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Die Katastrophe

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17.09.2002
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Die Katastrophe

Die vorgegebenen Worte waren: Katastrophe, Pudding, Aquarium, Sommersprossen und Vernunftheirat

Früher, als Julia noch kleiner war, da wußte sie nicht so recht, was das war – eine Katastrophe.
Die alte Frau Mering vom Zeitungsladen benutzte das seltsame Wort manchmal. Wenn es in Strömen regnete und Frau Mering aus ihrem warmen, trockenen Laden heraus humpeln mußte, um den Ständer mit den Tageszeitungen mit einer großen Plastikplane abzudecken, dann seufzte sie immer und jammerte: „Eine Katastrophe ist das. Eine Katastrophe. Ach je! Ach je!“

Lange Zeit glaubte Julia, daß Katastrophe nur ein anderes Wort für Regen war. Aber in dem Sommer, als es so trocken war, daß das Gras im Garten braun wurde, da merkte Julia, daß sie sich geirrt hatte. Eines Abends, als es damals endlich regnete, da rannte Julia im Badeanzug in den Garten und sang begeistert zum Prasseln der Regentropfen: „Eine Katastrophe! Hurra! Eine Katastrophe!“
„Was?“ fragte Kai. „Was grölst du da für einen Quatsch?“
Kai wohnte nebenan und er war drei Jahre älter als Julia. Deshalb war er wahrscheinlich auch viel klüger als sie.
„Es regnet!“ jubelte Julia. „Eine richtige Katastrophe!“
„Mensch bist du bescheuert!“ schnaubte Kai. „Ein Sommerregen ist doch keine Katastrophe.“
„Nicht? – Ich dachte...“ Julia verstummte. Sie war verwirrt. War eine Katastrophe denn kein Regen?

Jetzt war Julia zwei Jahre älter und sie schämte sich richtig, wenn sie daran dachte, wie dumm sie damals gewesen war. Eine Katastrophe ein Regen..... So ein Quatsch.

Seit drei Tagen wußte Julia genau, was eine richtige Katastrophe war.

Vor drei Tagen saß sie Abends im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Sie schaute sich ihre Lieblingssendung an und aß ein Schälchen Pudding, das vom Mittagessen übrig geblieben war. Ab und zu warf sie einen Blick auf das Aquarium, in dem der neue Fisch schwamm, den Opa ihr geschenkt hatte. Dem Kleinen ging es gut. Munter spaddelte er durch das Wasser und die feinen Fäden der Algen berührten seinen glänzenden Bauch.
Eigentlich hätte Julia zufrieden sein müssen: Der Pudding schmeckte, dem Fisch ging es gut und die Fernsehsendung war okay.

Aber Julia ging es gar nicht gut. In ihrem Magen war ein kleiner, knotiger, harter, kalter Klumpen. Der Klumpen fühlte sich ein bißchen wie Angst an und er hatte ganz sicher etwas mit Mama und Papa zu tun.

Mama und Papa waren nämlich in der Küche und sie redeten sehr laut miteinander. Sehr laut und sehr unfreundlich. Mamas Stimme war ganz schrill und Papa klang so wütend. Julia konnte fast jedes Wort hören, obwohl alle Türen geschlossen waren.

Julia stellte den Pudding auf den Tisch. Sie hatte keinen Appetit mehr. Sie wollte nicht, daß Mamas Stimme ihr so weh tat. Sie wollte nicht, daß Papa wütend war. Julia nahm die Fernbedienung und stellte den Fernseher lauter.

Aber die Stimmen wurden auch lauter.
„Willst du damit sagen, es war bloß eine Vernunftheirat?“ Das war Mama und ihre Stimme war wie ein scharfes, blankes Messer. So sollte sie nicht schreien, damit tat sie Papa bestimmt weh. Julia hielt sich die Ohren zu, aber sie hörte trotzdem, wie Papa tobte: „Meinetwegen! Dann geh doch zurück zu deiner Mutter. Da paßt du sowieso besser hin. Du bist genauso neurotisch wie sie.“

Julia weinte. Was hatten die beiden nur? Warum waren sie so gemein zueinander? Und was war eigentlich mit Oma nicht in Ordnung?

Julia wollte das alles nicht mehr hören. Sie stellte den Fernseher noch lauter und preßte die Fäuste auf die Ohren zu. Doch da kam Mama ins Wohnzimmer gestürzt und riß Julia an einem Arm aus dem Sessel.
„Bist du wahnsinnig? Was sollen denn die Nachbarn denken?“
Mit diesen Worten stellte sie den Fernseher aus.
„Mir reicht es!“ Das war Papa. Er zog sich im Flur seinen Mantel an. „Nicht mal am Abend, nach einem harten Arbeitstag hat man hier seine Ruhe. Ich gehe in die Kneipe.“ Und Julia hörte, wie die Haustür ins Schloß fiel.

