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Die Kälte in mir
Ein zierliches Gesicht spiegelte sich matt in einem aus Silber geformten Löffel. Wieder einmal war es ein einsames Essen. Die lange Tafel reichlich gedeckt, doch waren es nur drei Personen die sie speisen liess.
Die Standuhr presste ihr langweiliges, mechanisches Ticken wieder und wieder in die Stille. Das Hausmädchen öffnete die schweren Holztüren des Speisesaals und lächelte ihr ermutigend zu. Ein kühles Nicken ihres Vaters, erlaubte es ihr, ihren Platz zu verlassen. Er war kein Mann mit vielen Worten, jedenfalls nicht wenn es um sie ging. Ein Knicks in Richtung ihrer Eltern, gefolgt von erneuter Stille, entliess sie aus dem Dasein dieses traurigen Szenariums. So gern nur hätte sie ein Lächeln von ihm erahnen wollen, doch da war Nichts. Nicht eine freundliche Gestik, nicht ein zärtliches Wort.
Lautlos schlich sie die lange Treppe zu ihrem Zimmer empor. Ein großer Raum, der untypisch für eine sechsjährige eingerichtet war. Nur ein riesiger Stoffteddy erinnerte daran, das hier ein Kind wohnte. In der Mitte des Raumes fand man einen Cellokoffer und einen wunderschönen, schwarzen Flügel vor. Regale, gefüllt mit Büchern und Notenakten, drängten sich dicht an dicht, der olivfarbenen Wand entlang. Eine gläserne Schwingtür, führte hinaus zu einen der vielen Balkone dieses Hauses. Der Blick von dort aus, fiel sofort auf den wohlgepflegten Garten, der wohl nie einen Ball oder ein Kinderlachen in sich tragen würde.
Sie setzte sich auf den Hocker der vor dem Flügel stand, und strich fast liebevoll über deren schwungvollen Korpus-ein Lächeln. Vorsichtig setzte sie einen ihrer Füße auf der Lyra ab und öffnete die Klaviatur. Ihre Augen schlossen sich mit dem ersten weichen Ton. In ihrem Gesicht kehrte Zufriedenheit ein, Zufriedenheit die mit jedem weiteren Ton zur Glückseeligkeit anschwoll.
Doch sollte diese nicht lange anhalten, die Tür wurde aufgerissen und in ihr stand eine verbittert, dreinschauende Frau. Wohlklingende Tastenverse, verformten sich zu einem erschrockenem Tonwirrwarr.
Ohne ein Wort, schloss sie die Klaviatur und griff nach ihren schwarzen Balletschuhen, danach folgte sie der Frau hinaus ins Freie.
Ihr Weg war nicht weit. Der dunkle Wagen fuhr durch ein paar verwinkelte Strassen und hielt in dem Hinterhof der Ballettschule. Zügig wurde die Wagentür an ihrer Seite geöffnet. Ihre Augen ruhten auf den Bäumen, die ihre Farbenpracht längst verloren hatten. Sie liebte diesen Anblick, doch nur für einen kleinen Moment durfte sie ihn geniessen, schon drängten sie kalte Hände weiter.
Ein langer Gang, behangen mit Showplakaten führte sie zuerst in den Kleidungsraum. Ihr Tutu hing bereits an dem Spinnt der ihren Namen trug. Alles wurde mit der Disziplin einer Ballettschülerin angezogen und geschnürrt. Die anderen Schülerinnen waren schon auf der Probebühne eingetroffen. Der Maitre de Ballet führte sie an die Stange, mit einem strengen "Arabesque" stellten sie sich allesamt auf die Spitze und streckten ein Bein in die Luft. Es war wieder einmal ein strenges und hartes Training, was lange nichts mehr mit der Ausbildung zum klassischen Tanz zutuen hatte. Sie alle waren nur Marionetten, die an den Fäden ihrer ergeizigen Eltern hingen.
-So vergingen zwei weitere Stunden, die weniger Kindsein versprachen.-
Die Herbstsonne hatte schon alles in ein warmes Rot eingefärbt, als sie aus der Tür trat. Sie blickte sich um, der Wagen den sie erwartet hatte, stand nicht wie sonst an seinem Platz. In ihr schlich ein Gefühl hoch, was sie bis dahin nicht kannte. Es war das Gefühl ausbrechen zu müssen, frei zu sein. Ohne zu zögern, klemmte sie ihe Ballettschuhe unter ihren Arm und begann zu laufen. Einen Weg wusste sie nicht, ihre Füße trugen sie immer weiter aus der Stadt hinaus.
