwankenden Schrittes auf einen großen, reservierten Tisch im Hintergrund zusteuert, kommt auch wieder Leben in seine Entourage aus Schlips und Anzug-Trägern. Weiße Anzüge, wohlgemerkt. So als hätten die Kerle den Laden mal kurz mit dem Tropicana in Havanna verwechselt. Spätestens bei der Inanspruchnahme von Dickies Barmixer-Künsten werden die Herren den Irrtum schnell bemerken.
Wenn sie die Band erst hören, zweifellos auch.
Hey, warte mal, den kleinen Alten kenne ich doch von irgendwoher, dieses verknitterte, spitzbübische Gnomengesicht habe ich doch schon mal gesehen.
Ach du Scheiße, aber natürlich! Er isses tatsächlich.
Das König der Pilsner...(verflucht, dieses Scheiß-Werbetexter-Deutsch) ..Äh.. ich meine, das König dem deutschen Swing-Pianos, Paulchen Kuhn himself, welch Glanz in dieser elenden Bier-Katakombe! Und mit ihm, man traut den Augen kaum, alles, was in der Münchner Jazzer-Szene Rang und Namen hat oder hatte oder zumindest grauhaarig und über Sechzig ist. Gerry Hayes, Charlie Antolini und wie sie alle heißen, oh Graus, oh Graus, die ganze verdammte Münchner Jazzpolizei auf Clubrazzia!
Das ist einfach zu viel. Selbst Pete ist etwas blass geworden; er hat die Mitglieder des Pelotons zweifelsfrei identifiziert.
William hat die alten Swinger natürlich auch erkannt, aber einem amerikanischen Neger ist die Münchner Jazzpolizei grundsätzlich wurscht und dem nordamerikanischen Indianer geht sie sowieso komplett an Arsch vorbei. Diesen beiden Seelen in William’s Brust scheint überhaupt so ziemlich alles scheißegal zu sein, vor allem, ob eine Gitarre schauerlich verstimmt ist oder nicht. „Close enough for Folksingers, man! Right on, let’s get down.“
Hilfe, mein Rechtfertigungsdrang wird plötzlich übermächtig. Ich glaub‘ ich muss an’s Mikro gehen, den Leuten unser technisches Problem erklären und um Verständnis für eine kurze Pause bitten, in der ich schnell über die Strasse laufen und meine E-Gitarre holen könnte..
Aber bevor ich das Maul aufmachen kann, zählt Willie schon den nächsten Titel ein. „One,two – one, two, three, four, BAAAM,tatata“ – das Intro zu >Sweet-Soul-Musik<, statt von den Bläsern etwas dünn nur von der Gitarre vorgetragen. Das kann ja sweet werden, denke ich noch, dann beginnt der harmonische Blindflug auf’s Neue.
Zum ersten mal gucken plötzlich alle Altmeister gleichzeitig wie auf Kommando zur Bühne, und zwar mit völlig entgeisterten oder erstaunten Gesichtern.
Gell, Jungs, sowas hättet ihr nicht erwartet, stimmts? Schon mal was von deftiger und absolut authentischer Soul-Trash-Punk-Music gehört, ihr Penner?
An ihren fassungslosen Gesichtern kann ich erkennen, dass sie uns für musizierende Außerirdische oder Ufo’s halten, die soeben lärmend auf der Bühne gelandet sind.
Was is los Jungs, noch nie den weisen alten Keith-Richard-Spruch gehört,>the smoker you drink, the player you get<, oder?
(Vielleicht erhält unsere schwerstens gefährdete musikalische Reputation mildernde Umstände durch das Vortäuschen fortgeschrittener Trunkenheit auf der Bühne? Sowas dürfte den alten Herren doch noch einigermaßen geläufig sein, von früher her meine ich natürlich.)
Aber das Peloton ist gnadenlos. Die Herren trinken nicht einmal ihre Biere aus, sondern erheben sich hastig mit gequältem Gesichtsausdruck und fliehen in geschlossener Formation zum Ausgang.
Erst denke ich, wie nobel von den Herrschaften, dass sie wenigstens ihr Eintrittsgeld nicht zurück verlangen. Später in der Pause, als ich dann endlich loszischen kann, um die Ersatzgitarre zu holen, erzählt mir die Kassiererin am Eingang, dass die alten Schweinebacken sowieso keinen Pfennig abgedrückt haben.
Ja da schau her, die feinen Herrschaften! Schweinchen Dick, der alte Bauchkriecher, hat die Altherrenriege katzbuckelnd für lau reingelassen, ohne uns zu fragen. Das Eintrittsgeld ist aber unsere Abendgage.
Auf ein Wort, Meister Richard!!
Seltsamerweise hat sich’s das übrige Publikum bis dahin nicht verdrießen lassen, denn keiner der Gäste hat das Lokal verlassen, obwohl die Band während der ersten halben Stunde mehr als scheiße geklungen hat. Es geht halt nichts über eine eingeschworene Fangemeinde, die durch nichts zu erschüttern ist. William könnte eiskalt einfach nur Luftgitarre spielen; solange er dazu singt und auf seine unnachahmliche Weise den Soulman und Gospelking gibt, ist es den Leuten völlig schnurz.
Etwas später als geplant sind wir wieder einsatzbereit für den zweiten Set. Alle Instrumente ordentlich gestimmt, alles paletti und endlich kann William den Mond über Louisiana so richtig aufgehen lassen und von traurigen und regnerischen Nächten in Georgia singen.
Und dann plötzlich erneut heftiges und lautstarkes Getümmel und Gedränge bei der Kasse am Eingang.
Ein Pulk von etwa sechzehn Leuten drängt in den Club. Als ich Williams Gesicht sehe, der hoch erfreut von einem Ohr zum anderen grinst, weiss ich, dass heute abend nicht nur die Sonne wieder aufgehen wird über Georgia, sondern dass in spätestens zehn Minuten hier der große Bär steppen wird, und zwar heftig.
„Hey, Powell, good ta see you, brother ,“ brüllt der Anführer der spektakulären Truppe quer durch den Saal, ein stattliches und gut aussehendes Muster-Exemplar eines bayerisch-amerikanischen Negers, gezeugt in den amourösen Wirrungen der frühen Nachkriegszeit. Weißes Elvis-Hemd, schwarze Lederjeans und über den ganzen Kerl verteilt mindestens fünf schwere Goldketten, am Handgelenk eine Rolex so groß wie ein Bigmäc, im Ohr einen blitzenden Mehrfach-Karäter und im Mund ein kalifornisch aussehendes Gebiss vom Wert eines Kleinwagens. Hinter ihm mindestens sechs oder sieben ähnlich gestylte Luden mit ihren langjährigen Mitarbeiterinnen. Die Mädels tragen waffenscheinpflichtige Stiletto’s und freizügigste Garderobe unter teurem Nerz und Silberfuchs, locker über die Schultern gehängt.
„William, was ist denn das für ein abgefahrener Haufen? “
„Yeah man, old friends of mine with their chicks from Augsburg. Listen, Hääns, now we gonna have a ball, man!“
Die halbe Luden- und Nutten-Prominenz von Augsburg kam da soeben eingeritten, Mann!
Alles klar, oder?
Schade, dass ich jetzt keinen Blick auf den Parkplatz vor dem Haus werfen kann. Ich wette, da stehen jetzt ein paar fette Carreras und tiefergelegte Camaros herum.
Selbst Dickie hat sofort geschnallt, wo jetzt für den Rest des Abends der Hammer hängen wird, denn er verschwindet kurz im Abstellraum hinter der Bar und kommt strahlend mit einigen Flaschen Chivas Regal, Napoleon Brandy, Vodka und `ner Menge Schampus zurück.
Die Nutten gucken derweil in ihre Taschenspiegel und wischen sich verstohlen die weißen Pulverspuren von den Nasenspitzen. Die Macker packen ihre Iridium-Handies nebst Cohibas und Partachos auf den Tisch und lassen ihre Goldketten aus der offenen Hemdbrust baumeln.
Heute abend wird sich zumindest eines der Mädels, die hier unten meist für ein Butterbrot bedienen, wenigstens über die Höhe ihres Trinkgeldes keine Sorgen machen müssen, da bin ich mir sicher.
Und zum ersten mal seit langer Zeit fahre ich spät nachts mal wieder in fröhlichen Schlangenlinien nach Hause. Mit meiner Sackkarre natürlich.
Morgen werde ich einen Schädel haben so groß wie eine Telefonzelle, das ist schon mal sonnenklar, Leute.
Scheiße, ich glaub mir wird jetzt schlecht......