Mama stand einen Augenblick wie versteinert. Dann begann sie zu weinen. Die Tränen liefen über ihr Gesicht, das mit roten Flecken übersät war.

Julia saß ganz still. Sie wollte Mama trösten, weil sie sie lieb hatte, aber sie wollte auch Papa trösten, denn ihn hatte sie genauso lieb. Papa aber war nicht da. – Julia rührte sich nicht.

„Was glaubt der eigentlich? Meint er, ich lasse mir alles gefallen?“ Mama zog die Nase hoch und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab.
„Julia! Zieh dich an!“ Mamas Stimme war ganz kalt. Richtig unheimlich. „Zieh dich an, wir fahren zu Oma!“
Mamas Stimme und Mamas Augen waren so, daß Julia nicht wagte, zu widersprechen.

Sie hatte sich angezogen und dann waren sie zu Oma gefahren.

Oma nahm Julia wortlos in die Arme und drückte sie fest an sich. Und später, als Julia schon in dem kleinen Zimmer auf dem Sofa lag, da war Oma leise noch einmal hereingekommen, um nach Julia zu sehen.

Julia machte die Augen nicht auf. Sie wußte, wenn sie jetzt mit Oma reden würde, dann würden all die vielen Tränen, die in ihr warteten und die sie nur mit Mühe zurück hielt, aus ihr heraus brechen und sie würde weinen und weinen und weinen.

Und so dachte Oma, daß Julia schon schlief. Und Julia hörte, wie Oma murmelte: „Armes Ding. Ganz käsig und bleich unter den vielen Sommersprossen. – Eine Katastrophe ist das! Eine Katastrophe!“

Und da, ganz plötzlich, wußte Julia, was für ein furchtbares Ding eine Katastrophe war.

 

Hallo Barbara!
Da ist Dir wieder eine tolle, aber sehr traurige Geschichte gelungen. Es waren auch schwierige Worte, doch Du hast sie perfekt in die Geschichte integriert.

Zuerst brachte mich die Geschichte zum Schmunzeln, doch dann triftet sie sehr ins Negative und es hat mir sehr gefallen, wie Du die Gefühle des Kindes beschrieben hast.
Sie sind kindlich umschrieben, aber das passt sehr gut zum Stil der Geschichte und läßt den Leser mit dem kleinen Mädchen fühlen.


„Bist du wahnsinnig? Was sollen denn die Nachbarn denken?“
Dieser Satz gab mir besonders zu denken. Als ob das das Wichtigste wäre! Hauptsache es erfährt keiner, daß etwas nicht stimmt. Bloß den Schein wahren.

Ein kleiner Fehler ist mir noch aufgefallen:

Der Klumpen fühlte sich ein bißchen wie Angst an und er hatte ganz sich etwas mit Mama und Papa zu tun.
ich nehme an, Du meinst "...er hatte ganz sicher etwas mit Mama und Papa zu tun.

Liebe Grüße
Anja

 

Hi Anja,

wie schön, dass Du auch diese Geschichte gelesen hast, und dass auch sie Dir gefallen hat.

Den Fehler habe ich schon berichtigt! Danke!

Ich habe am Anfang bewußt so geschrieben, dass man schmunzeln sollte. Ich fand, dass dann die Trauer und der Kummer von Julia durch den Kontrast noch deutlicher wird.

Liebe Grüße
Barbara

 

Hej Barbara!

Nanu, ich werde alt - war ich mir doch sicher, Deine Geschichte nicht nur gelesen, sondern auch kommentiert zu haben!

Also: Mir gefällt Dein Stil nach wie vor, Du schaffst es immer wieder, kindgerecht zu schreiben, ohne dabei kindisch zu werden. Auch in dieser Geschichte gehst Du sehr einfühlsam mit den Gefühlen eines Kindes um und machst deutlich, wie das Mädchen fühlt und denkkt.

Ein kleiner logischer Fehler ist mir aufgefallen: Fische sondern keine Luftbläschen ab, das ist ein hartnäckiges Gerücht! Obwohl mir das Bild auch gefällt, wie er da so herumschwimmt und Bläschen macht.

Meine Wörter hast Du erstaunlich gut in die Geschichte integriert - ich finde immer, wenn man sie beim Lesen nicht mehr bemerkt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass sie ihren richtigen Platz im Text gefunden haben. Das ist Dir ausgezeichnet gelungen!

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

Hi Susanne,

ich freue mich, dass Du auch diese Geschichte gelesen hast und dass sie Dir gefällt.

Schade, dass das mit den Luftbläschen bei den Fischen nicht stimmt. Ich war mir so sicher. Naja, dann muß ich darüber wohl noch mal nachdenken.

