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Die Kata-strophe
DIE KATA-STROPHE
Sie saß am Ufer des kleinen Waldsees. Eine Lichtung, sonnendurchflutet, geschmückt von Myriaden bunter Sommerblumen. Tiefgrünes, sattes, hohes Gras säumte den kleinen See, der von einem kleinen Bach genährt wurde. Leise plätscherte das Wasser über zwei moosbewachsene Steine, bevor es sich in den See ergoss.
Sie hatte die Augen geschlossen, wedelte ganz wenig und kaum sichtbar mit vor dem Körper ausgestreckten Armen durch die Luft. Sie summte leise. Ihr seidigglänzendes Fell glänzte tiefbraun in der Sonne.
Was ein tolles Barenmädchen dachte sich Numb. Bekloppt, aber toll. Er hatte hinter einem Baum hervorlugend eine Weile das Weibchen beobachtet und ihm war das Wippen und Wedeln der Bärenarme und Bärenhände nicht entgangen. Er grinste in sich hinein. Er wusste nicht, wie das Mädchen reagieren würde, wenn sie mitbekommen würde, dass er sie beobachtete. Würde sie sich schämen oder würde sie ihn anbrüllen? Auf alle Fälle wäre sie nicht erfreut, soviel war Numb klar. Er hielt es für klüger, hier, in der zweiten, dritten Reihe der Bäume zu bleiben.
Ursprünglich wollte er was trinken und wieder mal versuchen, ob er dieses Mal mehr Glück bei den Forellen hatte. Und da sah er sie. Das erste Bärenmädchen seit langem in „seinem“ Wald. Numb war ein Prachtexemplar von einem Bären. Zwölf Jahre alt, ausgewachsen, leider nicht nur in der Höhe, sondern seit geraumer Zeit auch in der Breite. Er lebte, seit seine Mama ihn fortgeschickt hatte, in diesem Teil des Waldes. Die Lichtung war sein Acker, die Bienen seine Bauern. Alles was er tun musste, war Honig ernten. Daher die Breite seines Pelzes, das wusste er, aber er konnte halt noch nie widerstehen, wenn es etwas Süßes gab.
Und jetzt war da ein anderer Bär. Gut einen Meter kleiner als er und keine Gefahr für ihn. Er hätte sie mit Leichtigkeit davon jagen können. Bärenfrauen sind für Numb gefährlich, wenn sie Barenmama geworden sind und ihren Nachwuchs vor Männchen schützen wollen. Das hatte ihm seine Mama eindrucksvoll bewiesen, als er ein kleiner Junge war und das hatte ihm Mama auch als Tipp auf seinen Lebensweg mitgegeben. Aber dieses Bärenmädchen war zu jung, um schon eine Mama zu sein. Es kam keine Witterung von Jungbären in seine Nase und überhaupt: Die Kleine sah viel zu süß aus, wie sie da am Ufer saß. Zu drollig obendrein mit ihren wedelnden Armen, weit vor den Bauch gestreckt.
Das Bärenmädchen ahnte nichts von Numbs Anwesenheit. Der Wind stand günstig für ihn.
Numb war neugierig. Ein Mädchen, vielleicht sieben, vielleicht acht Jahre, brunftfähig. Zweifelsohne. Hübsch. Fell, Form, Größe – einfach hübsch. Zweifelsohne. Eine nette Nase, wie er fand – er wusste nicht, dass Nasen elementares Schönheitsmerkmal bei Bärinnen war. Typisch Mama, das hatte sie ihm mal wieder nicht erzählt. Also wirklich. Eine sehr, sehr nette Nase. Nicht zu lang, nicht zu breit, nicht zu stupsig. Eine perfekte Bärenmädchennase eben. Zu neugierig war Numb, er musste es riskieren. Auch wenn er einen Korb bekäme. Er überlegte kurz. Er hatte keinen großen Plan, er war ein Bär! Aber er wusste, es wäre geschickter, wenn sie ihn bemerkt, ohne dass sie bemerkt, dass er sie schon längst bemerkt und beobachtet hatte.
Numb verschwand in den Wald. Drehte nach vierzig, fünfzig Schritten um und ging pfeifend zurück in Richtung See.
Das Bärenmädchen war in Gedanken, noch immer hielt sie ihre Augen geschlossen. Numb kam näher und näher, er stand schon fast zwischen den letzten Bäumen vor der Lichtung, konnte das Mädchen sehen. Warum schaute sie nicht hoch? War sie taub? Numb nahm seinen Mut zusammen und pfiff so laut er konnte. So falsch und schräg, wie nur Bären pfeifen können.
Jetzt endlich, als Numb schon fast im Wasser stand, blickte das Mädchen hoch und ihn an. Gute Waldfee. Die hatte so was von schwarzen Knopfaugen. Rabenschwarz. Das andere Schönheitsmerkmal von Bärenweibchen – und auch das wusste Numb nicht von seiner Mama. Aber er fühlte von Anfang an, instinktiv, schwarze Knopfaugen gefielen ihm.
