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Die Joghurtapokalypse
Tony steht vor dem Kühlregal und betrachtet die Artenvielfalt im Joghurtuniversum. Links- und rechtsdrehende Kulturen in weissen, gelben, roten Plastikbechern. Erdbeer-, Vanille-, Sauerkirschgeschmack. 100 g Einheiten für den kleinen Hunger zwischendurch oder 1kg Familienpackungen für den wöchentlichen Kalorienbedarf. Und natürlich die Größenordnungen dazwischen. Die Auswahl ist schier unendlich.
Direkt an der Grenze zur Käsegalaxie entdeckt Tony ein besonderes Exemplar. Die Aufschrift verspricht nicht weniger als eine Revolution in der Nahrungsaufnahme. "Gegen Haarausfall und Schweißfüße." Und in kleinen Buchstaben auf der Rückseite. "Die Zukunft der Lebensmittel. Gastro Energetische Nahrung." Tonys Neugier ist geweckt.
"Was die sich immer einfallen lassen. Schon stark ...", denkt er sich und legt zwei Becher in seinen Einkaufswagen. Einen für sich, sein lichter werdendes Haupthaar hat ihn in letzter Zeit immer mehr gestört, und einen für seine Freundin. Die hat zwar weder Probleme mit ihren Haaren, und ihre Füße stinken auch nur selten, aber was solls. Schaden wird es schon nicht.
Tony schaut in den Einkaufswagen. Marmelade, Schinken, Seife, Tee. Im Kopf hakt er die Positionen auf seinem imaginären Einkaufszettel ab. Nur die Tomaten und Gurken für den Salat fehlen noch. Er greift noch schnell einen Liter Milch aus dem Kühlregal und setzt seinen Wagen in Bewegung.
An der Gemüsetheke herrscht rege Betriebsamkeit. Kunden kontrollieren die Äpfel auf Druckstellen, prüfen, ob die Melonen schon weich sind oder wiegen Paprika. Auch vor dem Korb mit den Tomaten steht ein Kunde. Eigentlich hat Tony im Supermarkt kein Auge für seine Mitmenschen, dafür ist er jedes Mal viel zu sehr mit seinem Einkauf und den Eindrücken beschäftigt, die in jedem Gang und Regal auf ihn lauern, dieser Mann aber fällt Tony sofort auf. Zum einen weil der Mann den Weg zu dem Korb mit den Tomaten versperrt, vor allem aber deswegen weil er die Tomaten in einer höchst sonderbaren Art und Weise begutachtet. Der Mann nimmt eine Tomate aus dem Korb, streichelt mit den Fingern über die rote Haut, hält sie darauf zunächst an sein Ohr, als ob sie ihm etwas zuflüstern würde, und richtet sie zum Schluss gegen das Licht einer an der Decke angebrachten Neonröhre. Wie ein Barkeeper, der abgewaschene Gläser auf Schlieren untersucht. Danach legt er das Exemplar zurück in den Korb und beginnt mit der nächsten Tomate von neuem.
Tony betrachtet das Schauspiel eine Zeitlang und ist verwirrt. Er beschließt den Mann anzusprechen und nachzufragen was er da treibt.
"Hallo ... ist etwas mit den Tomaten nicht in Ordnung?"
Der Mann dreht sich zu Tony um. Strähnen wilden, schwarzen Haares fallen ihm in die Stirn. Ganz langsam mustert der Mann Tony, beugt sich zu ihm vor und flüstert: "Sie stecken in den Tomaten. Ich habe sie gesehen und muss sie finden, ansonsten ... ansonsten haben wir alle ein Problem. Ein gewaltiges Problem ...".
Tony ist sich nicht sicher, wie er reagieren soll. Mit Betrunkenen oder Verrückten gibt er sich normalerweise nicht ab. Auch um die Bettler in der Innenstadt macht er immer einen großen Bogen. Er fühlt sich unwohl in der Nähe von merkwürdigen Leuten und weiß nichts mit verwirrten Menschen anzufangen. Aber ist dieser Mann überhaupt betrunken oder verrückt? Ein bißchen verwirrt, okay, das verfilzte Haar und der ungepfegte Bart sprechen schon dafür, seine Augen schauen Tony aber klar und fest an. Und Geruch von billigem Whisky oder Bier nimmt Tony nicht wahr. Eindeutig kein Betrunkener. Er hakt nach: "Wer steckt in den ...".
Sofort unterbricht der Mann Tony mit einem durchdringendem Zischen.
"Nicht so laut. Sie hören uns. Wir dürfen uns nur ganz leise unterhalten. Sie bekommen alles mit. Alles. Laute Stimmen verscheuchen sie ... und ich muss sie fangen bevor es zu spät ist."