Irgendwann wurden ihre Schritte langsamer, ihr Atem hauchte kleine Kältewolken in die angebrochene Nacht. Bäume und Büsche kreutzten ihre Wege, sie musste in einem Wald gelandet sein. Die Strasse am Waldrand wurde kaum befahren. Jedesmal wenn sie die Scheinwerfer von der Ferne sah, kroch sie in einer der blattreichen Büsche die der Herbst noch zu bieten hatte. Sie hatte keinerlei Angst vor der Dunkelheit, im Gegenteil sie liebte die Nacht, sie schenkte ihr oftmals Trost.
Ein alter Jagdunterstand schien ihr genau richtig zum übernachten. Von ihm aus konnte man herrlich die Sterne betrachten und ungewollten Besuch gut einsehen. Aus ihrer Tasche zog sie ein dickes Buch, das indische Märchen beinhaltete. Dies hatte sie von ihrer Grandma bekommen, letztes Weihnachten. Seitdem trug sie es aus Angst ihr Vater könnte es ihr entreissen, stets geachtet bei sich. Sie fand keine Möglichkeit, genug Licht zu erhaschen, um einige Worte daraus zu lesen. So schloss sie es nur fest in ihre Arme und schlief ein.
In der Zeit geschah einiges auf dem Hof ihrer Eltern. Ihr Vater raste vor Wut, wie konnte sie es wagen ungehorsam zu sein? Nicht die Angst zerfrass ihn, sondern eher das Gefühl, nicht mehr den Schlüssel des goldenen Käfigs in der Hand zu halten. Ihre Mutter stand weinend in der Tür und schrie auf ihren Vater ein. Kein unbekanntes Bild...
Einige Stunden vergingen, die abgewartet werden mussten um die Polizei zu informieren. Diese kam, hörte sich an was zu berichten war und schickte schliesslich einige ihrer Kollegen aus, um nach ihr zu suchen.
Natürlich begleitete der "sorgevolle" Vater diesen Trupp, um an Ort und Stelle zu sein. Fast die ganze Nacht wurde nach ihr gesucht, bis ein Bauer der umliegenden Felder einen Tipp gab. Er habe ein Mädchen gesehen, was gegen Abend ziellos in dieser Gegend umher irrte. Die Spur wurde aufgenommen, Schäferhunde auf die Fährte geschickt.
Sie bekam von alledem nichts mit, zusammen gesunken schlief sie in ihrer kleinen Festung weiter. Es dauerte nicht lange, schon hatten die Hunde sie aufgespührt. So wurde sie unsanft von einem Lichtkegel aus ihren Träumen gerissen. Ein Polizist schrie unsanft: "Ist da jemand? Hier ist die Polizei, kommen sie raus!" Der Schein der Taschenlampe blendete ihr Gesicht, so dass sie nur zaghafte Umrisse von weiteren Menschen sehen konnte. Sie drückte sich weiter in die Ecke, doch blieb sie nicht ungesehen. Nun stieg einer der Polizisten die leicht zerborstete Leiter zu ihr empor.
Er blendete nun direkt in ihr verschlafenes Gesicht "Wir suchen...", er sah sie an, als würde er einer Beschreibung in seinem Kopf nachgehen. "Wir suchen ein kleines Mädchen! Bist du Tizia... Kleine?", fragte er leise. Sie nickte nur schüchtern und verängstigt.
"Komm, dein Vater ist schon ganz krank vor Sorge um dich", sagte er fast freundlich zu ihr. Grosse ängstliche Augen sahen ihn an, sie sprachen ganze Bände. "Was ist denn Kleine? Hast du Angst?", flüsterte er erneut.
"N-N-nein!", stammelte sie hervor. Doch warum? Sie hatte Angst, panische Angst! In ihr schrie es förmlich, doch blieben ihre Lippen stumm.
Schon wendete sich der Lichtkegel hinab und sie konnte in die Augen ihres Vaters sehen. Sie sah alle Wut darin aufschäumen, sie wich zurück, presste sich dicht an den neben ihr knieenden Polizeibeamten.
"Komm in Papas Arme, Liebling!" Seine Worte waren so kalt, so unglaublich
kalt...