Das Mädchen nahm die Arme runter. Sie schaute ein wenig überrascht, aber ruhig und abwartend zu ihm auf die andere Seite des kleinen Sees hinüber.
„Äh, hallo Bär...“ kam es gestammelt über den See. „Grüß dich auch, Bär“ grüßte das Mädchen zurück.
„Bis Du neu hier?“, wollte Numb wissen, „ich habe noch nie einen Bären hier gesehen, abgesehen von meinem Spiegelbild im See“.
„Ich bezeichne mich gern als Wanderbär...“ sagte die Bärin und erzählte Numb, der noch immer am anderen Ufer stand, dass sie nie lange Lust auf selbe Orte, selbe Bären, selbe Tiere und selbes Essen habe.
„Ach...“ sagte Numb. Er hatte bisher keine große Konversation gebraucht, geübt, benötigt und stand ziemlich wortarm auf seinen vier Pfoten.
Schweigen setzte ein. Das Mädchen sah Numb an, er sah das Mädchen an. Sie neugierig. Er ein wenig verlegen, trottelig. Numb fürchtete, dass er rot würde, was Bären natürlich nicht können. Jedenfalls, ihm war unsagbar heiß. Der Bär setzte sich auf seine Hinterbeine, schaute immer noch rüber und sagte kein Wort.
„Ich, äh, ich trink dann mal was“, meinte er und stand wieder auf. Sie grinste, hatte sie doch bemerkt, wie unsicher er wirkte und das fand sie süss.
„Ja – mach das, es ist köstlich. Ich muss dann mal los, vielleicht sieht man sich hier mal wieder. Es ist schliesslich so herrlich hier.“ Mit diesen Worten stand das Mädchen auf und trottete in Richtung Wald. Numb schaute ihr hinterher. Er ärgerte sich, dass er so wenig herausgebracht hatte und nun war sie weg. Wahrscheinlich findet sie mich langweilig. Oder zu dick. Oder hässlich. Viele Gedanken kreisten in seinem Kopf. Er war verunsichert. Mürrisch. Eine Forelle stand im seichten Wasser und glotzte irgendwelche Wasserpflanzen an. Numb – unzufrieden und gar nicht mehr hungrig - haute mit seiner Pranke mürrisch nach ihr. Natürlich traf er auch dieses Mal nicht.
Am nächsten Tag stand der Bär nach einer nachdenklichen und unruhigen Nacht früh auf und setzte sich an´s Ufer des Sees. Hoffentlich kommt sie, dachte er. Er dachte es für eine Sekunde. Er dachte es für eine Minute. Er dachte es für eine Stunde. Bis zum Mittag dachte er diesen Gedanken und als die Sonne schon ganz weit oben stand, dachte er diesen Gedanken nicht mehr. Er hatte die Hoffnung aufgegeben.
Er wollte sich grade aufrichten, als er sie sah, wie sie summend durch die Bäume kam.
„Hallo, großer Bär“ rief sie und strahlte ihn an. Numb kribbelte es im Bauch, als ob er einen Bienenstock samt Honig und Bienen verschluckt hätte. „Du hast mir gar nicht erzählt wie Du heisst, großer Bär“, fuhr sie fort. „Meine Name ist übrigens Kata.“ „Äh. Kata.... Numb. Mein Name ist Numb.... Nicht Äkatanumb, nur Numb...“ stotterte er.
Sie lächelte und ihre Knopfaugen glänzten wie Pilze im Morgentau.
„Schön. Numb. Wenn es Dich nicht stört, setze ich mich hier ein wenig an den See...“ Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sie sich, sah ein wenig auf den See, den Bach, die moosbewachsenen Steine, die Blumen und das satte grüne Gras. Es war herrlich. Sie schloss die Augen und begann zu summen.
Numb sah ihr zu. Nein, er sah sie an. Nein. Eigentlich starrte er sie an. Nach einer Weile, Kata summte noch immer, hatte noch immer die Augen geschlossen, die Arme wie am Tag zuvor leicht wedelnd vor den Bauch gestreckt, räusperte er sich. Sie hörte auf zu summen und blickte ihn an. Numb ging wie beiläufig um den See zu dem Platz, an dem sie heute saß und schon gestern gesessen hatte.
„Was machst Du da eigentlich“, wollte Numb wissen. Kata sagte, sie denke sich ein Lied aus und summe den Refrain, denn den hatte sie schon. Merkwürdig, ein Lied ausdenken. Numb kannte nur ein einziges Lied. Das Lied, das seine Mama ihm vorgesummt hatte, als er noch ein ganz kleiner Bär war und das alle Bärenmamas ihren Kindern vorsummten. Es hieß „Schlaf, Schlaf und werde groß, Du kleiner Bär“.