 

Hallo Cantalupo,

gut erzählt, das kannst du halt. Stellenweise amüsant und witzig, die Kombination Schwarze-Jazz-Bayern hatte schon was ;) Die musikalischen Details wirken fundiert - ohne dass ich das wirklich beurteilen kann. Dennoch kann ich es nicht vermeiden, dass ich alle deine Geschichten mit deinen Anfängen hier messe, mit dem "Samurai" zum Beispiel. Und da kann diese hier nicht mithalten, dafür ist sie einfach zu belanglos. Was natürlich auch ab und an sein muss und Spaß macht, das will ich gar nicht abstreiten.

Details:
Den ersten Satz fande ich als Einstieg zu lang und komplex. Die letzten beiden Sätze würd ich einfach streichen - nur ein Vorschlag.

ein schmerbäuchiger, abgebrühter bayerischer Geschäftsführer
schmerbäuchig?
Ich muss also meinen Bassverstärker nur aus dem Keller holen, mit einer Sackkarre über die Strasse schleifen
Straße

Liebe Grüße
Juschi

 
Zuletzt bearbeitet:

Tach Juschi!
Danke für's Lesen und Kommentieren.
Der Samurai wird mich als Messlatte wohl ewig verfolgen, aber wie bereits gesagt: One man's ceiling is another man's floor; nicht jedermann hat er so gefallen wie dir :)
Um ganz ehrlich zu sein; ich benutze Foren nicht mehr ausschließlich, um zu lernen, wie man Kurzgeschichten verfasst, sondern um zu testen, wie einzelne Kapitel meiner Schreibe aus einem größeren "Manuskript-in-Progress" beim Leser ankommen. Klar, dass diese Ausrisse nicht immer allen Kriterien einer KG entsprechen.
Ich hoffe, man verzeiht mir diesen subversiven Ansatz; mir jedenfalls helfen eure Kommmentare oft weiter...

Gruß
Cantalupo

 

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