- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Die Katze
Meine Katze lag zusammengerollt auf dem Sofa und schlief. Ihre Nase hatte sie so tief in den Pfoten vergraben, als wollte sie sich die Augen zu halten. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, der Bauch hob und senkte sich rhythmisch. Es klang ein wenig, als schnarche sie leise. Es war ein Bild des Friedens. Vorsichtig ging ich zum Sofa und setzte mich langsam hin. Ich konnte nicht widerstehen und berührte mit einer Hand ihr Fell. Behutsam strich ich ihr vom Kopf über den Rücken. Sie quittierte dies mit einem kurzen Raunzen und drehte mir ihre Bauchseite zu. Ich wusste diesen Vertrauensbeweis zu schätzen und kraulte genüsslich ihr Bauchfell. Sie fing an zu schnurren und hob die Vorderpfoten über den Kopf, als würde sie sich auf den Zuruf „Hände hoch“ ergeben. Ich beugte mich zu ihr hinab und tauchte mein Gesicht in ihre seidig-weiche Bauchwärme. Das Schnurren lullte mich ein und machte mich schläfrig. Ich atmete tief den Duft ihres Fells ein. Sie duftete unwiderstehlich nach Kuscheltier. Kindheitserinnerungen an Teddybären kamen unweigerlich in mir auf. Erinnerungen an Geborgenheit, Trost, Schutz. Am liebsten hätte ich mich vollkommen in ihrem Fell vergraben, mich ganz und gar dieser warmen Weichheit hingegeben.
Ich hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da merkte ich, daß meine Katze auf einmal größer wurde, viel größer, riesengroß. Oder wurde ich etwa kleiner? Das Sofa, auf dem ich lag, hatte auf einmal die Größe einer ganzen Liegewiese angenommen. Vier Pranken von der Stärke eines Baumstammes umfingen mich und ich lag in einem Feld aus Fell, so hoch wie Schilfgras. Meine Hände suchten Halt und trafen auf einen nachgiebigen Grund, der gluckernde Geräusche von sich gab. Stickige Hitze machte mir das Atmen schwer.
Plötzlich kam ein Sturm auf, ein warmer Wind pfiff mir um die Ohren und zerzauste meine Haare. Ich drehte mich um. Schnurrhaare so lang wie Lanzen ragten mir entgegen. Die Nase war ein rotes, feuchtes Dreieck mit zwei tiefen schwarzen Löchern, aus denen mir der Sturm ins Gesicht blies. Zwei grüne, schimmernde Augen, so groß wie Satellitenschüsseln, starrten mich unverwandt an.
Ich versuchte, mich aufzurappeln. Als ich, unsicher wie ein kleines Kind, endlich auf meinen Beinen stand, bekam ich einen Schlag in die Magengrube, der mir den Atem verschlug. Ich fiel zurück in das Gewirr aus Schilfgras. Mein Pullover war vorne vollkommen nass. Die Nase mit ihren vom Sturm fauchenden Löchern tastete meinen gesamten Körper von oben bis unten ab. Auf einmal ertönte ein ohrenbetäubender Donnerschlag, der Körper der Katze und auch das Sofa schien zu erzitterten wie bei einem Erdbeben, eine heftige Sturmböe drückte mich kraftvoll zu Boden und ein harter Platzregen drosch auf mich ein. Meine Katze hatte einen Niesanfall bekommen. Konnte es Katzen mit einer Menschenallergie geben?
Entkräftet blieb ich liegen. Ich war nass bis auf die Haut und suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus meiner misslichen Lage. Wie sollte ich alleine von diesem haushohen Sofa herunter kommen, ohne mir den Hals zu brechen? Wo sollte ich überhaupt hin? Außerdem würde meine Katze mich wohl mit einer Maus verwechseln, wenn ich vor ihr davon liefe und mich am Ende auffressen, nachdem sie mich spielerisch zu Tode gehetzt hatte. Was für ein schrecklicher Gedanke! Plötzlich senkte sich etwas drohend auf mich herab. Die Zunge legte sich über mich wie eine Decke mit abertausend Widerhaken. Ich fing an zu schreien, schrie den Namen meiner Katze, aber auch meine Stimme musste geschrumpft sein. Mehr als ein leises Fiepen brachte ich nicht zustande. Meine Katze blieb vollkommen ungerührt. Dabei sollen Katzen doch so ein gutes Gehör haben. Ich warf mich herum und vergrub mein Gesicht schützend in den Händen. Die Widerhaken schrammten über meine Kleidung und rissen sie in Fetzen. Krabbelnd auf allen Vieren versuchte ich vor dieser Schleckattacke zu fliehen. Wieder wurde ich umgestoßen. Krallen, so groß wie Dolche drohten sich mir in den Bauch zu bohren. Bilder von aufgerissenen Leibern, die ich in irgendwelchen schlechten Filmen gesehen habe, tauchten in mir auf. Ich stellte mir vor, wie meine Katze meine Eingeweide aus mir heraus pulen und mein Gedärm aufsaugen würde wie Spagetti.
Wieder wurde es dunkel. Fauliger, warmer Gestank umfing mich. Im Augenwinkel sah ich Zähne, so groß wie die Stoßzähne eines Elefanten. Ich wurde gepackt und verlor den Bodenkontakt. Ich wartete auf einen unsagbaren Schmerz, auf ein Knacken, wenn sie mich in der Mitte durchbeißen würde, um an mir zu knabbern wie an einer Salzstange. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen fiel ich – oder flog ich? Ich war nicht mehr auf dem Sofa, nein, ich schwebte über dem Teppich, Meter um Meter durch das Universum meiner Wohnung. Meine Katze verschwand mit mir in der Kuschelhöhle in ihrem Kratzbaum. Sanft legte sie mich ab und bettete mich in ihr Fell am Bauch. Ich war vollkommen erschöpft. Sie fing wieder an zu schnurren, ihr ganzer Körper vibrierte. Das eintönige Geräusch, die Wärme und das Vibrieren wiegten mich in den Schlaf. In einen totenähnlichen Schlaf.
Als von irgendwoher ein Radio ertönte, wusste ich nicht, wo ich mich befand. Ich hatte mich vollkommen in meiner Federbettdecke verknotet und bekam kaum noch Luft zum Atmen. Als ich mich von der Bettdecke befreit hatte, sah ich auf die Uhr. Es war sechs Uhr morgens, Zeit zum Aufstehen, der Radiowecker war angegangen. Da erst begriff ich: Ich hatte alles nur geträumt! Meine Katze lag friedlich zusammengerollt neben mir und schnurrte. Ich strich ihr über das Fell und vergrub meine Nase darin. Jetzt aber bin ich dankbar, dass ich ganz einfach aufstehen darf. Ich glaube, ich kuschele mich lieber nicht allzu tief in ihr Fell hinein!