Nach außen war diese Familie wie aus einer Fantasiewelt entsprungen. Ein liebevoller Vater, eine stets aufmerksame Mutter und die höfliche, wohlerzogene Tochter. Ihr Ruf in der Nachbarschaft war geradezu erschreckend Weiß, wie der Kittel eines Zahnarztes. Natürlich sollte diese heile Welt um keinen Preis zerstört werden. Diesmal jedoch, befleckte sich der weiße Kittel, mit dunklen Spuren. Sie mußte ihren kleinen Fauxpas bitter bereuen.
Zurück im Hause der Familie, ersäufte ihr Vater seinen Zorn im Alkohol. Widerlich, wie er vor ihr stand. Lallend sank er immer wieder in sich zusammen,
kaum in der Lage, einen ordentlichen Satz zu formulieren. Brocken wie:" Du wirst schon sehen", oder " Warte nur ab", drangen zu ihr durch. Sie kauerte auf dem Ohrensessel am Kamin und betrachtete die zunehmend angespannte Lage. Er kam auf sie zu, seine Hände stützten sich auf beide Armlehnen und sein Gesicht kam näher. Ihr Vater stank fürchterlich, sein Atem glich dem eines Penners. Sie versuchte dem zu entfliehen, er bemerkte es umfasste nun fest ihre Arme. Wilde Beschimpfungen folgten, ihr Körper wurde von ihm hin und her gerüttelt, sein Gesicht verzog sich immer mehr zu einer hässlichen Fratze. Die leere Cognacflasche, stand in Reichweite von ihr, auf dem Beistelltisch. Sollte sie nach ihr greifen? Doch was dann, sie ihm überziehen?
Sie versuchte sich loszureissen, mit Erfolg, ihr schmaler Körper schlüpfte durch die Enge ihres Vaters. Ein schwerer Fehler...
Ihr Vater griff betrunken, nach dem Schürrhaken. Gerade als sie die Flucht ergreifen wollte, holte er aus und traf ihren Hinterkopf. Blutspritzer verteilten sich an den Wänden, sie ging zu Boden blieb regungslos liegen. Das weiße Bärenfell, tränkte sich mit ihrem Lebenssaft, ihre Augen weit aufgerissen. Sie lebte noch, ihr Körper zuckte, von Schmerzen gerüttelt. Ihr Vater glitt auf die Knie, sich stützend auf der Waffe seiner brutalen Tat.
Ein leises:"Hilf mir!", entfuhr ihren Lippen. Er tat es nicht, sein Gesicht war kreidebleich, scheinbar hatte sein benebeltes Gehirn begriffen, was seine Hände angerichtet. Sie konnte nur noch unklar das Ticken der Standuhr wahrnehmen, das Blut floss aus ihr im Sekundentakt. Dunkelheit...
Er hob sie auf, überlegte kurz, entschloss sich dann dazu ihren Körper zu beseitigen. Eine Blutspur zog sich durch den gesammten Flur, bis hinunter in den Keller. Er legte ihren noch lebenden Körper in der großen Gefriertruhe ab, schließ den Deckel und beschwerte ihn mit einigen Gegenständen, damit sie sich nicht selbst befreien konnte. Irr lief er im Kreis umher, seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Keine Reue der Tat, sondern die Angst eingesperrt zu sein, trieben ihn aus dem Haus. Mit quitschenden Reifen und heulendem Motor, fuhr er den langen Weg zur Ausfahrt hinaus.
Die Standuhr schlug mit dumpfen Ton zur achten Stunde, als dieser von einem schrillen Schrei übertönt wurde. Das Dienstmädchen stand im Kaminzimmer und schrie sich die Seele aus dem Leib. Das ganze Haus erwachte, alle Bediensteten und Mrs Jorden fanden sich im Raum des Grauens ein. Unklar jedoch war, von wem das Blut, was sich durch das ganze Zimmer zog stammte. Die Tür schellte, jedoch brauchte keiner sie öffnen, da sie unachtsam in dieser Nacht ungeschlossen blieb.
Zwei Beamte der Polizei traten ein und folgten dem Aufruhr im Kaminzimmer. Sie stockten, blickten sich um, was war hier geschehen?
"Mrs Jorden?", fasste sich einer der Beamten wieder. "Wir müssen ihnen leider mitteilen, dass ihr Mann letzte Nacht einen tödlichen Autounfall hatte!"
Stille...
Mrs Jorden brach weinend zusammen, sie erlitt einen Nervenzusammenbruch. Ein Krankenwagen brachte sie in das naheliegende Hospital, wo sie versorgt wurde.
Eine Stunde später, wurde die Leiche von Tizia aus der Gefriertruhe geborgen...