Vielen Dank fürs Lesen und liebe Grüße
Barbara

 

Vielleicht gibt es ja Fische, die Bläschen ausstoßen, aber ich hatte im letzten Jahr oft genug die Chance, ein paar nette Fische im Aquarium zu betrachten, und von denen hat keiner Blasen gemacht. Ist mir auch sonst noch nie aufgefallen.... Ich glaub, ich muss mal in ein Lexikon gucken, nicht, dass ich Dir hier im BRustton der Überzeugung etwas Falsches erzähle! :)

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

@chaosqueen

Nein, nein, Du mußt nicht im Lexikon nachgucken. Zum Glück war "silbrig" oder "Luftbläschen" ja keines der vorgegebenen Worte, ich konnte die Geschichte also ändern, ohne den Sinn zu entstellen, oder die Vorgaben zu verletzen - und genau das habe ich getan.

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo al-dente,

es ist Dir gut gelungen, Dich auf "Augenhöhe" eines Kindes zu begeben und dessen veränderliche Sichtweisen des Begriffes "Katastrophe" wieder zu geben. Sehr schön die kleine Anfangsszene mit der Zeitungsfrau...

Ich hab Deine Geschichte geren gelesen
Gruß Bobo

PS.:"spaddelte" ist ein lustiges Wort, klingt sehr norddeutsch. Ich kann es aus dem Zusammenhang interpretieren, wenn ich es auch nicht kannte.

 

Hi Bobo,

wie schön, dass Dir meine Geschichte gefallen hat!

"Spaddeln" ist wirklich ein norddeutsches Wort - Du hast richtig greraten!

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Barbara,
eine gute Geschichte ist dir hier gelungen. Du hast nicht nur die Wörter in die Geschichte eingeflochten, sondern auch wunderbar die Gedankengänge eines Kindes beschrieben.

Liebe Grüße
Petra:)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Petra,

wie schön, dass Du meine Geschichte gelesen hast und dass sie Dir gefiel. :) Vielen Dank dafür!

Liebe Grüße
Barbara

 

hi al-dente!

ich glaube, ich muss wohl öfter mal in die Wöterbörse gucken... schön, dass der Text hier ist :)

Hat mir sehr gefallen, und die Wörter sind wirklich sehr gut eingefügt. Besonders gefallen hat mir die Stelle mit der Katastrophe - dem Sommerregen... :)

Eines Abends, als es damals endlich regnete, da rannte Julia im Badeanzug in den Garten und sang begeistert zum Prasseln der Regentropfen: „Eine Katastrophe! Hurra! Eine Katastrophe!“
Danach schaffst Du den Übergang zur echten Katastrohe ungekünstelt und beschreibst die Gefühle des Kindes sehr nachvollziehbar. Der Schluss - die Erkenntnis ist ebenfalls gelungen.
Klasse.

schöne Grüße
Anne

 

Servus Barbara!

Deine Geschichte ist sehr warmherzig und mit viel Gefühl erzählt - mit unterdrücktem, sprudelndem, hervorbrechendem und auch tränenreichem.

Es ist eine Alltagsgeschichte wie sie viele Kinder erleben und die Beschreibung der Frau am Beginn, das Kind welches im Regen spielt und irgendwann erkennen muss, dass das interessante Wort nicht Freude, sondern Schrecken vermittelt, die einfach da seiende Oma - echt schön.

Lieben Gruß an dich - Eva

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne und Eva,

ich hab mich sehr gefreut, dass Ihr meine Geschichte gelesen habt und dass sie Euch gefiel. Irgendwie habe ich gar nicht mitbekommen, dass zwei neue Kritiken für diese Geschichte gepostet wurden... :confused: ? Deshalb habe ich Eure Beiträge erst heute gefunden.

Liebe Grüße Euch beiden
Barbara

 

Hallo Barbara!
Dir ist hier wieder eine "schöne" Geschichte gelungen. Du hast die Gedanken des Mädchens sehr gut widergegeben und du hast einen fließenden Übergang vom Schmunzeln zum regelrechten Schock hinbekommen.

Leider erleben viel zu viele Kinder ähnliches.
Ich habe mir die vorgegebenen Wörter durchgelesen, doch als ich die Geschichte las, ist mir nicht bewusst aufgefallen, wo die Wörter sind. Du hast sie gut eingefügt.

Ich hab nichts zu meckern gefunden. :)

bye und tschö

 

Hallo Sarah,

ich freue mich, dass Du auch diese Geschichte gelesen hast und sie Dir gefiel.
Dass man am Anfang schmunzeln konnte und die Katastrophe erst später überhand nahm, war natürlich gewollt. Ich dachte, wenn es zu Beginn lustig ist, dann ist der Absturz nachher umso schlimmer. Da Du es sogar als Schock bezeichnest, ist es mir wohl gelungen.

Vielen Dank für Deinen Kommentar.

Liebe Grüße
Barbara

 

Diese Geschichte hat mich zum Weinen gebracht! So schön und schmerzvoll gleichermassen...
Verbesserungsvorschläge habe ich keine, da dieses Niveau weit über meine Schreibfähigketen liegt.
Viel Erfolg!

 

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