„Ich habe den Refrain schon ganze lange ihm Ohr, ich kam noch nie dazu, mir eine Strophe auszudenken, es ist eine Katastrophe. Ich dachte mir, an diesem wunderschönen Ort kann ich mich inspirieren lassen...“ Eine Kata-Strophe, dachte sich Numb. „Ich komme fast nicht zum Essen, weil ich ständig über einen schönen Beginn für meine Strophe nachdenke“. „Ihre Strophe, die Kata-Strophe“, dachte sich Numb.
„Magst Du Honig“ fragte Numb. Sie lächelte. „Komm – ich zeig Dir wo es leckeren Honig gibt. Ohne weitere Worte standen die beiden Bären auf. Numb ging langsam in den Wald, Kata trottete hinterher.
Nachdem Numb einen Bienenstock vom Baum geschüttelt hatte und Waben für die Beiden herausgebrochen hatte, spazierten sie weiter- Für eine wahre Ewigkeit schlenderten sie zwischen Bäumen und Büschen vorbei. Numb naschte hier und da ein paar Beeren. Erzählte hier und da, wo es zu welcher Saison die größten Leckereien gebe. Pilze. Beeren. Honig. Rinde. Kata grinste. Sie sah sich Numbs Bauch an. Typisch Bär dachte sie. Anstelle, dass er die Natur genießt, denkt er nur an´s Essen. Es ging stetig ein wenig bergauf, ein wenig bergab, bis sie im Abendlicht zum Fuß eines Felsabbruchs kamen. „Hier ist meine Höhle. Eine Ganz-Jahres-Höhle“, sagte Numb und zeigte auf den gut durch einen Überhang des darüber liegenden Felsens geschützten Eingang eines großen Lochs in der Wand.
„Darf ich mal?“ fragte Kata und huschte in das Loch. Die Höhle war groß, innen wesentlich größer als es von Aussen Anschein machte. Numb hatte einen riesigen Schlafplatz mit Moos ausgelegt. Sie setzte sich dorthin und schaute sich um. Durch einen Ritz in der Wand über den Eingang fielen die letzten Sonnenstrahlen und ließen die tanzenden Staubteilchen aufblitzten.
„Das ist jaaaaa herrrliiiiiccchhhh“, seufzte Kata. Sie schaute den tanzenden Staubteilchen zu und fing plötzlich an zu summen. „Das ist, als ob der Staub zu einer Melodie Walzer tanzt.“
„Äh? Wirklich?“ gab Numb zurück. Er hatte noch nie auf so etwas geachtet. Kata räkelte sich auf dem Moos, ganz selbstverständlich, als ob sie zu Hause wäre. Sie genoss es sowohl, die schöne Stimmung in sich aufzusaugen als auch ganz deutlich die Anwesenheit dieses großen, tollpatschigen Bären neben ihr. Numb wusste nichts mit sich anzufangen. Er genoss zweifelsohne die Situation und fand Kata mehr als niedlich. Er wusste aber nicht, was in dieser Situation das richtige war.
„Duuuu? Großer, dicker Bär?“, fing Kata irgendwann an zu sprechen. „Wäre es schlimm für Dich, wenn ich morgen nicht mehr am See sitze?“ Numb war überrascht. Sie wirkte so entspannt und jetzt will sie ihm schonend beibringen, dass sie weiter wandert und nicht am See sitzen würde, er sie nicht mehr treffen würde. Ihm fehlten die Worte und er schaute ganz traurig.
„Was hast Du denn, Numb?“ Sie hatte seinen Blick bemerkt. „Was denkst Du gerade?“
„Ich hatte gehofft, dass Du mich morgen auch sehen willst und Du wiederkommst“ sagte Numb traurig. Kata lächelte milde. „Du Dummbär. Ich wollte nicht sagen, dass ich nicht wiederkommen will. Ich wollte sagen, dass ich heute nacht hier in Deiner Höhle bleiben will - mit Dir - und wir wieder einen Spaziergang machen. Es war heute so wunderschön mit Dir....“
Numbs Gesicht hellte sich augenblicklich auf. Bevor Numb antworten konnte, rutschte Kata an ihn ran, legte sich auf Ihren Rücken, lehnte Ihren Kopf auf seinen Bauch. Sie schloss die Augen und summte. Summe schöner als sie bisher je gesummt hatte.
Nach wenigen Augenblicken wurde aus dem Summen ein zufriedenes Brummen. Kata fühlte sich so wohl, dass sie eingeschlafen war.
Numb sah sie an. Er strahlte. Ganz zart fuhr er mit seiner Pranke ihr über den Kopf.
„Das könnte ein schöner Winter zu zweit in meiner Höhle werden“ dachte Numb, legte den Arm um Kata und schlief glücklich mit dem eng ankuschelnden Barenmädchen ein.
Für KATHI. Es war schön, Dich diesen Sommer wiederzusehen. Der Schmerz ist weg. Und die Höhle dennoch leer