Tony ist mulmig zumute. Im Supermarkt zu flüstern hat schon etwas äußerst Subversives. Er lässt sich darauf ein.
"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wovon sie sprechen. Wer steckt in den Tomaten? Und was für ein Problem droht uns allen? Das hört sich ja beängstigend an."
"Oh ja, beängstigend. Genau das ist es ... ich kann jetzt nicht auf Details eingehen, aber glauben sie mir. Wir stehen kurz vor einer Katastrophe. In einer Größenordnung die die Menschheit noch nicht erlebt hat. Kurz davor, oh ja. Wir haben nur noch wenig Zeit das Unglück abzuwenden, und nur wenige haben die Zeichen der Zeit bisher überhaupt erkannt. Wenn wir nicht entschlossen handeln, dann ... ".
Tony läuft ein Schauer über den Rücken. Dieser Mann mit seiner geflüsterten Botschaft macht ihm Angst. Keine rationale Angst, auf abstruse Warnungen vor dem Weltuntergang hat er noch nie viel gegeben. Eher eine emotionale Angst, die erst gar nicht den Versuch unternimmt durch die Gehirnwindungen zu ziehen, sondern direkt ohne Umwege aus dem Bauch heraus für aufgerichtete Nackenhaare sorgt. Ein Gefühl wie bei einem verborgenen Verfolger, den man nicht sehen oder hören kann, man aber trotzdem nur zu gut weiß, daß er da ist. Wie auch immer das funktioniert.
Tony will von dem ganzen Kram mit in den Tomaten steckendem Irgendwas nichts mehr hören. Der Appetit auf Salat ist ihm gründlich vergangen.
"Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe. Viel Erfolg weiterhin."
"Jaja, schon gut, gehen sie. Flucht ist natürliches Verhalten, verstehe ich. Nützt ihnen zwar nichts, aber ich halte sie nicht auf."
Der Mann wendet sich wieder den Tomaten zu, dreht sich aber nochmal zu Tony um, der seinen Einkaufswagen gerade in Richtung Kasse losschieben möchte:
"Übrigens, der Joghurt da, den sie in ihrem Wagen liegen haben schmeckt einfach super, ist mittlerweile mein Lieblingsjoghurt ... Und sehen sie: meine Haare wachsen wieder wie vor dreißig Jahren. Wenn sie wollen können sie auch an meinen Füßen schnuppern, Rosenduft ist nichts dagegen ..., hey wieso rennen sie denn weg?".
Den letzten Satz bekommt Tony nicht mehr mit, er ist bereits auf dem Weg zum Kühlregal.
Direkt an der Grenze zur Käsegalaxie entdeckt Tony ein besonderes Exemplar. Die Aufschrift verspricht nicht weniger als eine Revolution in der Nahrungsaufnahme. "Gegen Haarausfall und Schweißfüße." Und in kleinen Buchstaben auf der Rückseite. "Die Zukunft der Lebensmittel. Gastro Energetische Nahrung." Tonys Neugier ist geweckt.
"Was die sich immer einfallen lassen. Schon stark ...", denkt er sich und legt zwei Becher in seinen Einkaufswagen. Einen für sich, sein lichter werdendes Haupthaar hat ihn in letzter Zeit immer mehr gestört, und einen für seine Freundin. Die hat zwar weder Probleme mit ihren Haaren, und ihre Füße stinken auch nur selten, aber was solls. Schaden wird es schon nicht.
Tony schaut in den Einkaufswagen. Marmelade, Schinken, Seife, Tee. Im Kopf hakt er die Positionen auf seinem imaginären Einkaufszettel ab. Nur die Tomaten und Gurken für den Salat fehlen noch. Er greift noch schnell einen Liter Milch aus dem Kühlregal und setzt seinen Wagen in Bewegung.
An der Gemüsetheke herrscht rege Betriebsamkeit. Kunden kontrollieren die Äpfel auf Druckstellen, prüfen, ob die Melonen schon weich sind oder wiegen Paprika. Auch vor dem Korb mit den Tomaten steht ein Kunde. Eigentlich hat Tony im Supermarkt kein Auge für seine Mitmenschen, dafür ist er jedes Mal viel zu sehr mit seinem Einkauf und den Eindrücken beschäftigt, die in jedem Gang und Regal auf ihn lauern, dieser Mann aber fällt Tony sofort auf. Zum einen weil der Mann den Weg zu dem Korb mit den Tomaten versperrt, vor allem aber deswegen weil er die Tomaten in einer höchst sonderbaren Art und Weise begutachtet. Der Mann nimmt eine Tomate aus dem Korb, streichelt mit den Fingern über die rote Haut, hält sie darauf zunächst an sein Ohr, als ob sie ihm etwas zuflüstern würde, und richtet sie zum Schluss gegen das Licht einer an der Decke angebrachten Neonröhre. Wie ein Barkeeper, der abgewaschene Gläser auf Schlieren untersucht. Danach legt er das Exemplar zurück in den Korb und beginnt mit der nächsten Tomate von neuem.
Tony betrachtet das Schauspiel eine Zeitlang und ist verwirrt. Er beschließt den Mann anzusprechen und nachzufragen was er da treibt.
"Hallo ... ist etwas mit den Tomaten nicht in Ordnung?"
Der Mann dreht sich zu Tony um. Strähnen wilden, schwarzen Haares fallen ihm in die Stirn. Ganz langsam mustert der Mann Tony, beugt sich zu ihm vor und flüstert: "Sie stecken in den Tomaten. Ich habe sie gesehen und muss sie finden, ansonsten ... ansonsten haben wir alle ein Problem. Ein gewaltiges Problem ...".
Tony ist sich nicht sicher, wie er reagieren soll. Mit Betrunkenen oder Verrückten gibt er sich normalerweise nicht ab. Auch um die Bettler in der Innenstadt macht er immer einen großen Bogen. Er fühlt sich unwohl in der Nähe von merkwürdigen Leuten und weiß nichts mit verwirrten Menschen anzufangen. Aber ist dieser Mann überhaupt betrunken oder verrückt? Ein bißchen verwirrt, okay, das verfilzte Haar und der ungepfegte Bart sprechen schon dafür, seine Augen schauen Tony aber klar und fest an. Und Geruch von billigem Whisky oder Bier nimmt Tony nicht wahr. Eindeutig kein Betrunkener. Er hakt nach: "Wer steckt in den ...".
Sofort unterbricht der Mann Tony mit einem durchdringendem Zischen.
"Nicht so laut. Sie hören uns. Wir dürfen uns nur ganz leise unterhalten. Sie bekommen alles mit. Alles. Laute Stimmen verscheuchen sie ... und ich muss sie fangen bevor es zu spät ist."
Tony ist mulmig zumute. Im Supermarkt zu flüstern hat schon etwas äußerst Subversives. Er lässt sich darauf ein.
"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wovon sie sprechen. Wer steckt in den Tomaten? Und was für ein Problem droht uns allen? Das hört sich ja beängstigend an."
"Oh ja, beängstigend. Genau das ist es ... ich kann jetzt nicht auf Details eingehen, aber glauben sie mir. Wir stehen kurz vor einer Katastrophe. In einer Größenordnung die die Menschheit noch nicht erlebt hat. Kurz davor, oh ja. Wir haben nur noch wenig Zeit das Unglück abzuwenden, und nur wenige haben die Zeichen der Zeit bisher überhaupt erkannt. Wenn wir nicht entschlossen handeln, dann ... ".
Tony läuft ein Schauer über den Rücken. Dieser Mann mit seiner geflüsterten Botschaft macht ihm Angst. Keine rationale Angst, auf abstruse Warnungen vor dem Weltuntergang hat er noch nie viel gegeben. Eher eine emotionale Angst, die erst gar nicht den Versuch unternimmt durch die Gehirnwindungen zu ziehen, sondern direkt ohne Umwege aus dem Bauch heraus für aufgerichtete Nackenhaare sorgt. Ein Gefühl wie bei einem verborgenen Verfolger, den man nicht sehen oder hören kann, man aber trotzdem nur zu gut weiß, daß er da ist. Wie auch immer das funktioniert.
Tony will von dem ganzen Kram mit in den Tomaten steckendem Irgendwas nichts mehr hören. Der Appetit auf Salat ist ihm gründlich vergangen.
"Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe. Viel Erfolg weiterhin."
"Jaja, schon gut, gehen sie. Flucht ist natürliches Verhalten, verstehe ich. Nützt ihnen zwar nichts, aber ich halte sie nicht auf."
Der Mann wendet sich wieder den Tomaten zu, dreht sich aber nochmal zu Tony um, der seinen Einkaufswagen gerade in Richtung Kasse losschieben möchte:
"Übrigens, der Joghurt da, den sie in ihrem Wagen liegen haben schmeckt einfach super, ist mittlerweile mein Lieblingsjoghurt ... Und sehen sie: meine Haare wachsen wieder wie vor dreißig Jahren. Wenn sie wollen können sie auch an meinen Füßen schnuppern, Rosenduft ist nichts dagegen ..., hey wieso rennen sie denn weg?".
Den letzten Satz bekommt Tony nicht mehr mit, er ist bereits auf dem Weg zum Kühlregal.